Rapper's Rapper #4: Prezident über Fella-Oner

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»Gute Raptracks hält ihre atmosphärische Dichte und das Charisma des MCs zusammen.« – eine Aussage, wie sie nicht besser auf Prezident selbst passen könnte. Die Wupperclass bleibt unter sich: Prezident über den Wuppertaler Fella-Oner – einen »von Gottes eigenen Prototypen«, der für ihn mehr HipHop ist, als jeder andere, der ihm je begegnet ist.

»Wer sich erinnert: Bei MySpace konnte man damals ›Influences‹ aufzählen, dafür gab’s eine eigene Kategorie. Ich hielt es sparsam und beschränkte mich auf vier Künstler: Nas, weil damals zumindest mein Lieblings-MC und Vorbild in Sachen Delivery. Wu-Tang als Blaupause und Ausgangspunkt für den eigenen Sound. Tom Waits als horizonterweiternde Songwriter-Gottheit abseits des Rapgedöns. Und eben den Fella, der mehr HipHop war als jeder andere, den ich jemals kennengelernt habe. Ein sehr talentierter Beatproduzent und fähiger Rapper mit hoher stimmlicher Präsenz und gutem Flow. Vor allem aber das, was man gemeinhin als ›Original‹ bezeichnet, eine ureigene Erscheinung. Einer von Gottes eigenen Prototypen.

Ich hab den damaligen MC Fella kurz nach der Jahrtausendwende kennengelernt – über einen Kollegen, der mit Nachnamen Block hieß und sich folgerichtig MC Block nannte. Wir hingen bei Fella ab und recordeten jeweils einen Sechzehner für einen Possecut, den ich danach niemals wieder gehört habe. Ich war so in etwa 16, es war die Zeit des zweiten großen Deutschraphypes und mein Freundeskreis war voll von Jungs, die eine Weile im Kinderzimmer oder im Jugendhaus gefreestylet und es dann wieder gelassen hatten. Ziemlich schnell war Fella, bei dem ich mit immer größerer Regelmäßigkeit abhing, der einzige Rapper und Produzent in meinem Umfeld. Er hing im Wohnzimmer seiner Bude, dessen Decke höher war als das Zimmer breit, unter einem gigantischen Wu-Tang-Poster und baute mit Fruity Loops dreckige Beats, die nach Wu-Tang klangen – wenn er nicht gerade dabei war, sich selber mit einem Zirkel zu tätowieren.

NRW, Nordreimwestfalen – ja, so nannten sich Crews damals, Kinders – hieß sein Projekt, an dem noch diverse andere Rapper mitwirkten, das aber eindeutig sein Baby war. Ich holte mir die erste 8-Track-Demo-EP des Haufens im B7, demselben HipHop-Plattenladen, in dem auch mein wirklich unfassbar beschissenes erstes Demo ›Schädeltrauma‹ auf Kommission auslag – letzteres eine sinnlose Aneinanderreihung von zahnlosen, doppelreimfixierten Battletexten auf Beats, deren Drums ich mittels der Kopierfunktion von CoolEdit95 und einem Taschenrechner zusammengeschustert hatte.

Der fünf Jahre ältere Fella hingegen hat damals schon dopen Kram gemacht, der zu diesem Zeitpunkt aber nirgendwo so richtig hinpasste: Soundästhetisch orientiert an der New Yorker Golden Era, von der sich Deutschrap damals gerade zu lösen begann, inhaltlich Battlerap vom Härtegrad der damals aufkommenden Berliner Schule, aber völlig frei von deren entschärfend wirkender Überdrehtheit. Mit Metaebenen hat sich Fella eh nie groß aufgehalten. Entweder ein Track, ein Beat, eine Zeile oder eine bestimmte Art und Weise, ein Wort auszusprechen, kamen dick – oder eben nicht. Als Maßstab galten nur Vorbilder aus den Staaten wie eben der Wu-Tang-Clan, die Def-Squad-Clique, Onyx oder auch J-Zone.

Fella hat die HipHop-Kultur nicht im Sinne irgendeines ersatzreligiösen Vier-Elemente-Blödsinns gelebt, sondern deren Formensprache, die Ästhetik dieses Medienproduktes mit all seinen speziellen Prämissen aufgesogen wie kein Zweiter, den ich kenne. Und sie hat ihm besser gestanden als jedem anderen. Einerseits ein extrem charismatischer, sprücheklopfender Assi, der exakt so gerappt wie geredet hat, anderseits ein Eigenbrötler, der sich Beatprogramme und Audiotools in kürzester Zeit selber beibringen konnte, der von den Instrumentals über das Recording und Mastering bis hin zu den Artworks und später auch den Cuts und Videos alles selber gemacht hat und dabei aus bescheidenen Mitteln Großartiges heraus zu kitzeln wusste. 



Fella wäre auch ohne HipHop ein Original gewesen, aber HipHop hat seine Talente und Anlagen perfekt zur Entfaltung gebracht. Freilich nicht in dem Sinne, dass ihm ein größerer Erfolg und Bekanntheitsgrad außerhalb des eigenen Umfeldes vergönnt gewesen wäre. Wie bei jedem anderen in diesem Umfeld war Promotion abseits von ein paar MySpace-Postings nicht seine Sache. 

Nach dem Ende von NRW hat Fella als Solokünstler endgültig seinen eigenen Stil als Producer und Rapper gefunden. Verkopfte Konzeptsongs waren nie sein Ding, stattdessen hat Fella stets alles, was er über sich und sein Leben zu sagen hatte, in das assoziative Battleformat integriert: ›Wer jetzt Stress will, kann ihn kriegen, wer zufrieden ist, bleibt liegen / mein Konto kennt nur Miese, nix zu fressen, nix zu lieben‹. Themen sind eh überbewertet im deutschen Rap.

Gute Raptracks hält ihre atmosphärische Dichte und das Charisma des MCs zusammen: ›Merk‘ dir eines – wenn ich rap‘, wird da nich‘ reingelabert.‹ Yüah. Dass dieses Charisma mehr und mehr an Wirkung verliert, je weiter man sich von Wuppertal-Unterbarmen entfernt, mag schon sein. Man feiert die Homies ja nicht zuletzt deshalb, weil man mit ihnen eine bestimmte Sozialisation, einen bestimmten Humor, einen bestimmten Slang teilt. Gut möglich also, dass eine Line wie ›Die Lunte qualmt, pah, wat dat zwiebelt, Junge‹ in, sagen wir mal, München oder Stuttgart weniger zwingend für stehende Ovationen sorgt. Vielleicht sind die Tracks sogar wirklich nur halb so gut, wenn man Fella nicht kennt und vor Augen hat beim Hören. Aber der Stimmeinsatz, die brachialen Adlibs, die Reimtechnik, die sich nie um gängige Standards geschert hat, die Fähigkeit, ganze Themen auf einzelne Lines runterzubrechen wie ›Und du hast Blagen verkloppt und fühlst dich tapfer / doch heute klopfst du nur noch vor die Wand deines Nachbarn‹: DOPE. Und Eigenständigkeit, Authentizität und Ausstrahlung sind eh essentielle Attribute eines guten MCs.«