Brockhampton The boys can relate

Fandom findet online statt. Besonders gut zu beobachten ist das bei den Anhänger*innen von Brockhampton, die sich auf Twitter connecten, gegenseitig aushelfen und über Musik austauschen. ALL GOOD-Autor Till Wilhelm geht der besonderen Community auf die Spuren.

Brockhampton

Es ist einige Zeit ins Land gezogen, seitdem ALL GOOD-Autor Florian Weigl die All-American Boyband Brockhampton vorgestellt hat. Ameer Vann wurde nach diversen Anschuldigungen sexueller Belästigung aus der Gruppe geworfen, zwei Alben sind seitdem erschienen. War »Iridescence« ein Dokument einer Zeit, in der Brockhampton im Chaos zu versinken drohte, ist das Ende August erschienene Album »Ginger« inhaltlich und akustisch kohärenter und konsequenter. Dennoch bleibt zu sagen: The boys are depressed. Und die Fans?

Die Abreise von Ameer Vann aus dem Camp hat die anderen Mitglieder nicht nur wütend hinterlassen, sondern auch schwer traumatisiert. Einer ihrer besten Freunde hat sie belogen, hintergangen, ihr Vertrauen missbraucht. Was hilft? Therapie. Aber nicht im klassischen Sinne. Es geht vielmehr um die Grundlage der Gruppendynamik Brockhamptons. Die Gruppe traf sich in der Zeit der Albumproduktion wochenlang jeden Freitag im gemeinsamen Creative House, um angeführt von Shia LaBeouf über eigene Probleme und Kämpfe zu sprechen. Dabei war nicht nur stets das ganze Kollektiv zugegen, auch befreundete Künstler waren eingeladen, sich über ihre Woche und die guten und schlechten Ereignisse auszutauschen. Das ist nicht nur gut für die eigene psychische Gesundheit, sondern trug auch maßgeblich dazu bei, Einigkeit im Kollektiv und damit eine Grundlage für weitere gemeinsame Arbeit zu schaffen. Manager Henock Sileshi dazu im Interview mit »Complex«: »The thing I like about Friday Therapy is how I’ll feel like I’m the only one going through something and facing my own battles. Little did I know that there’s this circle of people around me. Here I am, going through these battles, and someone else is actually going through the same thing with me and we connect.« Wie diese Friday Therapy »Ginger« geprägt hat, ist beispielsweise auf dem Track »Dearly Departed« zu hören. Hier rappen Kevin Abstract, Dom McLennon und Matt Champion offen über ihre Perspektive zu den Geschehnissen um Ameer Vann und lassen ihrem Frust Luft: »It was about how me and my brothers been traumatized«

Wie reagieren die Fans darauf? Hauptsächlich mit viel Verständnis und Inspiration, die sie aus diesen Gewohnheiten ziehen. Nach dem Releasekonzert des neuen Albums, bei dem Brockhampton-Affiliate Victor Roberts eine Rede über Familie, Liebe und Dankbarkeit – zentrale Motive von »Ginger« – hielt, startete das Brockhampton Street Team bald eine eigene Serie der Friday Therapy. Hier können sich User jede Woche Freitags den ganzen Tag über austauschen, sich gegenseitig Ratschläge geben und vor allem: Zuhören. Die Teilnehmer*innen dieser Gruppenchats haben eigentlich wenig gemein: Sie leben auf unterschiedlichen Kontinenten, sind unterschiedlichen Alters und haben ganz verschiedene Probleme. Aber auch: Sie alle sind Fans von Brockhampton. Und das bedeutet nicht nur, dass sie die gleichen Lieder hören, sie ziehen ähnliche Inspirationen daraus, sie haben ähnliche Beziehungen zu ihren Vorbildern, die Musik der Boyband hat das Leben all dieser Menschen verändert.

Das Brockhampton Street Team besteht aus zwei Admins, die Giveaways organisieren, für Brockhampton werben, die Friday Therapy Sessions veranstalten. Sie erstellen Gruppenchats für Fans, die zusammen Konzerte in ihrer Gegend besuchen können, wenn sie keine andere Begleitung haben. Und das geht auch an der Boyband selbst nicht spurlos vorbei: Kevin Abstract und andere Brockhampton-Member folgen den beiden, säen Retweets, Dom McLennon hat das letzte Giveaway gesponsert. Laut Malorie, eine der Admins, sei Twitter die Plattform, auf der sich das Brockhampton-Fandom am engsten mit der Boyband verbunden fühlt. Die Brockhampton-Member seien hier am aktivsten, sie antworten Fans, sie äußern regelmäßig eigene spontane und lang ausgeklügelte Gedanken.

Auch wenn die Musik selbst natürlich die größte Rolle spielt, Fans inspiriert und stärkt, ist es auch die Interaktion in sozialen Netzwerken. Die Brockhampton-Member verfolgen und kommentieren die Geschehnisse in der Fanbase, sie vermitteln das Gefühl von Einheit und Freundschaft, wie Jerry vom Street Team erklärt. Dazu kommt, dass besonders Joba und Dom McLennon sich regelmäßig mit empowernden Botschaften an die Follower richten und sich mit diesen über ihre Erfahrungen austauschen.

Diese Atmosphäre kumuliert in den Friday Therapy Sessions. Hier tauschen sich junge Menschen aus aller Herren Länder über ihre Probleme aus, sie fühlen Kontrollverlust, Liebeskummer, Angst vor Verantwortung, Trauer und haben Schwierigkeiten bei der Identitätsfindung. Die Gruppe hilft aus, jedes Mitglied der Gruppenchats ist eingeladen, eigene Probleme auszusprechen und den anderen zu helfen. Jerry, der Gründer dieser Sessions, schreibt dazu: »I want to make sure that people don’t have to go through that pain of feeling alone. […] It’s like a support group where everyone understands each other and at the end of each sessions, a lot of weight would have already be taken off the participants’ shoulders.« Bei besonders schweren Fällen fällt der Verweis auf professionelle Therapiemöglichkeiten ganz von selbst, aber was diese jungen Menschen oft am meisten brauchen, sind Gleichgesinnte, die ihnen zuhören, auch zu erfahren, dass andere mit den gleichen Ängsten kämpfen.

Und das hilft. Die Teilnehmer*innen fühlen sich in diesen Chats sicher, mit allen Sorgen und Ängsten können sie sich an die anderen Teilnehmer wenden, immer winkt guter Rat oder Trost. Regelmäßig bedanken sie sich bei den Anderen, sagen, diese Sessions haben ihr Leben verändert. Einige bieten an, auch per Direktnachricht jederzeit erreichbar zu sein. Diese Gruppenchats haben ihnen in schweren Zeiten geholfen, das wollen sie zurückgeben. Sie wollen alles in ihrer Macht stehende tun, damit sich ihre virtuellen Freunde sicherer und besser fühlen. Die Sessions basieren auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt, die im Vorhinein geposteten Regeln sollen geachtet werden. Das heißt: keine Leaks, bleibt beim Thema, gebt eine Trigger-Warnung, wenn es um sensible Themen geht. Diese Regeln sind beständig und gelten auch, wenn es einen Special Guest gibt.

So ein Special Guest war kürzlich Victor Roberts, der mit dem Closer vom neuen Album »Ginger« ins Rampenlicht des Fandoms gerückt wurde. Doch kein Star-Kult ist zu spüren. Der Rapper gibt ebenso Ratschläge, wie er selbst Persönliches teilt und Ratschläge empfängt. Am Ende dieser Phase schreibt ein Teilnehmer: »You’re a lot like most of us here man. We’re human we ain’t perfect. We struggle day to day but look at how much we’ve all been through and how much we accomplishing.« Victor Roberts bleibt bis zwei Uhr morgens wach und nimmt sich die Zeit, der Gruppe zuzuhören. Die Friday Therapy Session endet, der Gruppenchat wird gelöscht, aber das Gefühl der Einheit hält an. Ein Schlusswort von Street Team-Admin Jerry: »All I can say is whatever most of us has been through or is going through, the boys of Brockhampton can relate, and they are hurting with us.«