Fatoni & Dexter Yo, Picasso!

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ALL GOOD Punchline Das geht nicht klüger!

»Dieser Szene geht es gut, alle haben Platz«, hat Ahzumjot neulich auf seiner sehr guten »Minus«-EP gerappt – das stimmt natürlich nicht so ganz. Genau genommen stimmt nur die zweite Hälfte dieses Satzes. Und sie bedingt, dass der erste Halbsatz falsch ist. Aber der zweite Halbsatz macht auch möglich, dass Leute wie Fatoni endlich mehr Aufmerksamkeit bekommen und vielleicht etwas daran ändern könnten, dass der erste Halbsatz falsch ist.

Das ist erfreulich. Denn wenn deutscher Rap eines braucht, dann nicht das nächste findige Image, einen Videoblog oder ein weiteres ausgefuchstes Gimmick in streng limitierten Amazon-Boxen, sondern echte Charaktere. Richtige Typen (oder Frauen!) halt. Leute, die nicht austauschbar sind, und einfach ihr Ding machen.

Typen wie Fatoni. Der ist jemand, der schlaue Dinge einfach und einfache Dinge schlau sagen kann, ohne dass sie allzu schlau klingen. Neulich hat Fatoni zum Beispiel in einem Interview gemeint: »Ich stehe auf Sätze, die sich in sich widersprechen.« Nach diesem Prinzip funktionieren viele Lines und Songs auf »Yo, Picasso!«, dem gemeinsamen Album von Fatoni und Dexter, auf das man nach Track-Großtaten wie »F.U. Nachricht«, »Dicke Hipster« oder »Lauf der Dinge« schon sehnsüchtig gewartet hat.

Das Schöne: Diese auch bereits von Veröffentlichungen wie »Solange früher alles besser war«, »Die Zeit heilt alle Hypes« oder »Nocebo« mit Edgar Wasser bekannte, Herangehensweise droht dabei nie in beißenden Spott oder sonst wie geartete Ironie über das Gesagte abzudriften. Auf »Semmelweisreflex« kann man Fatoni zum Beispiel dabei zuhören, wie er anhand von Ignaz Semmelweis‘ unbeachteten Ideen im Hinblick auf die mangelnde Hygiene bei Ärzten und Krankenhauspersonal im 19. Jahrhundert und Edward Clarks antiemanzipatorische Hochschulpolitik im Migos-Flow und mit Adlibs von Meisinger bis Master P über den Menschen als das klügste aller Geschöpfe nachdenkt.

»Mike« ist ein musikgewordenes Melodram über die eigene Mittelmäßigkeit und gleichzeitig ein hassendes Liebeslied für das The-Streets-Mastermind Mike Skinner, »Kein Tag« huldigt der Zeittotschlagerei auf Suche nach Struktur, »32 Grad« funktioniert trotz Befürchtungen meinerseits auch ohne das geniale Video enorm gut, »Ein schlechter Mensch« ist ein misanthropischer Endloswiderspruch und »ICE Abteil« hat mich als schnellzugnutzenden Dauerpendler ganz tief drinnen berührt und darüberhinaus irgendwie an das Eins-Zwo-Pendant »Unschuld vom Lande« erinnert.

Und dann ist da noch das vor Pathos triefende »Stalingrad«, das die Geschichte eines ackernden Bürohengstes mit Bilderbuchkarriere schildert, die – Spoiler Alert! – ihr erstes Finale im Fremdgehen der Frau findet. Aber Fatoni schafft es, dass selbst diese kitschige Kurzgeschichte durch geschickte Kunstgriffe im letzten Drittel einen lakonischen Bruch bekommt. So viel Liebe für Sprache und das Spiel mit ihr habe ich auf einer deutschen Rap-Platte schon lange nicht mehr gehört.

So gute Beats allerdings auch nicht. Dexter hat knisternde Jazz-Schätzchen, gniedelnde Gitarrenmuckermucke und Blues-Bits in den Sampler geschmissen und daraus ignorant wie eh und je detailverliebte Instrumentals gemacht, die in
Kombination mit absurden Taxifahrtengesprächsfitzeln und depperten Küchentischkonvos in den frühen Morgenstunden den einzig logischen musikalischen Rahmen für dieses Kollabo-Album bilden. Das kann nur Dexter – genau wie übrigens im Jahr 2015 noch einen Part über das Partschreiben wegflexen, als ob es tatsächlich nichts wäre (»ADHS«).

Auch wenn Fatoni und Dexter kein Duo sind und sich nur für das Projekt zusammengeschlossen haben, steht das »Original-Fatoni-und-Dexter-Material« auf »Yo, Picasso!« für mich in einer Linie mit dem Eins-Zwo-Debüt »Gefährliches Halbwissen«. Außerdem: Es ist das bessere Kollabo-Album der KW 45. Und: Es ist in meinen Augen neben »Alles brennt« von Zugezogen Maskulin und LGoonys »Grape Tape« eines der drei besten deutschen Rap-Alben des Jahres 2015.