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Ein Kommentar von Jan Wehn

2014 / THE RAP UP:
Das große Deutschrap-Unboxing

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Wenn wir mal vom traditionellen, auf die musikalische Gestaltung gerichteten Deutschrap-Geschiele über den großen Teich absehen, dann gab es hierzulande 2014 vor allem einen Trend zu beobachten. Ich denke dabei gar nicht an ausgesprochen dämliche Kopfbedeckungen, raffinierte Drohnenaufnahmen oder besonders gewiefte Marketingdeals mit Elektronik- oder Nahrungsergänzungsmittel-Herstellern, nein. Ich rede von, ganz genau: Boxen. In den letzten zwölf Monaten gab es gefühlt kein Vorbeikommen an diesen als Pappkartons getarnten Chartboostern.

Für alle, die ihre Musik illegal herunterladen, ausschließlich digital erwerben oder sich in der glücklichen Lage befinden, noch nie die Facebook-Seite oder den YouTube-Kanal eines deutschen Rappers besucht zu haben, erkläre ich an dieser Stelle noch mal kurz, was so eine Box eigentlich ist und kann. Die Box ist quasi die Weiterentwicklung der Limited-Special-Bonus-Fan-Edition eines Albums.

Dieses erste Update zum eigentlichen Album haben sich findige Marketingmenschen vermutlich irgendwann mal ausgedacht, als sie der Meinung waren, dass eine stinknormale LP ja noch lange nicht genug sein kann und man dem besonders treuen Fans doch bitteschön ein bisschen mehr bieten müsse. Das war der Moment, in dem die Limited-, die Fan- und die Special-Edition geboren wurden. Wer die käuflich erwarb, bekam nicht nur das eigentlich total genügende Album, sondern noch ein paar ziemlich egale Remixe oder Leftovers oben drauf.

Der Kauf einer derart besonderen, vielleicht sogar limitierten Version des Albums hat aber noch einen ganz anderen Mehrwert – er stellt ein Distinktionsmerkmal erster Güte dar, frei nach dem Motto: »Ihr da mit euren popeligen 12-Track-Standard-Alben guckt doch nur neidisch auf meine streng begrenzte Superduperdeluxe-Edition! Die habe ich mir nämlich gekauft, weil ich meinen Star viel lieber habe als du.«

Nachdem die Fans dann irgendwann gemerkt haben, dass es auf einen dürftigen Remix mehr oder weniger nicht ankommt, beschlossen die Marketingmenschen, dass etwas Neues her muss – und geboren war die Box: ein Pappkarton, eine Schatulle oder ein Kästchen, in dem sich nicht nur ein Album, sondern auch noch jede Menge Goodies befinden.

Ich meine mich zu erinnern, dass es Selfmade Records waren, die das Album »Jung, brutal, gutaussehend« von Kollegah und Farid Bang damals als erstes deutsches Raplabel nicht nur in der normalen Version, sondern auch in einer solchen Box anboten. Die »Steelbox-Edition« des Albums war auf 1.500 Stück limitiert und beinhaltete neben dem Album ein T-Shirt, eine unterschriebene Autogrammkarte, ein Schlüsselband sowie ein Poster und, auf einer Bonus-CD, den Track »Miami Vice«. Das Gezeter seitens der Fans war damals groß: So eine dämliche Box passe doch gar nicht ins CD-Regal, Poster würde nur die »Bravo« machen, wer wolle denn überhaupt ein Autogramm von diesen zwei sonnenbankgebräunten Schwachmaten und und und …

Heute, fünf Jahre später, sieht das ein bisschen anders aus. Nahezu jeder Deutschrap-Künstler, der ein neues Album veröffentlicht, bringt nicht nur die Standard-Version, sondern auch gleich eine große Menge an Boxen in den Handel. Diese »Special Limited Premium Fan«-Boxen enthalten neben dem eigentlichen Album dann z.B. noch eine CD mit den Instrumentals, eine DVD, ein Poster oder eben eine Autogrammkarte – soweit vielleicht noch irgendwo nachvollziehbar. Aber leider findet sich in den Boxen auch jede Menge Unsinn: ein one-size-fits-(eben-nicht)-all-Shirt, Casino-Chips, Spielkarten, Schals, Gummiarmbänder, Ketten, Turnbeutel, Fischerhüte, Snapback-Kappen, USB-Sticks, ja sogar Mini-Lautsprecher hielt ich schon in Händen.

Verkauft werden die Boxen zu Preisen zwischen 35 und 60 Euro – und verkauft werden sie definitiv. Nicht nur, dass Rapper die Dinger in bester Marktschreiermanier feilbieten, nein, sie fordern von ihren Fans auch Loyalitätsbekundungen in Form von abfotografierten Kassenzetteln und besonders schön drapierten Box-Inhalten ein. Die gibt’s zuhauf – was dank hyperaktivem Herumgeklicke auf dem Retweet-Button dann wiederum auch jeder mitbekommt.

Ganz zur Freude der Künstler – denn in den Charts bestimmen längst nicht mehr nur die verkauften Einheiten eines Albums, sondern auch der Umsatz die Chartposition. Eine Box zählt für die Platzierung also ungefähr so viel wie drei Alben. Und damit man kostentechnisch nicht bei Null rauskommt, gilt es, den ganzen Tinnef in der Box möglichst günstig zu produzieren. Und so ist das gute alte HipHop-Album im Laufe der letzten Monate zur billig produzierten Giftstoffschleuder verkommen.

Wenn die Kids mit den beigelegten Instrumentals wenigstens freshe Mixtapes aufnehmen würden! Aber wo kämen wir da hin? Stattdessen kann man bei Konzerten riesige Umsatzgenerierungsarmeen beobachten, die – einheitlich gekleidet in Logo-Shirts, Kappen und Mützen – Musik über ihre Mini-Lautsprecher hören, fleißig Autogrammkarten oder illegal heruntergeladenen Ami-Rap über die USB-Sticks tauschen. Das kann’s doch auch nicht sein.

Mein geschätzter Kollege Laurens Dillmann schrieb neulich, nicht ganz ohne verschriftlichtes Augenzwinkern, dass er sich das nächste deutsche HipHop-Album, von dem es keine Box gibt, blind kaufen würde.
 

 
Ganz so drastisch würde ich es nicht mal formulieren. Solange man den Fans durch die Beigaben wirklich etwas Besonderes mitgibt, ist doch alles cool. Casper, Curse oder Prinz Pi gestalten Bildbände und Bücher mit persönlichen Anekdoten, Absztrakkt legte seiner Box eine Seedbomb bei und Celo & Abdi lieferten ein Wörterbuch für ihren »Hinterhofjargon« dazu. Deshalb mein gut gemeinter Rat fürs nächste Jahr: Macht’s doch nur, wenn es wirklich einen Mehrwert hat.