Producer’s Producer #12:
Qadir Bijoux über Madlib

PP12

Der Einfluss von Madlib auf ganze Produzenten-Generationen ist nicht zu unterschätzen. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass der Beat Konducta bereits das zweite Mal in dieser Rubrik auftaucht. Auch der in Schweinfurt ansässige Produzent Qadir Bijoux ist Madlib-Fan. Natürlich, muss man wahrscheinlich sagen. Auch Qadir Bijoux schöpft aus einem tiefem musikalischen Fundus, geht das Beatmaking eher ohne Regeln und Plattitüden an und schafft zeitlosen Vibe. Auf Farhots Kabul Fire-Label erscheint gerade die letzte EP seiner »MEWE«-Reihe, auf der neben dem Neo-Soul-Crooner-Rapper Ninja Kidsoul lediglich Qadirs Beats zu hören sind. Madlib-Style eben. Hier ist eine neue Folge von Producer’s Producer.

»Madlib ist ein Weltenreiter. Er ist wie ein »Discovery Channel« – ein Sender, der kultiviert und einen ein Mal um die Welt und zurück führt. Wenn man Madlibs Musik hört, entdeckt man Rhythmen, die man noch nicht kannte, Chord-Folgen, die man noch nie gehört hat, und man erlebt Emotionen, die man schon lange oder noch nie empfunden hat. Die meisten Menschen suchen ein vertrautes Gefühl, wenn sie nach Musik diggen. Für mich ist es eher wichtig, etwas Neues zu fühlen. Madlib nimmt einen jedes Mal mit auf eine kleine Entdeckungsreise.

Ihn macht seine Sucht aus, alte, schon längst vergessene Platten zu finden und ihnen einen zweiten Frühling zu bescheren. Seine Drum-Patterns, seine Drum-Sounds sind Jazz pur. Man weiß nie, was kommt. Ich mag es nicht, wenn ich weiß, was als nächstes kommt. Stell dir vor, du schaust einen Film und weißt ab der fünften Minute, wie der Film endet. Selbst wenn der Film sehr gute Bilder und Special Effects hat, am Ende des Tages weißt, was auf dich zukommt. Das ist bei Rechnungen vielleicht gut, aber nicht bei Songs oder Filmen. Ich bin da zu schnell gelangweilt.

Madlibs Tricks und Gimmicks sind, dass er jedes Mal neue Tricks und Gimmicks hat. Er ist niemand, der sich selbst in eine Ecke drängt. Er hat schon Jazz-Platten veröffentlicht, Trap-Beats gebaut und den BoomBap-Sound mit Dilla, Premier und Nottz geprägt. Was ihn ausmacht, ist das Verlangen, sich musikalisch weiterzuentwickeln, ohne den organischen Sound zu verlieren. Seine Farben sind natürlich, dennoch setzt er knallige Akzente in seinen Werken. Er bedient sich gern an 32stel Delays, was dem Ganzen einen dubbigen Vibe verleiht. Zeitgleich liebt er alte Vocal-Samples aus Filmen und Hörbüchern – oft sehr humorvoll. Diese Kombination aus Jazz-Chords, Skits und random Psychedelic-Fffekten macht etwas mit einen.

Das erste Mal habe ich 1997 von ihm gehört. Da hat er noch gerapt. Das war das Lootpack-Album. Aber damals war er noch nicht mein Lieblingsproducer. Für mich waren so Jungs wie Juju von den Beatnuts, Nottz, Dilla, Q-Tip oder No I.D. noch weit vor ihm. Damals wusste ich aber auch noch nicht, was Harmonien oder Chords sind. Das habe ich erst später gelernt. Und umso mehr ich die Mathematik der Musik verstanden habe, desto mehr habe ich Madlib gefühlt und habe ein ähnliches Konsumverhalten entwickelt. Ich höre heute fast gar kein HipHop oder Rap mehr. Rap ist für ich mittlerweile Musik der Kapitalisten. Musik, die in die Karten der Lobbyisten und der Politiker spielt. Wer mehr besitzt, ist mehr wert. Wer nicht das Neuste hat, ist alt und out. Man ist einfach nur ein Konsument, der dafür sorgt, dass dieses mittlerweile riesige Biest mit Namen Kapitalismus wächst und die Menschlichkeit mehr und mehr verdrängt wird.

Madlib bedient sich an organischer Musik aus aller Welt. Wenn man seine Musik hört, fühlt man sich wie ein Mensch, wie ein Teil der Natur und nicht wie jemand, der sich durch sein Eigentum oder seine Power definiert. Man ist einfach nur ein Sohn, ein Bruder, ein Freund, ein Mensch. Das macht ihn aus.

Ich mag seine gesamte Arbeit, keinen speziellen Song, eigentlich immer das Neuste von ihm. Das »Bandana«-Album, das er mit Freddie Gibbs gemacht hat, kann ich auswendig. Es ist einfach perfekt. Seine Skits, seine Beat-Switches mitten im Song, sein Facettenreichtum in Sachen Drum-Sounds – manchmal fühlt es sich so an, als seien fast keine Drums drin und manchmal ballern sie dir die Speaker aus dem Auto. Er nimmt dich mit auf eine Reise und bedient sich an keinen Klischees und Trends.

Madlib hat etwas, das man nicht trainieren kann: den Sinn für Soundästhetik. Sowas lernt man in der Kindheit. Wenn deine Eltern Schlager hören, wirst du wohl Afrobeat/Deutschrap-Musik machen, wenn du groß bist. Wenn deine Eltern Marvin Gaye und Stevie Wonder hören, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass du Madlib verstehst. Und du wirst sehr wahrscheinlich nie Autotune benutzen, außer du bist betrunken und willst im Studio ein bisschen dumm werden. Dann ist das herrlich.

Madlib hat mich technisch kaum beeinflusst, aber er hat mich dazu gebracht, noch akribischer nach alter Musik Ausschau zu halten. Durch ihn habe angefangen tiefer zu blicken. Ich habe angefangen nach den Bass-Spielern, den Pianisten, Drummern in den Credits der Platten zu schauen und zu recherchieren, wo sie noch drauf sind, statt nur nach dem Vocalisten oder Haupt-Künstler zu suchen. Dank Madlib habe ich schon einige Weltreisen hinter mir.«