Brockhampton »Who got the feeling?«

Aus Kalifornien kommt mit Brockhampton eine neue Auflage der All-American Boyband, nur ohne Major-Einfluss und sensibler und subversiver als man erwarten sollte.

Brockhampton

Kalkulierte Hype-Eskalation – besser kann man nicht beschreiben, was da bei Brockhampton im auslaufenden Jahr 2017 passiert ist. Brockhampton dominierten 2017, indem sie es wie angekündigt mit Content sättigten. Nachdem ein treues Fanfundament auf den sozialen Kanälen angesammelt war, wurde eskaliert – auf Wochen ohne Neuigkeiten folgten zwei, drei selbstgedrehte Videos als Teaser für das neue Album, das Album selbst, und zum Abschluss von »Saturation III« das aktive Trollen mit der Auflösung der Gruppe, ehe ein neues Album für 2018 mit anschließender Tour angekündigt wurde.

Erstaunenswert ist dies für 2017 nicht mehr; andere Cali-Kollektive der letzten Jahre wie Odd Future und The Heartbreak »HBK« Gang haben gezeigt, wie man über DIY-Taktiken und geübte Social-Media-Skills auch unabhängig von Majors und Labelverträgen eine Karriere starten kann. (Von Migos und den anderen Trappern ganz zu schweigen.) Brockhampton weitete dies auf die komplette organisatorische Ebene aus. Sie stellen ihre eigenen Fotografen, Manager, Grafik-Designer und Webmaster, die das Erscheinungsbild der Gruppe genauso mitprägen wie die Musik selbst.

Strukturell sammeln sich alle drei Gruppen um einen Ausgangspunkt, der die Gruppe für die Medien erschließbar und definierbar macht. Bei Brockhampton wird diese Rolle von Kevin Abstract ausgefüllt. Abstract arbeitete früher bereits mit Ameer Van und Dom McLennon zusammen (damals noch als ASF, ehe ihm solo sein Durchbruch gelang, sich die Gruppe neu als Brockhampton gründete und schnell neue Mitglieder um sich sammelte.

Bezeichnet sich Brockhampton als All-American Boyband ist dies nicht im Sinne der marketingtechnischen Stereotypisierung gemeint, also mit dem Schönling, dem Bad Boy, dem Sensiblen und dem Talentierten. Es geht vielmehr um Inklusion und Einfühlsamkeit. Brockhampton zeigen als Kollektiv das sexuelle und soziale Spektrum post-adoleszenter Männlichkeit. Abstracts queere Perspektive (»Why you always rap about bein’ gay/’Cause not enough niggas rappin’ be gay«), existiert gleichberechtigt neben den Fronten von Ameer Van oder Matt Champions weißen Emotrips. (»Low key I’m a heartthrob, and I ain’t drop an album yet«)

»Saturation« funktionierte als Trilogie dabei mit demselben Auge zum Detail und strukturellen Flow, den man von Künstlern wie Drake gewohnt ist. Die Alben öffnen mit Bangern und schließen mit akustischen Balladen. Der vierte, fünfte Track ist meist ein kurzer, melancholischer Cut, der zum Durchatmen einlädt und das Album neu orientiert. Dazwischen tummelt sich alles von Jazz und Soul, Bublegumpop und Post-Rock Allüren, vorgetragen in den leicht leierndem Flow, der sich schnell zum Markenzeichen entwickelt hat. Der Sound kommt ein ums andere Mal vom hauseigenen Produktionsduo Q3 (Jabari Manwa und Isaiah Merriweather) und Romil Hemnani. Dies führt dazu, dass »Saturation« als Reihe sehr, sehr gleich klingt – jedoch alles andere als belanglos.

Die Gruppe wird immer eingespielter. Sie spielt die stimmlichen Qualitäten der einzelnen Mitglieder gegeneinander, um die Mitglieder am besten in Szene zu setzen. Brauchte es das erste Mixtape, um die Runde vorzustellen, sind die Rollen jetzt klarer verteilt: Van und Abstract fungieren als klassische Rapper, während Merlyn Woods für die waghalsigere Stimmenakrobatik zuständig ist und Champions murmelnder, zurückgelehnter Stil ein neues Energie-Level ins Spiel bringt und beide damit den Sound komplexer machen. Joba wird für die Hooks (und vereinzelt Verses) geholt, und Bearface übernimmt den Anfang der Balladen. Diese Ordnung ist in keiner Weise fest, kann und wird wie in »Sister/Nation« offen gebrochen – was den Song nur noch besser macht.

Haben Brockhampton als Konzept musikalischen und lyrischen Spielraum, ist dieser doch zu begrenzt, um sich mittelfristig zu etablieren. Vielmehr kann man mit einer Laufbahn wie Odd Future rechnen, in der die Gruppe in den kommenden zwei Jahren langsam zersplittert und interessantere Nebenprojekte entstehen, die alle über das von Brockhampton gegründete und geführte Label Question Everything vertrieben werden: Joba und Bearface in Fleece und mit Akustikgitarre als neue Folkbarden; Merlyn Wood der seine Stimme zu Performancekunst macht; Dom McLennon und Ameer Van, die dort anfangen, wo Guilty Simpson aufhörte… Bis dahin ist aber noch Zeit. Mit »Team Effort« ist bereits das neueste Projekt für 2018 angekündigt.