Producer’s Producer #10:
7apes über Flying Lotus

HipHop und Skateboarding gehören zusammen, eh klar. Als Beweis haben die beiden Produzenten 7apes und ENAKA gerade über Block Opera das »GRIPTAPE« veröffentlicht: zehn Instrumental-Produktionen, inspiriert durch 411 und »THPS2«. Aber weil wir nun mal ein HipHop-Magazin sind, haben wir mit 7apes einen der beiden Beatmaker nicht über etwaige Halfpipe-Heroes sondern seinen Lieblingsproduzenten Flying Lotus ausgefragt.

PP10

»Gefühlt begleitet mich die Musik von Flying Lotus schon ewig. Tatsächlich muss ich aber, wenn ich so darüber nachdenke, gestehen, dass er mir erst 2010 bewusst auffiel. Damals kam sein Album ›Cosmogramma‹ raus und hatte unter anderen Gästen auch Thom Yorke gefeatured, den ich seinerzeit richtig gefeiert hatte. Ich war im ersten Moment total überrascht, das der Radiohead-Frontmann mit einem HipHop-Producer zusammenarbeitet. Aber als ich das Album aufmerksam gehört hatte, wurde mir schnell klar, dass es sich hier um keinen gewöhnlichen Beatmaker handelt. Alleine besagtes Werk strotzt nur so von unorthodoxer Rhythmik, merkwürdigen Sounds und einer an sich sehr kruden, dadurch aber unheimlich stimmungsvollen Abmischung.

Flying Lotus steht für mich wie kaum ein anderer Produzent für genau eine Sache: unpredictability. Man weiß eigentlich nie, was er als nächstes aus dem Ärmel holt und in welche abstrusen Regionen er dich führt und, das finde ich fast am besten: Er selbst weiß es eigentlich auch nie so wirklich. Er gibt sich genre-technisch äußerst ambivalent und springt gut und gerne mal von Dillaesquen (Lo-Fi)-Beats über Jazz und Fusion hin zu IDM und experimentellem Ambient-Getöse. Seine Affinität für Videogames und japanische Animationsfilme stellt man auch relativ deutlich fest und haben auch bei mir offene Türen eingerannt.

Eine seiner größten Errungenschaften war das Entstehen der LA-Beat-Szene, in der er selbst und sein Label Brainfeeder zu den maßgeblichen Architekten gehören. Die Szene zeichnet sich weniger durch ein durchgehendes musikalisches Genre aus und mehr durch eine Stilistik und einen Freigeist, den es so vorher im HipHop nicht gab. Generell kann man die LA-Beat-Scene nicht einem bestimmten Genre zuschreiben, da die meisten Künstler, ähnlich wie FlyLo, musikalische Formwandler sind und sich alles einverleiben, wonach ihnen gerade der Sinn steht. Am Ehesten lässt sich der musikalische Output als ein süd-kalifornischer Approach zu IDM, mit HipHop, R&B und Jazz als Hauptinspirationsquelle beschreiben. Auch wenn diese trotz Mainstreamerfolge stets etwas obskur geblieben ist, so hat die LA-Beat-Scene einen großen Wirkungsradius, der sich von Kendrick Lamar, Drake und Odd Future bis hin zu Thom Yorke, Erykah Badu und Kid Cudi erstreckt.

Mein Lieblings-Beat von Flying Lotus ist ›Post Requisite‹ auf dem Album ›Flamagra‹. Der Beat verbindet eigentlich alles, was ich an FlyLos Produktionsstil so geil finde. Die Ambivalenz zwischen gespielten Instrumenten und Samples, unquantisierte Drums und komplexe, aber quirky Harmonien. Natürlich ist auch wieder Langzeit-Kollaborateur Thundercat mit dabei am Bass, der einen nicht unwesentlich großen Teil der Produktion mit seinem Instrument ausmacht. Soundtechnisch erinnert mich der Song an den Produktionsstil der ersten Alben, was die Dichte der Klänge und Drums angeht, ist aber gleichzeitig genauso verspielt wie seine jüngeren Werke.

Wie genau Flying Lotus an Musik arbeitet, ist mir ehrlich gesagt in großen Teilen ein komplettes Rätsel. Handwerklich gesehen ist er in erster Linie ein klassischer Beatmaker, welcher zunächst wohl mit Reason gearbeitet hat und im späteren Verlauf auf Ableton Live umgestiegen ist. Er sampled viel, spielt die Drums über einen Midi-Controller ein und quantisiert eher selten. Und er spielt viele Keys selbst. Was ihn aber von einem gewöhnlichen Beatmaker klar unterscheidet, ist eher seine Herangehensweise.

Er sampled nicht nur von alten Platten, sondern holt sich oft diverse Studio-Musiker dazu und nimmt diese bei endlosen Jam-Sessions auf. Diese Aufnahmen sampled er wiederum für seine eigenen Produktionen. Unter Anderem hat er auch mit Herbie Hancock zusammengearbeitet. Außerdem hat seine Musik einen sehr zufälligen Charakter und scheut sich nicht vor ungewöhnlichen Arrangements und unvorhersehbaren Richtungswechseln, die es selbst einem geschulten Ohr schwer machen, ein Denkmuster dahinter auszumachen. Ich vermute, dass der Entstehungsprozess vieler seiner Beats für ihn genauso unvorhersehbar ist wie für den Hörer.

Was ich hier beschrieben habe, lässt sich am besten auf seinem, meiner Meinung nach, Magnum Opus ›You’re Dead!‹ hören. Das ganze Album wirkt zunächst wie eine 40-minütige Jam-Session ohne echtes Ziel, aber je mehr und genauer man hinhört, entwickelt sich das Album zu einer spirituelle Reise in die tiefsten und obskursten Abgründe der menschlichen Existenz und deren Vergänglichkeit. Es stechen zwar einige Songs für sich stehend heraus, aber das Album funktioniert eigentlich am besten als Gesamtwerk.

Es gab allerdings eine Phase, in der er sich an modernen, zeitgeistigeren Produktionen versucht hat. Das war die Zeit, als er für den ›GTA V‹-Soundtrack produziert hatte. Die Tracks waren zwar auch gut, aber ich fand das eher befremdlich, einen Flying Lotus Beat mit 808s zu hören.

Flying Lotus Nähe zur Musik liegt ja schon in der Familie. Seine Großmutter Marilyn McLeod arbeitete für Motown und schrieb Songs für Marvin Gaye und Diana Ross und seine Großtante Alice Coltrane, deren Sohn Oran Coltrane seine Musikästhetik maßgeblich beeinflusste. Er selbst nannte zum einen King Tubby, der Dub-Pionier aus Jamaika, und J Dilla als großen und direkten Einfluss auf sein Schaffen.

Die Beats von Flylo haben mich maßgeblich in meinem Schaffen und in meinem Verständnis für Musik beeinflusst. Vor allem hat er meinen Begriff für Jazz komplett verändert. Vorher konnte ich Jazz und HipHop nie vollständig kreuzen. Ich konnte zwar Jazz-Samples flippen und daraus einen Beat basteln, aber was FlyLo mir beigebracht hat, war, auch Jazz in der Produktion zu bedienen, also auch beim Arrangieren, beim Bilden von Chord-Progressions und selbst im Sound. Jazz bedeutet für mich in erster Linie unverstelltes und unkonventionelles Denken. Aber ich habe erst die Musik von Flying Lotus gebraucht, um auch aktiv zu verstehen, was Jazz eigentlich ist. Außerdem hat mich schon immer der Groove seiner, zum Teil sehr sloppy gesetzten Drums beeindruckt und zum Nachmachen animiert.«