KitschKrieg & Luke Wood Deconstructed: Luke Wood & KitschKrieg analysieren Songs

Sound-Nerds unter sich: Beats-Präsident Luke Wood traf in den Berliner Riverside-Studios auf KitschKrieg. Gemeinsam fachsimpelte man über Produktionstechniken, Songstrukturen und guten Klang. ALL GOOD war dabei.

Luke Wood x KitschKrieg ©www.kitschkrieg.de 2018 P1920036

Wann ist ein Hit ein Hit? Was sorgt dafür, dass manche Songs 50 Millionen mal gestreamt werden, während andere es nicht mal in sechsstellige Bereiche schaffen? Wie wird aus Einsen und Nullen etwas, das im besten Fall auf dem ganzen Globus für akustische Wohlfühlerei sorgt? Und wie wichtig ist in heutigen Zeiten von Wiedergabegeräten im Hosentaschenformaten und immer kleineren Kopfhörern eigentlich so ein Parameter wie Klang?

Die Antwort auf diese Frage kennt vermutlich niemand. Aber ich finde es trotzdem spannend, mir die Video-Doku-Reihe von »Genius« anzusehen und dabei zuzuschauen, wie Produzenten in ihren FL-Studio- oder Logic-Sessions herumklicken und erklären, was sie sich bei welchem Sound und welcher Snare gedacht haben, welche Geräte sie zum Einspielen von Melodien oder zum Mischen ihrer Beats benutzen.

Nichts anderes hat Luke Wood mit seiner »Deconstructed«-Session vor: Er will seine Leidenschaft für das Musikmachen teilen, tourt um die Welt und trifft sich in großen Städten rund um den Globus mit Produzenten, um sich beim Studio-Sit-In gegenseitig gute Musik zu zeigen und, der Name der Reihe sagt es schon, in ihre Einzelteile zu zerlegen. Luke Wood weiß, wovon er spricht: In den Neunzigern spielte er bei der Alt-Rock-Band-Sammy, ehe er Anfang der 2000er als Executive Vice President of A&R Künstler wie TV On The Radio, Yelawolf, Jimmy Eat World oder Elliott Smith signte. Mittlerweile ist Luke Wood President von Beats, der von Dr. Dre und Jimmy Iovine gegründeten Kopfhörer-Firma.

In Deutschland trifft Luke sich mit KitschKrieg. Jenem audiovisuellen Dreiergespann, bestehend aus Fiji Kris, Fizzle und awhodat, das deutschem Rap in den letzten drei Jahren das erste Mal seit langer Zeit einen eigenen Sound und Look gegeben hat – sei es das gefeierte »#DIY«-Album von Trettmann oder diverse EPs von Haiyti und Joey Bargeld.

Man denkt natürlich, dass das gut und gerne auch eine aufpolierte Werbeveranstaltung werden könnte. »Hier, so geht das mit den Hits – aber der hunderprozentige Hörgenuss tritt natürlich erst dann ein, wenn man sich richtigen Beats-Kopfhörer aufsetzt.« Oder: »Das mit dem Produzieren funktioniert auch erst dann richtig, wenn die korrekte Hardware auf den Ohren hat.« Aber: Fehlanzeige. Die Realität der »Deconstructed Session« sieht dann doch ein bisschen anders und um einiges interessanter aus.

In den Berliner Riverside-Studios, eine Etage unterhalb der Erdoberfläche auf der an einem dieser letzten Juli-Tage gerade der Jahrhundertsommer tobt, findet die Session statt. Luke Wood, klein, drahtig und mit einem Fischerhut auf den Kopf, dreht sich auf seinem Stuhl in Richtung Bildschirm und öffnet das erste Arrangement. Welche drei Songs er im Anschluss genau analysiert und dazu immer wieder einzelne Spuren per Mausklick nach und nach erst ab- und dann wieder anschaltet, tut an dieser Stelle nichts zur Sache. Ein paar der Stems hat er aber, so viel sei verraten, gerade erst in der Woche zuvor von einem nicht ganz unbekannten HipHop-Produzenten aus seinem Umfeld zugespielt bekommen.

Wie Luke dort im Arrangement herumklickt und aus einzelnen perkussiven und melodischen Elementen weltbekannte Pop- und Rap-Songs entstehen, demonstriert auf schöne Art und Weise, wie das simple Zuschalten einer zweiten Clap den Unterschied macht oder was ein kaum herauszuhörenden Shaker für einen Einfluss auf den Gesamteindruck eines Songs haben können. Ständig wird auf »Stop« gedrückt, nachgefragt, gefachsimpelt, dann der Song noch ein Stück weiterlaufen gelassen. Fachsimpeln auf höchstem Niveau.

Dann sind Fizzle und Fiji Kris an der Reihe. Zuerst widmen die Jungs sich »Knöcheltief« von Trettmann. Fizzle erklärt, was für ein wichtiger Song »Knöcheltief« für Tretti sei. Der Moment des Triumphes für den Underdog, der trotz des endlich einsetzenden Erfolges bescheiden bleibt. Die Herausforderung: Genau diesen schmalen Gefühlsgrad in Rhythmus und Instrumentierung übertragen – und zwar durch hight-cut-gefilterte, leicht verstimmte Hörner im Moll-Akkord, die durch dezentes Synthie-Arpeggio begleitet werden, bis eine reduzierte Einlaufmusik daraus entsteht.

Als nächstes auf der Tagesordnung: »Grauer Beton«, jene beeindruckende Ballade über das Abgehängtsein einer ganzen Generation von alleingelassenen Kids aus Ostdeutschland, die nach dem Fall der Mauer – zu jung, aber gleichzeitig auch zu alt für einen kompletten Neuanfang waren. »Ich glaube, der Song wird noch lange bleiben, weil er genau diese traurige Geschichte erzählt, der sich davor noch niemand angenommen hat«, sagt Kris.

Aber um das Songwriting soll es an dieser Stelle gar nicht gehen. Stattdessen erklären KitschKrieg, wie sie Trettis Lieblings-808-Sound – die Kuhglocke – solange runtergepitcht haben, bis daraus ein atonales Brummen wird, was als melodisches Grundgerüst für den Song dient. »Die Kuhglocke ist gar keine Kuhglocke, sondern nur zwei übereinandergelegte Töne. Also braucht es nur noch einen dritten, um daraus einen Akkord zu machen. Das haben wir aber eher zufällig rausgefunden.« Zufall – genau wie Trettis brüchige Stimme.

»Das Studio war schon gemietet, aber Trettmann hat sich am Tag davor eine Erkältung eingefangen«, erinnert sich Fizzle. »Weil die Miete schon bezahlt war, haben wir trotzdem aufgenommen und man hört der Vocalspur an, wie fucked up seine Stimme war. Wahrscheinlich war es die schlechteste Aufnahme, die wir je von Tretti gemacht haben. Er hat den Klang gehasst und meinte, wir sollten sie nur als Demo nutzen. Aber wir waren alle der Meinung, dass es perfekt zum Song passen würde.« Und tatsächlich. Das reine Acapella klingt kratzig, kaputt und droht ständig zu kippen, so traurig und verletzlich wie die Geschichte, die der Song erzählt.

Weg vom Songwriting, hin zur Produktion. Hier im Studio in Berlin-Kreuzberg befinden sich im Grunde ja zwei Generationen von Produzenten. Luke, der mit derartigen Studios groß geworden ist auf der einen Seite, und KitschKrieg, die nicht mehr als ihr alugebürstetes MacBook dabei haben. Was ist denn nun besser? »Wir sind ja gar nicht so jung, wie man denken würde«, sagt Kris und lacht. »Wir sind 80s-Babies und ich habe in einem analogen Studio gelernt, aber diese Arbeitsweise eben auf den Rechner übertragen. Das macht vieles einfacher und schneller und ich kann mich darauf konzentrieren, Emotionen in die Produktion oder das Songwriting zu legen.«

»Aber man muss sagen, dass es analoges Equipment gibt, das sich nicht digital reproduzieren lässt«, erklärt Luke Wood – der sogenannte Ghost-in-the-machine-Effekt. »Ich habe natürlich alle Samples. Die hat jeder von uns. Aber wenn du die Knöpfe am Original drückst, ist das etwas anderes. Ich habe in meinem Studio ein Pult von Neve – der Sound klingt für mich ganz anders, als wenn ich nicht damit arbeiten würde. Vielleicht ist das nur ein psychologisches Ding. Aber ich denke mir immer: ›Das ist das Pult, mit dem Led Zeppelin ›III‹ aufgenommen haben. Shit! Ich denke auch, dass alte Mikrofone besser klingen und mehr Charakter haben.«

Heißt das, dass früher alles besser war? Nein, das wiederum auch nicht. »Ich glaube natürlich auch an Technologie und Fortschritt«, erklärt Luke. »Die Beatles haben in so kurzer Zeit so viel getan und mit Technologie experimentiert. Sie haben erst mit vier, dann mit acht und schließlich mit 24 Spuren gearbeitet, mit Bandmaschinen experimentiert und Vocals durch den Amp einer Hammond geschickt. Das hat damals niemand gemacht! Es geht darum, mit den verfügbaren Mitteln die beste Musik zu machen und das meiste aus der Technik herauszuholen. Man braucht nicht zwangsläufig die alte Hardware, aber wenn man auf ihr lernt, geht man auch anders mit Plug-Ins um.«

Auch wenn man das auf den ersten Blick gar nicht denken würde, sieht Kris das ähnlich: »Wenn man unbegrenzte Möglichkeiten hat, dann neigt man dazu, viele Layer übereinanderzulegen. Wir versuchen mit möglichst wenig Spuren zu arbeiten und uns stattdessen auf das Songwriting zu konzentrieren.«

Aber wie ist es mit den ganzen Kids, die vermutlich niemals die Möglichkeit bekommen werden, sich vor Beginn ihrer Produzentenkarriere in einem analogen Studio auszutoben, mal an Knöpfen zu drehen und sich auszuprobieren? »Wenn Kids sich in ihrem Kinderzimmer ein Tutorial nach dem anderen reinziehen, ist das im Grunde die gleiche Erfahrung – auch wenn sie weder den Raum noch die darin stehenden Maschinen zur Verfügung haben. Sie haben zwar andere Technik, aber probieren sich genauso aus und verlieren sich dabei in diesem Prozess«, findet Fizzle.

»Man braucht nicht diesen privilegierten Hintergrund und ein teures Studio, sondern nur einen Computer – und je tiefer man in die Materie hineingeht, umso öfter bekommt man vielleicht auch die Möglichkeit, in ein richtiges Studio zu gehen und alles kennenzulernen. Dann fasst man die 808 an oder setzt sich an Rhodes und denkt: ›Oh, das ist ein 3D-Druck meines Plug-Ins. Ich finde es falsch zu sagen, dass diese oder jene Arbeitsweise die richtige oder die falsche ist.«

Auch Luke Wood guckt sich YouTube-Tutorials an. »Ich verschwende doch keine Zeit mit dem Suchen der Anleitung, wenn ich auf YouTube viel schneller zum Ziel komme. Aber mir ist wichtig, dass junge Produzenten schon früh mit Räumen wie diesen Studio hier in Berührung kommen, weil es etwas mit Gemeinschaft zu tun hat. Ein Video gucke ich mir drei- oder viermal an, dann weiß ich, wie der Hase läuft. Aber in den 70er- und 80er-Jahren waren Recording und Engineering eine Kunst, die weitergegeben wurde.«

Nicht nur, was das Technische, sondern auch, was das Miteinander anging. »Man musste nicht nur lernen, wie ein Kompressor funktioniert, sondern auch, wie man mit einem Manager kommuniziert und ihm sagt, dass er jetzt mal seine Klappe zu halten hat. Oder wie man einen Künstler mehr als nur eine Vocalspur einsingen lässt, obwohl der der Meinung ist, dass diese eine Spur ausreichend sei und dann wieder kiffen geht. Deshalb bin ich der Meinung: Allein am Laptop vor sich hinarbeiten ist okay, aber eben nicht alles.«

Bliebe noch die Frage nach der Abhöre zu klären. Am besten auf Beats? »Unterwegs mache ich das natürlich so«, sagt Luke. »Aber daheim und im Studio höre ich eigentlich nur über professionelle Monitore. Ich will den echten Sound. Wenn eine Bassdrum plötzlich nicht mehr so in meiner Brust pumpt, wie in dem Moment in dem sie eingespielt wurde, dann werde ich grumpy und es zieht mich raus. I like the real thing!«

»Die erste echte Investition in unserem Studio waren gute Monitore«, pflichtet Kris bei. »Natürlich will man Musik immer in der perfekten Umgebung mit der perfekten Technik hören. Aber manchmal höre ich unsere Sachen auch über iPhone-Lautsprecher an, weil die Kids unsere Musik vielleicht so hören und ich eine Ahnung davon bekomme, wie viele Informationen dabei verloren gehen.« Für Luke hat jede Epoche ihre Referenz-Abhöre. »Als ich anfing, haben wir mit dem Yamaha Auratone abgehört, später mit der Boombox und schließlich im Auto.« Eine Zeitlang habe man sogar verschiedene Autos gemietet, um den Sound auf unterschiedlichen Systemen zu testen.

»Das heutige Äquivalent dazu ist vermutlich der Bluetooth-Lautsprecher. Solche hat man bei mir in der Nachbarschaft«, sagt Kris. »Vielleicht findet da gerade auch ein Shift statt, weil man eben nicht mehr nur über Smartphones hört, sondern mit diesen tragbaren Speakern auch wieder Bass hat. Die Frage ist ja auch: Tuned man den Sound so, dass er auf einem großen System gut klingt oder eher auf einem kleinen? Wir orientieren uns eher an kleineren, was sich total auszahlt, wenn wir live spielen. Wir bekommen immer gutes Feedback von den Tonleuten, weil wir nicht so viel layern und gerade in den Mitten vorsichtig sind. Wohingegen im HipHop viele Tracks mit Fokus auf die Mitten produziert werden, damit sie auf dem Telefon gut klingen

»Ich war richtig angefressen, als sich dieser Produktionsstil etabliert hat. Untenrum hat man die 4-to-the-floor-Kick gehört, oben die superlauten Vocals – und das war der ganze Song. Bei meinen Songs gab es links ein paar Gitarren, rechts noch mal andere, es gab Delays auf der Melodie und ich hatte keine Ahnung, wie ich gegen Britney Spears und dergleichen bestehen soll. Ich glaube aber, das wird besser. Nicht nur weil ich unsere eigenen Kopfhörer verkaufe. Die Marke spielt dabei gar keine Rolle. Die Audio-Branche wächst, die Produkte werden besser. Und man sieht immer mehr Menschen mit guten Kopfhörern auf den Straßen. Das wird sich auch in der Art und Weise, wie produziert wird, niederschlagen.«