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Ein Kommentar von Marc Dietrich

2014 / THE RAP UP:
Haftbefehls Einbruch in den Feuilleton-Olymp

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Ein Highlight des Rap-Jahres? Eindeutig Haftbefehls Einbruch in den Feuilleton-Olymp. Dass Hafti-Releases szeneintern überwiegend gefeiert werden: geschenkt. Dass seine Singles mittlerweile auf keiner Playlist einer Semester-Irgendwas-Party fehlen dürfen, ist seit »Chabos wissen wer der Babo ist« auch Normalität. Wie stark aber die geradezu herzliche Umarmung des Feuilletons von Haftbefehls »Russisch Roulette« ausfiel – das erwischte einen dann doch unvorbereitet.

Noch vor wenigen Wochen wagte Kollege Daniel Köhler eine ironische Prognose hinsichtlich der öffentlichen Rezeptionsdynamik des »Lass die Affen aus dem Zoo«-Videos. Orakelt wurde im Grunde genommen eine harsche (eben absehbare) Entrüstung, garniert mit hysterischen Zensuraufschreien. »Business as usual« kann man als Zyniker sagen – und so hatte man es auch irgendwie erwartet.

Es kam aber anders. Die Feuilletonstimmen seien hier mal großzügig paraphrasiert: Haftbefehl ist der wortgewaltigste Dichter der Gegenwart, Houellebecq und Ellis läuft angesichts der punktgenau drastischen Bildkonstruktionen das Wasser vor Neid im Maul zusammen. Es werden nicht nur musikalische Qualitäten goutiert – was mit Blick auf die traditionell tendenziöse Feuilletonbesprechung von Straßen-Rap bereits außergewöhnlich ist – sondern vor allem das Zusammenspiel von Form und Inhalt. Dabei wird eines deutlich: Gangsta- oder Straßen-Rap wird zum ersten Mal seit Entstehung des Genres in Deutschland fast flächendeckend als etwas anerkannt, was tatsächlich mit Kunst zu tun haben könnte. Das schreibt zwar in dieser Pointierung kaum einer, es lässt sich aber an dem Gestus der Berichterstattung ablesen: Eine Haftbefehl-Textpassage (wohlwollend) als »Palimpseste« im Sinne Gérard Genettes zu bezeichnen oder aber, wie in »Zeit Online«, den Künstlernamen als etwas zu feiern, das dem Diskursanalytiker Michel Foucault gefallen hätte, bedeutet nicht weniger als solche analytischen Mittel auf Material anzuwenden, die sonst für (Hoch-)Literatur und damit die Kunst reserviert sind.

 

 

Ob die Analysen im Einzelnen zutreffend sind, ist hier zunächst uninteressant. In der schieren Tatsache, dass hier auf Gangsta-Rap mit literatur- und kulturwissenschaftlichen Begriffen und Autoren zugegriffen wird, dokumentiert sich eine Praxis der Anerkennung. Die Tragweite dieser Anerkennungspraxis, die man auch nicht überbewerten und als Momentaufnahme nehmen sollte, wird klarer, wenn man sich vor Augen hält, was das Feuilleton eigentlich idealtypischerweise ist: eine Instanz, die einer breiten interessierten Öffentlichkeit politische und vor allem kunst- und kulturaffine Ereignisse – stilistisch von den anderen Ressorts abweichend – nahe bringt. Eine Institution des Mediensystems, die unter erkennbar intellektuell orientierten Vorzeichen die Umwelt beobachtet und mittels mehr oder weniger reflektierter (»Güte«-)Kriterien Themen auswählt, die auch einem vermuteten Publikum gefallen könnten. Das heißt: In dem Moment, wo harte oder gewalthaltige – oft aus einer (post-)migrantischen Perspektive skizzierte – Inhalte nicht mehr allein zum Stichwortgeber eines Vollverisses, einer kulturpessimistischen Zeitdiagnose oder aber einer ironieberstenden Gonzo-Reportage werden, erscheint Straßen-Rap als seriös zu betrachtender Gegenstand, der als solcher an eine tendenziell rapferne Öffentlichkeit dringt.

Die öffentliche Wahrnehmung – zunächst von Haftbefehl, vielleicht auch dem Genre insgesamt – ist ab hier eine andere. Zweifelsohne sind verankerte Denkmuster und etablierte Ressentiments nicht durch ein paar positive Rezensionen aus den Angeln gehoben – weder bei »der Öffentlichkeit«, noch auf Seiten der von ihr gelesenen Zeitungen. Dass diese punktuelle Aufwertung auch viel Skepsis und Polemik auslöst, zeigen die Kommentare unter den Rezensionen ganz deutlich. Der wahrscheinlich schrillste Aufschrei fand dann aber doch noch dort statt, wo kurz zuvor auch die Lobeshymne auf Haftbefehl am lautesten ausgefallen war: In der »Zeit«-Ausgabe vom 4. Dezember schreibt die Journalistin Helga Hirsch einen Kommentar, dessen Überschrift und Untertitel das Schlimmste befürchten lassen:

»Herr Hassbefehl und sein Fan. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Tod von Tugce A. und Gangsta-Rap. Wie lange wollen wir die Verherrlichung von Gewalt noch ›Kunst‹ nennen?«

»Herr Haftbefehl« wird dann als jemand eingeführt, den man sich bedeutungsbezogen erst ergoogeln musste. Erkannt wird ein »Zusammenhang« zwischen einer problematischen Gesellschaft und Rappern, die »sich ihren Hass nicht anders als im Tabubruch aus der Seele schreien« können. Solche Männer suchten den Tabubruch gezielt, »um es dem Scheiß-System und den Scheiß-Börsenhaien und den Scheiß-Juden und den Scheiß-Anwälten und allen anderen heimzuzahlen, die dieses System stützen und von ihm profitieren«. Was dann folgt, sind ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Zitatfetzen und Assoziationen zu den »Russisch Roulette«-Videos. Das im Internet aufgetauchte Bild des Täters, der sich als Fan mit Haftbefehl ablichten ließ, wird angesprochen. Der Artikel endet mit dem Statement: »Tugce ist tot. Ich wünschte, ihr Tod könnte etwas bewirken: dass wir die Verherrlichung von Hass und Gewalt nicht mehr dulden und nach Wegen suchen, Dialog und Kooperation durchzusetzen – in dieser unserer Gesellschaft.«

Es gibt gute und absolut diskutable Gründe Haftbefehl zu kritisieren. Das Problematische des Beitrags ist aber nicht die Kritik an Haftbefehl-Texten oder den drastischen Videos. Das Problem ist die mangelnde Verständigungsorientierung – eigentlich eine Grundbedingung für einen ernsthaften Diskurs. Verpasst wurde die Chance, eine Reihe präziser, kritischer Fragen stellen. Zum Beispiel, warum in Kenntnis einer auch sehr jungen Fanschaft immer wieder die Grenze zwischen Kunstfigur und Mensch »dahinter« verwischt wird. Oder die Frage danach, warum interviewabhängig behauptet wird, die Texte seien entweder fiktional und stark stilisiert oder aber sehr nah an der Wirklichkeit. Oder die Frage, warum ein Video wie »Lass die Affen aus dem Zoo« so polyvalent gestaltet wird, dass man es extrem unterschiedlich auffassen kann: wohlwollend als übersteuerte Geste der Emanzipation vom amerikanischen Gangsta-Rap, die mit drastischen Szenen auf die eigene Härte aufmerksam macht – oder skeptisch als pure Gewalthymne.

Man könnte dann sehr viel differenzierter und tatsächlich anhand von Bildern und Texten, nicht einzelnen Stellen, in den geforderten Dialog kommen. Man könnte über die Genretradition und Sprachspiele reden (Stichwort: Signifying, Playing the Dozens, Braggin‘ & Boastin’) und in diesem Zusammenhang etwa auch über ein älteres Bushido-Statement zu Gangsta-Rap, das er 2011 mal der »Welt am Sonntag« zu Protokoll gab: »Das ist wie musikalisches Boxen […]. Es geht darum, den anderen verbal fertig zu machen, die dicksten Eier zu zeigen. Dazu sucht man das stärkste Bild und das findet man eben im Krieg oder in der Sexualität.« Man könnte darüber reden, ob Pop oder Kunst sich stärker an politischen und moralischen Standards orientieren könnten oder müssten. Ob Pop oder Kunst nicht vielleicht an anderen Kriterien gemessen werden müssen als journalistische oder politische Interventionen. Man könnte deutlicher darüber reden, ob die häufig genretypische, stolze Inszenierung von (post-)migrantischer Devianz und Randständigkeit nicht eindeutiges Zeichen einer hegemonialen Stigmatisierung ist. Einer medialen Repräsentation, die Menschen mit Migrationshintergrund lange Zeit und sehr häufig als integrationsunwillige, gewaltbereite Parallelgesellschaftsvertreter sichtbar machte. Hier fehlt der Versuch zu verstehen, was Straßen- und Gangsta-Rap eigentlich ist und in welche szeneinternen Überzeugungen und Annahmen er eingebettet ist. Dies zu verstehen und näher zu beleuchten – was im Feuilleton beizeiten durchaus geleistet wird –, wäre Aufgabe einer Journalistin, deren Beitrag zwar als »Meinungsäußerung« ausgewiesen ist, im Untertitel aber sehr selbstbewusst ankündigt, den Zusammenhang von Tugces Tod und Gangsta-Rap abzuhandeln.

Davon ist aber, abseits der Google-Recherche, wenig zu vernehmen. Frau Hirsch bietet einen veräußerten inneren Monolog, der vieles anreißt und zu wenig zu Ende denkt. Gestiftet wird ein Suggestivzusammenhang zwischen Gangsta-Rap-Konsum und Gewalthandlung. Was sich hier abzeichnet, ist eine Uralt-Kritik, die immer auch dann auftaucht, wenn etwa Massaker an Schulen oder andere Gewaltexzesse mit dem Hinweis »aufgeklärt« werden, die Täter oder Täterinnen hätten zu viel »Counterstrike« gespielt, Horrorfilme auf der Festplatte gehabt oder eben HipHop gehört. Das ist viel zu einfach.

In der Gesamtschau auf die Rezensionen ist es aber bemerkenswert, dass gerade – oder vielleicht genau deswegen – ein so überzeichnetes Haftbefehl-Album eingeschliffene Bewertungsmuster zumindest irritiert. Und diese Irritation betrifft möglicherweise auch latente Stereotypen. Sagen wir es mal vorsichtig so: Viele Alben-Rezensionen, die von Rappern mit Migrationshintergrund handelten, verrieten oft mehr über die tendenziöse Haltung des Autors als über das Album und seine Qualitäten. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass hier auch gewisse Vorbehalte am Werk waren, welche Menschen mit Akzent selten gute Musik – und schon gar keine Kunst – zugestanden. Das ist im Moment, wo es auch »in« ist, Haftbefehl gut zu finden, anders.

Es bleibt abzuwarten, ob dies 2015 zu einem Dauerzustand wird. Es wird nun interessant, weiterzuverfolgen, wie sich Haftbefehl nach der Ankunft im Feuilleton entwickelt. Das Lob könnte für jemanden, dessen Kunst sich gerade aus dem Status des Marginalisierten formiert, auch ein vergiftetes sein. Wie solche Anerkennungspraktiken und die (potenzielle) Bedienung selbiger verlaufen können, hat man an bei einem anderen großen Genrevertreter und seiner zwischendurch problematischen Karriere beobachten können. Um es im Feuilletonstil zu sagen: Zu hoffen bleibt, dass der Applaus von unerwarteter Seite nicht zu einem russischen Roulette wird, das der eigentliche Schütze mit sich allein und bis zum Ende austragen muss.