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Ein Kommentar von Johann Voigt

Rap positioniert sich, Rap blamiert sich

#wirsindmehr

Ein Teil der deutschen Rapszene ist federführend bei den antirassistischen Protesten bei #wirsindmehr in Chemnitz. Ein anderer Teil blamiert sich.

Daniel H. wurde in Chemnitz ermordet. Rechtsextreme und Mitläufer nahmen das in den darauffolgenden Tagen zum Anlass, um zu »trauern«. Die vermeintliche »Trauer« bestand auch aus Übergriffen gegen Menschen mit Migrationshintergrund, Andersdenkende, Journalisten, die Polizei und aus dem Zeigen von Hitlergrüßen. Die Gegendemonstranten waren in der Unterzahl. Doch am 3. September kursierten andere Bilder aus Chemnitz. Lachende Gesichter waren zu sehen, keine verzerrten Fratzen und keine Deutschlandfahnen. Pop stellte sich an diesem Tag gegen rechte Hetze. 65.000 hauptsächlich junge Menschen sahen sich Konzerte bei #wirsindmehr mitten in der Stadt an. Eine Besonderheit an diesem Abend war: Ein Großteil der auftretenden Künstlerinnen und Künstler waren Rapper.

Mit Casper, Marteria, Nura, Trettman, K.I.Z und letztlich auch Kraftklub haben sich einige der relevantesten Vertreter der deutschen HipHop-Szene zusammengeschlossen, um ihre Meinung zu äußern. Live From Earth besorgte danach die After-Party. Das war so nicht zu erwarten. Natürlich ist es eine jahrzehntelange Tradition, dass sich Rapper gegen Rassismus und für marginalisierte Gruppen einsetzen. Natürlich gab es Advanced Chemistry, die mit »Fremd im eigenen Land« direkt auf die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen reagierten und die Brothers Keepers, die mit »Adriano« eine der größten deutschsprachigen Antirassismus-Hymnen aufnahmen.

Doch in den letzten Jahren waren andere Themen wichtiger. Rapper battleten sich lieber gegenseitig als Rechtsextreme, machten Koks zur wichtigsten Droge im Deutschrapkosmos und trugen sehr viel sehr teure Kleidung. Das hat seine Berechtigung, seinen Unterhaltungswert. Doch viele Rapper waren so bedacht darauf, ihre Aura der Coolness oder ihre Kredibilität aufrechtzuerhalten, dass für eine politische Positionierung einfach keine Zeit blieb. Rapper dachten vor allem an sich.

In den letzten Jahren gab es zwar aktive »Zeckenrapper«, die sich intensiv mit politischen Diskursen auseinandersetzten, doch ihre Musik existierte nur innerhalb einer kleinen Subszene. Selten waren ihre Songs wirklich populär. Ansonsten waren es immer dieselben großen Namen, die sich neben ihrer Musik politisch engagierten. Künstler wie die Antilopen Gang, Audio88 & Yassin, Eko Fresh, Megaloh, K.I.Z oder Zugezogen Maskulin. Die meisten anderen blieben lieber still oder sorgten wie etwa Kollegah oder Bushido mit politischen Äußerungen für Kontroversen.

Viele Straßenrapper schildern zwar Beobachtungen aus der Sicht von marginalisierten Gruppen, aber klare Statements gab es maximal gegen die Polizei. Die politische Ebene musste man sich als Hörer selbst konstruieren. Natürlich muss Musik nicht explizit politisch sein, das macht sie oft sogar sperriger und für viele uninteressanter. Doch zumindest klare Statements von Rappern mit hoher Reichweite wären ein Anfang. Wer den ganzen Tag seine Autos, seine Gucci-Kleidung oder irgendwelche Luxus-Strandressorts in seiner Instagram-Story zeigen kann, der kann sich auch eine Minute lang gegen Rechtsextremismus positionieren oder sich mit Betroffenen solidarisieren.

Geändert hat sich an der Grundsituation nach #wirsindmehr nichts. Trotzdem ist die Veranstaltung ein Zeichen. Zum einen für das Potenzial, das reichweitenstarke Künstler aus der Szene haben – unzählige Besucher trugen dort das Merch ihrer Lieblingsrapper und kamen vor allem wegen ihnen. Zum anderen für die Glaubwürdigkeit der Rapszene, die doch angeblich noch immer eine Kultur der Außenseiter und Unterdrückten ist und sich für diese auch einsetzt. Das hätte es also sein können: ein Anfang, ein erneuter Schritt in die richtige Richtung nach dem kollektiven Verstummen von einem Großteil der Szene.

Doch anstatt sich über die Relevanz von HipHop bei dieser Veranstaltung und den Erfolg von #wirsindmehr zu freuen, reagierten Kool Savas und vor allem Fler wie eingeschnappte Kleinkinder, die nicht mitspielen durften. »Zu #wirsindmehr wird man mich wohl nie einladen«, schrieb Savas in einem mittlerweile gelöschten Tweet. Dass es bei einer Veranstaltung gegen Rechtsextremismus nicht um Einladungen, sondern um Eigeninitiative geht, hat Savas wohl nicht verstanden. Anstatt sich zu kümmern, diskreditiert er indirekt das Engagement all derer, die sich gekümmert haben.

Noch weniger verstanden hat Fler. Weil er zu allem immer irgendwas zu sagen hat, antwortete er Savas: »Lass uns doch n Konzert für die Leute machen die ermordet wurden?« Danach pöbelte er gegen Menschen, die ihn für diese Aussage kritisierten, drohte absurderweise jemandem mit einem Messerstich und schrieb über die NSU-Morde: »du meinst die nsu morde die der geheimdienst finanziert hat um opfer wie dich zu mobilisieren? #wirsindweniger«. Für welche Mordopfer Fler nun eigentlich spielen möchte, wer »weniger« ist, warum Fler sich gegen die Relevanz seiner Szene stellt, die er doch sonst immer einfordert – all das bleibt unklar. Dass bei #wirsindmehr Spenden für die Familie des ermordeten Daniel H. gesammelt wurden und es zu Beginn eine Schweigeminute gab, hat er nicht mitbekommen. Einige Rapper können Konkurrenzgedanken scheinbar nicht mal dann abstellen, wenn es gemeinsam um die gute Sache geht und mal nicht um sie. Selbst Helene Fischer, die nie aneckt, immer stumm bleibt, äußerte sich empathischer zu #wirsindmehr als Fler und Savas.

Die Veranstaltung beweist, dass Rapper nicht unpolitisch sind, es nie waren, dass sie stellvertretend für deutsche Musiker gegen Rechtsextreme einstehen, bei einem Event, dass Hunderttausende mitbekommen haben. Die Passivität der Szene und die unnötigen Provokationen auf der anderen Seite zeigen aber, dass vielen Rappern ein Bewusstsein dafür fehlt, wann es nötig ist, sich zu äußern und vor allem wie. Das muss sich ändern!