Mr Tomkat Der Pionier (Original Chabos)

Unter dem Radar der deutschen HipHop-Öffentlichkeit hat sich eine kleine lebendige Untergrund-Rap-Szene entwickelt, die musikalisch und vor allem sprachlich ganz eigene Akzente setzt. Es ist eine Szene von Sinti – den echten Chabos. ALL GOOD besuchte einige Protagonisten. Der erste Teil der siebenteiligen Reihe »Original Chabos« handelt von dem Pionier des Sinti-Rap: Mr. Tomkat.

SintiRap_Tomkat

In der Neelmeyerstraße in Osnabrück, in der sich das Tattoo-Studio von Peter Schubert alias Mr. Tomkat befindet, fällt ein burgundener Lowrider ins Auge. Es ist ein Mercury Cougar XR7. Das Auto hat sich Boise (gesprochen: Boisi), wie Tomkats Sinti-Rufname lautet, letztes Jahr gekauft und sich damit einen Traum erfüllt, wie er sagt. Er und seine Jungs hätten schon für Lowrider geschwärmt, seit sie die amerikanischen Limousinen und Cabriolets erstmals in den Musikvideos der Songs von Dr. Dres »The Chronic« sahen. Wenig überraschend, dass sein Tattoo-Studio »Lowrider Ink« heißt. Tomkat fühlt sich seit jeher besonders zum West Coast- und Southern-Rap hingezogen. Doch an diesem späten Samstagnachmittag Ende November dröhnt der Wu-Tang Clan aus den Boxen des Tattoo-Studios.

Tomkat kommt hinter dem Tresen hervor. Er trägt Schwarz. Sneaker, Hose, Sweatshirt, Wollmütze – alles schwarz. Um den Hals trägt er eine silberne Kette mit einer Tätowiermaschine in Miniaturform. Tomkat hat eine auffallend weiße Kauleiste, bei jedem verschmitzten Lächeln blitzt sie auf. Er macht es sich in einer Sitzecke bequem, in der bereits seine Frau Vanessa sitzt. Tomkat ist 42 Jahre alt und gewissermaßen Old School. Und so rappt er auch. Damals wie heute, 24 Jahre nach seiner ersten Release. »Er darf das auch«, wird Maio, ein Sinto und Rapper aus Cloppenburg, später im ALL GOOD-Gespräch mit Blick auf Tomkats Pionier-Status als Sinto im Deutschrap sagen.

Mr. Tomkat war der erste deutsche Sinto, der Rap-Musik nicht nur aufnahm, sondern auch professionell unter die Leute brachte. Sein erstes – noch buchstäbliches – Tape hat der gelernte Klavierspieler und Hobby-Gitarrist bereits 1995 rausgebracht: »Blood & Higher Speeritz«. Ein Jahr später veröffentlichte er mit den Midnite Sonz – bestehend aus einem Polen, einem Italiener und zwei Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien – die Platte »Bözez Erwachen!«. Tomkat zufolge war es das erste deutsche Rap-Album, das komplett in Eigenregie, also ohne Label und Vertrieb, professionell releast wurde. 1998 folgte mit »Natural Born Playa« eine Solo-EP. Alles selbstproduzierte Releases, die stark von Funk und bis dato größtenteils englischsprachigen Raps geprägt waren.

Eindeutig als Sinto zu erkennen gab sich Tomkat erst 2001 mit dem Track »Sintengro Baschepen« (Musik der Sinti), dem ersten professionell veröffentlichten Rap-Song auf Romanes, der Sprache der Sinti. Er selbst sieht sogar erst sein zwei Jahre später erschienenes Lied »Schwarza Zigeuna« als »erstes richtiges Statement« für seine Identität als Sinto. Vielleicht weil es deutschsprachig und damit auch für Nicht-Sinti verständlich war. Schneller war mit einem solchen Statement nur ein gewisser Adriano (Paßquali) alias Special G., der bereits 1997 die Pop-Rap-Single »16 Jahr Wonderbra« veröffentlichte, auf der er sich als »Gipsy« zu erkennen gab und in einem gleichnamigen zusätzlichen Song auch einmal kurz auf Romanes rappte, von dem als Rapper danach aber nie wieder etwas zu hören war. »›Sintengro Baschepen‹ ist ein Statement für meine Herkunft gewesen, etwas, das ich machen wollte, um etwas zurück an meine Community zu geben«, sagt Tomkat im Rückblick. »Als ich zu rappen angefangen habe, da habe ich mich nicht darauf konzentriert, jetzt als der Sinto-Rapper bekannt zu werden. Ich wollte einfach als der krasseste Rapper bekannt werden. Und eigentlich wollt‘ ich nur harten, krassen Scheiß machen. Einfach, um zu schocken.«

Der Song »Sintengro Baschepen« befand sich auf seinem Album »Ave, Don Schizo«. Darauf rappte Tomkat mit Ausnahme von dem einen Track auf Romanes nun auf Deutsch. Zudem fiel der Sound wesentlich elektronischer aus und ließ einen deutlichen Memphis- und Horrorcore-Einschlag erkennen. Überhaupt wirken Tomkats Alben im Rückblick ein wenig wie der Prototyp dessen, was ein Skinny Finsta heute mit seiner Interpretation des Dirty South macht. Verständlich, dass sich Tomkat damit im damals noch recht engstirnigen Rap-Deutschland keine Freunde machte. »Die HipHop-Szene hat uns gehasst, die war zu der Zeit sehr Hamburg-geprägt«, erzählt Tomkat und stimmt kurz den Refrain von »Nordisch by Nature« von Fettes Brot an. »Ich weiß noch, wie wir um 1997 in Münster als Vorgruppe von F.A.B. oder so aufgetreten sind. Da hättest du eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Die Leute haben uns nur mit großen Augen angekuckt. Damals hat man uns nur in Osnabrück verstanden, der Rest sagte: ›Scheiß-Gangsta-Rap, das hat doch nix mit HipHop zu tun!‹ Wir waren zehn Jahre zu früh damit.«

Tatsächlich sei das heute rund 165.000 Einwohner zählende Osnabrück in den 90er Jahren weniger von der HipHop-Kultur mit ihren viel gepriesenen vier Elementen geprägt gewesen als von einer lebendigen Gang-Kultur. Die Nähe zur niederländischen Grenze habe die Entwicklung der Kriminalität in der sogenannten »Friedensstadt« begünstigt, führt Tomkat aus. Die deutsch-niederländische Grenze gilt als Durchgangsstation von Schmuggelwaren. Die multikulturell zusammengesetzten Banden hätten sich äußerlich durch jeweils andersfarbige Holzfällerhemden voneinander unterschieden, schildert Tomkat. So wie sie es eben aus amerikanischen Spielfilmen wie »Colors« oder »Boyz n the Hood« kannten. Besonders mit den Chicanos aus Los Angeles habe sich Tomkat identifizieren können – gerade als Sinto. »Wenn es in Deutschland Chicanos gäbe, dann wären wir die Chicanos«, sagt er. In ihrem familiären Zusammenhalt, Kleidungsstil, Habitus und der Musik habe Tomkat Aspekte wiedererkannt, die denen der Sinti-Kultur ähnelten.

»Richtig ausgerastet bin ich bei dem Film«, sagt er und zeigt an ein groß eingerahmtes Foto gleich hinter der Eingangstür des Tattoo-Studios. Es zeigt ein Gruppenbild der inhaftierten Mitglieder der Gang »Vatos Locos« aus dem 1993 erschienenen Film »Blood In Blood Out«. »Hier ist noch kein Sinto reingekommen, der vor diesem Foto nicht stehengeblieben ist und gesagt hat: Das ist mein Lieblingsfilm!«, erzählt Tomkat. Auf 300 bis 400 Mitglieder, die sich auf sieben bis acht Gangs verteilt hätten, schätzt Tomkat die Anzahl der damals an dem Bandenwesen Beteiligten. Einer davon war Tomkat selbst. In dem Osnabrücker Stadtteil Dodesheide habe er mit gut zwölf Freunden die Gang Def Unity gebildet. Andere Banden wie die Underground Squad oder King Cobras seien ungleich größer gewesen. Teilweise sei es unter den Banden nur um HipHop-Beef gegangen, Graffiti und Rap. Bei Veranstaltungen oder am Jugendzentrum sei es aber auch wiederholt zu Massenschlägereien gekommen, die große Einsätze der Polizei nach sich gezogen hätten. Auf Anfrage von ALL GOOD teilt die Polizei Osnabrück mit, dass einer ihrer Beamten zumindest noch von der türkischstämmigen Gang King Cobras gehört haben will. Nähere Angaben könne sie dazu aufgrund des zeitlichen Abstands von fast 30 Jahren nicht machen. Dieser Bandenhintergrund sei es jedenfalls gewesen, der den jugendlichen Boise an die Musik von Ice-T, den Geto Boys, Scarface und anderen West Coast- und Dirty South-Rappern herangeführt habe. »Man hört das, was einen widerspiegelt«, sagt er.

Die Erfahrungen, die er mit seiner Bande machte, flossen in Tomkats Musik zwar mit ein. Sie nahmen inhaltlich jedoch nie überhand. Vielmehr stand auf einem Großteil von Tomkats Alben häufig ein schräger Humor im Vordergrund. Und als Freunde ins Gefängnis gekommen seien und teilweise langjährige Haftstrafen hätten absitzen müssen oder an Überdosen Heroin gestorben seien, habe er sich inhaltlich wieder darauf besonnen, was ihm am meisten Freude bereitet habe und sein Antrieb für die Musik gewesen sei: »Am meisten Spaß hatte ich, wenn ich Party-Raps gemacht habe, und ich mit meinen Jungs saufen und feiern konnte und wir die Mädels hatten – Party- und Player-Rap«, erzählt er mit einem Lachen. Das war nach seinen Alben »Der Weg des Drachen« von 2003 und »XO: Untagrund Dekade« (2004). In dem Track »Rote Boon, Tosbrot und Smakz«, 2004 auf dem Sampler »Untergrund ungeschnitten« von DJ Timop erschienen, zeigte Tomkat nunmehr die Schattenseiten des Straßenlebens auf. Aus demselben Jahr stammt auch sein, wie er sagt, erfolgreichster Song, »Chaboz wie wir«, mit seinen Cousins von DNS, Danymal und Stage One, ebenfalls Sinti, als Gastrapper.

Eine eher unglückselige Beziehung verband Tomkat mit Bushido. Im Zuge der Gründung des Vertriebs »Distributionz« (heute: »distri«) von Jonas Okunorobo alias Jayo, über den auch die meisten von Tomkats Alben erschienen, habe es Anfang der Nullerjahre viele Berliner Rapper ins beschauliche Osnabrück gezogen, darunter neben Frauenarzt, MC Bogy oder Bass Sultan Hengzt eben auch Bushido. Das Studio habe sich zu der Zeit noch in Jayos Kinderzimmer befunden, sodass sich jedes Mal die Frage nach der Unterbringung der Gäste gestellt habe. Da Tomkat »sofort cool« mit Bushido gewesen sei, habe dieser bei ihm übernachtet. Kurze Zeit darauf sei Bushidos Album »Vom Bordstein bis zur Skyline« erschienen, auf dem sich Fler in dem Track »Vaterland« abfällig über einen namentlich nicht genannten »Zigeuner« äußert. »Du Zigeuner! Das Ghetto hat kein‘ Platz für dich«, heißt es da. Daraufhin habe Tomkat Bushido am Telefon damit konfrontiert, weil er vermutete, dass er damals Flers Texte schrieb. Er fragte ihn, was das sollte und wie viele Sinti er eigentlich kenne. »Nur dich«, habe er geantwortet und beteuert, dass diese Line von Fler nicht gegen ihn gerichtet gewesen sei.

Tomkat reagierte dennoch mit einem an Fler adressierten Disstrack namens »Vendetta«, auf dem ihm abermals Danymal und Stage One zur Seite stehen. Infolgedessen bezeichnete Fler Tomkat in einem Interview unter anderem als »schwulen Zigeuner«, was dem seinerzeit bereits deutschtümelnden Fler einmal mehr die Kritik der Nicht-HipHop-Presse einbrachte – und einen weiteren Diss-Track von Tomkat nach sich zog, der allerdings nie veröffentlicht wurde. Die »Juice« habe es seinerzeit abgelehnt, den Song auf ihre Heft-CD zu nehmen. In seinem Tattoo-Studio spielt Tomkat den Song an. »Geh zurück ins Heim, du Weißbrot!«, singt er in Anlehnung an Wild Cherrys »Play That Funky Music« im Refrain. Er lacht. Den Beef habe er »eigentlich sportlich gesehen, wie’n Battle«. Was ihn viel mehr geärgert habe, sei, wie er von den Medien zum »armen Opfer« stilisiert worden sei. »Ich habe es schon immer gehasst, als Sinto in die Opferrolle gesteckt zu werden«, sagt er. »Keiner erwähnte, dass ich Fler vorher schon ›Vendetta‹ um die Ohren gehauen hatte.«

2005 machte Tomkat schließlich das Album, das er schon immer habe machen wollen. »Ich wollte Dr. Dres ›Chronic‹ für Deutschland machen, denn das gab’s hier noch nicht«, sagt er. G-Funk auf Deutsch also. Das Ergebnis war »Playa TKay: Rap, Euros & Hoes«, das, wie er sagt, erste deutsche G-Funk-Album. Es ist die in sich schlüssigste und eingängigste Platte aus Tomkats Opus. Neben Funk-Elementen, etwa in »Computer-Liebe« mit Sin2, oder dem Memphis-artigen »Alles wegen Lobi«, finden sich auch Soul-Einflüsse, zum Beispiel in »Wenn du mich brauchst« in Form eines Sample aus »I’ll Be Around« von The Spinners. 1.200 Exemplare habe er von »Rap, Euros & Hoes« verkauft. »Für ein Untergrund-Album nicht schlecht«, findet Tomkat. Leider habe sich der G-Funk-Sound damals noch nicht in Deutschland durchsetzen können, bedauert er. Auf breiter Ebene änderte sich das ja mit Xatar oder Ssio. »Ssios Beat-Produktion hat mich voll umgehauen«, sagt Tomkat.

Nach »Rap, Euros & Hoes« habe er dann »einfach die Lust verloren«, sagt er. »Alles hatte sich geändert – die Musik, die Mentality. Alles, was ich an HipHop geliebt habe, gab’s nicht mehr.« Zwischendurch veröffentlichte Tomkat dann zwar doch noch den einen oder anderen Song. Aber vor allem ließ er nun ein altes Hobby, das Zeichnen, wieder aufleben und fand auf diesem Wege 2009 zum Tätowieren. Seit drei Jahren betreibt er sein eigenes Studio. Darüber hinaus engagiert sich der mehrfache Familienvater im Vorstand des Vereins »Maro Dromm Sui Generis«, einer Interessenvertretung der Sinti in Osnabrück.

Es klopft an der Tür des Tattoo-Studios, das Tomkat in der Zwischenzeit verschlossen hatte. Es ist Dany Franz alias Danymal mit einem in Blaumann gekleideten Freund im Schlepptau. »Ah, Kosengo!«, begrüßt Tomkat die Besucher freudig. Sie scherzen eine Weile miteinander. Dann zückt Danymal sein Smartphone und spielt einen neuen Track seiner Crew D.N.S. vor. Kopfnicken. Kurz darauf verschließt Tomkat sein Studio von außen und verschwindet mit den anderen in der Dunkelheit.