allgood_borismayer
Ein Kommentar von Boris Mayer

#ferguson hat US-Rap repolitisiert? Nein.

#ferguson / taz

Jüngst erschien in der Online-Ausgabe der »taz« ein Beitrag mit dem Titel »Zurück in der Community« von Christian Werthschulte, der sich mit dem US-Pop und seinem Umgang mit den Vorgängen in Ferguson auseinandersetzt. Oder doch mit der Frage, ob HipHop unpolitisch war und erst durch Ferguson politisch wurde? Oder ob die Rapper, die sich zu Ferguson äußerten, nun die üblichen Verdächtigen sind oder auf dem Gebiet politischer Äußerungen eher Neulinge? So ganz wird das nicht klar. Christian Werthschulte springt zwischen unausgereiften Gedanken und Allgemeinplätzen hin und her. Ganz nebenbei schmeißt er die Skizze eines entpolitisierten HipHops an die Leinwand, der seiner Meinung nach durch eine einzelne Gewalteskalation wieder politisch aufgeladen wird. Der Hinweis auf ein paar wenige Interviews, spärliche Äußerungen auf dem sozialen Netzwerk Twitter und schnell aufgenommenen Liedern, die über soziale Netzwerke geteilt werden, reichen ihm hier als Belege. Wo soll man da nur anfangen?

Bereits nach der Überschrift schreibt Werthschulte: »Der Rassismus und die Polizeigewalt repolitisieren den US-HipHop (…).« Womit hauptsächlich die Ereignisse in der Kleinstadt Ferguson gemeint sind, wo der 18-jährige afroamerikanische Schüler Michael Brown von einem Polizisten unter fragwürdigen Umständen erschossen wurde. Es folgten Proteste der Bevölkerung und das massive, übertrieben gewalttätige Eingreifen der Polizei.

Weiterhin schreibt er, dass seit den Ausschreitungen von 1992, ausgelöst durch die Misshandlung des Afroamerikaners Rodney King und den folgenden Freisprüchen für die vier beteiligten Polizisten, kein Ereignis mehr HipHop so stark politisiert habe. Wirklich? Kein Wort über die Übergriffe und den Rassismus gegen Moslems in den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, kein Wort über das Wochen und Monate anhaltende Engagement von HipHop-Künstlern, und zwar jeglicher Hautfarbe, bei den Präsidentschaftswahlen von 2008, als überraschenderweise ein demokratischer Abgeordneter aus dem Bundesstaat Illinois namens Barack Obama zum Spitzenkandidaten wurde und sogar Ex-First Lady Hillary Clinton aus dem Rennen warf. Immerhin, der Hurrikan »Katrina«, der die Stadt New Orleans schwer verwüstete, sowie die mangelhafte Katastrophenhilfe der Regierung George W. Bush Jr. findet Werthschulte erwähnenswert. Aber nicht als Anlass, der ebenfalls von zahlreichen Rappern in Songs, Interviews etc. thematisiert wurde. Daraus strickt er dann einen Vorwurf gegen Kanye West: er wurde damals in der Sache »Katrina« schnell aktiv, bekam es aber nicht auf die Reihe, sich innerhalb der letzten Tage zu den Ereignissen in Ferguson zu äußern. Auch die viel diskutierte Einführung einer Krankenversicherung für die breiten Massen der US-Amerikaner, die unter dem Titel »Obamacare« bekannt wurde und von vielen HipHop-Künstlern aufgegriffen wurde, findet beim Autor keinerlei Erwähnung.

Die Liste könnte man noch weiter stricken. Sie zeigt, dass es Rapper nie verpasst haben, sich lautstark in die Diskussion aktueller Ereignisse einzumischen. Über die sozialen Netzwerke, über die Medien oder im Rahmen ihrer Kunst. Daneben gibt es eine ganze Reihe von HipHop-Künstlern, die in ihrer Musik nie aufgehört haben, sich politisch zu äußern oder Gesellschaftskritik zu üben. Vielleicht muss man sich mit HipHop ein wenig intensiver auseinandergesetzt haben, um das zu bemerken. Aber rausfinden könnte man das durchaus.

Weiter schreibt Christian Werthschulte, dass kritische Töne von »afroamerikanischen Superstars« wie Jay Z und Kanye West bisher ausbleiben würden. Daraufhin folgt der mysteriöse Hinweis, es komme »(…) wieder einmal den Altstars zu, Trauer und Wut der Community zu artikulieren.« Welche Altstars sind hier gemeint? Talib Kweli und Killer Mike? Die werden im Beitrag nicht als solche dargestellt. J. Cole? Der ist wahrlich kein Altstar. T.I. ebenso wenig. Und überhaupt: Welche Logik steckt eigentlich dahinter, sich Jay Z und Kanye West vorzunehmen und ihnen die bisher schuldig gebliebenen Kommentare, Statements oder Songs zum Thema Ferguson vorzuwerfen? Beide haben sich in der Vergangenheit wiederholt zu rassistisch motivierten Ereignissen kritisch geäußert.

Zum Abschluss schmeißt Christian Werthschulte mit Allgemeinplätzen und Klischees nur so um sich: Da wird nämlich ein Altmeister des politischen Raps, Chuck D. (Hat der sich schon geäußert?) von Public Enemy bemüht. HipHop habe seine Bedeutung als »CNN der Schwarzen« nicht nur verloren, schreibt Werthschulte, sondern an das soziale Netzwerk Twitter abgegeben. Ein starkes Stück. Eines, das vor allem die verschiedenen Rollen und Funktionsweisen von Musik und sozialen Netzwerken als völlig unterschiedliche Plattformen für Meinungsäußerungen völlig außer Acht lässt. Ebenso die Tatsache, dass Chuck D. das zu einer Zeit sagte, als die Möglichkeiten für breite Bevölkerungsgruppen, sich politisch zu äußern und an gesellschaftlichen Diskussionen zu beteiligen, sehr beschränkt waren. Die sozialen Netzwerke haben auf der ganzen Welt unsere Möglichkeiten, uns an politischen Diskursen zu beteiligen, tiefgreifend verändert. Und ihre politischen Vorstellungen haben HipHop-Künstler seit jeher auch außerhalb ihrer Musik geäußert: in Interviews, in Musikvideos, im Rahmen von Community-Events, auf Konzerten etc. Und das nicht nur, wenn gerade Rodney King oder Ferguson passiert.

In einer Sache muss man Christian Werthschulte jedoch recht geben. Er schließt seinen Beitrag mit: »Es mag zynisch klingen, aber Ferguson hat dem HipHop gut getan: Damit ist er wieder in der Community angekommen.« Das stimmt, es ist sehr zynisch. Und es stimmt auch nicht.