Yasha & The Krauts Kreuzberg State of Mind

Im Sommer 2013 veröffentlichte Yasha sein Debütalbum »Weltraumtourist«. Das Album entstand – wie die Platten von Peter Fox, Miss Platnum und Marteria – unter der Schirmherrschaft von The Krauts. ALL GOOD-Autor Stephan Szillus hat Yasha und die Krauts in ihrem Kreuzberger Studio besucht.

Yasha

Am Görlitzer Park haben die afrikanischen Dealer längst Stellung bezogen. Es ist Mittagszeit, ein paar von ihnen versorgen sich am Spätkauf mit Bier. »Großer Mann, brauchst du ein bisschen Bob Marley?«, ruft mir einer von einem Fahrrad zu und macht sich bereits daran, die Straße zu überqueren, um seine Konkurrenten von der anderen Seite des Parks auszustechen. Trotz des offenen Drogenhandels gehören die Straßen zwischen »Görli« und Landwehrkanal zu den teuersten des Bezirks. Angesagte Frühstückscafés reihen sich an Second-Hand-Fahrradläden, winzige Kunstgalerien an versteckte Musikstudios. In einem davon hat der Berliner Sänger Yasha mit den Produzenten The Krauts sein Album »Weltraumtourist« aufgenommen — ein Manifest des neuen Kreuzberg State of Mind unter lila Wolken.

The Krauts sind DJ Illvibe, Dirk Berger und David »Monk« Conen. David ist Yashas Bruder und gilt spätestens seit seiner Mitarbeit an »Stadtaffe« von Peter Fox als einer der besten Pop-Texter des Landes. Die Brüder hatten zu Beginn der nuller Jahre zusammen mit Illvibe in der HipHop-Band Moabeat gespielt, dann trennten sich ihre Wege und wurden durch die gemeinsame Arbeit an den Platten von Peter Fox und Marteria allmählich wieder vereint. Heute gehören The Krauts zur innovativen Speerspitze im deutschsprachigen Musikmarkt, obwohl sie niemals bewusste Selbstvermarktung betrieben haben. Sie gehören zu der seltenen Spezies von Subkultur-Nerds mit der Fähigkeit, das über Jahre angesammelte Spezialistenwissen zu dreiminütigen Pop-Perlen gerinnen zu lassen, die nicht nur für andere Nerds, sondern auch für die Büroangestellte auf dem Arbeitsweg funktionieren. Ihre Songs laufen auf WG-Parties und im Formatradio, in coolen Clubs und Provinzdiscos.

Die Conens sind eine waschechte Künstlerfamilie: Der Vater arbeitete am Theater und spielte Gitarre, die Mutter sang Tango und Chanson. Yasha wurde auf der gemeinsamen Tour seiner Eltern geboren. Schon als Kind entdeckte er den HipHop für sich: Zunächst mit Breakdance- und Electro-Kassetten, dann mit dem melodischen Westcoast-Rap von Souls of Mischief und The Pharcyde, der im Berlin der neunziger Jahre eine entscheidende Rolle spielte. »Mit 16 habe ich angefangen, elektronische Sachen aus England zu hören, vor allem Drum & Bass und Garage, aber auch so etwas wie Aphex Twin oder Björk. In meinen HipHop-Kreisen galt ich daher bald als der Raver.« Yasha trat in Clubs wie dem »Tresor« als Drum & Bass-MC auf und machte um die Jahrtausendwende mit einem Kumpel eine in England und Japan moderat gefeierte Industrial-Platte. Eine Zeitlang war er Teil der Puppetmastaz, einer fiktiven Supergroup aus rappenden Handpuppen.

Anfang der nuller Jahre gründeten Yasha und Monk zusammen mit DJ Illvibe und dem Rapper Malo die experimentelle HipHop-Formation Moabeat. 2003 veröffentlichten sie die EP »Bär auf Speed«, im Jahr darauf die LP »Dringlichkeit besteht immer«. Beide Platten bekamen zwar Zuspruch von Kritikern und Theoretikern, doch der Erfolg beim Publikum blieb aus. Die Enttäuschung darüber schlug in eine kreative Flaute um, die in die faktische Auflösung der Band mündete. Yasha brannte mit einer Frau in die USA durch, schlug sich als DJ und Hilfsarbeiter durch, verkaufte später Designeranzüge auf der in New Yorker Fifth Avenue. Seine wahre Leidenschaft, die Musik, ließ ihn jedoch nie wirklich los. Und vor allem vermisste er seine Freunde in der Heimat.

Der in Berlin verbliebene Rest von Moabeat arbeitete derweil im Hintergrund an neuen Projekten, vor allem im Umfeld der Reggae- und Dancehall-Band Seeed. Illvibe war außerdem immer noch DJ der Jazzband Lychee Lassi, bei der auch Dirk Berger spielte — ein klassisch ausgebildeter Metal-Gitarrist, der auch düsteren Leftfield-HipHop zu schätzen wusste. Monk und Illvibe holten Berger für einzelne Remix-Arbeiten an Bord, immer öfter spielte er für sie Samples im Studio nach. Der Musiker Berger war genau jenes Element, das den HipHop-Produzenten Monk und Illvibe für größere Produktionen noch fehlte. Der gemeinsame Durchbruch kam 2009 mit »Stadtaffe«, dem Soloalbum des Seeed-Frontmanns Peter Fox. The Krauts entwickelten gemeinsam mit Fox die aufwendige Vision einer tanzbaren Orchester-Filmmusik, Monk textete beinahe ein Jahr lang mit dem Sänger. Am Ende stand ein moderner Klassiker und eine Blaupause für die deutschsprachige Popmusik der nächsten Jahre. »Stadtaffe« verkaufte sich bis heute über 1,2 Millionen mal — fünffach Platin.

In dieser Situation hätten The Krauts den einfachen Weg gehen und sich als Hit-Lieferanten prostituieren können, mit dem »Echo« als Produzenten des Jahres im Rücken. Doch das Trio entschied sich für eine weitere Albumproduktion. »Für uns spielt Geschmack eine große Rolle«, erklärt Illvibe. »Daher könnten wir nie die klassischen Auftragsproduzenten sein. Wir müssen uns mit dem Ergebnis schon sehr stark identifizieren können.« The Krauts hatten den aufstrebenden Rostocker Rapper Marteria kennengelernt und produzierten nun seine Platte »Zum Glück in die Zukunft«. Für die Hook der ersten Single »Verstrahlt« brauchten sie eine männliche Gesangsstimme. Monk rief seinen Bruder Yasha in Amerika an, der zu diesem Zeitpunkt bereits mit Rückkehrgedanken spielte. »Wir hatten uns versprochen, dass wir irgendwann noch etwas Großes zusammen machen«, so Yasha. »Als er anrief, meinte er, er habe wegen der Peter-Fox-Scheibe nun die Möglichkeit, mir die ersten paar Monate in Deutschland zu finanzieren.«

Als Yasha zurück nach Berlin kehrte, ließ er sich direkt in den Schoß des neuen kreativen Kollektivs fallen, das bis heute Bestand hat und zu dem auch Marteria und die rumänischstämmige Sängerin Miss Platnum gehören. »Verstrahlt« wurde ein Pop-Hit, »Zum Glück in die Zukunft« krempelte in der Folge die deutsche HipHop-Szene auf links. Die Industrie stand Schlange. The Krauts unterschrieben einen lukrativen Verlagsvertrag bei BMG, kurz danach verhandelte ihr Management für Yasha einen Plattenvertrag bei Four Music, jenem Berliner Label, wo bereits Marteria und Miss Platnum eine Heimat gefunden hatten. Parallel arbeitete man nun im Studio an den neuen Projekten von allen drei Künstlern. Aus diesen Sessions entstand die gemeinsame »Lila Wolken«-EP, die im Sommer 2012 dank des Erfolgs des Titelsongs zu einem der wichtigsten Pop-Momente des Jahres wurde. Gerade in Verbindung mit der hippen Hauptstadt-Ästhetik der befreundeten Videoproduktionsfirma »EasyDoesIt« traf der Song einen Nerv. Bis heute wurde »Lila Wolken« 400.000 mal verkauft.

Yashas Moment war gekommen. In einem ausgedehnten Arbeitsurlaub auf Malta wurden die 12 Songs seines Solo-Debüts »Weltraumtourist« geschrieben, dann begannen die Live-Sessions in Hannover und Berlin. »Wir wollten etwas machen, was es so noch nicht gibt«, erklärt Dirk Berger. Schon für Marteria hatten The Krauts warme Sample-Ästhetik mit synthetischen Sounds und Live-Instrumenten gemischt. Elektronische Musik mit Seele machen, den kalten Maschinenklängen von Techno, Dubstep und Drum & Bass menschliches Leben einhauchen, so lautete die nicht minder anspruchsvolle Aufgabe, die Yasha ihnen mit Blick auf seine eigene Sozialisation stellte. Referenzplatten kamen zu Beginn noch von Empire Of The Sun, Major Lazer, Fever Ray oder Frank Ocean, doch dann löste man sich von allzu starren Konzepten. »Erst als wir uns von allen Vorstellungen befreiten, ging es mit der Platte wirklich voran«, so Yasha. »Die schönsten Momente passierten, wenn jeder für sich geklimpert hat — und auf einmal war der Song da. Ein guter Song entsteht oft in zehn Minuten.«

Generell war die Arbeit an »Weltraumtourist« exemplarisch für den basisdemokratischen Produktionsprozess der Krauts. »Die Songs entstehen bei uns in der Produktion«, so Illvibe. »Klassisches Songwriting und Track-Entwicklung laufen miteinander einher, man puzzlet da eben so herum. Deswegen dauert es bei uns immer ein bisschen länger.« Ausgangspunkt ist in der Regel eine Logic-Skizze eines der drei Produzenten, feste Arbeitsabläufe bei der Weiterverarbeitung dieser Entwürfe gibt es nicht. Illvibe steuert Drumloops bei, der er auf seiner Native Instruments Maschine programmiert und samplet. Monk arbeitet primär mit Synthesizern und Plug-Ins, Berger hingegen spielt Live-Instrumente ein, allen voran Bass und Gitarren. »Man kann sich das fast so vorstellen, als wenn eine Band im Studio jammt. Dabei spielt auch der Zufall eine große Rolle«, so Illvibe. »Ich sage auch mal einen Satz wie: Die Tonart ist falsch«, lacht Berger. »Und wenn einer aus dem Team eine Idee nicht geil findet, wird das bis zum Ende ausdiskutiert«, ergänzt Yasha.

Auch um die brillante Textarbeit von Monk ranken sich in der Industrie so einige Mythen: Es gebe ein festes Regelwerk, das er eisern befolge und durchsetze. Von drei geschriebenen Strophen lasse er stets maximal zwei Zeilen stehen und schicke den armen Autoren dann wieder zurück an den Schreibtisch. Vieles davon ist übertrieben. Richtig ist: Monk hasst Füllwörter und Sprachklischees, er streicht Redundanzen und Gemeinplätze. Seine große Stärke ist das Weglassen, ganz nach dem Motto: »Kill your darlings«. Aus ohnehin talentierten Songwritern wie Peter Fox oder Marteria kitzelt er das absolute Maximum an Distinktion heraus. »Genau so wie wir an den Beats tweaken, so tweake arbeite ich auch mit den Künstlern an den Texten«, bestätigt er. »Wir arbeiten dabei immer antizyklisch: Nie das machen, was gerade angesagt oder schon abgegessen ist, sondern immer neu denken.« Für Yasha war die Schule seines Bruders harte Arbeit: »Es ist leichter, einen HipHop-Text zu schreiben als einen guten Pop-Song — vor allem so, dass am Ende auch ein Typ über 20 sagen kann, dass der Song cool ist.«

Das Ergebnis dieses Schaffensprozesses, Yashas erstes Album »Weltraumtourist«, erzählt die Lebensreise eines erwachsenen Mannes. Die musikalischen Einflüsse gehen weit über HipHop hinaus, greifen Motive von Jungle bis Minimal Techno, von Indiepop bis Post-Dubstep auf. Die Songs heißen »5 Minuten Gott« oder »Dämon«, in den Texten hagelt es Anspielungen auf Drogenexzesse, aber auch auf wichtige Lebensstationen wie Yashas Zeit in Amerika, die Geburt seiner beiden Kinder oder den Tod seines Bruders. »Es ist ein Herzensalbum mit einer positiven Message«, fasst er zusammen. Gleichzeitig spiegelt »Weltraumtourist« auch den Lifestyle vieler (zugezogener) Kreuzberger im Jahr 2013, diese »Kein Bock, aber Gästeliste«-Mentalität der freien Kreativen, deren Leben zu kurz ist, um Deutsch zu lernen, und die öfter mal wach bleiben, bis die Wolken wieder lila sind.

Die erste Single »Strand« traf mit ihrem Beat-Gerüst direkt aus dem Berghain-Biergarten einmal mehr den Zeitgeist, wurde zum Sommerhit und verkaufte sich an die 100.000 mal. Das Album selbst landete bei Veröffentlichung knapp in den Top 20. Natürlich hatte die neue Situation einen größeren Erwartungsdruck mit sich gebracht, der möglicherweise nicht erfüllt wurde. Yasha zieht dennoch positive Bilanz: »Ich glaube, diese Platte wird einen langen Atem haben. Outkast hat am Anfang auch keiner verstanden.« Tatsächlich war kommerzieller Erfolg, zumal in Deutschland, nie ein verlässlicher Gradmesser für die Qualität von Musik. Yasha und The Krauts wollen zwar ausdrücklich Pop machen und sehen sich nicht mehr zwingend als Teil der HipHop-Subkultur, aus der sie entsprungen sind. Ein zweites »Lila Wolken« gibt es auf »Weltraumtourist« trotzdem nicht. »Es gibt keine Schablone«, sagt Monk. »Wichtig ist, dass das Ergebnis authentisch und kredibil ist.«

In seinem sechsjährigen amerikanischen Exil hat Yasha gelernt, dass die Welt größer als HipHop ist. Gleichzeitig entfernte er sich von der Vorstellung, andere Probleme als seine eigenen zu thematisieren. »Das Drama, das ich bei den Rappern in Philadelphia oder New York gesehen habe, lebte ich selbst nicht. Ich habe in Clubs gespielt, wo später jemand auf der Bühne erschossen wurde. Mir wurde nahegelegt, mich zu bewaffnen, wenn ich auf Tour gehe. Das war einfach nicht mehr meine Welt.« Stattdessen fokussierte er sich nach seiner Rückkehr in seine Heimatstadt Berlin darauf, »eine gute Pop-Platte mit Eiern« zu schreiben, »eine Platte, die man hören kann, wenn man zurück vom Feiern kommt.«

Eine Sonnenbrille verdeckt Yashas Augen. Er hat mit Freunden bis morgens um sieben Uhr im »Weekend« gefeiert.