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Ein Kommentar von Johann Voigt

Wer HipHop mag, der sollte Feuilletons lesen

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Wenn von der Berichterstattung über HipHop gesprochen wird, existiert angeblich ein Innen– und ein Außen-Blick. Es gibt diejenigen, die über HipHop berichten, Rap hören und sich als Teil einer Szene sehen: Innen. Es gibt Hörer und Journalisten, die das Gleiche machen, aber sich keiner Szene unterordnen. Sie werden vom Innen als Außen verschmäht. Angeblich haben sie keine Ahnung. Angeblich nehmen sie HipHop nicht ernst. Differenziert wird da erst mal nicht. »Das Feuilleton« ist in dieser Einordnung Außen, genau wie die »Bild«-Zeitung, die »RTL 2«-News oder »Taff«. Zu Unrecht!

Innen bedeutet auch (Video)-Interviews zu führen, die sich in einem selbstreferenziellen Mikrokosmos bewegen und Fragen zu Beef, Belanglosigkeiten und Promophasen stellen. Oft sind sie aber nicht klug genug, HipHop in einen größeren kulturellen Kontext einzuordnen oder die Musik über die plakative Ebene hinaus zu analysieren.

Innen bedeutet auch, dass der Chefredakteur eines deutschen HipHop-Mediums parallel zu seiner journalistischen Arbeit eine Agentur führt, die die Labels einiger von ihm interviewter Künstler berät.

Innen bedeutet auch, dass HipHop-Journalisten (aus Geldgründen) gleichzeitig für die Musikindustrie tätig sind.

Innen bedeutet in vielen Fällen Expertise, aber leider oft auch eine gewisse Beschränktheit in der Themenwahl, wenn es über die szenenrelevanten Gefälligkeits-Themen hinausgeht. Vielleicht, um die vermeintlichen Interessen des Publikums zu bedienen, die man aber selbst erst geprägt hat. Der eigene Mikrokosmos und die eigenen Grenzen werden zwar immer wieder in Diskussionsrunden hinterfragt, es ändert sich aber trotzdem wenig. Innen bleibt auch inzestuös. Das hat den Vorteil der Nähe und den Nachteil der Befangenheit. Klicks bleiben unabhängig davon die Währung.

Trotzdem wird von Innen heraus gerne die Berichterstattung der Feuilletons kritisiert oder in Interviews mit einem verschwörerischen Lächeln zitiert. Man ist ja auf der Seite des Künstlers: eine eingeschworene Gemeinschaft. Das ist ein Problem. Nicht nur für HipHop-Journalismus selbst, sondern auch für die Künstler und die Fans. Denn so wird von Innen heraus, aus eigener Verlegenheit, der Blick über die Szene hinaus blockiert. Diesen Blick über die Szene hinaus hat HipHop aber verdient. Denn als Kultur ist er so relevant wie nie: ein wichtiger Bestandteil der heutigen Popkultur. Man muss ihn nicht mehr in Schutz nehmen und gegen vermeintliche »Feinde« verteidigen, wie es die Fanzines (»Mzee«, »MkZwo«, »Backspin«) in den Neunzigern getan haben. Außerdem wird die Mauer zwischen Innen und Außen vor allem von HipHop-Journalisten selbst aufrechterhalten. Aber sie ist nicht mehr zeitgemäß. Die Grenze verschwimmt längst.

Warum bringt es einen also weiter, sich über HipHop nicht nur in HipHop-Medien, sondern auch in den Feuilletons zu informieren? Ganz einfach: Weil sie längst auch Innen sind – nur ohne das Inzestuöse. Feuilletons können über Künstler kritisch berichten. Es ist aus wirtschaftlicher Sicht egal, ob diese danach zum Boykott des Mediums aufrufen. Für HipHop-Medien dagegen bedeuten solche Boykotte irgendwann das Ende. Feuilletons können es sich außerdem leisten, ausführlich über Künstler zu berichten, die musikalisch relevant, aber keine Klick-Garanten sind. Sie messen Künstler eben selten an Flows oder vermeintlicher Authentizität, sondern analysieren vielmehr die soziologisch relevanten Punkte der Musik, ziehen Vergleiche zu Nicht-Rap-Künstlern oder nerden schlicht über Beatstrukturen ab. Heißt: Sie gehen an anderen Punkten in die Tiefe, als viele HipHop-Medien und können sich etwas trauen. Die Relevanz von HipHop wird dort längst nicht mehr bestritten. Jede Woche gibt es in den Feuilletons mindestens drei Artikel zum Thema, mindestens zwei davon sind gut.

Aber Geschrieben vom ahnungslosen Außen? Nein. Stephan Szillus, ehemaliger Chefredakteur der »Juice« schrieb für das Feuilleton der »taz« über HipHop. Daniel Gerhardt, u.a. auch »Juice«-Autor, schreibt für »Die Zeit« über HipHop. Dennis Pohl, ebenfalls gelegentlicher »Juice«-Autor, schreibt für »Spiegel Online« über HipHop. Es gibt unzählige weitere solcher Beispiele. All diese Journalisten sind auch HipHop-Nerds. Sie sind sowohl Innen als auch Außen. Das bedeutet: Sie brechen diese konservative Einordnung auf. Ein Blick in die (Online)-Zeitung erweitert also den eigenen HipHop-Horizont und zerstört die Schranken im Kopf.

Natürlich schaffen auch HipHop-Medien es immer öfter, die eigenen Grenzen zu umschiffen. Dann sind sie weit genug, um zu verstehen, dass die Unterscheidung zwischen Innen und Außen 2017 nicht mehr relevant ist. Dafür kennen sich mittlerweile einfach zu viele Menschen zu gut mit HipHop aus. Nicht nur in den Redaktionen von HipHop-Medien.

Innen, ohne das Außen zuzulassen und andersrum, steht heute deswegen eher für Einschränkungen. Expertise und HipHop-Berichterstattung, die sich mit dem Genre tiefergehender beschäftigt, als es sich das Feuilleton aufgrund seiner Zielgruppe leisten kann, ist natürlich trotzdem wichtig. Eine neue Hybridform des Innen und Außen ist deshalb erstrebenswert. Sowohl das Feuilleton als auch die HipHop-Medien können daran wachsen.