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Ein Kommentar von Jan Wehn

Hipster, Hass und Hipsterhass

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Deutscher Rap hat ein neues Feindbild. Nach dem Wack MC, dem Hater, dem YouTube-Kommentator und dem 31er ist es, natürlich, der Hipster. Wobei: Eigentlich war er das schon vor dem 31er. Aber seit Fler gestern das neue Video zu »Hipster Hass« [sic] veröffentlicht hat, lohnt es sich doch, dieses Deutschrap-Feindbild noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Für all diejenigen, die sich das dreieinhalbminütige Video nicht ansehen möchten, habe ich noch mal alle wichtigen Aussagen zusammengefasst:

  • Hipster sind eher schmächtig – hätte Fler nicht so ein breites Kreuz, wäre er auch gern ein Hipster
  • Hipster sind Leute wie MC Fitti, die den ganzen Tag Club Mate trinken
  • Hipster sind neopostmoderne Aliens, die enge Hosen tragen
  • Hipster instagramen und halten sich für Künstler
  • Hipster sind Veganer und gehen zum Yoga
  • Hipster hören Dubstep
  • Hipster sind Leute wie Casper, die in Flers Augen wie Punker aussehen
  • Hipster gehen auf die Modemesse »Bread & Butter«
  • Hipster sagen »YOLO«
  • Hipster tragen Rucksäcke
  • Hipster haben Jutebeutel-Swag und dieser ist in Schöneberg ein No-Go
  • Hipster reden heimlich hinter dem Rücken über Prolls
  • Hipster schlagen die Beine übereinander und sehen dabei aus wie Schwuchteln
  • Hipster gehen ins »Berghain«, während Fler nicht ins »Cookies« kommt
  • Hipster tragen Pullis von Bands, die keiner kennt
  • Hipster mögen Secondhand, weil das für sie ein Designer-Trend ist

Ich musste mir beim Schauen mehrfach an den Kopf packen. Abgesehen davon, dass das Herumhacken auf dem Hipster 2014 wirklich keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlockt, ist an den von Fler genannten Charakteriska gehörig viel falsch. Mit gefährlichem Halbwissen vermischt Fler das Image von Zugezogenen, modebewussten Menschen, Leuten mit ausgesuchtem Musikgeschmack, Nerds, sowie diverser weiterer Subkulturen, Freizeitbeschäftigungen und Ernährungsweisen zu einem dermaßen schiefen Feindbild, dass mir in regelmäßigen Abständen der Hut hochging.

Das hat gar nichts damit zu tun, dass ich mich als zugezogener Berliner mit Interesse für Musik, Mode, gesundes Essen und Kunst angesprochen und gekränkt fühle. Mich stört vielmehr, dass der Hipster per se einfach falsch dargestellt wird. Und dass jede Zeile in einem Rap-Song und jedes pseudolustige Klischee-Video auf YouTube zum Missverständnis dieser vielleicht gar nicht mal wichtigen, aber definitiv präsenten und einflussreichen Subkultur beitragen.

Die große Frage ist natürlich: Was um Himmels Willen ist denn eigentlich ein Hipster? Zum einen sind da die Hipster des 20. Jahrhunderts: Die amerikanische Entsprechung des europäischen Bohémien, zu finden im modernen Jazz und in der Beat Generation. Und dann gibt es den Hipster des 21. Jahrhunderts.

Und dem ist besonders eines wichtig: Abgrenzung. Durch die eigene Vercoolisierung. Hipster sind Tastemaker und Early Adopter. Menschen, die vor anderen Menschen wissen, was die Menschen, die das nicht wissen, bald cool finden werden. Und weil sie beinahe prophetische Fähigkeiten haben, führen sie die Mode, Musik oder sonstige Eigenschaften vor allen anderen spazieren.

Was genau das jetzt ist, kann jeder für sich selbst entscheiden: Die Bandbreite reicht von Bands, die keiner kennt, über gewagte Outfits bis hin zu tätowierten Armen, einen Fetisch für Dreiecke oder Milchstraßen, vegane Ernährung, gleichgeschlechtliche Liebe, die eine oder andere Flasche Club Mate, dickgerahmte Hornbrillen, überteuerte Apple-Produkte, Frisuren wie den Undercut, Fahrräder ohne Gangschaltung oder die Verwendung von solch sinnfreien Aphorismen wie »YOLO«.

All die Hipster, über die sich auch deutscher Rap derzeit so genüsslich amüsiert, sind längst schon woanders. Wirklich. Die machen ganz andere Sachen. Sich zum Beispiel für Normcore interessieren. Aber all das, was sie zurückgelassen haben, steht jetzt synonym für eine Spezies, deren Definition quasi unmöglich ist, da sie eigentlich kaum bis gar nicht greifbar ist. Der Mainstream hat eben nur viele Attribute des Hipsters aus den Jahren 2005 bis 2011 adaptiert, also der Phase, in der diese Subkultur deckungsgleich mit der Twenty-Something-Generation war. Und dort dümpeln all diese Klischees gerade herum und werden von deutschen Rappern nach Lust und Laune ausgeschlachtet.

Sera Finale echauffierte sich bereits 2011 über Zugezogene mit »Seidenschal, Röhrenjeans, Hornbrille, Sektflöte«. Apropos Röhrenjeans: Mag sein, dass eine Menge Jugendlicher auf der ganzen Welt eine Zeit lang gerne enge Hosen trugen. Ein Indikator für das Dasein als Hipster sind sie dennoch nicht. Und dennoch ist das Kleidungsstück vielen Rappern – von Haftbefehl, Olexesh, Abdi, Marc Reis bis Fard ein Dorn im Auge. Ist ja auch logisch. In engen Hosen haben dicke Eier nun mal keinen Platz.

Abseits der recht einfältigen Kritik am Beinkleid des Hipsters, gibt es natürlich auch durchaus differenzierte Kritik am Erscheinungsbild. Im Video zu »Rap-Böhse Onkelz« machten die Freunde von Niemand etwa gemeinsam Jagd auf zwei Jungs, die ihrer Meinung nach wohl Hipster darstellen sollten, aber mit Justin-Bieber-Gedenkfrisur und umgehangener Bauchtausche mehr an modisch verwirrte Siebtklässler erinnerten.

RAF Camora karikierte das Hipster-Dasein auf dem Track »Mein Croko ist Hipster« hingegen recht treffend, während 4Tunes Versuch, Parallelen zwischen »Steve Urkel« und dem Hipster in »Ray-Bans, Basecap und YOLO-Hemd« herzustellen, gehörig daneben ging. SSIO versuchte auf dem Track »Bonn 17« im »H&M-Style« in die Disco zu kommen. Will heißen: »Brille ohne Glas und ‚nen Seitenscheitel«. Daran ist schon wieder einiges falsch. Zum einen kaufen Hipster mit Sicherheit überall ein, nur nicht bei H&M. Zum anderen tragen Hipster keine Brillen ohne Glas, sondern vermutlich eher welche mit Fensterglas ohne Stärke.

Was SSIO hingegegen gut beobachtet hat, ist, dass die schwedische Modekette nicht ganz unschuldig an dem etwas schiefen Bild des Hipsters ist: der von Cro aus Tumblr-Blogs adaptierte Look für das »Easy«-Video wurde blitzschnell auf die Stange gebracht. Und wo wir schon bei Cro sind: Auch wenn viele den Stuttgarter gerne als Sinnbild des Hipsters hätten – er ist es nicht. Klar trägt er enge Hosen, ist superdünn, mag teure Turnschuhe, Skateboardfahren und customized gerne Kleidung – aber es fehlt an early adopterism. Casper ist viel zu in depth und wirklich mit unterschiedlicher Musik aufgewachsen, als das man ihn als Hipster bezeichnen könnte. Und Prinz Pi kokettiert vermutlich mehr mit dem Image des Dandys als dem des Hipsters.

Bleibt noch MC Fitti, der ja auch von Fler in »Hipster Hass« ein paar Worte mit auf dem Weg bekommt. Klar trägt der gerne Rauschebart, trinkt Club Mate, wirft mit »YOLO«- und »Swag«-Phrasen um sich – aber er schmückt sich nicht mit diesem Auskennerding. Und genau das ist ja eigentlich ein zentraler Bestandteil des Hipsters im 21. Jahrhundert.

Aber: Fler kann überhaupt nichts dafür. Deutschraps Feindbild ist per se viel zu vage und ungenau und enttarnt nicht nur die YOLO-Kids, sondern auch die Rapper selbst als ziemlich unwissende Kulturbanausen. Das nächste Mal also bitte vorher schlau machen, anstatt mit gefährlichem Halbwissen um sich zu werfen.