Kollegah Weltretter oder Weltmonarch

Nach »King« wagte Kollegah mit »Imperator« eine erneute Feinjustierung seiner Selbstinszenierung als Boss; und erweiterte das Berufsbild mit der Aufgabe des ruhmreichen Retters. Dieser Job muss jetzt zu »JBG3« natürlich zeitweise pausieren, um den asozialeren Kollegah glaubhafter verkörpern zu können.

Kollegah

Die Kunstfigur Kollegah hat eine beeindruckende Metamorphose vollzogen. Zwängte er sich noch zu »Alphagene«-Zeiten in ein viel zu enges Image als Ex-Zuhälter mit versteinerter Mimik wie der Mount Rushmore, so erhielten mit der Zeit zunehmend Humor und Selbstironie Einzug in die Persönlichkeitskonstruktion. Schon die Videoblogs zum ersten Teil der »JBG«-Reihe deuteten an, dass Kollegah auch fernab vom Mikrofon über allerlei Entertainer-Qualitäten verfügt. Kollegah ist maßgeblich daran beteiligt, dass Video-Blogs heutzutage die Veröffentlichung nahezu aller Deutschrap-Releases begleiten. Für Kollegah selbst stellten sie anno 2009 den erstmaligen Versuch dar, seinen Hörern auch den Menschen hinter der Wortspiel-Maschine näherzubringen.

Mit »King« und der dazugehörigen, mittlerweile fast schon legendären Promophase samt Late-Night-Show, humoristischen Ballermann-Hits und eigenem Fitnessprogramm »Bosstransformation« folgte dann der bisherige Höhepunkt einer langfristigen Neuorientierung, die nicht den Rapper Kollegah, sondern immer mehr die Person Felix Blume in den Vordergrund rückte. Nicht zuletzt dieser Entwicklung verdankt der Boss auch seine Einladungen in Formate wie »TV Total« und »Schulz und Böhmermann«.

Feinjustierung der Selbstinszenierung als Boss

2016 wagte Kollegah jüngst eine erneute Feinjustierung seiner Selbstinszenierung als Boss. Auf »Imperator« wird die Kunstfigur durch eine moralisch-politische Komponente ergänzt: »Alles erreicht, doch ich scheiß’ drauf, dass ich raptechnisch der König bin/Raperfolge sind für mich nur Treppenstufen zu was Größerem!«, tönt er auf dem heimlichen Titelsong »Fokus«. Kollegah will zukünftig nicht mehr nur als der beste Rapper der Welt, sondern auch als ihr ruhmreicher Retter angesehen werden, der die Menschheit im Alleingang von geheimen Machteliten befreit. Zur heroischen Selbstdefinition dienen dabei wahlweise Vergleiche mit Nero, James Bond und, ja, auch Donald Trump. Ob letzterer nur wegen des Reims auf »Don Juan« genannt wurde, als gezielte Provokation in diese Reihe von Namen aufgenommen wurde oder ob Kollegah tatsächlich starke Sympathien für den machistischen Hassprediger aus Übersee hegt, ist dabei nicht abschließend zu klären.

Solang man diese 64-minütige, von martialischen Chören, bedrohlichen Piano-Schlägen und ballernden Synthies unterlegte Selbstbeweihräucherungstirade nicht weiter hinterfragt und sie lediglich als ein einziges großes Schauspiel zu genießen wusste, funktionierte »Imperator« dann auch recht gut. Kollegah bot wie eh und je Technik-Rap vom Feinsten; nach wie vor schien die deutsche Sprache ein schier unendlicher Quell für Doppeldeutigkeiten und Reimketten zu sein. Eigentlich war also alles beim Alten.

Versuchte man dann jedoch einmal, »Imperator« auf inhaltlicher Ebene ernstzunehmen, erschienen die ästhetischen Referenzen auf antike Kaiser und altertümliche Pharaonen nicht nur etwas befremdlich, sondern vor allem beliebig und daher inkohärent. Noch schwieriger wurde es, wenn man Kollegahs Weltsicht genauer unter die Lupe nahm. Die Vorstellung, dass Bilderberger und Illuminaten das Weltgeschehen steuern, wäre allein schon diskutabel genug. Zumindest in dem Punkt, dass das viele Leid auf der Welt in starkem Zusammenhang zur Finanzpolitik steht, lag Kollegah nicht komplett daneben. Dass alledem nun jedoch durch eine Person ein Ende gesetzt werden sollte, die sich selbst als »Imperator« und »Diktator« betitelt, ein fragwürdiges Geschlechterbild aufweist, anfällig für Verschwörungstheorien ist und mantraartig das kapitalistische »Vom Tellerwäscher zum Millionär«-Narrativ wiederholt, ließ dann doch recht schnell die Grenzen dieses Weltretter-Epos erkennen.

Ein Profi in Sachen Marketing

Der Spagat zwischen Battle- und Conscious-Rap scheiterte letztlich an seinem Konzept. Denn wer den Großteil seiner Zeit damit verbringt, die Menschheit in Sieger und Verlierer einzuteilen – und Sieger gibt es offenbar nur einen –, der kann nur schwerlich im nächsten Moment plausibel den volksnahen Menschenfreund mimen. Kollegah und Felix Blume standen sich hier plötzlich gegenseitig im Weg. Das erkannte auch Kollegah selbst, als er in einem Interview mit »TV Strassensound« mit diesem Widerspruch konfrontiert wurde: »Ich will damit auch um Gottes Willen nicht mein Business pushen. Oder mein Image. Das habe ich nicht nötig und das passt auch gar nicht zu meinem Image. Ich habe eigentlich genau das entgegengesetzte Image.«

Für einen kurzen Moment bröckelte die bosshafte Fassade. Doch nur wenige Monate später, als er im Interview mit Niko Hüls erneut auf diese Diskrepanz angesprochen wurde, lautete die Antwort bereits gänzlich anders: »Ich weiß gar nicht, worauf du hinaus willst. Ich mach meinen Rap und abseits dessen bin ich ein Mensch. Und dieser Mensch macht gewisse Dinge – und that’s it.« Auch das ist Kollegah: Ein Profi in Sachen Marketing. Fehler in der Selbstdarstellung werden umgehend ausgemerzt. Schon damals, als Separate ihn mit seiner Malwettbewerbs-Vergangenheit aufzog, münzte Kollegah diesen Makel in eine Stärke um, brachte Ölgemälde-Cover und Comics heraus und inszenierte sich so als künstlerisches Multitalent. Dazu dürften auch die Marketing-Genies von Selfmade Records ihren Teil beigetragen haben.

»Ich hab’s letztlich geschafft/mein Leben und meine Karriere meinen Tracks anzupassen«, verkündete Kollegah stolz auf »Midas«. Tatsächlich näherten sich die Privatperson Felix Blume und die Rapperpersona Kollegah mit der Zeit immer mehr an – was ihm in letzter Zeit jedoch zunehmend zum Verhängnis wird. Der Vorfall, bei dem er einen seiner Fans auf der Bühne schlug, ist dabei exemplarisch: Schlug hier nun eigentlich Felix Blume oder Kollegah zu? Fühlte er sich tatsächlich bedroht oder sah er sich gezwungen, vor einer Unmenge an Fans seinen Ruf zu verteidigen?

Dabei soll hier nicht die alte Leier wiederholt werden, dass Kollegah nur ein Image-Rapper sei. Jeder Rapper, der behauptet, sich nicht um sein Image zu scheren, macht seinen Hörern und möglicherweise auch sich selbst etwas vor. Vielmehr soll hier betont werden, dass Kollegan genau dieses Spiel mittlerweile besser beherrscht als die meisten seiner Konkurrenten. Bisher.

Doch für 2017 wird die Problematik offenbar vorübergehend auf Eis gelegt. Schon in der ersten Jahreshälfte standen die Zeichen voll auf Angriff, das für Ende des Jahres angekündigte Kollabo-Album »Jung, brutal, gutaussehend 3« scheint auch für Kollegah selbst deutlich relevanter zu sein als sein Mixtape »Golden Era«, das im Juli erschien. Schließlich soll zu »JBG 3« sogar ein Film entstehen, und schon jetzt mutet die Promophase deutlich ambitionierter an. Erste Schauspielerfahrung sammelte Kollegah bereits in seinem selbstproduzierten Streifen »Ghettoveteran«. Für den Film, der Ende Dezember erscheinen soll, wurde Constantin Film mit ins Boot geholt – der Rahmen hat sich demnach noch einmal deutlich vergrößert.

»Krieg ist auch gut. Krieg bereinigt!«

Die Inszenierung als Weltretter wird also zeitweise pausiert, um den asozialeren »JBG«-Kollegah glaubhafter verkörpern zu können. Eine Interview-Aussage wie »Krieg ist auch gut. Krieg bereinigt!« wie im Interview mit der »Backspin« wäre während der letzten Promophase noch undenkbar gewesen. Im Zuge der »JBG 3«-Promo gehört sie jedoch zum guten Ton. Im ersten dazugehörigen Blog macht sich Kollegah sogar über Songtexte lustig, die das Leid der Welt thematisieren. Noch auf »Fokus« prangerte er selbst den politischen Status Quo an und kündigte im selben Atemzug an, sich »für diese sterbende, kranke Welt« einzusetzen.

Dieser einstigen Ernsthaftigkeit setzen er und Farid Bang in ihren Blogs nun ein – zugegebenermaßen recht gelungenes – Feuerwerk an selbstironisches Schenkelklopfern entgegen. Auch die Fake-Single »Zieh den Rucksack aus« macht einen Umweg über das Land der Ironie, holt genau dadurch jedoch die afrotrapaffinen Hörer in derselben Weise ab wie seinerzeit »Wat is‘ denn los mit dir« und »Das hat mit HipHop nichts zu tun« in Richtung Ballermann schielten. Neben diesem mittlerweile obligatorischen trojanischen Pferd schlägt die offizielle Single »Sturmmaske auf« wieder die gewohnten Töne an: Von einem dröhnenden Chor-Beat begleitet reihen Kollegah und Farid ihre üblichen Wortspiele aneinander und flechten darin so viele Seitenhiebe ein, dass sich die »Rapupdate«-Schreiberlinge seit Tagen die Finger wund tippen.

In Sachen Selbstdarstellung bedeutet »JBG 3« also zunächst einen Rückschritt. Die Kunstfigur Kollegah wird vorübergehend überbetont, die Persönlichkeit Felix Blume hingegen bleibt bewusst im Hintergrund. Vorerst scheint der Widerspruch beseitigt. Doch spätestens, wenn das nächste Solo-Album ansteht; wenn die nächste wohltätige Reise als Doku hochgeladen wird; wenn Kollegah seinen geplanten Roman im Dan-Brown-Stil veröffentlicht – spätestens dann wird er sich erneut fragen müssen, wer er nun eigentlich sein möchte: Messias oder Macho? Weltretter oder Weltmonarch?