Wiki No Mountains In Manhattan

Wiki
ALL GOOD Punchline Alles flackert.

Wiki hat ein Problem. Highschool-Kids in Thrasher-Hoodies weinen nicht in der ersten Reihe bei seinen Shows. Wieso? Er hängt nicht mit Instagram-Influencern rum. Und einen Schuh hat er auch noch nicht designt. Wiki (t)rappt nicht über billige Fruity-Loops-Plug-In-Sounds, beschwört nicht auf Kodein den Vorteil von Ecstasy und hat wahrscheinlich noch nie einen eigenen Tanz kreiert. Eigene Trademark-Adlibs? Nee. Gesichtstattoo? Auch nicht. Es stellt sich also die Frage: Was kann der eigentlich beisteuern, zum schillernden, selbstzerstörerischen Rapgeschehen Ende der 10er-Jahre?

Die Antwort: alles. Denn Wiki ist eben kein Trendsetter im ästhetischen Sinne, sondern einer der progressivsten Rapper aus den USA zurzeit. Erst im Trio, dann als Duo mit Ratking produzierte er vertrackten Experimental-Rap, dessen sich überlappende Soundfragmente einen schon mal an Belastungsgrenzen brachten. Überall surrte und brummte und kreischte es. Mit Skepta nahm er den US-Remix zu »That’s Not Me« auf, mit King Krule hing er auf einem Song rum und gibt ungeniert Shout Outs an Mykki Blanco. Wiki verkörpert den New Yorker Indie-Rap, der global denkt, wie derzeit kein anderer.

Jetzt kommt nach der Auflösung von Ratking sein Album »No Mountains In Manhattan«. Und das ist nicht flach. Nichts wurde eingeebnet. Alles flackert. Wiki hat mit seinem Sound eine musikalische Hügellandschaft geschaffen – nur ohne musikalische Tiefs.

Stattdessen wandert die Stimme routiniert über Sample-Beats, die glücklicherweise in kein verknapptes Kick-Snare-Sample-Korsett gepresst wurden. Stattdessen lösen düstere Synths anarchisch ruckelnde Elemente aus alten Free-Jazz-Stücken ab. Drums sind keiner Bumm-Tschak-Struktur aufgesessen, sondern klingen eher so: Bumm, Dumm, Klack, Klack, Bumm, Zisch. Der musikalische Unterbau bleibt verwirrend, Wiki ist in seinen Gedanken dafür umso klarer. Mal rappt er bedrohlich (»Chinatown Swing«), oft einfach gemütlich, während seine Stimme dann und wann in Singsang ausbricht.

»Don’t do it for top ten or radio / Hope before I drop dead, I save my soul«, heißt es dann auf »Mayor« – und das sagt doch alles. Auf »No Mountains In Manhattan« geht es um Vergangenes und Zukünftiges, das immer auch im Zusammenhang mit HipHop steht. Denn der ist Wiki wichtig, das ist zu hören. Es geht aber eben nicht um eine Anbiederung an Industrie oder Zeitgeist. Wiki verarbeitet dann ungeniert seine Kindheit, seine Jugend und die Gegenwart. Verschwommene Nächte, in denen es nach Lack roch. Versoffene Nächte, in denen es nach Schnaps roch. Er reflektiert die Entwicklung seines Selbst, ohne dass es aufdringlich klingt. Die Geschichten bleiben spannend. Das sind keine Seifenopern!

Wiki strahlt in seiner Musik also eine natürliche Coolness aus, die er sich nicht donnerstags in Onlineshops zusammenkaufen musste. Er ist der Typ mit der riesigen Zahnlücke, der Nachts um 5 betrunken mit seinem Skateboard Tricks macht, die man aus Skate-Videos von 1995 kennt. »No Mountains In Manhattan« ist jetzt das auf Skizzen basierende Rap-Album, das die Lässigkeit Wikis umreißt. Damit ist er ein wichtiger Gegenpart zu Hustensaft-Hymnen, 808-Minimalismus und Grunge-Rap. Während verballert und psychotisch zu sein gerade der Konsens ist, bleibt Wiki klar. Er zeigt, wie gut Klarheit in der Musik doch klingen kann. Wiki hat kein Problem.