allgood_ralftheil
Ein Kommentar von Ralf Theil

Von Knast, Krawall und Kritik – ein Lehrstück.

Toilet visits can take a while when all your craps are like concrete...

Im Rahmen der ALL GOOD-Kolumne #shitpeoplewrite habe ich mich hier am 17.12. mit dem Artikel »Mit Knast und Krawall an die Musik-Millionen« von Stefan Kreitewolf beschäftigt, veröffentlicht am Vortag bei Handelsblatt Online. Ich war bei weitem nicht alleine mit meiner Kritik an Inhalt und Argumentationsführung. In den folgenden Tagen sammelten sich auf allen Kanälen hunderte Kommentare, mal mehr und mal weniger sachlich, in der überwältigenden Mehrheit aber kritisch. Der folgende Text soll dokumentieren, wie mit der öffentlichen Reaktion umgegangen wurde.

Zunächst mal: gar nicht. Erst am Freitag, 19.12., wurde der fragliche Artikel, der zunächst »versehentlich«, so die Redaktion, im Ressort »Panorama« veröffentlicht wurde, ins Meinungsressort und somit in den Bereich des Subjektiven verschoben. Später am Tag wurde eine Stellungnahme des Autors veröffentlicht, die ähnlich argumentierte: Der Artikel sei lediglich eine Meinungsäußerung, die für Missverständnisse gesorgt habe. Zwar rief Kreitewolf auch zum Verfassen von Repliken auf, ging aber mit keinem Wort auf die offenen Fragen zum Artikel ein: Welche Songtitel meint er in seiner Argumentation? Auf welche HipHop-Geschichtsschreibung bezieht er sich?

Das Handelsblatt selbst schwieg unterdessen. Aus der Redaktion gab es keine öffentlichen Wortmeldungen. Allerdings wurden nachträglich über Tage hinweg mehrere Änderungen am ursprünglichen Artikel vorgenommen, die im direkten Vergleich der Versionen auffallen, ohne zunächst öffentlich dokumentiert zu werden. Erst mit der jüngsten Überarbeitung am 22.12., sechs Tage nach Veröffentlichung, wurden unter dem Artikel zumindest einige der vorwiegend schon am 19.12. vorgenommenen Änderungen aufgelistet. Die erste Version des Artikels ist noch über den Dienst archive.org auffindbar.

Die reißerische Überschrift »Mit Knast und Krawall an die Musik-Millionen« wurde zunächst in »Das Erfolgsrezept der Rapper« geändert, erst seit der letzten Überarbeitung lautet sie »Das Erfolgsrezept der Skandal-Rapper«. »Dadurch soll klarer gestellt werden,« so das Handelsblatt in einer Anmerkung, »dass es in dem Text nicht um die gesamte Rap-Szene als Kulturbewegung geht.«

Die Aufzählungskästchen, die dem Artikel eine weitere widersprüchliche Dimension gaben, heißen heute »Zehn erfolgreiche Rapper« – nicht mehr »Die zehn erfolgreichsten Rapper«. Die »zugespitzte Formulierung«, ursprünglich »Die einfache Gleichung Gewalt = Aufmerksamkeit = Geld« wurde inzwischen ersetzt durch »Die fragwürdigen Begleitumstände des Hip-Hop«. Die Erwähnung von Bushidos mutmaßlichen Kontakten in die Unterwelt fehlt in der aktuellen Fassung ebenso ersatzlos wie die Zwischenüberschrift »Die gewalttätigen Wurzeln des Hip-Hops« – zu diesen beiden Änderungen gibt es keine Anmerkungen. Viele fragwürdige Aussagen und Ergebnisse mangelhafter Recherche stehen nach wie vor unkorrigiert im Artikel.

Besonders schön: ebenfalls seit 22.12. wird durch Einfügungen im Text bestätigt, dass die auf Deutsch übersetzten, vermeintlich gewaltverherrlichenden Songtitel sich wirklich auf jene Songs beziehen, die zu vermuten waren: Zweimal Busta Rhymes, einmal Rage Against The Machine. Dass keiner der Songs Verbrechen und Gewalt propagiert, wie suggeriert werden soll, scheint trotzdem nicht wichtig zu sein – kein Wort über diesen Widerspruch.

Nichtöffentlich passierte indessen Folgendes: Am Vormittag des 19.12. wollte ich per E-Mail vom Handelsblatt wissen, ob die Kritik überhaupt wahrgenommen wurde und ob die Redaktion hinter dem Artikel stehe – meine Anfrage ist hier nachzulesen. Nachmittags – nach der Verschiebung ins Meinungsressort – meldete sich Herr S., Redakteur des Handelsblatt, bei mir und versicherte mir, die Kritik sei wahrgenommen worden. Um dieser Kritik Gehör zu verschaffen, bot er mir auch an, für »Handelsblatt Online« eine Replik auf den Artikel zu verfassen, die sich sachlich mit dem Thema »Rap und Gewalt« befasse. In der weiteren Kommunikation schaltete Herr S. zwei Kollegen aus der Redaktion ein.

Eigentlich ein ganz reizvoller Gedanke, hier ein paar Dinge für ein Publikum klarzustellen, das sich nicht auf ALL GOOD und in Facebook-Kommentarbereichen tummelt. Also führte ich aus, was ich gerne machen würde – und dass es dabei eben nicht nur um eine zweite Meinung gehen müsse, sondern unbedingt auch um Kritik am Handwerk des Autors und der zuständigen Redaktion, die mit einem solchen Artikel sicher anders umgegangen wäre, wenn Mercedes-Benz oder die Deutsche Bahn das Thema gewesen wären. Daraufhin wurde mir unmissverständlich erklärt, dass eine solche Debatte über den Artikel von der Redaktion inhaltlich nicht gewollt sei – ebenso wenig eine Diskussion darüber, wie die Redaktion damit umgegangen sei.

Deswegen habe ich mich – am 22.12. und vor den jüngsten Überarbeitungen des Handelsblatt-Textes – dagegen entschieden, nach diesen Vorgaben eine Replik auf den Artikel von Stefan Kreitewolf zu schreiben. So eine Replik könnte kaum mehr sein als eine zahnlose Alibi-Zweitmeinung, mit der die Handelsblatt-Redaktion die Angelegenheit für sich abschließt. Der Rückzug auf die Position, hier gehe es nur um Meinungen und Missverständnisse, verfehlt das Thema und lässt wichtige Versäumnisse unkommentiert. Die eigentliche Meinung von Herrn Kreitewolf ist mir inzwischen ziemlich egal. Niemand muss HipHop mögen. Wie er diese Meinung aber zwanghaft herbeiredet und mit teils unhaltbaren Argumenten untermauert, die zeigen, wie wenig er sich mit der Materie befasst hat, ärgert mich. Dass er das auch noch auf so einer renommierten Plattform öffentlich tun kann, ohne dass jemand wirklich begreift, dass »Bullet In The Head« keine Gewalt-Hymne und HipHop nicht inhärent kriminell oder gewalttätig ist, ist einfach beschämend.

Ja, das Verhältnis von Rap zu Gewalt und Kriminalität bietet ohne Zweifel viel Diskussionsstoff. Aber so kann diese Diskussion nicht geführt werden.

Bild: Jes – »those constipation blues« / Lizenz: CC BY-SA 2.0