• allgood_justushuetter
  • vs.
  • Jan_Wehn_c_William_Minke_2019 (1)

Braucht Deutschrap ein neues Curse-Album?

Rückblende: Splash!-Festival 2013. Überraschenderweise steht am Sonntagnachmittag Curse im Line-up. Curse, dessen letztes Album »Freiheit« schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat und ein Silbermond-Feature sportet. Hatte der nicht mit Rap abgeschlossen, um, naja, ›echte Musik‹ zu machen? Anscheinend nicht. Curse rappt seine alten Hits von »Hassliebe« bis »Und was ist jetzt«. Am Ende des Gigs kündigt er rotzig ein neues Album an und lässt demonstrativ das Mic auf die Bühne krachen – Samy-Deluxe-Style. Der Rücktritt vom Rücktritt. Erst Jay Z, dann Eko Fresh und jetzt eben Curse.

Das ist fast anderthalb Jahre her und er hat Wort gehalten, in beiderlei Hinsicht: Am kommenden Freitag erscheint seine neue LP »Uns« – und er hat aufgehört zu rappen. Zumindest im engeren Sinne. Michael Kurth hat ja nie behauptet, die Musik aufgeben zu wollen, sondern einen neuen Sound abseits des klassischen Rap-Kanons gesucht. Den hat er auf »Uns« gefunden. Unsere Autoren Jan Wehn und Justus Hütter sind darüber sowohl mehr als auch weniger begeistert. Zeit für einen Real Talk.

Curse_Uns
  • allgood_justushuetter
    • Justus Hütter
    • 6. Oktober 2014
    • 16:36 Uhr

    Was uns Curse als seinen neuen Sound verkaufen will, ist nichts anderes als ein Mix aus den zurzeit angesagten Folk- und Elektrorutschen, die von Mumford & Sons über Chvrches bis hin zu Casper seit ein paar Jahren durch die Charts pflügen. Das Rezept: wahlweise Tribal- oder Marching-Drums, explodierende Synthieflächen in der Hook und dazu Emo-Lines wie »Lass uns zusammen brennen« oder »Wir holen uns unser Herz zurück«. Das Ergebnis: großes Pathos. Curse hat seinen neuen Sound gesucht und ihn anscheinend in den Top 10 gefunden. Tolle Leistung. Mehr kann man sich dem Zeitgeist nicht anbiedern.

  • Jan_Wehn_c_William_Minke_2019 (1)
    • Jan Wehn
    • 7. Oktober 2014
    • 13:56 Uhr

    Klar, die »lauten Drums« und »sphärischen Sounds«, von denen im Pressetext etwas unscharf die Rede ist, haben natürlich Ähnlichkeiten mit dem aktuellen Zeitgeist-Pop. Aber was hat es denn bitteschön mit Anbiederei zu tun, wenn Curse jetzt eben lieber How To Dress Well oder Hopium statt Miles Davis oder The Alan Parsons Project hört und, wohlgemerkt nicht als neuen Sound, sondern als Referenzpunkte für seine neue Platte anführt? Das ist in meinen Augen nicht verwerflich, sondern ehrlich und konsequent. Mag sein, dass Casper für solche Grenzgänge mit seiner Musik Türen geöffnet hat. Aber selbst wenn beide ähnliche Inspirationen anführen, sind das in meinen Ohren, abgesehen vom hier und da epochalen und pathetischen Überbau, doch grundverschiedene Soundbilder. 

    Apropos Pathos: ich meine, das hat mich, dich und alle, die wir kennen, bei Curse aber doch noch nie wirklich gestört, oder?

  • allgood_justushuetter
    • Justus Hütter
    • 9. Oktober 2014
    • 02:02 Uhr

    Sich reflexartig der en-voguen Pop-Versatzstücke der letzten Jahre zu bedienen (und da findet sich auf »Uns« mehr als nur die Vangelis-artige 80s-Verschrobenheit eines How To Dress Well), finde ich nicht »ehrlich und konsequent«. Das schmeckt eher nach Berechnung: das funktioniert, das will ich auch. Inspirationsquellen zu haben ist völlig okay – sie uninspiriert einzusetzen, etwas anderes. Genug der Folk-Backgroundchöre in Hooks, genug der Ethno-Mystik. Das Soundgerüst dieses Albums ist im Oktober 2014 einfach überstrapaziert.

    Und zum Pathos: Ja, wenn jemand Pathos haben darf, dann Curse. Ich habe »Wahre Liebe« gefeiert, wir alle waren mal »wegen HipHop hier« und irgendwie konnte ich auch dem vor Selbstgerechtigkeit triefenden »Und was ist jetzt« etwas abgewinnen. Und warum? Curse hatte Kante – durch seinen Rap. Michael Kurth ist ein begnadeter Flexer, dessen energischer Bariton-Flow seinen Songs immer eine erfrischende Ruffness gegeben hat. Das hat ihn immer abgehoben vom typisch deutschen Chart-Kitsch. Aber Curse hat seine größte Stärke abgestellt. Sein heutiger Vorlesersprech wirkt eher wie ein Gedicht gewordener Doris-Dörrie-Film. Das kann man jetzt erwachsen nennen. Oder Kitsch. Wie man will.

  • Jan_Wehn_c_William_Minke_2019 (1)
    • Jan Wehn
    • 14. Oktober 2014
    • 14:28 Uhr

    Lass uns das Musik-Dingen einfach mal abhaken. Ich glaube, da kommen wir auf keinen gemeinsamen Nenner. Kudos auf jeden Fall für das Doris-Dörrie-Ding – habe herzlich gelacht. Und sage dennoch: Diese Platte ist kein liedgewordenes Ü40-Empowerment für die gehobene Mittelschicht mit spirituellem Fimmel. Natürlich flext Curse hier nicht mehr mit Kondommützchen und wilden Hüftschwungfuchteleien durch den Schneesturm oder straft wack MCs mit strengem Blick über sein Kassengestell ab, aber mit Mitte 30 geht’s vielleicht einfach um andere Sachen. Legosteinstapeleien auf gebeizten Dielen, heißen Chocolate-Cake zum Nachtisch oder eben auch das Freimachen von, wie du sagst, Selbstgefälligkeiten. So sehr Curse den schmalen Grat zwischen Skill-Show-off und Selbstzweifeln zu seinem Markenzeichen gemacht hat, so sehr ist er jetzt das erste Mal total bei sich.

  • allgood_justushuetter
    • Justus Hütter
    • 15. Oktober 2014
    • 13:19 Uhr

    Gekauft! Natürlich will Curse mit Mitte 30 nicht mehr über Stieber-Bomben Lutscher-MCs abstrafen – dafür fühlte er sich wahrscheinlich schon vor zehn Jahren zu erwachsen. Spätestens nach seiner vierten LP »Sinnflut« stand an er am Scheideweg. Er hätte Jay Z nachfolgend versuchen können, Rap in seine Dreißiger zu führen, aber Meister Curse hat sich entschlossen, den dunklen Pfad des Silbermonds weiterzugehen. Das neue Album ist vor allem sehr deutsch – Curse inszeniert sich musikalisch und textlich als Traum jeder Anfang-30-Juristin mit Torschlusspanik. Frei nach dem Motto: Irgendwann muss auch mal Schluss sein mit dem Hippi-Hoppi-Rap-Kinderquatsch. 

    Und es stimmt: Curse ist auf »Uns« ganz bei sich. Es geht jetzt nur noch um ihn und seine Beziehungen – Perspektiven auf die Außenwelt fehlen völlig. Zugegeben: Ich habe hohe Erwartungen, aber ein Curse ist eben kein Mister Schnabel. Er ist, bzw. war mal einer der besten Rapper dieses Landes. Ein geschätzter Kollege hat einmal über Michael Kurth geschrieben, dass er vor allem ein Suchender ist. Wenn er sich jetzt gefunden hat, dann ist das schön für ihn, macht seine Mucke aber nicht besser.

  • Jan_Wehn_c_William_Minke_2019 (1)
    • Jan Wehn
    • 22. Oktober 2014
    • 10:50 Uhr

    Beantwortet das denn eigentlich die eingangs gestellte Frage?

  • allgood_justushuetter
    • Justus Hütter
    • 22. Oktober 2014
    • 16:12 Uhr

    Ja, Deutschrap könnte schon ein neues Curse-Album brauchen. Aber: das ist kein Jim Beam… äh, Curse-Album. Das ist ein Michael-Kurth-möchte-mit-Max-Herre-in-der-Mitte-der-Gesellschaft-chillen-Album. Warum ziehst du diesen Reihenhaus-Vorleser-Style denn einem Rap-Album vor?

  • Jan_Wehn_c_William_Minke_2019 (1)
    • Jan Wehn
    • 23. Oktober 2014
    • 17:48 Uhr

    Komm, ey. Du tust gerade echt so, als sei dieses Album nur etwas für Kreuzberger Helikopter-Eltern, die sich zwischen Bikram-Yoga und dem Bestellen ihres Schrebergartens im Brandenburgischen noch mal schnell ein paar »Simplify your life«- und Selbstfindungs-Tipps im Spoken-Word-Stil abholen wollen. Das Ding ist: Ich will überhaupt kein neues Rap-Album von Curse. Das beste Rap-Album von Curse steht schon in meinem Regal und heißt »Von Innen nach Außen«. Ich habe mir einfach nur ein neues Curse-Album gewünscht. Eines, das kein verzweifelter Back-to-the-Roots-Krampf, keine verschwurbelte Kunstkacke, sondern eine wunderschöne, rührende, offene und ehrliche Auseinandersetzung mit dem Selbst ist. Und das ist »Uns« geworden – mit einem augenzwinkernden Update zum 2001er »Fibilude«, einem visuellen Querverweis auf das »Und was ist jetzt?«-Video, einem ergreifenden Moment wie »Kristallklarer Februar / Für P.« oder einfach Liedern über Menschen, die sich suchen, finden, lieben und leben. Und ob die gerappt, gesprochen oder geschnalzt werden, ist mir herzlich egal.

  • allgood_justushuetter
    • Justus Hütter
    • 25. Oktober 2014
    • 03:20 Uhr

    Hehe, ich finde, dein Bikram-Yoga-Vergleich trifft es eigentlich ganz gut. Aber im Ernst: mir ist es ganz und gar nicht egal, mit welchen Mitteln ein Künstler sich ausdrückt. Michael Jordan war ein virtuoser Basketballer und ein grauenhafter Baseballspieler. Curse war ein energetischer Rapper und ist jetzt ein kitschiger Spoken-Word-Guru. Nein, man muss nicht hängenbleiben. Ich hatte kein Problem mit Caspers Wandlung vom XXXL-Shirt-Rap-Propeller zum Folk-Rock-Rap-Revolutionär. Jan Delays Rundfahrt durch die Genre-Welt? Dope! (Bis auf das Rockalbum.) Aber Curse‘ Wandlung schmeckt nach Rosenkohl in der Mitte der Gesellschaft. 

    Bei zwei Dingen hast du allerdings Recht: In »Kristallklarer Februar / Für P.« funktioniert der Neo-Curse. Und ich muss mich korrigieren, was mein Fazit angeht: Für mich braucht Deutschrap von diesem Curse kein Album mehr. Denn Mucke, die ein »Uns«-Lebensgefühl beschwört, gibt es in Deutschland wahrlich genug.

  • Jan_Wehn_c_William_Minke_2019 (1)
    • Jan Wehn
    • 26. Oktober 2014
    • 11:13 Uhr

    Doris Dörrie, Rosenkohl, Jan Delay, Chocolate Cake, Mister Schnabel, Legobausätze – was hier alles los ist! Aber ich sehe schon, dass wir hier jetzt Feierabend machen können. Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich immer noch nicht ganz genau weiß, ob Deutschrap dieses neue Album von Curse braucht. Denn: Brauchen wir überhaupt irgendetwas? Vielleicht ja wirklich nur uns. Habe ich neulich zumindest mal irgendwo gehört…