Lakmann Aus dem Schoß der Psychose

Lakmann
ALL GOOD Punchline Zwischen Verlierer und King.

Rapper sind lokale Identitätsstifter. Für nur wenige deutsche Künstler ist das so zutreffend wie für Lakmann. Der mittlerweile 37-Jährige schuf zusammen mit seinem Partner Flipstar als Creutzfeld & Jakob bei Ruhrpottkids bereits um die Jahrtausendwende etwas, was späteren Großaktionen wie »Ruhr 2010« kaum gelingen wollte: Lokalpatriotismus im besten Sinne. Der Pott wurde geliebt. Witten – ein popkulturelles Niemandsland zwischen Dortmund und Bochum – wurde auf die Landkarte von HipHop-Deutschland gesetzt. Too Strong, RAG, ABS, Ohne Gleichen, Dike, später dann Brenna & Desasta sowie Snaga & Pillath – C&J waren Teil eines traditionsreichen Movements. Bis in die Nullerjahre war das Ballungsgebiet eine regionale Rapgroßmacht. Um die ehemalige Arbeiterregion ist es in den letzten Jahren jedoch eher ruhig geworden – ein Umstand, an dem auch ein guter Umse-Track mit Aphroe-Feature nichts ändert. Tatsächlich steht aber ein Rapper vom Kaliber eines Lakmann One ziemlich allein auf weiter Industriebrache. Hinzu kommt: Alles, was Laki verkörpert – Primat der Skills, Bodenständigkeit, das Beharren auf einer Authentizität der Kunst – ist aktuell nicht recht angesagt.

Die Frage ist also: Was kann ein bekennender 90s-Head, der Albumpromo demonstrativ auf der Kloschüssel absolviert und mit seiner Band Witten Untouchable Internet-Fame-Gangster am liebsten in eben dieser runterspülen würde, einer verjüngten Szene beisteuern? Welchen Mehrwert bietet »Aus dem Schoß der Psychose«, wenn die Helden der Stunde Rap eher authentisch finden, wenn sie die Realness draußen lassen? In den besten Passagen des Albums genau dies: eine Mittelfinger-an-alle-Trends-ich-hab-Bock-zu-spitten-Attitüde, die manche Rap-Hörer in der Gegenwart vermissen.

Creutzfeld & Jakobs »Zwei Mann gegen den Rest« war 2003 – je nach Perspektive – die verfrühte Erfindung des Straßenraps in D oder der Verrat an der Bunkerwelt-Ästhetik. Lakmann setzt auf Treue zu sich selbst. Er hat seine Schlüsse gezogen und aus dem Schoß dieser Erfahrung sich selbst immer wieder verbessert. »Ich wachs immer weiter – ein natürlicher Prozess« heißt es auf »Ich fühl euch nicht« – das meint technisch vor allem Feinjustierung. Das Offbeat-Atemlos-Gespitte der C&J-Zeit ist längst durch einen entspannteren Flow ersetzt worden. Inhaltlich meint dies: mehr Platz – und diesen mit ganz Unterschiedlichem und Ungewöhnlichem füllen zu können. Im Interviewtrack »Dialog« verneigt sich der Wittener vor seinen Helden und lässt seine musikalischen Bezugspunkte auch per Vocalcut zu Wort kommen – von den New Yorkern der Neunziger bis Oxmo Puccino. Nicht gerade innovativ, aber das ist ja auch nicht das Kernkriterium bei diesem Typus Rapper. Die Nostalgie wird aber auch ausgebremst, wenn eine Chronik der Kriege seit der eigenen Geburt rekapituliert wird. Überhaupt: Struggle, Pleitesein, Älterwerden, ausbleibender Erfolg – das sind die Themen der zahlreichen nachdenklicheren Songs.

Diese Platte will nicht sexy sein, nicht für den State of the Art. Feindbilder gibt es viele: Managements können nichts und 1Live ist noch immer der Hort der Wackness. Das wäre problemlos durchzuwinken, wären da nicht Lines wie »Wäre Biggie nicht krepiert, wäre vieles nicht passiert«, die dann schon sehr nach Zeigefinger klingen. In den schlechteren Albumabschnitten finden sich wenige eher unspannende Beats sowie ein paar Lines, die ein bisschen nach verbittertem Realkeeper klingen. Die Reunion mit Flipstar auf »Fast vergessen« ist immerhin ein schönes Lebenszeichen, auch wenn dieser sicher schon mal souveränere Parts abgliefert hat.

»Aus dem Schoß der Psychose« ist ein gutes Album mit überwiegend klassischen, auf den Rapper zugeschnittenen Produktionen von unter anderem Rooq, Ghanaian Stallion, Macloud und Joshimixu. Es passt inhaltlich und formal in die Zeit. Auch weil es daran erinnert, dass es auch interessant sein kann, sehr nah an die Person hinter der Kunstfigur heranzurücken. Der Album-Titel ist vor diesem Hintergrund in zweierlei Hinsicht interpretierbar: Einmal für den, der den Weg bereits hinter sich gebracht hat und nun darüber sprechen kann. Auf der anderen Seite als Prozessbeschreibung. Die Themen, die zwischen Verlierertum und King-Dasein, Enttäuschung und Hoffnung, vollzogener Einsicht und Scheiß-drauf-Attitüde stattfinden, lassen eher auf Letzteres schließen. Lakmann zieht den Hörer in seine Welt, seinen Kampf mit der Zeit und der Szene.

Ohne zu sehr in die Küchenpsychologie abzugleiten: Ein wichtiger Schritt zur Bewältigung von schwierigen Lebenswegen gehört das Thematisieren und Aushalten von Widersprüchlichem. Genau das spiegelt die Platte wider. Die Ruhrpott-Rap-Identität hat Lakmann mitgeprägt und zementiert. Vielleicht könnte er als Projekt für das nächste Album angehen, die eigene Rap-Identität mit dem Zeitgeist noch ein Stückchen mehr zu vereinen. Wenn Wachstum der natürliche Prozess der Wittener Legende ist, sollte das möglich sein.