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Live und direkt – 20 Jahre Rap und 47 Minuten ohne Scheiße

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Es ist Konzert-Hochsaison. In den letzten Wochen haben zuvorderst Casper, Marteria und Sido die Republik bereist – für die örtliche Presse immer ein willkommener Anlass, Musikkompetenz und Lokalberichterstattung locker-flockig unter eine schief sitzende Schirmmütze der Jugendverbundenheit zu pressen und die kulturellen Hauruck-Analysen der letzten zwei, drei Jahre zu entstauben. Was bisher geschah? »Zuletzt hatte der Ruf des deutschen Hip Hops etwas gelitten, Schuld daran sind (selbsternannte) Bad Boys wie Bushido oder Haftbefehl, die mit Geschichten rund um Gewalt, Drogen und Kriminalität aufwarten und diesen Lebensstil auch noch heroisieren.« Aber zum Glück zeigt »die neue Generation der Deutsch-Rapper rund um Casper, Cro und Marteria (…), dass man auch aus dem ‚ganz normalen Leben‘ erzählen und dabei Millionen von Zuhören (sic!) finden kann.« Wären wir also alle wieder auf neuestem Stand.

Besonderen Spaß bereitet immer wieder die Einordnung dessen, was Casper eigentlich so treibt – vor allem, weil das meist darüber erklärt wird, was Cas eben nicht tut, als wüsste man sich sonst nicht zu helfen. Die Nordsee-Zeitung erklärt: »Beleidigungstiraden und Homophobie sind nicht sein Ding« und titelt vom »Retter des deutschen Raps«, während die Stuttgarter Zeitung Herrn Griffey als geläuterten Ex-Proleten verstehen will, denn »Mittelfinger hoch« habe ja »noch in die Gangsta-Schublade« gepasst. Ein ziemlich flexibles Möbel, wenn man einen gereckten Mittelfinger schon dem Gangstertum zuschreiben kann. »Dabei haben andere Stücke viel schönere Melodien.« Hach.

»Großer Jubel für emotionalen Rapper.«

Aber was ist er denn, dieser »Mann in Baggy Shirt und Skinny Jeans«, ein »Duracell-Hase mit Reibeisenstimme« oder ein »HipHop-Rebell« (alles Hamburger Morgenpost)? Und ist das nun noch Rap oder nicht? Die Offenbach-Post fühlt sich »an Die Ärzte, auch an die besseren Momente von Udo Lindenberg« erinnert, hält Casper aber auch zugute: »Seine Texte wirken (…) nicht so mittelstandssatt wie jene der Fantastischen Vier, auf deren Label Four Music seine Platten erscheinen.« Dass die Fantas seit Jahren nicht mehr an Four beteiligt sind: geschenkt. Zum Glück ist da noch der Reutlinger General-Anzeiger, der auf »Hinterland« zwar »viele Gitarren- und wenige Rappelemente (sic!)« ausmacht, aber protokolliert: »Im Mittelteil des Konzerts schmetterte Cas (…) einen Rap nach dem anderen in die Halle.« Darüber fett: »Großer Jubel für emotionalen Rapper«.

Auch Marteria wird gönnerhaft attestiert, »einen Gegenentwurf zum lyrisch tumben Gangsta-Rap« zu bieten. »Wer Rap mag, aber mit dem stumpfen Gelaber von Bushido und Haftbefehl nichts anfangen kann, hört derzeit Marteria.« Es muss irgendwo ein Instant-Feuilleton-Tastaturkürzel geben für diese Gut-Böse-Einordnung, die in etwa so sachdienlich ist wie »Revolverheld, Gegenentwurf zu Frei.Wild«. Vor lauter gutem Rap wird sogar Miss Platnum zur »Berliner Rapperin« erklärt (ebenfalls Frankfurter Neue Presse), und der große Bogen zu unserem dritten tourenden Subjekt gelingt mittels eines transitiven Verbs spielend: Nicht nur »Casper rappt die Stadthalle«, sondern auch »Sido rappt die Dortmunder Westfalenhalle«, begleitet von »Gast-Rapper Mark Foster« (sic!), was aber zweitrangig ist, wenn schon »Ex-Rüpel-Rapper« (ebenfalls Siegener Zeitung u.a.) als legitime Kategorisierung durchgeht. Der Sound? »Der Bass wummert, die Band schreddert«, Resultat sind »schmatzende Bässe und wippende Hände«, obwohl oder gerade weil Sido »längst der einstigen Aggro-Bosse (sic!) entwachsen« ist.

»Die beste Nummer, die der Deutschrap in seinen 20 Jahren hervorgebracht hat.«

Sido inspiriert wahre Perlen der Berichterstattung, wenn Der Westen die Stimmung in Oberhausen nicht »auf dem Sido-Punkt« sieht, in Siegen aber per Stoppuhr erfasst, dass er »trotzdem erst nach 47 Minuten« das Wort »Scheiße« benutzt. Einen Sonderpreis für musikhistorische Akkuratesse erarbeitet sich schließlich Jochen Overbeck, der im Tagesspiegel konstatiert, »Mein Block« sei »die beste Nummer, die der Deutschrap in seinen 20 Jahren hervorgebracht hat.« Wir rechnen mal eben von 2014 zurück. Vielleicht gilt ja »Direkt aus Rödelheim« als Stunde Null, das waren auch solche Rüpel-Rapper.