Creutzfeld & Jakob Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag

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ALL GOOD Punchline Kopfnicker-Scheiß im Loop.

»Du willst rappen? Geh beiseite.«

Man muss sich kurz in diese Zeit versetzen, um zu verstehen, worum es damals eigentlich ging, im goldenen Sommer ’99: Fettes Brot und Freundeskreis dominierten die Charts, Curse und Samy trainierten noch im Untergrund – da kamen auf einmal diese beiden Hardcore-MCs aus dem tiefsten Westen, genauer gesagt aus (ha-ha-ha) Witten im Ruhrgebiet. Jungs wie wir – so Skater-Typen von der Straßenecke halt – in geknickten Starter-Caps und Crewneck-Sweatern. Keine lustigen Wortakrobaten, keine nachdenklichen Politikstudenten. Eher die Kategorie rucksacktragende JUZ-Freestyler, wenn auch in der ganz abgeklärten Variante und mit einem Händchen für Beats ausgestattet, die sowohl der Stones-Throw-Fraktion als auch der damaligen Deutschrap-Core zu gefallen wussten.

Flipstar liebte die großspurigen Ansagen: »HipHop ist in Deutschland meistens Mittelmaß und häufig wack«, hieß es schon gleich im »Anfangsstadium«. Er konnte sich das Austeilen leisten, denn er war Teil der besten Rap-Crew ihrer Zeit. Die erhabene Arroganz von Mr. Staublunge stand in einem stetigen Spannungsfeld zu Lakman Ones kreativem Stream of Consciousness, dessen ungestüme Punchlines sich ähnlich wie die Wildstyle-Pieces im »End To End Burners«-Video in Zeitraffer ausbreiteten. DJ Edla lieferte präzise Cuts und Grönemeyer-Neffe Till Tomorrow erschuf aus den Samples, die vor allem Flipstar anschleppte, minimalistisch raue New-York-Instrumentals, wie sie zu jener Zeit eigentlich nur noch an der US-Westküste in ähnlicher Qualität gebaut wurden.

Kein Wunder, dass Lakman mir gegenüber einmal Defaris »Focused Daily« von 1999 als eine der wichtigsten Platten seines Lebens bezeichnet hat. Das Plattencover habe er tatsächlich komplett inhaliert, erzählte er lachend, weil er es in Joint-Filtern verbaut hatte. Tatsächlich gibt es auch eine musikalische Parallele zwischen dem Defari- und dem C&J-Debüt: Eine gewisse ästhetische Kohärenz, dicht an die Grenze zur Eintönigkeit getrieben, und an bestimmten Stellen sogar bewusst darüber hinaus. 90-BPM-Kopfnicker-Scheiß im ewigen Loop. Keine Effekte. Atmosphärisches Sample, harte Drums, Cuts. Einen Beutel Gras aufrollen, den Beat laufen lassen und one-take drüberbrettern. Schon die »Partner«-Maxi hatte uns mit offenem Mund dastehen lassen, doch was die beiden auf ihrem Debütalbum veranstalteten, war nicht weniger als ein Massaker. Für einen Moment dachten wir, dass wir nie wieder anderen Rap hören wollten.

Oberflächlich betrachtet, wirkt »Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag« als Album eigentlich sehr konstruiert. Es gibt natürlich das bedrohliche DJ-Intro mit Vocal-Cuts aus dem eigenen Katalog, den obligatorischen Weed-Tune (»Zugzwang«) und sogar einen verstolperten Club-Song (»Lass die Puppen tanzen«). Sowohl Flipstar als auch Lakman haben einen Solo-Track, die Features gehören vor allem dem eigenen Umfeld: OnAnOn, Dike, Terence Chill, Lenny und RAG als die originalen Platzhirsche. Inhaltlich geht es über weite Strecken um nichts als den Fakt, dass C&J dich an die Wand rappen können, weil du halt nur ein verdammter bongrauchender Faker bist. Trotzdem oder gerade deshalb gibt es kaum ein Deutschrap-Album, das besser gealtert ist. 15 Jahre später klingen diese Ansagen immer noch asozial herablassend, die Drums drücken immer noch beeindruckend hart. Und mit »Fehdehandschuh« hat das Album sogar den großen Hit, der bis heute jede #Deutschrap-Party rockt – eine der frühen Sternstunden des jungen Berliner Rappers Kool Savas, der mit diesem 16er eine Serie legendärer Wortmeldungen von »LMS« bis »That Smut« fortsetzte.

Das Album landete in den Charts auf Platz 35. Drei Jahre später brachten C&J bei Universal noch ein zweites Album heraus, für das sie mit Guntalk auf Neptunes-inspirierten Synthie-Beats experimentierten und ihrer Zeit damit ein bisschen zu sehr voraus waren. Das Album lief schlechter als das Debüt, C&J dissten ihre eigene Plattenfirma in einem Fernsehinterview und wurden noch in der VÖ-Woche gedroppt. In der Folge wählte Flipstar den bürgerlichen Berufsweg, beendete sein Medizinstudium und arbeitet heute als Unfallchirurg. Trotzdem treten Creutzfeld & Jakob immer noch gemeinsam auf, Laki veröffentlicht in sehr unregelmäßigen Abständen ziemlich großartige Soloplatten und genießt gerade unter den Kollegen im Untergrund maximalen Respekt. Wahrscheinlich klängen die Platten von Morlockk Dilemma, Fatoni oder Audio88 & Yassin anders, hätte es da nicht zuallererst die Kingspitter aus Witten gegeben.

»Strahl wie die Sonne, schein’ wie der Mond / funkel wie die Sterne, heute lebst du, morgen bist du tot.«