Dissythekid »Zur Zeit sind sehr viele weichgespülte Videos im Umlauf.«

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Deutschrap gleicht derzeit ja einem endlosen Ringelpiez mit Anfassen. Ist ja auch schön, dass sich alle so lieb haben. Aber das kollektive Gruppenkuscheln hat insbesondere im Newcomerbereich auch weichgespülte Gleichschaltung zur Folge. Da ist keiner mal ein bisschen anti. Also: ernsthaft anti. Außer vielleicht solche Strategen wie Dissythekid, dessen »Pestizid«-EP heute erscheint.

Der Erfurter hat sich mit seinen Kollegen schon früh sämtliche Battlerap-Releases aus Westberlin gegeben. Aber dann ist da auch noch der kunstvolle Downtempo-Rock von Portishead. Und außerdem so viel verdammte Scheiße in der Welt, die es zu bekämpfen gilt. Ein Interview über das Klein-Klein der Erfurter Rap-Szene, den Einfluss von Sonne Ra auf Dissys Kunst und warum eklig manchmal genau richtig ist.

  • Du bist ja großer Fan von Bushidos »Vom Bordstein bis zur Skyline«. Erinnerst du dich noch, wann du dir das gekauft hast?

  • Das muss kurz nach dem Release gewesen sein. Das ging bei uns in der Schule schon rum und es war einfach cool, das zu kennen. Und ich habe mich davon anstecken lassen. Dann bin ich zu Saturn, habe es mir mit Kopfhörern angehört, gekauft und nur noch gepumpt

  • War das dein erster Kontakt mit Straßenrap aus Berlin?

  • Nein, vorher gab es schon Sachen wie die Sekte, M.O.R., Frauenarzt, die Bass Crew oder Beatfabrik. Das haben wir auch alles gehört, uns gegenseitig vorgespielt und waren immer belustigt, wenn da irgendwer auf einem der Songs Wörter wie »Fotze« gesagt hat. Aber dann hat man es noch lauter gedreht, um die Erwachsenen zu schocken. (lacht) Das war eben einfach Anti-Mucke.

  • »Die Menschen ekeln sich vor Insekten mit langen Beinen. Und genau so sehe ich mich auch als Künstler.«Auf Twitter teilen
  • Ich habe auf deiner Facebookseite auch gelesen, dass Hiob der erste und einzige Rapper ist, von dem du dir ein T-Shirt gekauft hast.

  • Ja, das stimmt. (lacht) »Drama Konkret« war einfach ein geiles Album. Ich weiß auch gar nicht mehr, wie ich damals auf ihn gekommen bin. Ich fand’s einfach stark, weil es ein bisschen anti und misanthropisch daherkam. (grinst) Ich mochte außerdem, dass er immer ein bisschen im Hintergrund agiert hat. Auch bei den Bestesten hat er sich nie ins Rampenlicht gedrängt, sondern eher schönes Understatement betrieben.

  • Ich muss gestehen, dass ich mir erst im Zuge der Interviewvorbereitung mit der Erfurter Rap-Szene beschäftigt habe. Aber neben dir gibt es da ja auch noch Leute wie Dekzter Fro, die echt gutes und eigenständiges Zeug machen. Ich dachte immer, dass es in Erfurt nur den Zughafen und Clueso gibt. Warum fliegt ihr denn so unter dem Radar?

  • Ach, das liegt auch an uns selbst. In Erfurt gibt es eben nur ein sehr kleines Netzwerk. Ich kenne auch ein paar nette Leute aus dem Zughafen, aber es ist eben einfach alles sehr klein hier und braucht etwas mehr Anstrengung als in den großen Städten. Ich habe einfach immer mein eigenes Ding gemacht.

  • Ich habe gelesen, dass du irgendwann mal ein Album namens »A.N.G.E.R« machen wolltest. Was ist daraus denn geworden?

  • Daraus ist nichts geworden, aber das ganze Dissythekid-Konzept ist daraus entstanden. Ich habe in Erfurt lange am Anger gewohnt. Das ist ein zentraler Platz in der Stadt. Und ich fand es ganz witzig, das einfach englisch auszusprechen und da mehr draus zu machen. Die anderen Jungs fanden das aber total bescheuert. (lacht) Ich wollte da einen ganz eigenen Stil und eine eigene Schiene finden – in gewisser Weise so, wie ich es jetzt auch tue … aber es ist eben schwierig, andere Leute von dieser einen Vision zu überzeugen.

  • Sind denn Texte, die du damals geschrieben hast, jetzt noch auf der EP gelandet?

  • Ja, »Captain Hook« hat es in abgeänderter Form auf das Release geschafft.

  • Du hast gerade von einer Vision gesprochen. Welche ist das denn? Oder anders gefragt: Wann hast du dieses Konzept von dir als Künstler vor Augen gehabt?

  • Eine wichtige Inspiration war für mich auf jeden Fall Sonne Ra. Das klingt vielleicht komisch, weil der ja etwas ganz anderes macht als ich. Aber vieles von dem, was er gesagt und die Musik, die er mir von sich gezeigt hat, hat mich total beeindruckt. Seine alten Alben sind total eigen: Er hat da auf die Beats von Sadgda Jamama gerappt, die teilweise sehr roh und experimentell klingen. Das hat mich total an mich selbst erinnert, als ich mit 15 mit der Musik angefangen habe. Die Songs damals klangen total billig und trashig, aber waren thematisch viel näher an mir dran, als die Sachen, die ich dann später recordet habe. Bei denen hab ich vielleicht versucht, wie jemand anders zu klingen. So kam es eigentlich, dass ich Lust bekommen habe, wieder etwas total Rohes zu machen.

  • »Sachen, die mir im Kopf bleiben, sind eben meist nicht die schönen, sondern eher die, in denen man Scheiße erlebt hat oder die einen schockiert haben.«Auf Twitter teilen
  • Das finde ich spannend. Zumal mit 15 ja alles irgendwie unscharf ist. Man weiß oft auch nicht, wer man ist, welche Musik man gut finden soll – und all das findet sich ja irgendwie auch auf der EP wieder.

  • Ganz genau.

  • Lass uns mal über das – in meinen Augen sehr gelungene – Cover sprechen. Da sieht man diesen Käfer. Wer soll das sein?

  • Das bin ich selbst. Gleichzeitig ist der Käfer aber auch so etwas wie mein bester Freund. 

  • Warum ausgerechnet ein Käfer?

  • Die Menschen finden Käfer nicht schön. Sie ekeln sich meistens sogar vor Insekten mit langen Beinen. Und genau so sehe ich mich auch als Künstler. Ich habe keine bösen Absichten, aber die Leute finden den Sound und den Look erst mal eklig oder befremdlich.

  • Die Musik kommt ja unter anderem von Fynn. Wer ist das eigentlich?

  • Fynn ist mein Schatten, der böse Engel, der mir auf der Schulter sitzt.

  • Wer außerdem mitproduziert hat, ist Friedhelm Mund. Das fand ich sehr spannend, weil der eigentlich ja aus einer ganz anderen Ecke kommt und hauptsächlich Filme und Werbespots vertont.

  • Genau. Die Zusammenarbeit lief meist so ab, dass ich die Texte vorgegeben habe, Fynn die rauen Beats gebaut hat und Friedhelm das Ganze ausgearbeitet hat. Das hat sehr gut gepasst, weil er es aus seiner Arbeit als Komponist für Filmmusik eben beherrscht, Musik noch atmosphärischer zu machen. Er hat dann auch noch analoge Störgeräusche eingefügt und zum Beispiel das Rütteln an der Türklinke in einen Beat eingewoben. Und genau dieser Gegenpart zu den rauen Beats von Fynn und mir war es, was noch gefehlt hat. 

  • Deine Texte funktionieren auch sehr gut ohne Musik, sie wirken wie Kurzgeschichten. Wie schreibst du die?

  • Meist habe ich ein Thema oder einen Satz. Und dann ist es eigentlich nur noch Fleißarbeit, das alles Drumherum aufzufüllen. Oft überarbeite ich die Texte dann noch drei- oder viermal, ehe ich aufnehmen gehe. Manchmal schreibe ich aber auch die ganze Nacht durch, ehe ich morgens ins Studio gehe. Das hat man dann auch gehört, aber es war sehr gut.

  • Schreibst du nüchtern?

  • Unterschiedlich. Ich habe da schon viel ausprobiert. (lacht) Es ist sehr interessant, womit man das Bewusstsein erweitern kann, ehe man Texte schreibt oder aufnimmt. Aber ich glaube, nüchtern ist es schon am besten.

  • »Es ist sehr interessant, womit man das Bewusstsein erweitern kann, ehe man Texte schreibt oder aufnimmt.«Auf Twitter teilen
  • Lass uns doch noch mal über den Ekelfaktor sprechen. Bei deinem Käfer musste ich an die Schabe denken, die Tyler, The Creator im Video zu »Yonkers« verspeist – auch wenn deine Kunst in meinen Augen um einiges vielschichtiger und nicht nur auf plumpe Provokation aus ist: Was fasziniert die Leute so an Ekligem?

  • Natürlich hat mich Odd Future oder Die Antwoord inspiriert. Zur Zeit sind ja schon sehr viele saubere, glatte und weichgespülte Bilder und Videos im Umlauf. Es hat mich eben gereizt, damit zu brechen. Sachen, die mir im Kopf bleiben, sind eben meist nicht die schönen, sondern eher die, in denen man Scheiße erlebt hat oder die einen schockiert haben. 

  • Wie soll es bei dir eigentlich in naher Zukunft weitergehen?

  • Es wird auf jeden Fall ein Album geben und ich habe schon ein paar Ideen, wo es hingehen soll. Die ganze Figurenkonstellation und die Welt, die man auf »Pestizid« schon hört und sieht, soll noch weiter beleuchtet werden.

  • Wenn du jetzt von einer Welt sprichst: Skizzierst du so etwas vorher?

  • Schon ein wenig. Ich wollte das Ganze ursprünglich mal so wie bei den Gorillaz aufziehen. Das möchte ich eigentlich auch immer noch. Wenn man sich die Videos ganz genau anguckt, dann kann man da auch schon ein paar Sachen entschlüsseln. (lacht)

  • Die Kombination aus Cover und Musik hat in mir beim Hören den Eindruck einer audiovisuell erlebbaren Graphic Novel hinterlassen.

  • So ist es auch gedacht. Ich liebe so einen Scheiß. Im Booklet gibt es schon einen kleinen Comic und dieses Comichafte würde ich genau wie den visuellen Look gerne weiter vorantreiben – wie eine kleine Geschichte.