Vince Staples FM!

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ALL GOOD Punchline Gewalt ist tanzbar.

Ich war in meinem Leben in eineinhalb Schlägereien verwickelt, die ich eineinhalb mal viel zu schnell und viel zu einfach verlor. Es kostete mich einen Zahn und eine Prellung an der Nase. Einen versuchten Messerstich überstand ich durch geschicktes, hysterisches Kreischen und Weglaufen. Niemand in meinem Freundeskreis starb auf der Straße, oder hat eine größere kriminelle Karriere hingelegt, die ihn in den Knast oder gar einen Shout-Out von einem bekannteren Künstler einbrachte.

Das erste Rap-Album, das ich kaufte war »Get Rich or Die Tryin’« von 50 Cent, das Cover verzerrt von dem Einschussloch einer Kugel. Als Folge eines Drive-By-Shootings fand eine der neun Kugeln ihren Weg in 50s Wange. Fragmente würden für immer in der Innenseite seines Mundes bleiben und zu einer permanent angeschwollenen Zunge und dem Slur führen, den ich damals wie heute faszinierend finde. Es war gelebte Gewalt, das Wissen, ein Trauma überlebt und darauf eine Karriere aufgebaut zu haben, bis es nur zu einer weiteren Anekdote wurde, die man in den immer gleichen Talk-Shows vorführte.

Mit der Zeit verfeinerte sich meine Perspektive und ich lernte Gewalt trotz, nicht wegen ihrer Inszenierung zu lieben. Der Mafioso-Rap von Raekwon, der sie in Opulenz und Delegation schmückte, die Splatter-Set-Pieces von Twiztid, die misogynen Machtfarcen von Eminem. Aber es blieb immer unpersönlich, abstrakt, mehr eine Idee als Realität. Dann kam The Clipse und damit Pusha-T. Pusha und 50 unterscheiden sich vor allem in der Art, wie sie ihre Vergangenheit tragen: Pusha will für die Gewalt, die er überlebte, immer noch bewundert werden, aber sein Rap ist exklusiver, ausschließend. »This the ministry of street energy / The church of criminology, teaching my chemistries / Woo, I’m the L. Ron Hubbard of the cupboard / To some certain motherfuckers gotta love it«, rappt Pusha auf »Crutches, Crosses, Caskets«. Pusha verortet und verteilt Wissen: Nur wer es durchlebte, kann es erzählen. »If you know, you know« und der Rest schweigt und hört zu.

Das war der Code, nach dem ich Rap hörte und so blieb es, bis Vince Staples erschien. In Zeiten, in denen Künstler mit immer mehr vorgefertigten Images debütieren, sticht Staples heraus. Nicht, dass der Wechsel aus Ironie und Publikumskritik als soziologisches Fundament, der sich durch seine Folgealben ziehen würde, sich nicht schon auf »Summertime ’06« abzeichnete, aber es war Rap, der sich noch erlaubte zu hoffen.

Niemand spielt besser mit dem Wissen, was es heißt, Musik über das Leiden schwarzer Körper für ein überdurchschnittliches weißes, mittelständiges Publikum zu machen als Staples. Er zieht den Hörer immer zur Verantwortung. Du kannst ihn nicht feiern, ohne nicht die Class- und Race-Dichotomien anzuerkennen, die sich schon seit Beginn durch Rap ziehen.

Wenn Staples aber auf »Summertime« noch »This could be forever, baby« rappte, die Stimme so apathisch wie flehend, war es ein Versprechen auf die Zukunft, für die »FM!« den logischen, nihilistischen Bruch darstellt. Gewalt – sei sie rechtsextrem, von der Polizei ausgehend oder als Folge der mehr als 300 Massenerschießungen alleine in 2018 – ist in den USA so alltäglich geworden, dass sie tanzbar ist. Die Hooks auf »FM!« (von »Don’t Get Chipped« zu »Run The Bands« und »No Bleedin« mit Kamaiyah sind die Art von ultra-melodiösen, repetitiven One-Linern, die im Trap zum Standard geworden sind, hier aber noch an Kante besitzen. Kenny Beats, der weniger einen eigenen Sound hat, als es versteht, die Essenz von einem Genre zu channeln, mixt dabei Staples distanzierte, verglitchte Beats mit G-Funk. Das spielt Songs wie »Feels Like Summer« an der Seite von Ty Dolla $ign, »Don’t Get Chipped« oder »Tweakin’« auch auf die besseren Radioplaylisten.

Kompromisse zwischen Vergangenheit und Präsens sind dabei nicht möglich: »Can’t wait til I’m rich, I’m finna buy a whole crate of guns / For my naughty Crips, shit I really came from the slums« (»Don’t Get Chipped«) Das Weltbild auf »FM!« zirkuliert um sich selbst, hofft, dass es aus der Bahn gedrängt wird. Der Body Count ist so hoch, dass die Punchlines in Galle verätzen: »Everybody say it’s lonley at the top / I want my homies at the top / My little homie he got shot / and now I’m moving by my lonely with my .40 and the mop«, rappt Staples weiter auf dem Track, der Flow überschnellend und doch von der Realität eingeholt. Staples projiziert konstant auf das Publikum zurück, um die Machtverhältnisse zurückzugewinnen. »Started yelling out requests, so I shot in the crowd, pow / You a fan, I’m the man, it’s a difference / Stop pretending / You know you feel it«.

Es ist eines der unangenehmsten Alben dieses Jahres, weil es keine Lösungen bietet oder Möglichkeiten, sich mit Lippenbekenntnissen aus der Affäre zu ziehen. Long Beach ist so als State of Mind etabliert, dass jeder Besuch intellektuellem und ideellem Aderlass gleichkommt. Positiver formuliert bietet dies aber auch die Möglichkeit an und mit einem Album oder Künstler zu wachsen.