Fruchtmax & Hugo Nameless Auf der Jagd nach dem Hak

Auf der Jagd nach dem Hak
ALL GOOD Punchline Kann man ahnen!

Für alle Leser, die kein Profil beim Kurznachrichtendienst Twitter besitzen oder trotz dort angelegtem Account noch so etwas wie ein echtes Leben abseits des digitalen haben, sei dieser Rezension ein kleiner Disclaimer vorangestellt.

Twitter hat sich im Hinblick auf deutschen Rap nämlich irgendwie verselbstständigt. Es ist vom bloßen News-Aggregator und der Möglichkeit des Direktkontakt mit Fans zu einer Art Sammelbecken anonymer Avatare – @Jurastudent_RU, @managercharmant, @5EurSchlaucher, @KuhherdenJoe oder @ElmoMW – entwickelt, die nichts besseres zu tun haben, als sich über einen Großteil des deutschen Raps lustig zu machen, indem sie Fler oder Toony trollen. Erst neulich hat ein Twitter-Nutzer mit dem Namen @bolizist zum Beispiel dafür gesorgt, dass Sentino wutentbrannt sein Twitter-Profil gelöscht hat.

Genau dieser dauerironischen Deutschrap-Rezeption in Echtzeit sind auch Fruchtmax und Hugo Nameless entsprungen. Sie bringen selbst jede Menge eigene, auf der von Money Boy erfundenen und sich ständig weiterentwickelnden Slangsprache basierende Redewendungen und Running Gags – kurzum: Memes – hervor und veröffentlichen jetzt ihr erstes Mixtape »Auf der Jagd nach dem Hak«. Es kommt passenderweise gleich mit Cover von Graphizzle Novizzle. Und natürlich sind die 14 Songs der beiden Newcomer aus Berlin folglich auch ein klanggewordener Querschnitt genau dieses eben beschriebenen Kosmos.

Gleich zu Beginn haben wir es mit der Großtat »Juckt« zu tun. »Juckt« beziehungsweise »Juqqt«, kürzlich für wenige Wochen mal die geslangte Kurzform von »juckt mich nicht«, wird hier kurzerhand zum Songkonzept der größtmöglichen Gleichgültigkeit umgemünzt und steht, wenn man so will, in einer Tradition mit »Is mir egal« von Der Tobi und Das Bo aus dem Jahr 1996. Fruchtmax und Hugo Nameless übersetzen den 20 Jahre alten Schulterzucker ins Jetzt und kleiden die Wurschtheit eben in ein zeitgemäßes Sound-Gewand.

In der Tradition all jener Rap-Songs, in denen der Name einer mehr oder weniger bekannten Person Synonym für einen bestimmten Lifestyle steht – »Justin Bieber« von Lil B oder »Shabba« von A$AP Ferg und A$AP Rocky oder »Tony Montana« von Future –, haben Fruchtmax und Hugo Nameless einen Track aufgenommen, der einem gewissen »Alberto Sieef« huldigt. Alberto Sieef heißt eigentlich Steven Schliephake und ist, ähnlich wie Hans Entertainment mit seinen Momenten vor gut einem Jahr, aufgrund seiner bisweilen recht seltsamen, oft aber auch einfach nur extrem lustigen Eigenarten binnen kürzester Zeit zu einem lebendigen Meme geworden. Auch weil sich die gesteigerte Aufmerksamkeit seitens einer kleinen, aber treuen Internet-Fangemeinde sehr gut mit Alberto Sieefs Aufmerksamkeitsdefizit ergänzt. So lädt er in überdurchschnittlich hoher Frequenz neue Tweets, Facebook-Posts, Instagram-Fotos und YouTube-Clips ins Netz, in denen man ihm dabei zusehen kann, wie er enorme Mengen Fast-Food, Süßigkeiten und Energydrinks konsumiert, ohne sonderlich viel Körpergewicht zuzunehmen. Außerdem schaut er gerne Fußball, erschreckt seine Familienmitglieder, räumt sein Zimmer auf, geht zum Frisör oder kauft neue Lebensmittel mit enorm hoher E-Stoff-Dichte ein.

Alberto Sieef hat in seinen Videos Formulierungen wie »Was geht ab, Freunde? Ich hoffe, euch geht’s gut genauso wie wir.« oder auch Begrifflichkeiten wie »belastend« bekannt gemacht. Seine Fans sind – genau wie er – »aktiefe Spritzer«. Fruchtmax und Hugo Nameless zollen dieser kaum in Worte zu fassenden Absurdität mit einem Song Respekt, der all diese Eigenarten aufzählt.

Und sonst? Zum Candy-Beat von »Benza« fahren die elektrischen Fensterheber herrlich smooth in die Autotüren hinab und der Extra-Swerve durch den Feierabendverkehr wird dank amüsanten Anmach-Anekdoten von Fruchtmax, Hugo Nameless und Lean Cooper um einiges erträglicher. »Der Pain wird betäubt« ist auf der anderen Seite die tieftraurige Beschreibung der drogeninduzierten Realitätsflucht aus einer Welt, in der bis auf die Graffiti und Leuchtreklamen nichts Schönes mehr vorzufinden ist.

»Mein Handgelenk zerbricht« mit Kulturerbe Achim huldigt derweil exzessiven Cooking-Dance-Choreografien, während Hinterteile bei »Shake dein GÖT« bis zum Geht-nicht-mehr schwingen und zucken. Und dann ist da natürlich noch der Standout-Track »WKM$NSHG«, der durch Co-Signs von Frauenarzt und Dendemann sowie Remixen mit Money Boy, MC Smook und Juicy Gay größere Bekanntheit erlangte.

Von dem Remixen hat es neben dem Original auch die gemeinsame Neuinterpretation mit Juicy Gay auf das Tape geschafft. Zum Glück. Die Version ist noch ein ganzes Stück besser als das Original – das liegt zum einen am Beat von 101 und zum anderen an Juicy Gay, der der Hedonisten-Hymne im hinteren Drittel mit Auto-Tune auf Anschlag nochmal zu einem berechtigten Bekanntheits-Boost verholfen hat.

Für alle, denen es noch nicht klar war: »WKM$N$HG« steht übrigens für »Wie kann man sich nur so hart gönnen?«. Gönnen steht hier nicht dafür, dass man das Glück eines anderen neidlos anerkennt, sondern vielmehr dafür, sich selbst etwas zukommen zu lassen und diesen Vorgang gebührend zu genießen. Ursprünglich bereits von MontanaMax und Shiml seit 2007 von Bremen aus in den Deutschrap-Sprachgebrauch implementiert, erfreut sich dieser Terminus seit einiger Zeit in der Lang- oder Kurzform neuer Beliebtheit.

Die Kommentare unter dem dazugehörigen Video von Timo Milbredt waren bisweilen erschreckend. Natürlich muss man die Musik von Fruchtmax, Hugo Nameless oder auch Juicy Gay nicht mögen. Aber wie hier ein paar Typen Rap mit zeitgemäßer Musik wieder dorthin zurückführen, wo er mal gestartet ist – nämlich an den Punkt, an dem Rap eine Ausdrucksform für alles und jeden war – verdient durchaus Respekt.

»Meine Mama fragt seit Tages was ich mach‘, ey / Ich bin auf der Jagd nach dem Hak, ey / Womit hab‘ ich die letzten Jahre so verbracht?/ Ich war auf der Jagd nach dem Hak« heißt es im Titelsong des Tapes. Hak ist türkisch und heißt so viel wie »Recht« oder »Anteil« – auch wieder so ein Meme. Ursprünglich von Summer Cem eingeführt und sogar zum Albumtitel gemacht, hat sich das Wort verselbstständigt und wird zum Synonym für eingeforderten Respekt seitens der Szene. Den Müttern von Fruchtmax und Hugo Nameless sei hiermit gesagt, dass sie sich keine Sorgen mehr über die Zukunft ihrer Zöglinge machen müssen – vorerst hat die Pirsch der beiden ein Ende. Vorerst.

Was danach passiert, wird sich zeigen. Fruchtmax und Hugo Nameless rappen beide noch nicht lange. Das hört man am, wie Dendemann es unlängst nannte, »kaltherzigen Flow«, den beide auf einem Gros der Songs ausgepackt haben. Andererseits lebt das Tape eben auch mehr vom inhaltlichen und gestalterischen Gemisch aus tagesaktuellen Twitter-Topoi und Meme-Humor als vom hohen Anspruch in Sachen Handwerk.

Nur: Es ist eben auch genau dieser Ansatz, der das Tape so spannend macht. Hier haben sich zwei zusammengetan, die Spaß an der Sache haben, einfach etwas gemacht und anschließend rausgebracht, ohne groß darüber nachzudenken, ob sich damit eine schnelle Mark machen lässt. Mit diesem Trial-and-Error-Rap schlagen die beiden genau in die Kerbe, die deutschen Rap dieser Tage insgesamt so interessant macht.

Ob »Auf der Jagd nach dem Hak« einfach nur ein ironischer Turn-Up-Soundtrack ist, dessen Leistung im kongenialen Transfer von musikalischen und inhaltlichen Mustern ins Deutsche begründet liegt oder das Ganze verrätselter Meta-Rap ist und Fruchtmax und Hugo Nameless bei ihrem Großwerden in Berlin wirklich so viel Pain empfinden, der betäubt werden muss, ist mir dabei erst mal herzlich egal.

Ob diese Art von Rap tatsächlich Bestand haben wird, muss sich erst noch zeigen. Aber bis dahin gilt: So pointiert wie die beiden hat noch keiner deutschen Meme-Rap in a nutshell gemacht. Kann man ahnen.