ALL GOOD READS #2 / 2015

An gleicher Stelle habe ich mit »Hip Hop Family Tree« bereits auf ein außergewöhnliches Comic, das sich mit den frühen Tagen des Genres beschäftigt, hingewiesen. Dass es kaum besser geht, wissen diejenigen, die die Graphic Novel schon mal in der Hand hatten. Fast genauso gut ist »Ghetto Brother«: In dem 128 Seiten starken Comic gehen die Autoren noch weiter zurück in der Geschichte. Es geht darin um das New York der Prä-HipHop-Ära, um die brachliegende Bronx, die Gangs, um Afrika Bambaataa und die Black Spades, es geht um die Geschichte von Benjamin Melendez, der Anfang der Siebzigerjahre als treibende Kraft hinter dem Friedensabkommen der sich bekriegenden New Yorker Gangs bekannt wurde. »Ghetto Brother« ist gerade im Avant Verlag erschienen.
Soviel dazu. Hier sind die ALL GOOD READS #2 / 2015:
»Earl Sweatshirt: ›I’m Grown‹« (NPR)
Man mag Earl Sweatshirt tatsächlich sogar ein bisschen glauben, wenn er über sein neues Album »I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside« sagt: »I’ve never been behind myself this much.« Wahrscheinlich regte er sich auch deswegen so über den – von seiner Plattenfirma – verkackten Release des Albums auf. Im Gespräch mit A Tribe Called Quests Ali Shaheed grantelt er über die Musikindustrie und die Menschen darin – mit einigen sehr interessanten Punkten.
»ASAP Rocky, Dearly Missing ASAP Yams, Half of Their Formidable Hip-Hop Tag Team« (NY Times)
Lange war die Ursache für den überraschenden Tod von A$AP Yams im Januar nicht klar. Auch wenn die Vermutungen nah lagen, wurde eine Überdosis als Grund erst vehement zurückgewiesen, dann zurückhaltend verneint. Mittlerweile ist bestätigt, dass Yams an einer Überdosis Opiaten und Benzodiazepine verstarb. All das geschah in der Wohnung von A$AP Rocky, der hier im Interview mit Jon Caraminaca das erste Mal über den Tod seines besten Freundes spricht.
»How Cool C and Steady B Robbed a Bank, Killed a Cop and Lost Their Souls« (Medium)
In den späten Achtzigern waren Steady B und Cool C echte Größen in der HipHop-Szene Philadelphias. 1996 verübten sie einen Banküberfall und erschossen eine Polizistin. So die kurze Geschichte. Eine weitaus längere erzählt dieser Artikel auf »Medium«, gespickt mit Insights von Schooly D, DJ Cash Money und vielen weiteren Wegbegleitern aus Philadelphia. Um einen Punkt vorweg zu nehmen: die Geschichte hat auch mit Gangstarap zu tun – nur eben ein bisschen anders als man denken möchte.
»R.I.P. Release Dates« (The Fader)
Ab dem 10. Juli 2015 werden Alben überall auf der Welt am Freitag veröffentlicht. Die globale Musikindustrie erhofft sich davon, illegale Downloads einzudämmen. »The Fader« fragt sich – angesichts der ohne große Ankündigung veröffentlichten Alben von Beyoncé, D’Angelo, Björk, Drake und Kendrick Lamar –, ob VÖ-Termine überhaupt noch wichtig sind.
»Why Kanye West And Kendrick Lamar Keep Putting Assassin On Their Songs« (The Fader)
Auf Kanye Wests »Yeezus« war er, auf Kendricks »The Blacker The Berry« hatte er einen Auftritt und auch sonst hört man die Stimme von Assassin an prominenter Stelle. Wer der Typ ist? »The Fader« hat mit Jamaikas neuem »Dancehall crossover king« gesprochen. (Reportage-Ansager voice)
»Drop a Gem on ‚Em: How Steve Rifkind Became One of the Greatest Rap Execs Ever« (Complex)
Er hat die Promo für so ziemlich jedes relevante US-Rap-Album gemacht, das zwischen 1989 und 1999 erschienen ist. Street Promotion hat er quasi erfunden. Und den Wu-Tang Clan signte er auch. Steve Rifkind ist eine der Figuren der amerikanischen HipHop-Major-Maschinerie. Für »Complex« plaudert er ein wenig aus dem Nähkästchen und zwischen den – für Figuren der amerikanischen HipHop-Major-Maschinerie nicht unüblichen – Selbstbeweihräucherungen sind auch einige interessante Geschichten dabei.
»Hooking Up« (NY Times)
Mittlerweile horcht die High-Fashion-Welt auf, wenn Kanye West seine neue Mode-Linie für Adidas präsentiert. Das war nicht immer so. Also nicht nur, dass die High-Fashion-Welt irgendetwas auf Kanye gibt, sondern generell auf HipHop. Jon Caraminaca hat sich mit der Schnittmenge von HipHop und High Fashion auseinandergesetzt und dabei sind unter anderem so herrliche Sätze wie »Hip-hop is a culture that’s peacockish by nature…« herausgekommen.
»How El-P and Cannibal Ox Crafted a Cult Classic« (Cuepoint)
Vor dem weltweiten Kritiker-Lob war der New Yorker Rapper und Produzent El-P mal ein Underground-Rap-Star. Das klingt jetzt erst mal ziemlich bescheuert, aber ist eigentlich gar nicht so falsch. Im Mai 2001 veröffentlichte El-P gemeinsam mit Vast Aire und Vordul Mega unter dem Namen Cannibal Ox »The Cold Vein«. In einer Zeit, in der El-P nach etlichen Jahren endlich mal die Meriten für seine unaufhörlichen Meistertaten verdient, in Bälde ein Album aus Katzen-Sounds veröffentlicht und Vast Aire und Vordul Mega nach 14 Jahren kürzlich den Nachfolger zu »The Cold Vein« veröffentlichten, kann man sich diesen kalten Klassiker gerne mal wieder en detail ansehen.
»Center of Chaos: Common and Electric Circus« (RBMA)
Kaum macht ein Rap-Superstar ein Album, das musikalisch nicht den von der Gegenwart aufoktroyierten Hörgewohnheiten der Masse entspricht, hauen sich Kritiker (und vor allem solche, die Kritiker sein wollen) die Sub-Sub-Genres und sozio-historischen Querverweise um die Ohren. Da wird dann schnell mal von Free Jazz und der Identität der Schwarzen Seele geschrieben. Und während die Kritiker sich so am Subjekt (und den eigenen Gedanken dazu) aufgeilen, sind Fans schon lange enttäuscht. Ist natürlich nichts Neues. Gab’s vor Kendrick auch schon. Bei Commons »Electric Circus« zum Beispiel – einem Album mit Free-Jazz-Einflüssen, das einen Blick in die Identität der Schwarzen Seele erlaubte. Oder so.
»A new wave of hip hop« (VSCO)
»The Fader« liefert die Hintergrundgeschichte zum Zusammentreffen von GoldLink und Rick Rubin. Auf der Seite der Foto-App VSCO gibt es die großartigen Bilder aus Rubins Shangri La Studio in Malibu. (Wo man Rubin – wen wundert’s – natürlich auf dem Sofa fläzend auffindet.)
»HipHop trägt Air Max« (Splash! Mag)
Die Überschrift ist zwar eine glatte Lüge – HipHop trägt nicht Air Max, sondern vielmehr AF1s, Shox und vielleicht ab und zu mal Jordans. Air Max tragen vielmehr alle und deswegen halt auch HipHop ein bisschen. Wie dem auch sei: Vergangene Woche feierte der Air-Max-Schuh von Nike ein rundes Jubiläum und die Jungs vom »Splash! Mag« haben die Geschichte des Treters, speziell in Bezug auf HipHop, unter die Lupe genommen. (Mit dabei: so schöne Formulierungen wie »das physische Erleben des Sneakers.«)
»Bob Moog’s beautifully intricate drawings of synth circuits« (Wired)
Während die hiesige Musikbranche die Netzpolitik nicht den Nerds überlassen will, gab es Gott sei Dank Nerds, die die Musik für immer verändert haben. Einer davon war Bob Moog. Die Bob Moog Foundation veröffentlichte gerade mehrere technische Zeichnungen von Maschinen des Sound-Visionärs. Absoluter Nerd-Shit – aber auch wenn man die Schaltbilder nicht lesen kann: sehr schön anzusehen.