»Allah und ich sind alte Kumpels« –
Ice Cube, Alkohol und die Nation of Islam
Ice Cube ist in South Central, Los Angeles, aufgewachsen. Seine Familie und er waren Mitglieder einer Baptistengemeinde. Doch nachdem sich Ice Cube 1989 von N.W.A trennte, interessierte er sich zunehmend für die Nation of Islam. Sein besonderes Interesse galt ihrer Idee, dass es Aufgabe der Schwarzen sei, sich ihre Kraft und Würde von den weißen Unterdrückern wieder zurückzuerobern. Eingeführt in die Lehren von Louis Farrakhan, dem Oberhaupt der Nation of Islam, wurde Ice Cube von einem Mann namens Drew aus dem Umfeld von Public Enemy.
Am Saviour’s Day, dem »Tag des Heilands«, feiert die Nation of Islam den Geburtstag ihres Gründers Wallace Fard. Irgendwann flog Ice Cube an diesem Feiertag nach Chicago, um Farrakhans Ansprache beizuwohnen. Anschließend lud Farrakhan ihn zum Essen in seinen sogenannten »Palast« im Hyde Park-Viertel ein. Der Palast ist das ehemalige Haus des verstorbenen Nation-Anführers Elijah Muhammad und befindet sich unweit des Hauptquartiers der Nation of Islam, der Moschee Maryam – ein prächtiger Gebäudekomplex, gekrönt von einem symbolischen Stern und Halbmond. Die Nation kaufte die Moschee in den Achtzigerjahren mit einem von Libyens Staatsoberhaupt Muammar al-Gaddafi gewährten Multimillionen-Dollar-Kredit.
Es folgten weitere Besuche Ice Cubes. Manchmal nahm er Shorty mit, einen Rapper aus seiner Crew Da Lench Mob. Im Rahmen üppiger Banketts, die von Salat über Bohnensuppe bis zu Hühnchen und anderem Fleisch (kein Schwein!) reichten, lauschten sie im Beisein ausländischer Würdenträger den Ratschlägen des Ministers. »Er sagte: ›Da Gott Euch zum Sprechen bestimmt hat, gebt das Wissen an die Menschen weiter und weckt sie auf‹«, erzählt Shorty.
Und obwohl sich Conscious Rap in den frühen Neunzigerjahren gerade im Aufwind befand, warnte Farrakhan sie, dass die Mächtigen versuchen würden, sie zum Schweigen zu bringen. »Sie wollen nicht, dass unsere Leute wissen, dass wir mal Könige und Königinnen waren und dass alle technologischen Errungenschaften von uns stammen«, erinnert sich Shorty an die Worte Farrakhans. »Wenn du einem Volk seine Kultur, seine Religion und seinen Gott nimmst, dann tust du das, um es so blind wie möglich halten.« Shorty ist davon überzeugt, dass der heutige Zustand von HipHop – »voller Possenreißerei und Unsinn« – beweist, dass Farrakhans Befürchtungen sich bewahrheiteten.
Ice Cube fing an, öffentlich über die Ideologie der Nation zu sprechen. Und 1991, an seinem 22. Geburtstag, vollzog der Rapper Kam einen symbolischen Akt, bei dem er die »Gifte« aus Cubes Haar exorzierte und damit dem Rat von Persönlichkeiten wie Marcus Garvey, die sich für Black Pride aussprachen, folgte. Unterstützt von Shaheed Muhammad, schnitt er Cubes Jheri Curls ab.
Allerdings sah man Cube nie mit einer Fliege (wie sie für die Nation of Islam typisch ist; Anm. d. Übersetzers). Obwohl Ice Cube immer noch Liebe für den Islam hat – »Me and Allah go back like cronies / I don’t got to be fake, ’cause he is my homie«, rappte er 2008 –, ist Religion nicht sein Ding. »Ich weiß nur, es gibt einen einzigen Gott«, erzählt mir Ice Cube. »Religion wurde von Menschen geschaffen und ist damit mangelhaft. Ich folge niemandem. Ich folge nur meinem eigenen Gewissen.«
Trotzdem war Cubes Verbindung mit der Nation von gegenseitigem Nutzen. Auf spiritueller Ebene kombiniert die Nation traditionellen Islam mit mystischen und biblischen Lehren sowie mit den Ideen von Unabhängigkeit und Rassentrennung. Nach der Ermordung von Malcolm X im Jahr 1965 erreichte die Organisation mit vielleicht einer halben Million Anhängern ihren Höhepunkt. Doch nach dem Tod von Elijah Muhammad zehn Jahre später zersplitterte die Nation und ihre Popularität nahm ab. Mit Farrakhan lebte sie wieder auf. Die Wiedergeburt der Nation gipfelte 1992 in Spike Lees Epos »Malcolm X« und 1995 in dem von Farrakhan angeführten Million Man March in Washington. Die Veranstaltung lockte vielleicht keine Million Menschen an. Aber es war die größte Versammlung von Afro-Amerikanern, die es jemals gab. Mit Fliegen bekleidete Rekruten aus dem ganzen Land sammelten Geld für die Organisation, indem sie Bean Pie und die Zeitung »The Final Call« verkauften.
Die Lehren Farrakhans sind mitunter homophob und frauenfeindlich. Sein Antisemitismus trug ebenfalls dazu bei, dass seine Popularität abnahm. (Genau die Punkte bremsten auch die Karriere von Rapper und Farrakhan-Verehrer Professor Griff aus, dessen antijüdischen Ausführungen in seiner Rolle als Public Enemys »Minister of Information« zu seinem Ausschluss aus der Gruppe führten.) Nichtsdestoweniger waren Farrakhan und die Nation eine wesentliche positive Kraft innerhalb des Schwarzen Amerikas, die Tausenden half, Gangs und Drogen den Rücken zuzukehren.
In den Neunzigerjahren ging Ice Cube regelmäßig auf Tour – in den Shows sah man riesige Bilder von Galgenstricken und herumwirbelnden elektronischen Stühlen. Bei seinen Auftritten beim Lollapalooza-Festival im Jahr 1992 kamen pointierte Disse in Richtung George W. Bush hinzu. Mitglieder der Fruit of Islam, die den paramilitärischen Zweig der Nation of Islam bildet, waren schwer damit beschäftigt, für Ordnung zu sorgen. Dabei hatte Cube bereits ein robustes Sicherheitsteam, bestehend aus Typen mit Namen wie Big Tom, Zulu Ed und Big Cal. Aber er konnte sich nicht sicher genug fühlen. Der Grund dafür war die Auffassung, dass inzwischen jeder hinter ihm her war: von der Bundesregierung bis zu seinen ehemaligen Label-Kompagnons. Mitglieder von Da Lench Mob berichten, sie hätten Morddrohungen erhalten.
Die Tour-Stopps liefen in etwa so ab: Ice Cube und seine Jungs kamen in der Stadt an und suchten die örtliche Moschee auf. Dort wurden sie wie Könige behandelt. Angehörige der Nation of Islam vor Ort sorgten dafür, dass sie etwas zu essen bekamen – entweder in einem Restaurant oder etwas Selbstgekochtes bei einer der Schwestern zu Hause. Ein Sicherheitstrupp wurde gebildet, bestehend aus Leibwächtern in Zivil oder Mitgliedern der Fruit of Islam in Anzügen und Stahlkappenstiefeln – oder aus beidem. Beim Soundcheck war das Team einsatzbereit. Während des Konzerts konnte es vorkommen, dass sich die zivilen Bodyguards unbemerkt unter das Publikum mischten. »Sie hatten das Gebäude unter ihrer Kontrolle«, sagt Cubes Produzent Sir Jinx. »Sie traten auf wie das Militär – und fackelten nicht lange.«
Nach der Show, auf dem Weg vom Veranstaltungsort zum Tourbus, bildete die Fruit of Islam eine Raute um die Künstler herum: vier Männer auf jeder Diagonalen mit Ice Cube, Da Lench Mob und der Crew in der Mitte. »Der Scheiß sah militant aus«, sagt Lench Mob-Mitglied J-Dee. »Man hätte glauben können, Farrakhan persönlich wäre eskortiert worden.«
Auf Tour fungierte Cube als eine Art Vorgesetzter und Nachhilfelehrer. In der Zeit zwischen den Auftritten hielt er kurze Vorträge, in denen man sich mit Texten der Nation of Islam wie »Message to the Blackman in America« von Elijah Muhammad oder »The Mis-Education of the Negro« von Carter Woodson auseinandersetzte. Oder sie hörten sich gemeinsam Aufnahmen der beim Saviour’s Day von Farrakhan gehaltenen Reden an. Außerdem hatte Cube eine strenge Regel aufgestellt: Kein Alkohol vor der Show! Nichtsdestotrotz gab es nach der Show hin und wieder etwas St. Ides, während sie darüber berieten, was beim nächsten Konzert besser zu laufen hat.
Und dass sie als Moslems kein Alkohol trinken durften? Als Mitglied der Nation of Islam geriet der strenggläubige Shorty in einen Gewissenskonflikt, als seine Crew Da Lench Mob sich für 30.000,- US-Dollar auf einen Werbeclip für St. Ides einließ. Er entschied sich zwar dafür, den Werbespot nicht mitzumachen, aber auf Drängen seiner Kollegen gab er dem Deal für 4.000,- von der Gesamtsumme doch noch seinen Segen. Das Geld spendete er der Nation.
Die Absicht jedoch, HipHop, diese neue Schwarze Kunstform, dafür zu benutzen, in den sozialen Brennpunkten Fusel zu verkaufen, erregte mehr als nur ein paar Gemüter. Chuck D rappte 1991 in dem Public Enemy-Song »1 Million Bottlebags«: »Watch shorty get sicker / Year after year, while he’s thinking: It’s beer / But it’s not he got it in his gut«. Im selben Jahr reichte Chuck D eine Klage gegen die Muttergesellschaft McKenzie River ein, als seine Stimme aus dem Public Enemy-Track »Bring the Noise« für einen Werbefilm von St. Ides gesamplet wurde. (Das Unternehmen erklärte, ihnen sei nicht bewusst gewesen, dass Chuck Ds Stimme verwendet worden war, da die Werbung komplett unabhängig produziert wurde, und zog den Clip sofort zurück.)
Derselbe Werbespot verwendete Cubes Stimme. Mehr als jeder andere wurde Ice Cube zum Gesicht von Malt Liqour. Auch seine Figur Doughboy in »Boyz N The Hood« gibt dem Produkt in dem Film großen Raum. Gegenüber der »Source« sagte Cube 1991, er habe mit Minister Khalid Muhammad von der Nation of Islam über dieses Problem gesprochen. Auch der sei der Meinung, dass das Ganze zwar gegen ihre Wertevorstellungen verstoße. »Aber wir müssen es als Sprungbrett nutzen. Wir müssen es benutzen, damit wir unsere Nation aufbauen können«, so kam man sich, laut Cube, überein.
Dabei half sicher, dass McKenzie River sich dazu bereiterklärte, 100.000,- US-Dollar für Community-Projekte seiner Wahl zu spenden. »Wie sonst käme die schwarze Community zu 100.000,-, um einer Organisation zu helfen?« Für diesen Ansatz steht Cube: Das Falsche machen, um Gutes zu tun. Wahrscheinlich würde er diesen Vergleich ablehnen, aber mit seiner Fähigkeit, Gruppen mit unterschiedlichen Interessen zu bedienen, ähnelt er einem geschickten Politiker. Selbst wenn du ihm nicht abkaufst, was er sagt, gewinnt er dich mit seinem Charme.