JPEGMAFIA »You Don’t Know Me« oder wie Peggy politischen HipHop wiederbelebt

JPEGMAFIA aus Baltimore bringt aktuell die Probleme der USA besser auf den Punkt als alle anderen. Dabei paart er wunderbaren Industrial und R’n’B und bringt damit sogar die Moshpits zum Schmusen. Ein Porträt.

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Normalerweise gilt es skeptisch zu sein, wenn Künstler, Song oder Album als »Album für den Moment« oder »Musik für unsere Zeit« hochgeschrieben werden. Pop im Allgemeinen kann nie alle ansprechen; schließt immer (unter)bewusst aus oder arbeitet mit Referenzen, die es temporär zeitgemäß erscheinen lassen, aber in drei, fünf Jahren schon veraltet sind. Deswegen machen sich solche Hyperbeln gut als Schlagzeile und für den Traffic, halten aber meistens nicht lange. Für JPEGMAFIA allerdings will ich wenigstens versuchen in dieser Größenordnung zu schreiben. Es kann gut sein, dass sein drittes Studioalbum »Veteran« in ein paar Jahren von seiner politischen Sprengkraft verloren hat, aber 2018 ist es genau das Album, über das wir reden sollten.

Zuerst allerdings Biografisches: Peggy, wie sich JPEGMAFIA bevorzugt nennt, lebt früh rastlos. Als Barrington DeVaughn Hendricks in New York geboren, verbrint er seine Kindheit in East Flatbush, Brooklyn ehe er mit 12 nach Alabama zieht und mit offenen Südstaatenrassismus konfrontiert wird. Sein Album »Veteran« ist auch nach seiner Zeit in der Air Force benannt, die einem starken Pragmatismus folgt: Peggy will Vollzeit Musik machen, aber das Geld fehlt. Deswegen entscheidet er sich für die Army, um so etwas zu verdienen. Während seinem Dienst absolviert er eine Tour in den Irak sowie Aufenthalte in Japan und Deutschland. Nach einem ehrenhaften Abschied aus dem Militär zieht er nach Baltimore, wo er sich in JPEGMAFIA umbenennt und sich in die dortige Underground-Szene um Butch Dawson, Abdu Ali und Freaky einfügt.

Im April 2015 brechen in Baltimore durch die Verhaftung und späteren Tod von Freddie Gray Proteste aus. Peggy reagiert mit »Black Ben Carson«, das die Frustration und Gewalt auf ein 74-minütiges Doppelalbum destilliert und all die Trademarks und Ideen etabliert, die auf »Veteran« nur noch klarer formuliert werden. Das Talent für Songtitel wie Molotowcocktails? »I Just Killed A Cop Now I’m Horny«! Die Aneignung von rassistischer Symbolik und Lingo? »Cuck«! Der Wechsel zwischen industriellen Bangern und dekonstruiertem R’n’B? Achte auf das Triplet aus »Black Ben Carson«, »Black Steve Austin« und »Black Stacey Dash«! Wird »Black Ben Carson« noch durch Glitches, Sirenen und Peggys stoische Shouts in der Hook getragen, werden die Störgeräusche bei »Steve Austin« durch eine verzerrte Gitarre ausgetauscht, ehe für »Stacey Dash« der Sound weiter aufweicht und Peggy über Stöhnen seine Sex-Jams als Parodie auf Stacy Dashs Steuerschulden singt: »SOS, take all my taxes, baby!«

Was Peggy dabei herausstechen lässt ist das konstante, performative Spiel mit der Identität, von dem oben genannten Black-Triplet zu »You Think You Know«, das auf »Veteran« mit dem »You Think You Know Me«-Sample (aus dem Einstiegssong von »The Edge«) weitergeführt und zum Motto entwickelt wird. Performance ist hier allerdings nicht das Auflegen der Maske, um eine klare Spaltung zwischen Bühne und Privatleben zu schaffen, sondern der empathische Zwang zur Selbstverwirklichung, ein konstantes Sich-Öffnen und zitierbar machen. So ziert konsequenterweise das Vinyl-Cover von »Veteran« – als Hommage an das Cover von Ol‘ Dirty Bastards »Return To The 36th Chambers« – Peggys alter Führerschein.

Der musikalische Haupteinfluss bleibt allerdings Ice Cube, wie Peggy in einem Interview mit »The Fader« erzählt: »I didn’t start rapping until I heard Ice Cube because I didn’t think I had anything really to say, and I didn’t realize you could rap about political shit in the way that he was doing it.« Peggy und Cube arbeiten beide mit einer reaktiven Direktheit, die aktiv die Konfrontation mit dem Hörer sucht, um so aufzuklären. Peggy eignet sich der Symbolik an, die er gleichzeitig negiert. Er hüllt sich beispielsweise auf dem Cover seiner »Darkskin Manson«-EP intim in die Flagge der Konföderation, Symbol der Südstaaten und konstante Erinnerung an die Sklaverei, um sich gleichzeitig von ihr loszusagen: »I Wipe My Ass With Confederate Flags«! Es ist Rap, der hochdiskursiv arbeitet, sich manchmal offen widerspricht und jede Frage über Foucault mit Faust in die Fresse beantwortet.

Es macht deshalb Sinn den Generationenwechsel von Ice Cube zu Peggy vor allem digital zu lesen. Nicht nur im Sinne von Plattformen wie Soundcloud, sondern vor allem auch wie Peggy auf »Veteran« ideologischen und politischen Raum strukturiert. Das Zeichensystem ist so präzise wie es weit ist und reicht von 14 Words und NeoGaf zu Myke C-Town. »Veteran« funktioniert dabei wie ein Filter, schließt aus und gleichzeitig ein, denn auch wenn dir die oben genannten Referenzen nicht geläufig sind, trennt dich nur eine Google-Suche von dem nötigen Kontext.

Dieser thematische Überbau alleine hat 2018 schon gereicht, Peggy auf die Seiten der gängigen Medienportale zu spülen. Aber während andere Playlisten kuratieren, produziert Peggy Alben, die einem kohärenten musikalischen Sound und Konzept folgen. »Black Ben Carson« mischte schon R’N’B- und Industrial-Zitate, aber zu oft hoben sich beide Einflüsse gegenseitig auf. Auf »Veteran« spielt Peggy mit dieser Spannung, Songs wechseln konstant Tempo und Stile, dekonstruieren sich in deinen Ohren, um sich wieder neu zusammenzusetzen. »Veteran« engagiert dich; Skits und Intros sind hier keine Entspannungspausen, sondern lassen sich wunderbar als Memes kondensieren (»My Thoughts On Neogaf Dying«, »Libtard Anthem«, »I Cannot Fucking Wait Until Morrissey Dies«). Sie sind bei Peggy allerdings politisch motiviert und trennen sich so von den Non-Sequiturs ab, die etwa Death Grips so frustrierend machen können.

So lo-fi die Produktion ist, so sehr hält sie das Album zusammen. »Veteran« wird vor allem durch die Percussion strukturiert, hisst, faucht, keucht, krächzt und klickt sich in den Fokus. Peggys Songwriting ist dabei geduldig, lässt dir Zeit mit den minimalen Melodien und der Produktion vertraut zu werden, ehe er beginnt Takt, Tempo oder Flow zu wechseln. Das gilt auch für das Sampling. »Real Nega« nimmt das legendäre Intro von Ol‘ Dirty Bastards »Going Down« und spielt es in Gänze, ehe Peggy dessen Stimmakrobatik in das musikalisches Skelett loopt, um dass sich ein Breakbeat sowie ein treibender, in die Tiefe gemischter Bass fleischt. Ein Break in der Mitte bringt eine sanfteres Synths-Fläche, die den Song verlangsamt und runterfährt. Achte allgemein darauf, wieviel Zeit Outros und Intros gelassen wird. »Baby I’m Bleeding« baut sich gut eine Minute lang instrumental auf, ehe der Beat einsetzt und es zu einem rauen Banger umformt. Der Song endet nicht wirklich, bildet sich zu einem energetischen Höhepunkt und stoppt dann, um diesen mit der Lethargie von »My Thoughts On Neogaf Dying« zu kontrastieren.

»Veteran« ist ein Album, in dem jede Geste kalkuliert, jeder Sound durchdacht ist. Es lässt sich nicht in einfache ideologische Muster einspannen und Peggy widerspricht sich selbst zu offen, um seine eigene Bewegung zu werden. Das ist okay. Manchmal braucht man neue Movements, meistens reicht ein Mosh Pit, um seinen Ärger auszudrücken. Veteran spricht explizit über Probleme in den USA, ist in seinem Ton aber global verständlich – besonders hier. In Zeiten, in denen Wut auch in Deutschland so alltäglich geworden ist, dass wir es als negative Grenze anerkennen (Stichwort: Wutbürger), hilft das JPEGMAFIA-Album dieser digitalen Generation ihre Frustration produktiv zu channeln und zu instrumentalisieren, wie es Gruppen wie Public Enemy und N.W.A. nie konnten.

JPEGMAFIA ist im November für drei Dates in Deutschland – hier mehr Info