Rapper’s Rapper #13:
Destroy Degenhardt über grim104

13_RAPPERS RAPPER

Früher hieß der Düsseldorfer Rapper Disko Degenhardt, jetzt nennt er sich Destroy Degenhardt. Und, nun ja, die Destruktivität liegt ihm ja nicht all zu fern. Sein Album »Das Handbuch des Giftmischers« ist gerade mit Gastbeiträgen von Prezident und Koljah auf Audiolith erschienen. Nach eigener Aussage schafft es Degenhardt nicht sehr oft, Menschen einfach herzhaft sympathisch zu finden. Wir haben ihn trotzdem nach seinem Lieblingsrapper gefragt. Und er hat für die 13. Folge von Rapper’s Rapper geantwortet.

»In der Innenstadt gibt es eine kleine, versteckte Einkaufspassage, etwas verwinkelt gebaut mit so besonders hellem glatten Boden. Es war nie viel Betrieb, obwohl sie relativ zentral liegt, deswegen sind wir bei schlechtem Wetter dort oft zum Skaten hingefahren. Eine Notlösung, die auch nie länger als eine knappe Stunde funktioniert hat, und so haben wir mehr rumgesessen, bevor wir nach Hause gefahren sind. An der zentralsten Stelle dieser Passage war ein sehr großer Laden für Modell-Eisenbahnen und -zubehör, wir saßen oft genau gegenüber. Die meiste Zeit waren die Kunden dieses Ladens und wir die einzigen Besucher dieser Passage. Ich war nur einmal in dem Eisenbahnladen und die vielen Elemente, gestapelt bis unter die Decke und die Mini-Mini-Details haben mich fast erschlagen. Was für eine filigrane Arbeit, wie anstrengend und natürlich auch beeindruckend auf ihre Art. Aber auch wie unwichtig und nicht existent für die Außenwelt. Als ich später in der großen 24-Stunden-Videothek am Hauptbahnhof gearbeitet habe, gab es einen kleinen Tisch, etwa auf Kniehöhe, wo auch Eisenbahnvideos angeboten wurden. Also Filme, die die Fahrt aus der stoischen Sicht des Lokführers zeigten und eine Zeitlang auch als Testbilder nachts auf Vox oder 3Sat liefen. Diese Videos wurden von derselben Kundschaft, ausschließlich Männer mittleren Alters, gekauft, die auch den Lokschuppen besuchten.

Ich weiß nicht, wann es genau angefangen hat, aber seit zirka zwei Jahren ist Kool Savas für mich zu einem dieser Eisenbahnmenschen geworden. Ich hab das nicht absichtlich herbeigedacht oder gehated, sondern es ist einfach so gekommen. Seine vielbemüht-gerühmte Technik, sein Handwerk, seine Fähigkeiten. Genau wie die Eisenbahnbastler und -fanatiker, jemand mit besonderem Können, aber ein Können, das für die relevante Welt relativ egal ist. Beeindruckendes Feingefühl ohne jeden Sinn, Nutzen oder am wichtigsten/schlimmsten: ohne Emotion. Nicht hatebar, aber auch ein bisschen traurig, bedenkt man die Kraft und Mühe, die investiert wird. Etwas schade zu finden ist sehr viel schlimmer als etwas Scheiße zu finden. Schade.

Und dann als Gegenstück grim104. Besonders grim104 von grim104. Ich mag seine Geschichten, wenn er Geschichten erzählt, sehr, sehr. Die ersten Anpranger-Tracks waren gut, ab »Ich töte Anders Breivik« war ich begeistert. Gesellschaftskritik haben schon ein paar andere gemacht, heutzutage klappt das mit Audio88 & Yassin und K.I.Z ganz gut, aber grim hat für mich eine andere Ernsthaftigkeit. Vielleicht weil weiße Mittelschicht plötzlich ficken kann? Aber so ohne Bücher zitieren, trotzdem merken, dass die Bücher da sind, aber ohne zu knechten. Gerade so intelligent, dass es mich beeindruckt, aber nicht schlecht fühlen lässt. Gerade so tief in den Themen drin, dass er das sagen darf, aber nicht so tief, dass es ein letztes Drama wird. Eben diese mittige Sichtweise gefällt mir sehr gut.

Wie gesagt Sozial- und Gesellschaftskritik können auch andere ähnlich gut, aber grim schafft es meistens die 17 Wörter zu benutzen, die noch keiner gesagt hat und die man auch nur wissen kann, wenn man dabei war. Die mobmässigeren Zugezogen-Maskulin-Tracks/-Ansagen auch gerne, feier ich auch gerade sehr, aber eben als das, was es ist. Auch da sind diese persönlichen, wissenden Feinheiten (von beiden) zwischendrin cool und entscheidend. Zusätzlich mag ich es auch sehr, wenn man Menschen einfach noch herzhaft sympathisch finden kann. Ich schaffe das leider nicht so oft, oder meist nur über weitere Umwege. Grim hat für mich einen charmanten Idolcharakter, weil er ihn nicht hat. Wie mit dem Klub und den Marx-Brothers. Und dass er mal Skinhead sein wollte. Und weil er redet, als würde er etwas spucken dabei, was nicht unsympathischer wäre, er es aber trotzdem nicht tut. Was besonders lustig-seltsam ist, dass ich immer ein unterschwelliges Gefühl der Vertrautheit bei ihm empfinde, nur weil mein Tätowierer wie eine bisschen ältere, kräftigere Grim-Version aussieht und agiert. Ebenso sympathisch und strahlend, daher hab ich irgendwie das Gefühl, ich hätte mit Grim schon einige sehr intime/stressige/blutige Momente erlebt. Das wirkt vielleicht etwas überinterterpretiert, aber diese Zappelphillip-Strahlemann-Charaktere sind nicht so häufig. Ich persönlich kenne nur die beiden, und so verschmilzt das manchmal in meinem etwas unlogischen beziehungsweise emotionalen Gehirn.

Ich hatte erst überlegt, einen englischsprachigen Rapper für dieses Format hier zu nehmen, damit es nicht komisch oder schleimig wirken würde. Ich hab sogar schon eine halbe Seite über Bones/Team SESH geschrieben, den ich unfassbar genial und toll und idolig finde. Aber dann dachte ich: Scheiß drauf. Grim ist super und da wir (spätestens ab jetzt) nie was gemeinsam machen werden, ist es auch okay, ihn zu nehmen.

Vatermörder, Technik ist halt nur ein Werkzeug, kein Inhalt, nach dem Werkzeug geht es immer um das Gefühl. Also für mich, aber ich bin auch nur ein mittelmäßiger Handwerker.«