Screwed Up Germany: Eine Oral History des Einflusses von DJ Screw auf Deutschrap

Dieser Tage wäre der legendäre Houstoner Produzent DJ Screw 50 Jahre alt geworden. Auch ein gewisser Einfluss von Screw auf deutschsprachigen HipHop ist nicht von der Hand zu weisen. Philipp Killmann sprach mit Frauenarzt, Brenk Sinatra, Jayo, Lex Lugner, Opti Mane, Psycomatic und Skome für eine Art Oral History des Einflusses von DJ Screw auf Deutschrap.

DJ Screw

»Screwed Up Germany« heißt eine kleine Telegram-Gruppe, in der in loser Folge Links zu gechoppten und gescrewten Deutschrap-Tracks gepostet werden. Aber von einem wirklich screwed up Germany kann wohl noch keine Rede sein. Ein gewisser Einfluss von DJ Screw auf deutschsprachigen HipHop ist allerdings auch nicht von der Hand zu weisen. Wenige Jahre nach dem frühen Tod von DJ Screw im Jahr 2000 schwappte auch über die hiesige Rap-Landschaft eine kleine Screw-Welle. Auf zunächst nur vereinzelt gechoppte und/oder gescrewte Tracks folgte Mitte der Nullerjahre eine Handvoll ganzer Alben, die komplett »zerhackt und runtergeschraubt« waren und vornehmlich aus den Untiefen des Untergrunds der Städte Berlin, Osnabrück und Bielefeld auftauchten. Ein Strohfeuer. Denn kurze Zeit später wurde es im Deutschrap schon wieder still um den schräg anmutenden Stil aus dem Dirty South. Szeneintern größere Aufmerksamkeit erfuhr das Vermächtnis des texanischen DJs aus Houston im deutschsprachigen Raum erst wieder ab etwa 2013 durch entsprechend beeinflusste Songs wie »Based im Nebel« des Österreichers Crack Ignaz, die dessen Landsmann Lex Lugner produzierte und nicht zuletzt durch den Hype des Screw-lastigen Styles eines A$AP Rocky aus Übersee auch hierzulande mehr denn je auf offene Ohren stießen. Inzwischen finden sich Screw-Elemente immer mal wieder in Deutschrap-Tracks, sogar ganze Alben werden wieder gechoppt und gescrewt.

Für einen der Pioniere, wenn nicht den Pionier der Chopped & Screwed-Technik im Deutschrap schloss sich vor fünf Jahren ein Kreis. Mit seinem 2016 veröffentlichten Album »Mutterficker« knüpfte Frauenarzt an seinen 13 Jahre zuvor erschienenen Longplayer »Untergrund Solo, Vol. 2« an, und zwar optisch, inhaltlich, stilistisch und schließlich auch technisch. Denn so wie Frauenarzt 2004 als DJ Kologe mit einer zerhackten und runtergeschraubten Version von »Untergrund Solo, Vol. 2«, nachlegte, gehörte zwölf Jahre später zu der limitierten Box des »Mutterficker«-Albums ein amtlich gechoppter und gescrewter Mix davon. Sein Machwerk von 2004 leitete Frauenarzt, geschichtsbewusst salutierend, mit einer freien Übersetzung der Höranleitung ein, die DJ Screws Album »3 N The Mornin‘, Part Two« beilag, gefolgt von einem Shout-out an den verstorbenen Erfinder des Chopped & Screwed-Stils. Für den zerhackten und runtergeschraubten »Mutterficker«-Mix holte er sich nun Vertreter der nächsten, aber durchaus auch mit DJ Screw sozialisierten Generation mit ins Boot und zog somit vor dem Nachwuchs seinen Hut.

Der selbsterklärte Untergrundkönig ist einer von sieben Szeneprotagonisten, die ALL GOOD beim Nachspüren auf den Einfluss von DJ Screw auf deutschsprachigen Rap Rede und Antwort standen. Der 42 Jahre alte Frauenarzt aus Berlin rekapitulierte am Telefon, wie er DJ Screw für sich entdeckte und dessen Stil schließlich adaptierte. Jayo (40) gab Deutschrap in der Machart des Dirty South Anfang der Nullerjahre bei seinem Vertrieb »distributionz« (heute: »distri«) ein Zuhause. Im persönlichen Gespräch im Osnabrücker Firmensitz zog der Quasi-Pate des Untergrunds Bilanz über die Auswirkungen von DJ Screw auf seine eigene musikalische Sozialisation und den hiesigen Markt. Per E-Mail gab der 43 Jahre alte Sascha Hummel alias Psycomatic aus dem Schwarzwald Auskunft: Er ist Rapper und Produzent, Kopf von King Ov Kingz Recorz und Koka Muzik sowie Mitglied der legendären South Park Coalition aus Houston, Texas. Den Chopped und Screwed-Style wendet er seit etwa 2000 an, inzwischen hat er ihn zu »chipped and chapped« entfremdet und damit einen eigenen Stil geschaffen. Ebenfalls via Mail teilte Skome seine Ansichten über DJ Screw. Der 35-jährige Producer aus Bielefeld – ehemals Teil von »808 Muzik«, heute bei »1A Produktion« – ist nicht zuletzt Macher der 2005 erschienenen Compilation »Nekropolis« (One Take One Hit Records/Harlem City Records), auf der sich frühe Chopped & Screwed-Songs fanden. Skomes ein Jahr jüngerer Homie von ihrer einstigen gemeinsamen ostwestfälischen Crew One Take One Hit schilderte telefonisch den Einfluss, den DJ Screw auf ihn hatte: Die Rede ist von Wahl-Berliner Opti Mane, seines Zeichens rappende Reinkarnation des verstorbenen Screwed-Up-Click-Mitglieds Mr. 3-2. Über den Lebe- beziehungsweise Mittelsmann Opti äußerte sich auf dem elektronischen Postweg (und in bestechender Kürze) auch der österreichische Anfangdreißiger und stille Tüftler Lex Lugner: Der Produzent ist zum Beispiel für die im März veröffentlichte »mobbed und silked« Version des selbstbetitelten Albums des Silk Mobs verantwortlich, den Lugner gemeinsam mit Opti Mane & Co. bildet. Via WhatsApp-Telefonie gab zudem Enddreißiger Brenk Sinatra seine Gedanken über DJ Screw zum Besten, der Wiener Produzent mit dem ausgeprägten Westcoast-Spleen und dezenten Screw-Faible, nach dessen Beats sich auch Rapper von jenseits des Atlantiks die Finger lecken. Eine Oral History des Einflusses von DJ Screw auf Deutschrap.

First Contact

Frauenarzt: Ich war Anfang der 90er Jahre ganz krass auf dem Rap-A-Lot-Film, und bei den Rap-A-Lot-Geschichten ist dieses Screw-Ding noch nicht so präsent gewesen. Aber als ich dann irgendwie auf Künstler wie ESG kam, fiel mir auf, dass auf dem Cover von seinem »Sailin‘ Da South«-Album »screwed« draufsteht oder »featuring Screw«. Es war ein bisschen unklar; man hätte auch denken können, dass das ganze Album screwed ist. Es ist aber nur ein screwed Track, der da drauf ist. Das war, glaube ich, das erste Mal, dass ich einen Screw-Track bewusst wahrgenommen habe. Der Sound klingt für viele ja erst mal befremdlich, für einige Leute kaputt. Aber ich fand’s eigentlich ganz geil, hab mich aber erst mal nicht weiter damit beschäftigt.

Jayo: Ich bin früher viel mit Schlafwandler von 4.9.0 Friedhof Chiller unterwegs gewesen. Er ist ein bisschen älter als ich, und ich kannte ihn schon sehr lange. Er war bereits sehr tief in dieser Musik. Ich war so 14/15 und kannte das alles nicht. Musikalisch war er der stärkste Input, den ich hatte. Ich hatte so mit Guns’n’Roses angefangen und bin dann so über Body Count/Ice-T auch zum Rap gekommen. Aber dieses ganze South-Ding, das kannte ich halt einfach gar nicht. Und Schlafwandler hatte damals eine sehr beeindruckende CD-Sammlung. Ich meine, ich hatte so meine fünf CDs und er halt einfach so mal 500 CDs oder so. (lacht) Dann haste da die CDs durchgeflippt und zack, bin ich auf »All Screwed Up« von DJ Screw gestoßen. Das Cover hatte mich irgendwie fasziniert. Ich so: Was ist das denn?! Dann hat er das angemacht, weil er, glaube ich, wusste, dass das für mich schon ein kleiner Kulturschock sein würde. Man muss das ja auch erst mal einordnen können. Und ich fand’s auch erst mega strange und konnte damit nicht viel anfangen. Ich war auch ein bisschen enttäuscht, weil das Cover mit der Schraube in dem Totenkopf sah eigentlich mega ansprechend aus. (lacht) Ein super »Pen & Pixel«-Cover! Der Sound von DJ Screw war für mich also ein bisschen so wie Schafskäse. Als Kind findet man es eklig, aber dann bist du älter und liebst es. Oder Kaffee: Erst ieh! Aber dann bist du süchtig danach und willst jeden Morgen Kaffee trinken.

Psycomatic: Ich war schon recht früh neben meiner damaligen Passion für New York-Rap auf den Sound des Südens aufmerksam geworden. Das war Mitte der 90er. Gerade Houston hat es durch beispielsweise Rap-A-Lot Records, das bis heute mein absolutes Lieblingslabel ist, zu einer Art Mekka meiner musikalischen Einflüsse geschafft. So verweilte ich viele 100 Stunden im Plattenladen und durchforstete CDs und Booklets der Bands, um an neue Künstler zu kommen, wo dann auch natürlich DJ Screw immer wieder eine Rolle spielte. Seinen Style fand ich auf eine Art erst mal etwas befremdlich. Aber man kannte Choppen ja bereits von Mixtapes et cetera, somit war eigentlich nur das Pitchen beziehungsweise Screwen etwas Neues. Da ich aber auch ein wenig laienhafte DJ-Erfahrung mitbrachte, kannte ich auch das bereits vom Turntableism. Da ich jedoch nie irgendwelche Drogen konsumierte, konnte ich es zuerst wenig nachvollziehen, warum man ganze Alben in diesem Style veröffentlichte. Aber ich fand durch meine vielen Recherchen recht schnell hinein und so konnte ich mich am Stil auch ohne Dope oder Lean, erfreuen.

Jayo: Auf dem 1995 erschienenen »Down South Hustler«-Sampler von Master P, der eine riesige Spannbreite der ganzen Südstaaten-Szene wiedergab, war auch ein Track von Point Blank drauf. Allerdings war der Song nicht normal drauf, sondern in einer gescrewten Version mit einem Aaliyah-Beat. »My Mind Went Blank« heißt der Track. Dadurch, dass diese Screw-Version auf diesem Sampler war, hat man gemerkt, dass das ganze Chopped & Screwed-Ding auch seine Berechtigung hat. Und diese Nummer war halt ultrageil. Da hat’s dann auch für mich gepasst! Ich habe mir dann selber »3 N The Mornin‘, Part Two« besorgt, das DJ Screw-Album mit dem ESG-Intro. Ich habe es mega gefeiert. Das war ein ganz eigener Film.

Frauenarzt: »Screwed« war zwar schon immer irgendwie ein Begriff, also dass das runtergepitcht bedeutet. Aber DJ Screw als Künstler war erst nie so krass in meinem Blickfeld. Vielleicht weil ich mich mehr auf die Rapper und Produzenten konzentriert habe. Es gab ja auch noch andere, wie zum Beispiel Michael Watts. DJ Chill war einer der ersten, die mir aufgefallen sind. Ganz krass sogar. Habe ich übrigens nie wieder gefunden, das Tape von DJ Chill, was ich damals gehört hab. Das war ja die Zeit, in der man irgendwelche Sachen per MP3 zugeschickt bekommen hat oder sich gegenseitig mal eine CD gebrannt hat, und da war dann irgendwo auch ein Tape von DJ Chill bei. Das war relativ früh. 1999 war das, wo wir eigentlich sehr viel Memphis-Rap und Miami Bass gehört haben. Und da kam irgendwie DJ Chill um die Ecke, keine Ahnung, woher der kam. (lacht) Und dann haben wir DJ Chill gepumpt, weiß ich noch, bei Orgi in der Bude. Das waren einzelne Songs, die gescrewt waren, also nicht so wie bei DJ Screw, wo alles ineinander überging. Aber DJ Chill ist uns allen ziemlich im Kopf geblieben, weil die Sachen auch richtig geil waren. Das waren die übertriebensten! Die waren einfach so krass runtergepitcht und so hardcore Low-Fi, dass du wirklich gedacht hast so: Boah, Alter, das ist ja schon… Wir haben auch gelacht teilweise.

Skome: Wie ich auf DJ Screw aufmerksam wurde, das weiß ich so genau gar nicht mehr, aber wohl eher relativ spät, als sein Werdegang schon fast zu Ende war. Das müsste so Ende 1999 oder Anfang 2000 gewesen sein. Aufmerksam wurde ich durch Rapper-Kollegen und Musiksammlern aus deren Umfeld. Viele Produktionen von DJ Screw waren ja verteilt auf diversen Alben von Dirty South-Tapes und -CDs. Meine erste Reaktion beim Kollegen war: »Ist dein Tapedeck oder CD-Player kaputt, oder warum ist das so langsam und springt die ganze Zeit?« (lacht) Zu der Zeit war es für mich ein neu ins Leben gerufenes Genre im Hip-Hop oder Rap, mit dem ich mich aber schnell anfreunden konnte und es gerne selbst ausprobieren wollte. Andere Leute im Rap-Umfeld, die man kannte, waren eher abgeneigt und hörten 08/15-Hip-Hop aus New York und so. Später gab ich mir dann auch seine Solo-Sachen richtig.

Opti Mane: Für mich war dieser Chopped & Screwed-Sound erst mal gar nicht so an die Person DJ Screw gebunden. Das war für mich mehr so’n allgemeines Houston-Ding, das ja dann auch die gesamten Südstaaten beeinflusst hat, so mit runtergeschraubten Word-Samples in Hooks oder ganzen Tracks. Das war für mich so’n Südstaaten-Ding. Wenn du Dirty South-Mucke feierst und das cool findest, dann gehört halt Chopped & Screwed auf jeden Fall mit dazu als eine von vielen Style-Facetten. Mir wurde dann erst im Nachhinein klar, dass es da einen DJ Screw gibt, der das erfunden und bekanntgemacht hat.

Brenk Sinatra: Ich habe DJ Screw auf jeden Fall später entdeckt, weil Anfang der 90er war ich noch ein kleines Kind. Ich habe zwar sehr früh begonnen und schon mit 13/14 nur noch Rap gehört, aber es war damals schon fast unmöglich, an bekannte Westcoast-Sachen zu kommen, deswegen hat es gedauert, bis man sich so’n bisschen mehr auch in diese ganze Süden-Materie reingehört hat. Ich glaub, es war Ende `99 oder so, wo ich zum ersten Mal DJ Screw mitbekommen habe. Ich habe früher gedacht, das ist einfach ein DJ, den sie da irgendwie immer für die Hooks holen. Das Trademark war ja immer »screwed & chopped« und nach seinem Tod hieß es, glaube ich, »slab«, was für »slow, loud and bangin‘« stand. So durfte man es nennen, ohne seinen Namen zu verwenden und zu biten. In der Zeit etwa, in der er gestorben ist, habe ich das so richtig mitbekommen. Da habe ich verstanden: Ok, da gab’s jemanden. Da habe ich dann begonnen, mich da reinzuarbeiten. Ich habe dann super viel Scarface gehört, Paul Wall, und die waren ja so mehr oder weniger extended Screwed Up Click, auch Trae the Truth, die waren so meine Eintrittskarte zu dem Ganzen.

Jayo: Als Frauenarzt in Osnabrück war, hat er zu DJ Screw dann irgendwie Zugang gefunden. Das habe ich gemerkt beziehungsweise hat er dem ja auch gehuldigt. Er hat ja mal sechs Wochen in Osnabrück mehr oder weniger gewohnt, als er das Album »Untergrund Solo 2« aufgenommen hat. Und auf dem Album gibt es einen Track (»Dies sind die Raps«; Anm. d. Verf.), wo es dann heißt: »DJ Korx, schraub’ die Scheiße runter für meine Atzen in Osnabrück!« (DJ Korx hat den Track produziert; Anm. d. Verf.) Damit hat er schon zu verstehen gegeben, dass er da irgendwie durch uns Zugang zu gefunden hat. Das war natürlich geil und hat uns gefreut. Das Album hatte auch unsere »4.9.0 Studios«-Plakette.

Frauenarzt: Irgendwann bin ich dann tatsächlich selber noch mal auf den Film gekommen, weil ich bei Jayo in Osnabrück ein Album aufgenommen hatte. Das war »Untergrund Solo 2«. Natürlich war es vorher schon leicht präsent, indem man auf den Tapes ab und zu auch mal diese screwed Hooks benutzt hat und so, aber halt nie wirklich ein Album in Betracht gezogen hat, das komplett chopped & screwed ist. Ich war auch nie darauf bedacht, mir komplette chopped & screwed-Alben anzuhören, mir das zu geben. Aber Jayo hat, so wie ich auch, eine beachtliche Musiksammlung und darunter waren sehr viele screwed Alben. Und da hab‘ ich mich dann das erste Mal wirklich intensiv damit beschäftigt. Da hab‘ ich dann zum Beispiel gemerkt, dass »Wanna Be A Baller« von Lil Troy in der screwed Version einfach geiler klingt als das Original. Dann ist mir erst wirklich bewusst geworden, dass teilweise Alben komplett screwed aufgenommen worden sind, mit Freestyles und allem Drum und Dran. Und dann habe ich das alles nachgeholt.

Opti: Zum ersten Mal bin ich durch Frauenarzt auf den Style gekommen, und zwar durch sein »Untergrund Solo 2 (zerhackt und runtergeschraubt)«-Album. Ein Kumpel hat mir das gezeigt, und wir waren davon völlig geflasht. Ich dachte, krass, das ist ja komplett alles verlangsamt und zerhackt und so, crazy – aber irgendwie ist es voll geil. Diese tiefen, teufelsmäßigen Stimmen, das war halt mega der Flash, das fand man übelst krass. Das fand man ja früher schon als Kind cool, wenn es in irgendwelchen Filmen solche Stimmeffekte gab. Und das waren jetzt ganze Tracks, in denen sich die Voices so übelst verzerrt und mies und düster anhörten und die Beats und alles voll die krasse Atmosphäre hatten. Das hat einen voll eingesaugt in so eine dreamy-verträumte, wie soll man das nennen… Das hatte halt so’n verträumt-verzerrten Vibe. Ein Kumpel hat mir dann gesagt, das ist der Style von diesem DJ Screw, das ist eine Technik, die gibt’s schon voll lange und kommt eigentlich aus Houston, und das hier ist halt eine Hommage.

Frauenarzt: Dass ich erst um 2002 auf diesen Screwed-Film gekommen bin, das ist schon krass eigentlich. Obwohl ich’s halt vorher auch schon wahrgenommen hatte, gerade bei ESG und so. Es gab ja auch Screwed Up Click-Alben, wo dann ab und zu mal ein Song screwed war. Es waren immer einzelne Songs. Wo’s mir auch mal ziemlich bewusst geworden ist, das war bei der Three 6 Mafia-EP »Live By Yo Rep« (von 1996; Anm. d. Verf.), da ist auch eine Screwed-Version drauf.

Lex: Ich muss zirka 17 gewesen sein, als ich auf DJ Screw aufmerksam wurde. Das war auch die Zeit, als ich angefangen habe zu kiffen. Hat ziemlich Sinn gemacht.

Fascination

Psycomatic: DJ Screw kreierte und zelebrierte das Ganze auf einem völlig neuen Level. Er spezialisierte und verfeinerte seinen einzigartigen Stil. Man wusste, was einen erwartet, konnte sich so gut darauf einlassen, und es war trotzdem immer wieder spannend, was er aus den Songs machen und aus ihnen rausholen wird.

Frauenarzt: Was mich von DJ Screw am meisten fasziniert hat, war der Bigtyme-Sampler, Volume 2: »All Screwed Up«. Bigtyme war ja damals das Label, auf dem viele Künstler rausgekommen sind aus Texas, UGK zum Beispiel auch. Wenn man selber Musiker ist, sich mit den Macharten auskennt und sich das Album wirklich anhört, da merkt man, was da für künstlerische Arbeit hinter steckt, gerad hinter diesem Album. Wenn man weiß, dass DJ Screw dieses Ding mit den Plattenspielern gemacht hat. Ich komme ja selber eigentlich aus dem DJing. Ich habe ja selber DJ gemacht und bin vom DJing dann zum Produzieren gekommen und dann erst richtig zum Rappen. Bei diesem Album ist mir das jedenfalls sehr stark aufgefallen. Wenn man sich andere Sampler anhört, dann ist es oft so, dass nur einzelne Tracks aneinandergereiht und gescrewt sind, aber das hier war halt ein kompletter DJ-Mix in diesem Style. Und man muss sich ja dann auch fallenlassen und darauf einlassen. Das ist ja jetzt kein Turn-up, sondern das ist genau das Gegenteil. Man lehnt sich zurück, chillt, macht sich’s gemütlich und zieht sich die Mucke rein.

Jayo: Für mich war es auch dieses »smokin‘ and leanin’«-mäßige, dieses Entspannte und Entschleunigte. In Deutschland wollen ja immer alle schnell mit dem Auto fahren und an der Ampel am besten gleich mit 100 Sachen durchstarten. Dagegen ist in Amerika eher die Frage: Wer fährt am Langsamsten? »Loud and bangin’«, sagt man ja in Texas, dieses langsam Vorbeifahren, damit bloß alle deine Mucke hören. Am besten noch gescrewt, damit auch alle den Text verstehen können. Das ist schon eine andere Mentalität. Es war schon Wahnsinn eigentlich, diese runtergeschraubte Musik, die ja auf eine Art wie ein Fehler ist, dann zur Kunstform zu machen und zu mixen. Es gab teilweise Lieder, die waren gescrewt sogar geiler! Zum Beispiel »Free World« von den Convicts.

Skome: Das Besondere an seinem Style ist die Technik, mit der er schon früh etwas geschaffen hat, was sich heute zwar deutlich leichter digital erstellen lässt, aber nicht so originell und analog klingt. Es ist schon was Feines, wenn man zwei Plattenspieler hat und die downpitcht auf minus 4 bis minus 8 oder sogar von 45 auf 33 Umdrehungen pro Minute runterschraubt und dann noch zerhackt und scratcht. Das kriegt man meiner Meinung nach nicht so authentisch hin mit dem PC und den Controllern.

Jayo: Weil ich ja selber auch Musik gemacht habe und mich damit auskannte, faszinierte mich erst mal die Form. Aber ich hatte auch immer so Bilder im Kopf, wie da die Leute in Amerika im Club sitzen, wo diese Mucke läuft, und sie sich den Sirup reingießen. Auf jeden Fall hat man sich da so reinversetzt. Mich hat’s auf jeden Fall abgeholt. Dieser ganze Kult. Es war auch die richtige Mucke, die gescrewt worden ist. Wobei wahrscheinlich sogar East Coast gut klingen würde auf Screw-Sound. (lacht)

Brenk: Beim Hören der Screw-Tapes habe ich dann bemerkt, dass er auch die Soul-Classics oder aktuellen Westcoast-Nummern, die heute die Über-Classics sind, bearbeitet hat. Er hat seinen Stil im Prinzip auf alles angewendet hat, was damals gut war. Ich glaube, er hat sogar auch ein paar New York-Sachen gescrewt. Da habe ich dann erst die ganze Bandbreite gesehen und verstanden, dass das, was er da gemacht hat, wie eine eigene Musikrichtung ist. Das war es dann, was mich noch mehr zu dem Ganzen hingezogen hat. Sowieso haben mir diese relaxten Beats immer am besten gefallen, auch bei den Leuten aus dem Süden. Ich mochte auch immer besonders diese runterchoppten Lyrics, auch wenn mir anfangs nicht klar war, wieso die das machen. Was mich am meisten angezogen hat, war dieses Herunterpitchen von eher souligen Sachen, das war unglaublich geil! Da habe ich noch keine Ahnung gehabt, dass das mit Codein-Promethazin ein Mix and Match war, also dass das mit diesen Substanzen die beste Wirkung hat. Aber wenn man weiß, was das mit dem Körper macht, dann macht’s natürlich Sinn, dass die Musik so super langsam war.

Lex: Mich hat fasziniert, dass es in Houston eine ganze lokale Szene gibt, die auf dieser langsamen Musik und dieser Droge basiert.

Sounds like

Jayo: Er ist ja ein DJ, also hat er ja eigentlich keinen Sound. (lacht)

Frauenarzt: Es ist chillige Musik. Musik zum Chillen. Wenn mich jemand fragt, was das für Musik ist: Es ist auf jeden Fall Downtempo. Man muss es eigentlich hören, um es zu verstehen. Und das Choppen hat ja später auch sehr viel Anklang in anderen Tracks gefunden, die gar nicht mehr screwed waren.

Jayo: Weil es ja hauptsächlich Texas-Sachen waren, die er bearbeitet hat, war der Sound für mich immer Texas. Er hat auch so ein paar Elemente und Sounds oder komische Geräusche eingebaut, wie dieses (imitiert das Sample) »diiieeun, diiieeun« auf »3 N The Mornin‘, Part Two«. Außerdem hatte er auch eine besondere Stimme, ab und zu hat er ja auch in die Mixes so reingeredet.

Brenk: Den Screw-Sound zu beschreiben, ist schwierig. Ich würd’s als relaxt und wavy beschreiben, aber es gab auch super harte Sachen. Aber die größten Hits von ihm, die ich kenne, waren schon sehr entspannte, sehr relaxte, sehr smoky Tracks.

Jayo: Ich war immer mehr Fan, von den Nummern, die nicht so gechoppt waren. Das Choppen kann auch schon sehr anstrengend sein. Bei den gescrewten Sachen, wie zum Beispiel bei »Comin‘ Up N Da Ghetto« von Ace Deuce, bin ich leichter reingekommen. Diese Sachen waren super entspannt.

Psycomatic: Das ist sehr schwer zu sagen, wie der Sound von DJ Screw war. Ich denke, der Musikstil hat nicht umsonst seinen Namen von Screw.

Skome: Ich würde den Sound als »lean back and relax« beschreiben. Wie ein Abenteuer, das durch die Ohren saust. Man kann sich frei entfalten, ohne große Vorgaben und Regeln, und die Musik zerstückeln und runterschrauben, wie man möchte. Ein perfektes Soundbild für das Eintauchen in die Sphären eines Potheads, um seine Filme darauf zu schieben. (lacht)

Lex: Langsam, hazy und warm. Kassettensound.

In Full Effect

Frauenarzt: Ich muss auf jeden Fall im Mood sein. Ich glaube, die Musik löst jetzt nicht so viel in mir aus, sondern es ist eher so, dass ich in der Verfassung sein muss, sie zu hören. Ich muss diesen Mood oder die richtige Atmosphäre haben, um das zu hören. Dann löst es irgendwas aus, was bei mir ein bisschen relaxt ist.

Opti: Für mich ist der Screw-Sound auf jeden Fall der Inbegriff für das absolute Entspannen und Relaxen. Wenn ich so’n DJ Screw-Track reinhaue, dann ist das, als ob ich mich in so ein riesiges, fettes, weiches Wattekissen fallenlasse oder in so ne fette Wolke, Alder. Das löst sofort so ‚ne ultimative Entspannung, Relaxung und Boah!-Scheiß-auf-alles!-Abschalten-Stimmung aus, in der man sich so geil komplett zurückfallen lassen kann. Als ob du dich in so’n fetten warmen Swimming Pool von richtig zähflüssigem Sirup reinfallen lässt und da drinnen rumfloatest und rumtreibst, weil du einfach so richtig geil entspannen kannst. Das löst der Screw-Sound in mir aus.

Psycomatic: Ich mag vor allem, dass es ganz neue Facetten des jeweiligen Songs eröffnet, ohne jedoch etwas Essentielles zu zerstören. Gerade durch das Runterpitchen kann man viel tiefer eintauchen und die Momente, seien es Lyrics oder Melodie und Rhythmus, noch stärker auskosten.

Frauenarzt: Wenn ich früher aufgelegt habe und eine Schallplatte, die 45er-Tempo war, aus Versehen oder vielleicht auch mal absichtlich auf 33 abgespielt habe, dann hast du auch manchmal gedacht: Boah, krass, so Downtempo klingt es auch ganz geil! Manchmal klang’s auch geiler, bestimmte Passagen, bestimmte Melodien oder so. Es gab ja auch diese Geschichte von Kylie Minogue. Da gab’s einen Song von ihr, wenn du den runterscrewt hast, klang sie original wie Rick Astley. Und wenn du Rick Astley hochgepitcht hast, hat er original geklungen wie Kylie Minogue. Also hat man diese beiden Künstler manchmal hoch- oder runtergepitcht, je nachdem, um den Effekt zu haben: Oh, ich habe hier einen neuen Kylie Minogue-Song! Obwohl’s Rick Astley war oder anders rum.

Skome: Mich nimmt der Sound immer mit. Und bei intensivem Hören landet man auf längere Zeit in einer Art Trance. Wenn man sich das einige Stunden gibt und dann wieder Musik in normalem Tempo hört, denkt man, diese Tracks wären auf Helium mit Mickey Maus-Stimmen. (lacht)

Frauenarzt: Big Moe war eigentlich ein R’n’B-Künstler, ein guter Sänger, der das Album »City of Syrup« gemacht hat. Das gibt’s einmal in der normalen Version und einmal in der screwed Version. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, welches von den beiden Versionen ich besser finde, dann würde ich sagen, die gescrewte. Die ist für mich einfach viel entspannter, viel relaxter, hat viel mehr Soul. Das ist ganz komisch. Ich glaube, man muss halt einfach in dem Mood sein und sagen: So, jetzt hab‘ ich Bock, mir das Album reinzuziehen und zwar in der Screwed-Version, weil ich einfach relaxen will und nicht irgendwie diesen Uptempo-Sound.

Brenk: Es ist nicht so, dass ich jetzt aufstehe und sage: So, ich hör jetzt Screw! Aber ich komm‘ immer wieder auf irgendwelche Sachen, auf irgendwelche Alben, die er gescrewt hat, wie Paul Wall, Fat Pat oder Big Hawk. Die hör ich dann erst normal, weil ich so 90er-Süden-Favs-Track-Listen habe, und dann denk‘ ich mir: Ach, weißte was, ich hol jetzt mal die Screw-Version raus! Und dann zieh‘ ich mir die rein und ich bin einfach fasziniert, weil der Sound wie so eine lebendige Masse war. Das war halt alles super analog und mit Tapedecks aufgenommen. Das rauscht und das hisst und das atmet. Das ist ja weit weg von irgendwelchem digitalen Runterpitchen. Das ist ja auch ein bisschen die Magie dahinter, glaube ich, das, was die Leute dabei so anzieht, dieses schöne warme Tape-Feeling. Und es ist auch diese Ära, Mitte 90 bis Ende 90, in der das ja richtig groß war. Das ist wie so’n Film im Kopf. Kopfkino. Dazu gehören auch die Autos, die Slabs, wie sie genannt werden, die man aus den Videos kennt, die Elbows und diese speziellen Felgen, die Swangers, die einen halben Meter weit abstehen, wo dir jeder normale Polizist in Deutschland oder Österreich wahrscheinlich einen Vogel zeigen und dich sofort hopsnehmen würde. Aber die fahren da mit einem halben Meter weit herausstehenden Felgen einfach rum. (lacht). Dieses ganze Feeling, diese alten, aufgemotzten Autos, die Cadillacs, die Screw-Tapes, wirklich auf Kassette noch… Ja, das ist schon ein ganz besonderer Film.

Opti: Es ist einfach der ultimative Chill-und-Relax-Sound. So, wenn ich sag': Boah, ich scheiß‘ jetzt wirklich auf alles und geb‘ so den Fick, Alder, und chill‘ einfach nur mein Life, Alder. Und alles, was draußen abgeht oder sonst wo, ist mir völlig egal – das löst es irgendwie aus. Wenn ich’n Screw-Track reinhau‘, dann weiß ich: Ok, ich hab echt Urlaub, ich chill‘ voll ab, mir kann alles egal sein. Setz‘n Kopfhörer auf, träum‘ einfach nur vor mich hin, egal, ob ich durch die Gegend latsche oder zuhause auf dem Sofa liege und an die Decke kucke. Das holt mich einfach so voll in meine Zone so mäßig. Oder man kommt dann voll in so ‚ne Chillout-Zone, wo man so voll vernebelt und verträumt versinken kann und alles andere ist scheißegal.

Lex: Nostalgie und Ruhe.

Favs

Frauenarzt: »All Screwed Up, Bigtyme Vol. 2« ist mein Lieblingstape. Weil ich’s einfach hoch- und runtergehört hab. Und »After I Die« ist ein übelst geiler Song, auch schon ungescrewt. Den find‘ ich richtig krass, aber der ist auch in der Screwed-Version ziemlich geil. Aber DJ Screws Alben »3 N The Mornin’« und »All Screwed Up« sind eigentlich Gesamtkunstwerke. Da kannst du gar keinen einzelnen Song rauspicken.

Jayo: »My Mind Went Blank« ist schon sehr genial, weil ich erst die Screwed-Version kannte und es dieser Aaliyah-Beat ist. Denn die Originalversion ist schon anders. Ich finde, das Lied zeigt eigentlich in Perfektion, wie man so was machen sollte, also sprich: einen anderen geilen Beat drunterpacken. Allein dadurch hast du quasi schon einen ganz anderen Vibe. In der Originalversion ist »My Mind Went Blank« sogar ein eher schlechteres Lied von Point Blank, finde ich. Und da ist das Problem: Wenn du ein Lied im Original schon geil fandest, aber dann gescrewt gehört hast, dann kam das manchmal auch nicht so knackig.

Opti: Das DEA-Album »Screwed for Life« von 1998 habe ich in der Chopped & Screwed-Version auf jeden Fall totgehört.

Brenk: Mein ever, ever Lieblingssong, den er gescrewt hat, ist »My Mind Went Blank«. Das ist auf dem »3 N The Mornin‘, Part Two«-Album. Das ist mein absoluter Lieblingssong von ihm. Ich weiß auch gar nicht, was das für’n Beat ist. Das ist irgend so ein alter, geiler Anfang-der-90er-R’n’B-Beat. Und da hat er das Acapella von einem Rapper drübergelegt. Ich weiß auch gar nicht, wer das da rappt. Der hat ja oft super bekannte Beats genommen und dann irgendwelche lokalen Houston- oder Texas-Rapper, die vielleicht mal eine Single gedroppt haben, da drüber gemischt. Und so entstanden dann diese verrückten Sachen. Bis hin zu Phil Collins‘ »In The Air Tonight«, das gibt’s auch auf einem Screw-Tape. Also der Typ… Das war einfach das Geilste. Und ich glaub‘, wenn du dann noch in dieser Zeit gelebt hast, mit den Karren herumgefahren bist und Codein/Promethazin gesoffen hast, dann war das für dich wahrscheinlich wie ein anderer Planet. Aber ich glaube auch, dass das alles wie man an DJ Screw ja leider auch sieht, nicht sehr gesund war. Es sind ja sehr viele Leute gestorben an dem Scheißzeug. Aber legendary halt, über, über legendary!

Psycomatic: Ich feiere vor allem die Screw-Sachen mit der Screwed Up Click am Start. Die Sessions mit den ganzen Idolen wie Lil Keke, E.S.G., Big Moe (R.I.P.), Mr. 3-2 (R.I.P.), Fat Pat (R.I.P.), Big Hawk (R.I.P.), Big Mello (R.I.P.), Lil Flip… Ach, es macht mich traurig, dass gerade von der Screwed Up Click schon so viele so früh von uns gehen mussten. Ein wahrlich dunkles Kapitel.

Brenk: Ich hatte die Alben, die damals allgemein so rauskamen, oft auch als Screwed-Version. Das war für mich so das Ding. Die Screw-Tapes waren im Grunde ja seine Mix-Tapes. Ich habe mir immer die Original-Alben der Künstler geholt. Mr. 3-2 zum Beispiel: Ganz, ganz, ganz großes Kino! Wer sich ein bisschen auskennt mit Houston, weiß das. Der war auch unglaublich. Leider ist er ja auch schon tot. Aber natürlich gibt es von seinem Album »Wicked Buddah Baby«, das über Rap-A-Lot-Records erschien, auch eine Screw-Version. Solche Sachen, bis hin zu UGK, Pimp C, Bun B, das habe ich alles auf und ab gehört. Vor allem in der Screw-Version. Weil das wurde alles von ihm gescrewt, bis er halt dann 2000 gestorben ist.

Skome: So wirklich Lieblings-Tapes oder -Tracks von DJ Screw habe ich gar nicht. Eine Zeit lang habe ich mich mal auf die Suche nach seinen älteren Werken wie »All Screwed Up« von 1995 gemacht, aber die waren mega schwer zu bekommen. Ich glaube, »All Work, No Play« war schon so mit am nicesten, weil ich das mehr oder weniger auch als Erstes gehört habe, als ich davon mitbekam. Ich war immer mehr so auf dem Memphis/Tennessee-Film und die damit verbundenen Chopped & Screwed-Techniken. Die haben auch die alten Funk-Sachen nice in deren Soundbild eingeformt, Hooks aus anderen Songs in eigene Tracks oder Beats verbaut als Stilmittel. Die Memphis-Ära war ja auch zeitgleich am Boomen.

Lex: »3 N The Mornin‘, Part One« war das Tape, das ich am öftesten gehört habe.

Inspiration

Frauenarzt: Wir haben in vereinzelten Songs schon relativ früh die Stimmen runtergepitcht. Das haben wir schon 1998/99 gemacht. Das war tape-bedingt gewesen. Weil du auf einem Vier-Spur-Kassettenrekorder, womit wir aufgenommen haben, die Möglichkeit hattest, das Tape schneller laufen zu lassen, aufzunehmen und dann wieder runterzupitchen. Was wir allerdings gemacht haben, war Folgendes: Wir haben den Beat im Originaltempo aufgenommen, haben dann das Tape auf schnell gestellt und die Raps aufgenommen und danach das Tempo wieder auf normal gestellt. Das heißt, in dem Fall waren unsere Stimmen dann runtergepitcht. Es gab da einen Song, den ich auf dem »Rap Dämon«-Tape von MC Basstard produziert habe, das war ein Hidden Track hinten. »Bullenmörder« hieß der, da gab’s auch mächtig Ärger damals mit Polizei bei den Konzerten und so. Dieser Song hat irgendwie so zwei Sachen vereint, die wir, würde ich sagen, auch so ein bisschen pionier-mäßig nach Deutschland gebracht haben. Weil da war einmal dieser Memphis-Flava: Vom Beat her war das sehr Memphis-lastig mit einem runtergepitchten Rodney-O & Joe Cooley-Sample, das auch sehr viel bei Memphis-Sachen benutzt wird. Also vom Drum-Aufbau war es sehr Memphis-lastig, aber der komplette Rap darauf war dann chopped und screwed, also runtergepitcht. Das war, glaube ich, das erste Mal, dass wir so was wirklich bewusst gemacht haben. 1999 haben wir das aufgenommen, 2000 ist das Tape rausgekommen. Das war zumindest das erste Mal, dass wir diese Screwed-Technik auf Song-Länge angewendet haben. Aber wirklich benannt und beschriftet mit dem Label »Zerhackt und runtergeschraubt« – so haben wir das ja genannt, weil wir alles immer irgendwie eingedeutscht haben – war es dann erst 2002 auf dem Album »Untergrund Soldaten«. Was ja alles relativ parallel lief. Das war die Zeit, in der ich viel zwischen Berlin, Osnabrück und Bielefeld hin- und hergependelt bin. Auf dem Cover von »Untergrund Soldaten« bin ich ja auch vor der Deutschland-Karte zu sehen, auf der du die Verbindung zwischen diesen Städten siehst.

Skome: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, DJ Screw hätte mich nicht beeinflusst. Auf jeden Fall, was die Technik angeht, oder Ansätze seines Vibes, den er kreiert hat. Ab und an habe ich auch einige Tracks auf Alben nur runtergeschraubt oder auch zerhackt und runtergeschraubt, aber eher mit digitalen Mitteln. Da fallen mir zwei Klassiker von mir noch zu ein, als ich eine Zeit lang viel so was ausprobierte. Schaut mal bei YouTube nach »Fick die Kritik« oder »Alle Punker sind Toys« von mir aus dem Jahre 2004! (lacht)

Jayo: Wir selbst hatten (als Friedhof Chiller 4.9.0; Anm. d. Verf.) den einen oder anderen gescrewten Refrain, definitiv auf dem »Willkommen im Tal der Finsternis«-Album, unserer ersten Veröffentlichung. Dass ich das damals nicht mehr habe einfließen lassen, lag, glaube ich, aber auch daran, dass das Programm, mit dem wir gearbeitet haben, Cubase 5, einfach scheiße gescrewt hat. Wenn du das gemacht hast, dann waren die Spuren kaputt. Also die haben sich richtig kacke angehört. In meiner autodidaktischen Herangehensweise war das so: Ich screwe, und es klingt scheiße. Und dann habe ich da auch eher die Finger von gelassen. Unsere Werke sind jetzt auch nicht durchzogen mit diesem Sound, dabei hätte es vielen Sachen sicher noch gutgetan. Aber ich habe es zu der Zeit gefeiert und feiere es ja auch heute noch hart.

Frauenarzt: Ich kannte das damals noch nicht, dass es ganze Alben gab, die gechoppt und gescrewt waren. Die habe ich nicht registriert. Für mich war es immer so: Ja, es gibt halt mal einen Screwed-Song auf einem Tape, der war dann hinten drangehängt oder so. Und das war bei dem »Rap Dämon«-Tape genau dieselbe Geschichte. Es war halt irgendein Song, der halt einfach screwed war. Aber da hatte ich mich mit der Technik noch nicht so beschäftigt, bis ich gepeilt habe: Ok, man nimmt da eigentlich einen CD-Scratcher oder einen Plattenspieler, pitcht das runter, hat auf zwei Plattenspielern denselben Song laufen und choppt das ganze Ding mit einem Fader immer hin und her. Das ist ja die eigentliche Screw-Technik. Und mit einem Filter reinfiltern und so. Ich habe damals mit einem Emax 1-Sampler am Atari und mit einem Vier-Spur-Tape-Rekorder gearbeitet, und dann haben wir das irgendwie so gemacht, wie wir uns vorstellten, wie so ein runtergepitchter Song zu klingen hat. Mit dem Screwed-Ding haben wir uns gar nicht so wirklich auseinandergesetzt.

Jayo: Im Rückblick muss ich sagen: Wir haben viel zu wenig gechoppt und gescrewt. Gerade, wenn ich sehe, wie jemand wie ASAP Rocky es gemacht hat, ärgert es mich, dass ich das nicht mehr habe einfließen lassen. Sein erstes Mixtape hat selbst den größten Süden-Hater zum Lover gemacht. Er hat’s ja nicht kopiert, sondern wirklich weitergeführt und auf ein neues Level gebracht. Er hat’s geil umgesetzt und wirklich geil delivert.

Skome: Bei meiner Musik habe ich alles mit digitalen Mitteln und manuellem Handwerk zerhackt und runtergeschraubt. Ich habe die Original-Tracks erst runtergeschraubt beziehungsweise gepitcht in Tonart und Geschwindigkeit, wie eine Art Time-Scretching-Funktion. Dann habe ich die prägnanten Stellen gecuttet und dann mit mehreren Spuren, meist reichten zwei, zueinander versetzt, damit die Reimwörter doppelt kamen oder die Taktanfänge wiederholt wurden. Dann noch hier und da Effekte wie Flanger oder Radioeffekte eingebaut und ab und an noch mit einem Hall oder Echo versehen. Schwer zu erklären. Ich habe es gemacht, als ich im Musikrausch war.

Opti: Ich weiß noch, dass ich sofort, als ich diesen Chopped & Screwed-Style kennengelernt habe, unbedingt auch einen Track von mir so machen wollte. Ich wollte sofort einen Chopped & Screwed-Track haben. Ich weiß noch, dass ich in meinem Kinderzimmerbei noch bei meiner Ma‘ am Computer saß und versucht habe, mit einem Digitalaufnahmeprogramm einen Track von mir zu choppen, zu zerhacken. Aber ich war nie so der PC- und Producing-Typ, sondern immer mehr der Rapper. Ich hab‘ das auch nicht so geil hinbekommen, wie ich es eigentlich haben wollte. Aber wir haben uns über den Dirty South identifiziert und wollten Südstaaten-Rap auf Deutsch, also gehörte auch chopped & screwed dazu. Das war so mäßig wie ein Element, und ich fand das übelst geil. Wir haben ja auch gesehen, dass so Leute wie Frauenarzt das auch gemacht haben. Die hatten ganze Alben in dem Stil oder auch mal zwei, drei Tracks noch zusätzlich draufgeklatscht. Also haben wir dann mit meiner Crew One Take One Hit auch ein paar Tracks zumindest gescrewt oder halt so verlangsamt oder runtergeschraubt und auf die Alben gepackt, einfach so für den Flava halt so. Ich weiß aber noch, dass das mit dem Choppen nicht immer so richtig zufriedenstellend geklappt hat, sodass wir es dann manchmal nur runtergeschraubt haben. Beim Choppen war immer die Gefahr, dass es klingt wie gewollt und nicht gekonnt. Das finde ich heute immer noch so. Es schaffen nicht viele, das geil umzusetzen, sodass es nice und vom Flow her geil kommt. Dass das Hörerlebnis nicht unterbrochen oder zu viel weggeschnitten wird von den Lyrics oder dass man aus dem Rhythmus oder aus dem Flow kommt. Das ist ja die hohe Kunst, der schmale Grat, den Flow und Rhythmus zu choppen, zu zerhacken, aber nicht so zu zerhacken, dass man voll aus dem Takt kommt und nervt beim Hören.

Frauenarzt: Bei »Untergrund Solo 2 – Zerhackt und runtergeschraubt« haben wir, glaube ich, mit Cubase gearbeitet und es tatsächlich im Rechner gemacht. Was auch ganz lustig ist: In der Zeit, wo nichts erschienen ist, habe ich einfach für mich selber, ohne das aufzunehmen, Chopped & Screwed-DJ-Sets gespielt, einfach so, wenn man zu Hause ist und freestyle-mäßig mal nen DJ-Mix macht. Dass ich aber noch nie einen live am Plattenspieler gemachten Chopped & Screwed-Mix aufgenommen habe, das ist schon komisch.

Brenk: Bei mir ist es prinzipiell das Zusammenstückeln von Vocals zu einer Hook. Klar, das haben die Memphis-Leute auch gemacht, also DJ Paul bei den ganzen frühen Three 6 Mafia-Sachen. Es ist eine Mischung aus diesen beiden Welten von Three 6 Mafia und DJ Screw. Manchmal pitche ich es ein bisschen runter, manchmal pitche ich es super runter. Aber im Prinzip war es so, wie ein Premo mit Turntables aus fünf verschiedenen Platten eine Hook macht. Es geht darum, mit heruntergepitchten Vocals von zwei Tracks oder so eine Hook zusammenzuschneiden, die dann irgendwie Sinn ergibt und dieses Feeling verkörpert. Ohne mir jetzt anmaßen zu wollen, dass ich das genauso wie DJ Screw mache. Aber klar, ich bin hundertprozentig influenced von dem Dude. Jeder, der mich kennt, weiß das auch. Und ich glaube, man hört das auch stark, gerade bei meinen »Midnight Ride«-Alben. Volume 1 und 2 sind voll mit solchen Referenzen, die man auf jeden Fall sofort raushört, wenn man sich ein bisschen mit der Materie beschäftigt. Vor allem Volume 2 ist noch mehr süden-mäßig, ob in »Killah«, »Smell Smoke« oder »Fly Shit«… Ich glaube, da hat jeder zweite Track runtergepitchte Vocals.

Frauenarzt: Den zerhackten und runtergeschraubten Mix vom »Mutterficker«-Album habe ich bei mir im Studio gemacht. Mehr oder weniger Track by Track war das, glaube ich, und auch alles im Ableton Live. Ich bin mir aber nicht sicher. Es kann auch sein, dass ich den CD-Scratcher genommen habe und die Sachen dann runtergeschraubt und aufgenommen habe. Ich glaube, dass ich das so gemacht habe. Ja, ich habe die Songs erst im Original aufgenommen und dann mit einer Strophe weniger von mir an Hustensaft Jüngling, DCVDNS, LGoony, Skinny Finsta und Young Krillin von der Bergmoney Gang geschickt, die da ja alle exklusiv drauf sind. Dann haben die darauf aufgenommen, und danach habe ich die Songs bei mir übern CD-Scratcher runtergepitcht, so war das. Crazy. Ich hatte bei dem »Mutterficker«-Album einfach Bock drauf. Es war ja auch diese Zeit, wo dieses ganze Lean-Ding wieder mehr rumgegangen ist, aber irgendwie hat keiner dieses Chopped & Screwed wirklich gemacht. Und da habe ich gedacht, das ist mal was anderes, als jetzt ein Remix-Album zu machen oder so. Ich weiß nicht, es hatte irgendwie einen andern Flava.

Psycomatic: Ich habe in meinen 30 Jahren Hip-Hop immer mal wieder meine Songs gescrewt und gechoppt, zum Beispiel auch mit meinem Homie Tarikabi auf den ScrewBee-Doo-Releases. Ich habe auch eine gänzlich andere Variante davon abgeleitet, die ich »Chipped N Chapped« nenne. Da mache ich das genaue Gegenteil von DJ Screw, denn ich pitche nach oben und erhöhe die BPM. So kommen wiederum andere Facetten zu Tage. Ich lasse beide Stile immer wieder gerne bei meinen Veröffentlichungen mit einfließen.

Frauenarzt: Die Resonanz auf das zerhackte und runtergeschraubte »Mutterficker«-Album war ganz gut. Ich hatte ja in der Album-Box auch noch so einen »Zerhackt & runtergeschraubt«-Becher. Ich glaube, das war was für die Liebhaber. Ich habe sehr viel Feedback bekommen von Leuten, die auch das zerhackte und runtergeschraubte »Untergrund Solo 2«-Album gefeiert haben. Es sind ja in Deutschland dann oft auch Leute, die sich mit der amerikanischen Kultur und dem Ursprung gar nicht so beschäftigen. Leute, die zum Beispiel dieses Chopped & Screwed-Ding das erste Mal durch das zerhackte und runtergeschraubte »Untergrund Solo 2«-Album gehört haben. Und gerade in Deutschland hast du auch gemerkt, dass danach viele diese Begriffe »zerhackt & runtergeschraubt« oder »zerschreddert« übernommen haben. Es gibt auch Leute, die sagen: Ey, »Untergrund Solo 2« find ich in der Chopped & Screwed-Version geiler als in der Original-Version! Genau wie ich das zum Beispiel über Lil Troys »Wanna Be A Baller« oder über das Big Moe-Album sage. Tatsächlich finde ich sogar beide Big Moe-Alben in den Chopped & Screwed-Versionen geiler als im Original. Und so gibt’s auch hier in Deutschland Leute, die der Meinung sind, dass das »Untergrund Solo 2« in der Chopped & Screwed-Version geiler ist, und die haben sich natürlich dann besonders über das das zerhackte und runtergeschraubte »Mutterfcker«-Album gefreut haben und sagen: Orh, ist geil! Aber ich glaube, was die Leute auch daran gefeiert haben, war, dass die Songs nicht einfach nur runtergeschraubt waren, sondern dass sich da auch Mühe gemacht wurde, die Songs noch mal komplett zu verändern und mit ganz anderen Features zu versehen. Diese Features gibt’s auch nur in der Chopped & Screwed-Version. Das war ja auch das, was DJ Screw früher oft gemacht hat. Es gab ja diese Freestyle-Tapes von DJ Screw, womit eigentlich alles angefangen hat. Die Leute sind zu ihm gegangen und haben Freestyles gemacht, und er hat die einfach nur chopped & screwed rausgebracht. Es gab nicht mal eine Original-Version von diesen Freestyles. Und so war das bei dem Ding auch.

Opti: Bei Silk Mob hat Lex Lugner einfach mal aus Spaß, ich glaube, bei »Fenster zu« den Song am Ende gescrewt. Auf jeden Fall hat sich das so original und übelst geil angehört, wie ich mir das immer erträumt hatte. Und er hat das halt einfach gemacht. Allein das Ende von dem Track hörte sich schon so original, krass, geil an mit diesem warmen Syrup-Swimming-Pool-Effekt. Dieser Effekt ist da bei mir gleich eingetreten. Das hörte sich so original Houston-mäßig an, dass ich ihn gefragt habe: Kannst du mal ‚n ganzen Song so machen? Und dann haben vor allem Donvtello und ich zu Lex Lugner gesagt: Ey, du musst das ganze Tape choppen und screwen, Alder! In dem Style und mit der Technik, wie du das hier auch gemacht hast, weil das kommt so original und hat so den heftigst geilen Sound und Flavor!

Lex: Meine ersten Releases waren Kollaborationen mit Crack Ignaz. Die Beats zu »Based im Nebel« und »Elvis« sind stark von Screw beeinflusst. Die runtergepitchten Drums und Samples und so weiter. Beim Silk Mob habe ich die Tracks mit einem Vier-Spur Rekorder auf Kassette aufgenommen und dann mit der Pitch-Funktion des Rekorders langsam gemacht.

DJ Screw meets Deutschrap

Frauenarzt: Auf Deutschrap hat DJ Screw, glaube ich, keinen großen Einfluss gehabt. Es ist eher ein Gimmick, das viele benutzen, mich eingeschlossen, weil sie irgendwie Spaß daran finden oder damit rumexperimentieren. Aber ich würde nicht sagen, dass es hier wirklich eine Screwed-Deutschrap-Szene gibt. Dann eher eine von Memphis beeinflusste Szene. Generell finde ich, dass Texas auf Deutschrap schon immer wenig Einfluss gehabt hat, sogar als Texas sehr großen Einfluss auf ganz Amerika hatte. Ich denke da an diese Mike Jones-/Paul Wall-Zeit, an Songs wie »Sippin On Some Syrup« von Three 6 Mafia, als wirklich alle in Amerika diese in der Art von Michael Watts runtergeschraubten Hooks hatten. Das war ja dieser Michael Watts-Style, den die dann alle benutzt haben. Der kam ja aus einer anderen Ecke als DJ Screw. Selbst in der Zeit gab’s relativ wenig Einfluss in Deutschrap. Mir kam es vor, als ob sich der Großteil der Deutschrap-Szene damals mehr von dem kommerziellen Dipset-Lager hat beeinflussen lassen hat, so Fler, G-Hot, Snagga & Pillath und so. Dabei war das die Phase, in der auch gerade Texas in Amerika krass angesagt war. Aber auf Deutschrap hat das nie so einen krassen Einfluss gehabt. International schon viel mehr. Sehr viel mehr.

Jayo: Fast zeitgleich mit dem zerhackten und runtergeschraubten »Untergrund Solo 2« in 2004 kam von MOK das (2005 von Frauenarzt alias DJ Kologe; Anm. d. Verf.) zerhackte und runtergeschraubte »Fick MOR«-Album, das auch in Osnabrück aufgenommen wurde. Das waren in meiner Wahrnehmung die ersten beiden mehr oder weniger offiziellen gescrewten und gechoppten Alben auf Deutsch. Die Jungs sind ja teilweise auch nach Osnabrück gekommen, um ein bisschen zu entschleunigen, weil es in Berlin sehr hitzig war. Und es war auch noch nicht die Zeit, wo jeder ein Studio in Berlin hatte.

Frauenarzt: Es sind meistens eher Leute, die sich auch ein bisschen außerhalb von dem bewegen, was im Mainstream gerade angesagt ist, so wie 4.9.0 oder K.I.Z Leute, die auch für Experimentelles offen sind, die auch mal irgendwas ausprobieren, nicht nur, um damit irgendwie einen großen kommerziellen Erfolg zu haben, sondern einfach, weil sie Bock drauf haben oder es interessant finden. Man muss es ja auch echt mögen. Ich glaube, so was kannst du auch nicht machen, wenn du’s nicht feierst.

Jayo: Es war in Deutschland jetzt nicht so wie in Amerika, dass ständig Chopped & Screwed-Alben oder -Tracks erschienen sind. Das hat sich hier nicht so durchgesetzt, würde ich traurigerweise sagen. Und es war auch nicht so der prägende Stil. Nur 2004/2005 waren so die Jahre, wo »zerhackt und runtergeschraubt« wirklich auch irgendwie ein Begriff war. Das Nächste, was ich dann wahrgenommen habe, war wohl 2006 das K.I.Z-Album »Böhse Enkelz«, dem der (von Romanzn gescrewte und gechoppte; Anm. d. Verf.) »Rap-Deutschland-Kettensäger-Massaker«-Mix beilag. Da hatte ich K.I.Z noch nicht so richtig eingeordnet, deswegen war das für mich – no front an die Jungs – ein bisschen so: Hä, die?! Die screwen und choppen ein Album? Einerseits habe ich mich gefreut, weil dieser Kult weiterging, andererseits konnte ich nicht einordnen, weshalb solche Artists das auch machen. Dabei ist K.I.Z definitiv eine Bereicherung für deutschen Rap. Mehr Entertainment geht kaum.

Psycomatic: Ich denke, dass im Deutschrap der Großteil nicht mal weiß, wer DJ Screw war. Gerade die heutige Generation, die zum Teil sogar in seine Fußstapfen zu treten scheint, weiß oft nichts von deren Wurzeln. Sie machen einfach was ihnen gefällt oder sind beeinflusst von anderen, die beeinflusst von Screw sind. Aber sie kennen den Ursprung gar nicht, und es scheint auch egal zu sein. Die Identifikation mit der Szene und Kultur scheint mir nicht mehr vorhanden beziehungsweise einfach nicht mehr wichtig oder zeitgemäß zu sein, was ich sehr schade und traurig finde. Vielleicht ist das aber ein weitläufiges Problem, das nicht nur wir Hip-Hopper haben und welches dem Überfluss und der Schnelllebigkeit geschuldet ist.

Jayo: Vielleicht hat es inzwischen zu mehr gescrewten Refrains geführt, wie zum Beispiel in Shirin Davids Track »90-60-111«. Da kommen jetzt so ein paar Leute, die ein bisschen mehr in diese Texas-Richtung gehen. Und dieser Sound ist ja sehr speziell von der Attitüde her. Deshalb ist dieses Shirin David-Ding schon ganz gut. Das find ich bei ihr echt beeindruckend. »90-60-111«, das ist ne richtig gute Nummer. Vielleicht passiert da auch gerade so eine Art Revival. Ich weiß jetzt schon von zwei unabhängigen Seiten, dass die gerade komplett gechoppte und gescrewte Albumversionen vorbereiten und 2021 rausbringen werden. Darunter ist auch eine weibliche Künstlerin, die jetzt nicht unbedingt diese Südstaaten-Affinität hat, aber ich habe das gehört und da hatte ich wieder diesen Point-Blank/My Mind Went Blank-Effekt: Boah, krass! Voll geil, das klingt straight outta Texas auf Deutsch. Auch der Chopped-Style. Das hat einer von meinen Jungs gemacht, Sez 1. Der ist gerade sehr viel am Screwen und Choppen, der ist da sehr tief drin. Das geht gerade in eine richtig geile Richtung.

Skome: Ehrlich gesagt, gab es nicht wirklich viele Deutschrap-Produktionen, die so sehr DJ Screw beziehungsweise Dirty South geprägt waren. Als erste würde ich wohl Frauenarzt nennen. Sein Stil war schon immer sehr Memphis orientiert, neben Miami Bass. Ich finde auch, dass Frauenarzt mit Abstand die beste Umsetzung gelungen ist. Für Deutschrap eine Evolution. Ich habe gerne »Krieg mit uns«, »Bares Geld in der Unterwelt« und »Untergrund Solo 2« gehört. Aci Krank, sein Partner zu Rap Haus Records-Zeiten, hat den Funk sowieso gefühlt und mit seinem Rap-Style kombiniert. Beide sind wahre Untergrund Legenden. MC Basstard mit seinem Horrorkore auch. Blokkmonsta, Kaisaschnitt, 4.9.0 Friedhof Chiller und viele mehr. Der Untergrund hat meiner Ansicht nach sehr viel Dirty South-Spirit nach Deutschland gebracht. Der Einfluss von DJ Screw auf Deutschrap war jedenfalls eher gering. Es war und ist immer noch nur ein bestimmter Kreis an Leuten, die den Sound weitergeführt haben oder es immer noch tun. Schade. Mehr DJ Screw-Einflüsse wären besser als noch mehr Afrotrap-/Autotune-Müll. (lacht)

Jayo: Ich finde auch den Gedanken reizvoll, wenn man eine Box macht, was inzwischen ja gang und gäbe ist, die noch mit einer Screwed-Version anzureichern. Das mag nicht so wertig sein wie das Originalalbum. Aber wenn ich mir vorstelle, man würde jetzt irgendwelche Haftbefehl-Alben choppen und screwen, das könnte schon einen geilen Revival-Effekt haben. Ich bin gespannt, was noch kommt, weil für mich wird 2021 wenigstens im Kleinen auf jeden Fall screwiger.

Lex: Der erste Deutschrap, bei dem ich den Einfluss von DJ Screw rausgehört habe, war meine eigene Musik.

Frauenarzt: Es kann auch sein, so was gibt es ja immer, dass irgendwelche Leute irgendwo in Buxtehude auch schon 1997 ein Screw-Tape gemacht haben.

Sippin‘ On Some Sizzurp

Jayo: Das Gute bei der »3 N The Mornin‘, Part Two«-CD war, dass es dazu eine Anleitung gab, wie man die Musik von DJ Screw hören soll. Demzufolge sollte man sich auf so ein gewisses Level begeben. Und zu der Zeit war ich dem Grünen nicht abgeneigt, was ich ja mittlerweile gar nicht mehr tue, aber früher habe ich sehr viel gekifft und bestimmt auch mal die eine oder andere Alkohol-Wochenend-Session gehabt. Auf jeden Fall hat man sich da aber so reinversetzen können. Und das Geile ist, die Anleitung beschränkt sich ja nicht nur auf Lean. Aber Lean scheint wohl das Screwigste, also die beste Kombi zu sein.

Frauenarzt: Das war natürlich gleich am Anfang Thema. Man hat darüber geredet: Warum machen die das eigentlich? Und dann hieß es: Ja, du musst diesen Codein-Hustensaft-Mix trinken, weil der dich so’n bisschen runterbringt, und wenn du dann die Musik hörst, dann hat die eine ganz andere Wirkung auf dich. Es ist ja auch Fakt, dass die dort drüben sich damit irgendwie betäubt und dann die Musik reingezogen haben. Und dass gerade DJ Screw sehr starker Konsument von dem Zeug gewesen ist. Generell in Texas und Houston hat das ja schon immer irgendwie zur Hip-Hop-Kultur dazugehört. Oder es gab eine Kultur, in der das viel genommen wurde. Ich glaube, bei vielen aus dem Rap-A-Lot-Lager war es genau das Gegenteil. Die waren ziemlich clean, anti-Drogen und sehr politisch. Aber es gab eben auch die ganzen Screwed-Up-Leute, die halt sehr viel Hustensaft-Konsum betrieben haben.

Jayo: Ich kenne Lean nicht wirklich. Ich kenne zwar ein paar Jungs, die auch ein bisschen zu viel Hustensaft zu sich nehmen, aber ich habe das nie ausprobiert. (lacht) Da muss man andere Jungs fragen, die das öffentlich in ihren Storys propagieren.

Frauenarzt: Ich habe das tatsächlich mal ausprobiert. (lacht) Das war aber etwas später. Das Zeug gab’s ja hier gar nicht in Deutschland. Mittlerweile gibt es ja hier ne richtige Szene von Leuten, die sich das Zeug reinpeitschen. Auch viele große Rapper. Sieht man ja immer wieder, dass die sich in irgendwelchen Insta-Storys so’n Fanta-Hustensaft-Mix zusammenmischen oder so. Aber Anfang/Mitte der 2000er, da wusstest du ja auch überhaupt nicht, wo du das herkriegst. Erst viel später kam dann mal irgendjemand und hat gesagt: Hier, kuck mal, ich hab‘ originalen Codein-Hustensaft und so. Und dann dacht‘ ich mir: Na ja, mal so’n kleines Gläschen gönnen und dazu eine Screwed-Scheibe reinziehen – wenn nicht jetzt ausprobieren, wann dann?! Dann hab ich’s mal ausprobiert. Muss aber sagen, die Verbindung von der Musik mit dem Betäuben durch Hustensaft habe ich jetzt nicht so wirklich wahrgenommen. Ich musste es natürlich probieren, um sagen zu können: Ja, es stimmt oder es stimmt nicht. Aber angezeckt hat mich das gar nicht. Ich find das generell auch zu gefährlich, muss ich sagen, als dass man das jetzt so zum Hobby machen sollte. (lacht) Es ist halt eine Droge. Und ich nehme eigentlich gar keine Drogen, bin ja völlig clean. Ich trink ja nicht mal Alkohol, so wirklich. Also alle paar Monate oder einmal im Jahr schieße ich mich auch mal weg. Aber ich rauche nicht, gar nix. Also ich konnte damit nicht wirklich was anfangen.

Skome: DJ Screw und sein Konsum waren schon Thema, als er Ende 2000 von uns ging. Aber anfangs hatte ich keinen Kontakt mit Hustensaft. Erst vor einigen Jahren fing der Codein-Konsum auch im näheren Umfeld an. Dann konnte man auch erst richtig nachvollziehen, wie diese Musik auf einen wirkt in dem Zustand. Ist schon ein nicer Turn an sich, aber man sollte es nicht übertreiben. Mir war das irgendwann zu viel dann, vor allem als Mixkonsum mit anderen Sachen. Lieber einen paffen. Man sollte das nur trinken, wenn man auch Husten hat. (lacht)

Opti: Der Syrup war zwar immer schon so’n bisschen mit dem Style verbunden. Aber das bedeutete für mich nicht, dass man den Style nur genießen kann, wenn du dir auch Lean sippst. Bei mir hat eher schon allein der Sound diesen Syrup-Lean-mäßigen Screw-Effekt induziert, also wie ich mir vorstellte, high auf Lean zu sein.

Brenk: Der Hustensaft hat für mich überhaupt keinen wichtigen Stellenwert gehabt. Schlicht und einfach auch deswegen, weil der damals, als ich ihn vielleicht gekostet hätte, unmöglich zu bekommen war. Man sagt ja, dass der original Syrup Actavis war. Und das wurde ja 2008 oder so eingestellt. Seitdem ist es, so sagen die Houston-Leute, nur noch irgendein nachgemachtes Pharmazieprodukt. Ich mein, es ist alles scheiße und nix anderes als flüssiges Heroin. Aber natürlich ist es mit 17, 18, 19 Jahren interessant, wenn du irgendwo in Europa voll den Ami-Film fahrst und dich fragst: Was trinken die da, das ist ja ganz lila und da sind irgendwelche Gummibären drin, und wieso haben die so drei so komische Cups ineinander? Natürlich war das immer interessant. Aber ich würde jetzt sagen, zum Glück habe ich das ausgelassen. Weil ich höre von sehr vielen Leuten, dass das Zeug schon ziemlich schnell hooked macht und es ist natürlich nicht das Optimale, dass man abhängig ist von so einer Scheiße. Also nein. Im Prinzip haben wir zu Screw-Sachen ganz einfach gesoffen. Das ist ja das Lustige. Wir haben halt einfach nur mal einen getrunken und dann Screw gehört. (lacht) Man kann sich das auch zurechtbiegen, sag ich mal.

Opti: Ich hab’s dann natürlich auch mal ausprobiert. Und es war eigentlich genau so, wie ich mir es vorgestellt hatte. (lacht) Außerdem war damals Kiffen und Alkohol ja schon Standard, und das hat bei mir auch schon ‚n übelst geilen Rauscheffekt ausgelöst. (lacht) Deswegen fand ich dann die hörgenussmäßige Steigerung durch wirklich Leansippen gar nicht mehr so krass. Es hat auf jeden Fall schon geflasht und war auch noch mal ein bisschen intensiveres Feeling, aber nicht so, dass ich sagen würde: Boah, ey, ohne Lean kannst du gar nicht richtig Screw hören. Das, finde ich, ist Schwachsinn.

Brenk: Diesen Hustensaftkonsum gibt es halt super lange. Ich hatte Kollegen, die aus Bangladesch waren, die mir erzählten, dass ihre Väter in ihrer Jugend Hustensaft gesoffen hätten. Also in einer völlig anderen Region der Welt. Und in Texas gab’s das auch schon super lange. Da ist das einfach kulturell verankert, so wie Bier in Bayern oder was weiß ich. In Houston im Blues, im Jazz. Wir reden da von den 40er oder 50er Jahren, in denen die das schon konsumiert haben. Ich glaube, viele waren damals auch einfach auf Heroin und da war so ein Codein-Hustensaft für die wie ein kleines Bier zwischendurch. Aber ich glaube, dass mit DJ Screw dann sozusagen der Soundtrack zum Konsumieren kam. Dass das beabsichtigt war, das glaube ich allerdings nicht. Ich glaube, dass er das einfach so gemacht hat. Aber die haben wahrscheinlich schon schnell gemerkt, dass das ein guter Match ist, dass es super gut zusammenpasst. Und das wurde dann halt wie alles andere auch von dieser großen Pop-Krake vereinnahmt, und plötzlich hält jeder so’n Double-Cup in der Hand.

Frauenarzt: DJ Screw ist halt echt jung gestorben und an etwas, das er die ganze Zeit konsumiert und glorifiziert hat. Das ist schon echt krass. Stell dir vor, ein Rapper glorifiziert die ganze Zeit Heroin und stirbt dann an Heroin. So war das ungefähr bei ihm. Und er ist halt echt ein Pionier, eine Legende, die was erfunden hat. Wer weiß, wo er heute wäre, wenn er nicht gestorben wäre, was er für eine Position hätte im Hip-Hop?!

Psycomatic: Ja, die Sache mit dem Sizzurp. Nun, das Einzige was ich positiv damit verbinde ist, dass ich die Farbe Purple sehr mag und Houston immer die Purple City für mich sein wird. Aber ich bin allgemein kein Freund von Drogen. Ich habe nie gekifft, nie gekokst, nie geleant. Jeder muss für sich selbst entscheiden, wie oder was er zu sich nimmt oder konsumiert. Ich hatte immer Musik und Hip-Hop als meine Sucht und Abhängigkeit, das war alles, was ich brauchte. Ich denke aber, dass man keinen verballerten Kopf braucht, um Musik zu fühlen und zu leben.

Frauenarzt: Aufpassen mit Drogen!