OFF THE RADAR #1: Es ist schwer, Rap zu finden, der so frei klingt.
In Zukunft schreibt an dieser Stelle Florian Weigl alle paar Monate über das neueste aus dem US-amerikanischen Rap, wobei der Fokus auf den Releases liegt, die etwas abseits vom Fokus laufen – off the radar eben.
Vielleicht vorab kurz zu mir: Ich bin 1993 geboren und mit Anticon, Fake Four, Rhymesayers, Doomtree und anderen Underground-Labels aufgewachsen. Seitdem ist mein persönlicher Fokus immer bei US-Rap geblieben und es war definitiv einer der Gründe, warum ich mich entschied, Amerikanistik zu studieren. Ich würde immer noch behaupten, dass kein Land schneller Trends setzt und neu definiert. Dies führt aber zwangsläufig zu einer Fluktuation, bei der einem schwindlig werden kann. Künstler kommen und gehen so schnell, dass oft nur noch ihre Adlibs nachhallen. Natürlich versuche ich trotzdem noch aktuelle Trends festzuhalten oder systematischen Verschiebungen nachzugehen. Mich interessiert auch die Struktur, die sich um HipHop selbst gebildet hat – von Labels bis Distribution. Deswegen wirst du hier wenig über die aktuellen Beefs lesen, aber vielleicht über Gründe, wie Streaming Songstrukturen verändert.
Die Art und Weise, wie ich über HipHop denke, über HipHop schreibe und was ich von HipHop will, hat sich dabei in den Jahren, die ich nun schon für ALL GOOD, »laut.de« und »Juice« schreibe, sehr stark verändert. »Immortal Flame«, das neue Projekt von Cities Aviv, darf dabei gerne als mein derzeit platonisches Ideal angesehen werden: Memphis-bound und in der Geschichte der Stadt verankert, ohne zu versteifen, hat sich sein Sound in den letzten Jahren mehr und mehr Freiräume erarbeitet.
Der Anschluss an psychedelische Crooner wie Playboi Carti oder Travis Scott ist dabei noch immer erkennbar. Wo deren Alben aber eine konzeptionelle Dichte zeigen, die einen über die Dauer ersticken kann, lässt »Immortal Flame« Freiräume und reduziert. Die Songs schweben oft auf einen Arpeggio, angereichert mit Soul-Samples. Darüber Cities Aviv digital verzerrte Stimme, die zwischen meditativem Soul und improvisiertem Rap changiert. Zuerst noch fokussiert, lässt er die Tracks gegen Ende hin immer mehr auslaufen mit Beats, in die man sich wie Kaschmir kuscheln und verlieren kann. Es ist schwer, Rap zu finden, der so frei klingt.
Mittlerweile wird es fast als normal verstanden, dass der Rapper von heute in den meisten Fällen auch sein eigener Produzent ist, eine Art Verschmelzung einst noch klar getrennter Rollenbilder. Dies bedeutet aber nicht, dass sich dementsprechende Fragen in die Interviews schleusen oder die von diesen Künstlern produzierten oder instrumentalen Projekten gleichgewichtet besprochen werden. Elucid, der sich neben Armand Hammer, Nostrum Grocers sowie eigener Soloprojekten, in den letzten Jahren auch einen Namen als Produzent gemacht hat, ist hier ein gutes Beispiel. Mit »SEERSHIP« bringt er nun ein neues halbstündiges Projekt an den Start, das instrumental beginnt und dann den Soundteppich für sich, billy woods und »YOUNGMAN« (R.A.P. Ferreira in einer Cameo) ausrollt. Wem dies als Kostprobe noch nicht genug ist, kann ich auch das neue selbstbetitelte ShrapKnel-Album und die »Miserable Then«-EP von Duncecap empfehlen, die ebenso von Elucid produziert wurden.
Die Beats auf »SEERSHIP« sind dabei in der Form eines Tapes wie Skizzen aneinandergereiht mit anfangs unterkühlten Bassläufen, die von zwitschernden Synthies aufgehellt werden. Nach einem Break öffnet Elucid mit treibenden Trompeten und einer Dringlichkeit, die durch Ellipsen immer wieder an Härte gewinnt. Es ist eine unterkühlte Welt, die Elucid hier vertont – durch Samples hörbar noch an unsere Realität geknechtet, aber ihr oft offen feindselig und überzeugt von der eigenen Paranoia. Wenn die Stimme endlich erhoben wird, dann in martialischen Mantras, die billy woods gegen Ende in Resignation aufgehen lässt und mir damit das Motto für diese erste Ausgabe gibt.
Eine meiner vielleicht polemischeren Meinungen ist, dass straighter HipHop – egal welchen Geschlechts – im Bett fast ausschließlich eine Niete ist. Man dominiert ohne Verführung, Vorspiel oder Kink, was im besten Falle peinlich, meistens aber nur langweilig ist: Sex als niemals endende Statuslitanei. Mit Zebra Katz, der mit »Less Is Moor« nach fast sieben Jahren endlich sein Debütalbum rausbringt und fest in der queeren Clubszene NYCs verankert ist, ist Vorspiel hingegen alles. Körper und wie sie sich zueinander bewegen und füreinander öffnen, wird immer sexier sein als jeder Dominanzfick. Zebras Lyrics sind voll davon. Seine Stimme ist dabei Stimulus pur, kann wie auf »Upp« mit einem Zungenschlag von vertuschtem Flüstern zu verlangendem Barriton und einem ekstatischen Krächzen wechseln.
Dass das Spektrum von queerem HipHop aber auch über den Club- und Bettrand hinausschauen kann, zeigen Moodie Black auf »FUZZ«, ihrem Nachfolgealbum zu »Lukas Acid«. Es ist das erste Album, nachdem sich Chris Martinez aka K-Death als Trans outete. Dass Noise eine produktive Methode ist Geschlechtsidentitätsstörungen aufzuarbeiten, ist nicht neu, aber die Sägesynthies schneiden hier sogar noch schärfer als sonst. K-Deaths Stimme wird oftmals fast von den Soundscapes erdrückt, die sich nur zaghaft öffnen, um Melodien oder Riffs einziehen zu lassen. Manchmal für mich zu monoton im Flow und Mix, hat »FUZZ« dennoch eine Direktheit und Wut, die mehr als willkommen ist.
Aussteigen will ich allerdings mit »Brat« dem neuen Album von NNAMDÏ. Bewaffnet mit einer entwaffnenden DIY-Ästhetik – das Album wurde klassisch im eigenen Keller aufgenommen und Nnamdi Ogbonnaya übernimmt fast jedes Instrument selbst – spielt sich Ogbonnaya so gut wie durch jedes Genre und lässt seinen Produktionen dabei den notwendigen Raum zur Entfaltung. HipHop als Genre greift nur zu gerne auf die immer gleichen Samples und Songstrukturen zurück, weswegen es einfach erfrischend ist, Songwriter damit arbeiten zu sehen. Sei es der Math-Pop angehauchte Jazz auf »Perfect In My Mind«, der sich durch ein Stakkato aus Rhythmuswechsel spielt oder »Salut« das sich aus einem einsamen, simplen Riff langsam aufbaut und dich mit Brass Section und kompositorischen Maximalismus umarmt.