Producer’s Producer #9:
Iman Magnetic über Pete Rock
»Über den Produzenten zu schreiben, der mich am stärksten beeinflusst hat, ist für mich kein leichtes Unterfangen, da meine Inspirationen vielfältig sind. Wenn ich mich aber für einen Namen entscheiden muss, wähle ich den Produzenten, der mich in meiner Anfangsphase ab 1990 geprägt hat: Pete Rock.
Das erste Mal, als ich den Namen Pete Rock wahrgenommen habe, war bei seinem Remix für Johnny Gills »Rub You The Right Way«. Ich hatte damals meine New Jack Swing-Phase und als alter New Edition-Fan habe ich natürlich alle Solo-Projekte der Band verfolgt. Dazu gehörte natürlich auch Johnny Gill, der damals mit seiner ersten Single durch die Decke ging. Zurückblickend war der Remix nicht wirklich spektakulär und ich glaube Eddie F hatte seine Hände auch mit im Spiel. Mir hat aber einfach der Vibe gefallen. Ab da war er auf meinem Schirm und ich habe all seine Produktionen verfolgt.
Danach hatte er auf der Groove B Chill zwei Tracks – auch nicht sonderlich auffällig, aber trotzdem war da etwas, das ich mochte. Erst als die »All Souled Out«-EP rauskam und ich den Track »Mecca & The Soul Brother« hörte, wurde er zu einem meiner Lieblingsproduzenten. Ich kann mich erinnern, dass ich den Track immer und immer wieder anhörte, weil ich das verwendete Sample so gut fand. Ich habe Jahre lang nach diesem Sample gesucht, bis ich etwa zwei, drei Jahre später durch Zufall die Platte eines Jazz-Gitarristen namens O’Donel Levy in die Hände bekam. Als ich die Platte auflegte und der erste Song ertönte, kamen mir vor Freude fast die Tränen. Noch heute ist es so, dass ich jedes Mal Gänsehaut bekomme, wenn ich das Original höre. Definitiv eines meiner Lieblingssamples.
Für mich ist es nicht entscheidend, ob du als Produzent mehrere, verschiedene Instrumente auf höchstem Level spielen kannst oder das modernste Studio der Welt besitzt. Ein guter Producer besitzt dieses gewisse Gefühl für Musik. Ich nenne es mal Soul. Das ist einfach das absolut Wichtigste. Wenn du das nicht hast, dann bringen dir die besten und modernsten Geräte auch nichts. Erst dann sind Faktoren wie Skills und Equipment wichtig. Pete Rock hat für mich reichlich Soul – nicht umsonst wird er Soul Brother #1 genannt.
Ich behaupte mal, dass Anfang der Neunzigerjahre eine gute Hand voll Produzenten aus New York den Sound der nächsten acht bis zehn Jahre kreiert oder zumindest stark beeinflusst haben. Darunter befand sich für mich auch Pete Rock. Es waren Leute wie eben Pete Rock, DJ Premier, Large Pro, Diamond D, Beatnuts, Tribe oder The Ummah, die nicht nur Funk- und Soul-Samples à la James Brown benutzten, sondern auch anfingen, Jazz-, Rock- oder Folk-Samples zu benutzen und immer tiefer in den Plattenläden suchten. Daraus entwickelte sich dann auch der Begriff Diggin‘ in the Crates und später die dazugehörige Crew, zu der Pete Rock zwar nicht gehörte, aber irgendwie indirekt schon beteiligt war.
Ich habe sehr viele Lieblings-Beats von Pete Rock, aber die absolute Nummer Eins ist »They Reminisce Over You«. Ich kann mich noch heute daran erinnern, als ich das erste Mal »T.R.O.Y.« gehört habe. Ich habe dieses Saxophon-Sample nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Allein das Instrumental hatte so eine unheimliche Energie und so viel Soul. Mit den Verses von C.L. war es damals schon klar: Das wird ein Song für die Ewigkeit! Wahrscheinlich ist »T.R.O.Y.« auch mit ein Grund, warum ich mit dem Produzieren angefangen habe. Der Track war eine große Inspiration und Motivation für mich.
Leider hatte ich bisher nicht das Vergnügen Pete Rock bei der Produktion über die Schulter zu schauen, deshalb kann ich auch nicht hundertprozentig genau sagen wie er arbeitet. Fakt ist aber, dass seine Produktionen Sample-basiert sind und für die Auswahl seiner Samples ist er ja mehr als bekannt. Für »Mecca & The Soul Brother« und »The Main Ingredient« hat er überwiegend Samples von Jazzplatten benutzt, die Ende der Sechziger bis Mitte Siebzigerjahre veröffentlicht wurden. Nicht irgendwelche Platten, sondern richtige Raritäten, die ich teilweise bis heute noch nicht in einem Shop gesehen habe. Vielleicht mal auf einer Börse, dann aber zu außerirdischen Preise. Anfangs arbeitete er sehr gerne mit Loops, hauptsächlich zwei bis vier Bars, später choppte er dann auch mal die Samples und spielte sie selbst ein wie Premo. Auch der größte Teil seiner Drums sind von alten Jazz-, Soul- oder Funk-Platten.
Equipment-technisch hat Pete Rock lange Zeit mit der SP-1200 von E-mu Systems und einem Akai-Sampler, dem S950 gearbeitet. Beide Maschinen hatten nicht wirklich viel Speicher – die SP maximal zehn Sekunden und der S950 maximal 30 Sekunden Samplezeit. Für die heutigen Verhältnisse ist das mehr als lächerlich, aber Anfang der Neunzigerjahre war das nicht wenig.
Trotzdem war das bei der Masse der Samples, die Pete Rock teilweise für einen Track benutzte, teilweise schwierig, mit den 30 bis 40 Sekunden Samplezeit auszukommen. Deswegen haben er und viele andere auch damals die Platten auf 45rpm abgespielt und dann gesampelt und so einiges an Zeit dazugewonnen. Später, Anfang der Zweitausender switchte er auf die MPC um. Ich glaube zuerst die 2000xl und dann später irgendwann eine Renaissance.
Studio-technisch hat er jahrelang in seinem Keller, The Basement, alles vorproduziert und später in den Greene Street Studios mit beziehungsweise von seinem Engineer Jamey Staub alles abgemischt oder abmischen lassen. Jamey Staub ist auch ein wichtiger Faktor für den Pete Rock-Sound. Gerade wenn du deine Produktionen nicht in deinem Studio abmischst, ist es sehr wichtig einen Engineer zu haben, dem du soundtechnisch voll und ganz vertrauen kannst und der auch irgendwann weiß, wie du deine Mixe haben möchtest. Und wenn du mit jemandem über 20 Jahre lang zusammenarbeitest, dann versteht man sich irgendwann auch blind beziehungsweise taub. Die gleiche Situation hatten ja auch DJ Premier und Eddie Sancho in den D&D Studios.
Viele denken, Sample-basiert zu produzieren, ist eine leichte Sache. Du findest ein Sample, loopst es, legst Drums drunter und schon ist das Ding fertig. Aber du möchtest ja nicht irgendein Sample, sondern das Sample finden. Das eine Sample, das kein anderer hat oder jemals haben wird. Und das ist eine Wissenschaft für sich. Und diese Wissenschaft hat Pete Rock sehr gut beherrscht. Seine Sample-Auswahl war immer einzigartig. Er hat dieses Ohr, um auf irgendeiner Platte diese eine Stelle zu finden, die sonst kein anderer hören würde. Songs wie »T.R.O.Y.« oder «Straighten It Out« sind der beste Beweis dafür.
Was er auch gut beherrschte, war, Samples aus verschiedenen Quellen in einem Song zusammen zu bringen. Wenn man »Soul Brother #1« hört, dann sind da teilweise vier, fünf Loops von verschiedenen Platten, die sich alle zwei bis vier Bars abwechseln. Manchmal sind auch drei Loops gleichzeitig zu hören. Trotzdem klingt alles harmonisch wie aus einem Guss. Bei dieser Art von Produktion können Songs schnell überladen wirken, wodurch das Ohr ermüdet, weil es sich irgendwann nur noch nach Krach anhört. Auf »Mecca & The Soul Brother« ist das recht oft zu hören. Trotzdem wirken die Tracks nicht voll. Mittlerweile wird ja kaum noch so produziert. Auch Pete Rocks Produktionen wurden mit »The Main Ingredient« schon »ruhiger«. Weniger kann eben auch mehr sein!
Anfang der Neunziger war ein Pete Rock-Markenzeichen die Art und Weise wie er Horn-Samples einsetzte. Meistens wusste man schon nach drei Sekunden: Das ist eine Pete Rock-Produktion. »Let It All Hang Out«, »Down With The King«, »It’s Not A Game« und die vielen Remixe wie »Shut Em Down«, »Jump Around«, »Iz U With Me«, »Pass Da Mic«, aber auch wieder »Straighten It Out« oder »T.R.O.Y.« waren bezeichnend dafür: Horn-Samples und hart metallisch klingende Snaresounds.
Und auf keinen Fall dürfen die Interludes vergessen werden. Ich weiß nicht, ob Pete Rock der erste Produzent war, der damit anfing, aber als ich das erste Mal »Mecca & The Soul Brother« hörte, wusste ich ganz genau: Sollte ich eines Tages ein ganzes Album produzieren, dann müssen da auch Interludes drauf! Speziell Alben mit mehr als 14 Songs können eventuell zum Ende oder auch zwischendurch etwas langweilig wirken. Gut gewählte Interludes können einem Album wieder eine gewisse Spannung verleihen.
Pete Rock ist aber auch ein Produzent, der seinen Sound ständig veränderte. Seine berühmten Early-90s-Remixe klangen irgendwann anders. »The Main Ingredient« klingt ganz anders als »Mecca & The Soul Brother«. Mitte der Neunziger fing er auch mit gefilterten Samples an («Fakin Jax«), auf »Soul Survivor« spielte er eigene Basslines.
Auch wenn er sich anfangs noch als DJ Pete Rock bezeichnete, muss ich sagen, dass seine Scratches, wenn er mal welche einsetzte, nicht unbedingt die anspruchsvollsten waren. Vielleicht hat er deshalb das »DJ« gestrichen und sich dann nur Pete Rock genannt.
Ich glaube, sein Vater hatte großen Einfluss auf ihn. Er soll ja auch DJ gewesen sein und zudem eine sehr große Plattensammlung gehabt haben, die wahrscheinlich jetzt Pete Rock gehört. Letztlich hat Pete ja dann auch als DJ angefangen. Es heißt, dass Ende der Achtziger Marley Marl auf ihn aufmerksam wurde und er dann für Pete die Rolle des Mentors übernahm. Zu der Zeit war Marley Marl einer der gefragtesten HipHop-Produzenten. Auch Heavy D, der sein Cousin war, half ihm sehr und benutzte einige Pete Rock-Beats für sein Album »Big Tyme«. Später öffnete Heavy Ds DJ, Eddie F, dem Duo Pete Rock & C.L. Smooth viele Türen in der Musikindustrie und verhalf ihnen zum ersten Major-Deal mit Elektra/Warner.
Zwischen 1991 und 1995 hatten Pete Rocks Produktionen einen sehr großen Einfluss auf mich. »Mecca & The Soul Brother« wurde zu meiner Bibel, meinem Koran. Ich hörte es mir Tag und Nacht immer und immer wieder an und nahm das Album, Song für Song auseinander. Ich analysierte jeden Track und schrieb es sogar in einem Notizblock auf: Wie war die Songstruktur, wie lang waren die einzelnen Verses, Choruse, Intros, Outros, wie viele Samples hat er verwendet, wie lang waren die Loops, wie hat er die Drums programmiert. Je länger ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde für mich die Produktion. Ich fand erste Pete Rock-Samples und entschlüsselte für mich das Produzieren eines HipHop-Tracks.
Was mich am meisten faszinierte, war wahrscheinlich, dass Pete Rock mit seinen Beats HipHop etwas melodischer machte, aber durch die trockenen Drumsounds trotzdem eine gewisse Härte beibehalten wurde. Das war mein HipHop, den ich später auf den Square One-Produktionen aus meiner Sicht interpretiert habe.«