Eastern Exposure: Your Old Droog, Rast RFC & Michael Christmas
Eine vitale Szene von A$AP über Pro Era bis Ratking beweist seit ein paar Jahren, dass New York und die Ostküste den neuen HipHop-Hauptstädten Los Angeles, Chicago und Atlanta durchaus mehr entgegenzusetzen haben als alberne Alliterationen und fleißige Silbenzählerei. Mit Your Old Droog (NYC), Rast RFC (NYC) und Michael Christmas (Boston) bringt der Osten auch 2014 neue Untergrundhoffnungen hervor.
Your Old Droog: Fürs Hoodie-Wetter
Vor kurzem schickte mir der geschätzte Kollege Engelen einen Soundcloud-Link zu einem Song von Your Old Droog, der jüngsten Sensation der Online-Rucksack-Gemeinde. Sein Auftritt ähnelte zunächst dem des mysteriösen New Yorker Rappers SHIRT. Keine Fotos, keine Interviews, kaum Informationen. Nur eine selbstbetitelte Soundcloud-EP mit dopen Beats und einer Stimme, die täuschend echt an Nas erinnerte.
Kürzlich trat Your Old Droog zum ersten Mal live auf, um allen Spekulationen um seine Person ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Daher wissen wir nun, dass es sich um einen weißen 24-Jährigen aus Coney Island handelt, der selbst erklärt, deutlich stärker von Big Daddy Kane als von Nas beeinflusst zu sein. Zu allem Überfluss rappt er auf charmanten Loops, die auch Ghostface Killah, MF Doom oder Roc Marciano gut zu Gesicht stehen würden. Die Texte kommen breitbeinig daher, aber nie klischeehaft oder plump. Sein Flow klingt komplex und doch eingängig.
Sein jüngster Coup war der programmatische, von Boombap-Revisionist Marco Polo produzierte Track »Hoodie Weather«, auf dem Altmeister Prodigy dem Weißbrot aus Brooklyn ein offizielles Co-Sign aus Queensbridge verpasste. Für den Moment steht fest: Your Old Droog ist ein sehr, sehr guter Rapper. Seine ganze Story muss erst noch erzählt werden, aber neugierig sind wir alle.
Der »New York Times«-Musikkritiker Jon Caramanica schrieb über das erste Your-Old-Droog-Konzert einen wohlwollenden Artikel, in dem die Beschreibung der Vorgruppen mein Interesse weckte. Timeless Truth aus Queens lasse ich an dieser Stelle mal beiseite, auch wenn ich deren unironischen Throwback-Rap schon das eine oder andere Mal abgefeiert habe, liefern die Polo-Sport-Fanatiker auf ihrer aktuellen EP »Dominican Diner« nichts fundamental Neues. Als Teil einer größeren Bewegung im New Yorker Untergrund spielt das Duo eine Rolle, doch es gibt künstlerisch aufregendere Entwürfe.
Rast RFC: The Intelligent Hoodlum
Rast RFC trat an jenem Abend zwar nicht auf, war aber angekündigt. Dass er schlussendlich doch nicht auftauchte, passt zu seiner Legende. Rast ist nämlich kein ambitionierter Jungspund, sondern ein 34-jähriger Veteran, der mit dem Mixtape »Across West 3rd Street« vor einigen Monaten sein erstes relevantes Lebenszeichen als Rapper veröffentlichte. Was primär daran liegt, dass er die letzten 20 Jahre andere Dinge zu tun hatte: Rast ist einer der Gründer der Straßengang RFC, einem wilden Rudel von Writern, Dealern, Kleingangstern und Stressmachern.
In den Neunzigern machten RFC das West Village unsicher und lieferten sich erbitterte Kriege mit rivalisierenden Banden aus der Lower East Side. Das Erbe dieser Zeit führt Rast in Form einer Rasierklingennarbe im Gesicht spazieren. Inzwischen studiert er und möchte Sozialarbeiter werden, um seiner Community etwas zurückzugeben. Seine komplette Geschichte erzählte er kürzlich den Kollegen von »Mass Appeal«und schwankt dabei zwischen Glorifizierung und Reue, zwischen Selbstkritik und Rechtfertigung.
Auch in den Songs auf »Across West 3rd Street« springt Rast zwischen der Perspektive seines jugendlichen, eiskalten Ichs und der des geläuterten Thugs aus einem intellektuellen afroamerikanischen Haushalt. Mit kratziger Stimme nölt er sich durch hingerotzte Hooks im Stil der frühen 50-Cent-Tapes. Mit seiner bedrohlichen Intonation beschwört er den Geist des alten New Yorks: Man hört Biggie und Prodigy als klare Einflüsse heraus, es geht um düstere Legenden von schwarzen Hoodies und Timberland-Stiefeln, von territorialen Gang-Streitereien, brutalen Überfällen und Clubnächten im »Tunnel«, die in Schießereien enden.
Seine rohen, scheppernden Instrumentals leben von ungewöhnlichen Sample-Quellen (vor allem Sixties-Surfrock) und stumpfen, gesampleten Drums aus der Ära von Ced Gee und Marley Marl. Man kommt nicht umhin, Rast vor allem eines zu zertifizieren: Mehr New York geht nicht. Der Typ ruft »Rest in Peace, Harold Hunter«, und man weiß einfach, dass er den ikonischen Skater, der 2006 an einer Überdosis Kokain starb, persönlich gekannt haben muss. Unbedingt authentisch und musikalisch einzigartig: Rast ist eine relevante Stimme des Ostküsten-Untergrunds, die unbedingt gehört werden sollte.
Michael Christmas: Übergewichtiger Drake?
Statt Rast RFC spielte an dem von Caramanica beschriebenen Abend allerdings ein anderer junger Rapper als Opener: Michael Christmas. Eins steht fest: Ein Star wird man mit diesem Künstlernamen schon mal nicht. Ist ihm vielleicht aber völlig einerlei, sonst würde er ja auch keinen ironischen Post-Indie-Rap produzieren, sondern EDM oder was weiß ich.
Sein bereits seit Weihnachten 2013 erhältliches Mixtape »Is This Art?« eröffnet mit dem Ausnahmestück »Y’all Trippin« auf harten, rollenden Drums im Stil der späten Neunziger. Nun wird man diesem 20-jährigen Rapper aus Boston aber nicht gerecht, wenn man ihn als reinen Rawkus-Romantiker abstempelt. Eine biedere Retro-Angelegenheit klingt jedenfalls anders. Denn Michael besitzt die Selbstironie und den Humor, der den Helden der letzten großen Indie-Rap-Revolution zumindest teilweise abging, im Überfluss.
Michael Christmas macht »House Cleaning Music« und nennt sich selbst »Overweight Drake«. Er rappt darüber, dass er keine Rechnungen bezahlt außer der von Netflix. Er rappt darüber, dass er die Schule abgebrochen hat und zu viel fernsieht. Er rappt darüber, dass er betrunken gerne bei sämtlichen Frauen aus seinem Telefonbuch anruft. Michael Christmas ist der »Beautiful Loser«: eine hypertalentierte Couch-Kartoffel mit leerem Konto, aber riesigem popkulturellem Bildungsschatz.
Die einzigen bekannteren Namen im Tracklisting sind Mr. MFN eXquire aus Brooklyn sowie Produzent Childish Major (of »UOENO«fame) auf einem Bonus-Track. Michael Christmas steht noch am Anfang. Doch er trägt sein Mixtape auch alleine und hat eine klare Vorstellung von einem einzigartigen, wiedererkennbaren Sound. Rappen geht ihm leicht von der Hand, zudem muss man ihm ein gutes Händchen für Instrumentals attestieren. Vielleicht ist Michael Christmas keine große Pop-Hoffnung, aber ein sympathischer Antiheld mit Aufbaupotenzial.