Torky Tork »Willst du lieber eine Diktatur ohne Meinungsfreiheit oder geköpft werden, weil du Musik hörst?«

Als Torky Tork 2008 Syrien bereiste, herrschte zwar bereits seit Jahrzehnten die tyrannische Militärdiktatur Assads, er konnte sich aber gerade noch frei genug bewegen, um Nahaufnahmen der Vorkriegszeit zu schießen und auf Flohmärkten die musikalischen Schätze des Nahen Ostens zu entdecken. Zurück in Berlin, sampelte sich der freie Fotograf durch das mitgebrachte Vinyl sowie die MP3-Sammlungen arabischer Künstler und programmierte daraus »Syria« – ein großartig-experimentelles Beat-Tape.

Torky-Foto-Robert-Winter

Zeitsprung ins Jahr 2015. Wer heute als Fotograf nach Syrien reist, ist entweder abenteuerlustig und lebensmüde – oder Kriegsreporter. Im fünften Jahr nach der Revolution und der Kalifatserrichtung des Islamischen Staates sind mehr als 100 Journalisten und über 200.000 Zivilisten getötet worden. Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht.

An den Wänden von Torky Torks Neuköllner Altbauwohnung stapelt sich billiges Amiga-Vinyl, Trashplatten, Skurriles vom Trödelmarkt und frische Ware von seinem letzten Trip aus dem Libanon. Der Urberliner Wessi, bekannt für seine Vorliebe für ostdeutsche Samplequellen, hat sich zu einem der vielseitigsten Produzenten der Hauptstadt-Beat-Szene gemausert. Die Arbeiten als Soundarchitekt von »Normaler Samt« mit den Brudis Audio 88 & Yassin sind abgeschlossen, ein Projekt als T9 mit Funkverteidiger Doz9 fertig aufgenommen.

Ähnlich unterschätzt wie »Syria« sind auch Torkys Beattapes über Asterix und Obelix, den Polizeiruf oder die Pornoindustrie. »hhv.de« kam daher auf die gute Idee, die gesamte Bandcamp-Diskografie auf Vinyl pressen zu lassen und veröffentlicht zuerst »Syria«, mit dem Original-Artwork – den Reise-Bildern von Torky – in drei verschiedenen Cover-Auflagen. Aufgrund der traurigen Aktualität und dramatischen humanitären Lage im Land werden alle Einnahmen gespendet. Die Hintergründe der Bilder fasste Torky auf ALL GOOD bereits in einer Galerie zusammen. Carlos Steurer sprach mit Torky über das Projekt und seinen Syrien-Trip vor sieben Jahren.

  • Wie kam es damals zu deiner Reise nach Syrien?

  • Ich war noch Student und ein guter Kumpel und Kommilitone hat syrische Eltern und wir hatten beide Bock darauf, da hinzufahren. Wir haben halt Urlaub und Fotos gemacht und unterwegs super viel Musik entdeckt. Man kann dort ganze Diskografien arabischer Künstler für 50 Cent auf der Straße kaufen. Das sind zwar billigste MP3s, die hatten aber knapp acht Stunden Laufzeit: Filme, Serien, DVDs – alles. 

  • Der Bürgerkrieg in Syrien jährt sich gerade zum fünften Mal, währenddessen hat der Islamische Staat auf barbarische Weise ein Kalifat errichtet. Wie sah die politische Lage des Landes aus, als du dort warst?

  • Die war noch stabil, aber halt schon eine militärische Diktatur. Die Machtclique um Baschar, den Sohn von Hafiz al-Assad, regierte schon ewig. Und die ersten Aufstände und Revolten gingen erst zwei Jahre später los. Ähnlich wie im Libanon gibt es auch in Syrien über ein Dutzend verschiedener Religionsgemeinschaften. Assad gehört zu den Aleviten – eine Untergruppe der Schiiten – die im Land die Minderheit stellen, aber viele hohe Machtpositionen besetzen. Das politische System im Libanon ist so aufgeteilt, dass die Ministerposten von verschiedenen Glaubensrichtungen besetzt werden müssen. Zum Beispiel muss der Präsident maronitischer Christ sein, der Ministerpräsident Schiit, der Verteidigungsminister Sunnit, der Sprecher der Nationalversammlung Schiit und so weiter. In Syrien regiert Präsident Basar Al-Assad und seine Machtclique. Die Sunniten, die eigentlich in der Mehrheit sind, werden systematisch unterdrückt.

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  • Hat man damals schon vereinzelte Revolutionsbewegungen, eine Umbruchsstimmung oder religiöse Radikalisierung im Land wahrgenommen?

  • Die Menschen, die wir trafen, waren vorsichtig: Wenn du was Falsches sagst, verschwindest du da einfach. Was wir mitbekamen, war ein Kurzangriff der Israelis auf den Gaza-Streifen. Da bekommen alle schulfrei, die syrischen Ämter werden geschlossen und Menschen gehen auf die Straße. Mobilisiert von der Hamas und der Hisbollah, demonstrieren sie und verbrennen Israel-Flaggen. Wirklich frei fühlt man sich nicht. Da nimmt dich auch mal die Geheimpolizei mit, wenn du an einer Bushaltestelle oder von Soldaten Fotos machen willst. Unter Assad war die Lage im Land schon katastrophal, aber schau dir mal an, was der IS jetzt macht: Willst du lieber eine Diktatur ohne Meinungsfreiheit oder geköpft werden, weil du Musik hörst?

  • Auf deinem Beattape »Syria« befindet sich ja ein Track, der »Hamas« heißt.

  • Genau, da hört man die Hamas-Anhäger auf dieser Demo, wie sie Baschar Assad preisen und gegen Amerika wettern. Das habe ich mit einem Field-Recorder aufgenommen. Auf den anderen Tracks sample ich viele Gitarren, auch arabischen Psych-Rock, hauptsächlich aber Schlager oder Folklore aus der Region. Da gibt es richtig durchgeknallte Sachen mit verrückten Percussion-Parts. Das darf man eigentlich nicht sagen, aber es gibt Tracks, die fast Edits sind: Auf »Belly Dance« habe ich zum Beispiel nur noch eine Kick und einen Rim-Shot druntergelegt. Andere Sachen wiederum sind völlig zerhackt und verfiltert. Ich habe das damals mit meiner alten MPC gemacht: Stereo-Klinke raus und Kompressor drüber und nicht mal die Einzelspuren mischen lassen. Jetzt haben wir alles neu mastern lassen. 

  • Und ihr stellt alle Einnahmen der Flüchltingsorganisation »Moabit hilft!« zur Verfügung.

  • Das ist eine ehrenamtliche Flüchtlingshilfe, die direkte Arbeit leistet, syrische Flüchtlinge in Berlin berät und auffängt. Ich finde, das sind wir den Menschen schuldig. Auf unserer Release-Party waren Mitarbeiter, HipHopper und viele Syrer, die die Beats richtig feiern und lustig finden, weil sie viele der Samples wiedererkennen. Brenk und Jakarta Records haben letztes Jahr ein ähnliches Produzenten-Benefiz-Album für kurdische Flüchtlinge zusammengestellt. Das Cover-Foto ist auch von mir und auf der Syrien-Reise entstanden.    

  • »Mit klassisch-arabischen Samples schmeckt das sehr nach Revolution.« Auf Twitter teilen
  • Du warst auch längere Zeit in Israel und im Libanon unterwegs.

  • Bevor ich anfing zu arbeiten, habe ich einen zweimonatigen Trip nach Israel gemacht. Tel-Aviv fand ich okay, aber sehr skurril. Auf Jerusalem kam ich gar nicht klar. Und als ich in Palästina, in Ramallah, war, habe ich eine wunderschöne, günstige Wohnung mit Blick über die Altstadt bekommen und bin dann dort geblieben. Da gibt es richtig guten Rap: Boikutt, der früher bei Ramallah Underground war, erinnert mich musikalisch an das, was Yassin und Soda mit Kreiseck machen – so Industrial-mäßig und meinungsstark. Mit klassisch-arabischen Samples schmeckt das sehr nach Revolution. 

  • Du arbeitest dich ja sampletechnisch gerne an Themen, Regionen oder Serien ab.

  • Ich mag es, themenbezogen zu diggen und sich in ein Gebiet zu vertiefen. So hab ich das schon auf dem »Sextape«, den »Asterix erobert CD-Rom«-Instrumentals oder meinem Polizeiruf-Tape »PR110«  gemacht. Und eigentlich gibt es noch ein Beat-Archiv mit Samples aus dem Libanon. Momentan wühle ich mich durch das Archiv einer alten DDR-Serie. Ich versuche, mich zu limitieren, indem ich nach einem System vorgehe oder nur ein bestimmtes Gerät verwende. 

  • Deine Schlager-Sammlung ist beeindruckend. Kannst du dir ein ähnliches Projekt aus diesen Crates vorstellen?

  • »PR110« war so ein Versuch und ich steh‘ ja auf trashige Samples. Mein neues Projekt ist noch nicht wirklich spruchreif. Es geht aber um den James Bond der DDR. Es gibt da diesen, in Amiga-Funk-Kreisen recht bekannten Soundtrack und sechzehn Folgen, die ich bisher durchgesamplet habe. Ich habe hier noch einen ganzen Stapel aus neuen, unberührten Platten. »Normaler Samt« war so zeitintensiv, dann noch die Doz9-Platte. Jetzt reicht’s auch erstmal. Es gibt aber noch einige Länder, in denen ich gerne diggen würde.  

  • »Indien und Brasilien sind relativ totgediggt.«Auf Twitter teilen
  • Gibt es auch Länder, deren Archive schon erschöpft sind?

  • Indien und Brasilien sind relativ totgediggt. Auch wenn es da Millionen von Platten gibt – den Scheiß hat wirklich schon jeder gesamplet.

  • Die Betty Ford Boys haben für ihr zweites Album ja ein Beat-Bootcamp in der bayerischen Einöde eingerichtet. Ziehst du dich zum Produzieren auch zurück und schließt dich längere Zeit ein?

  • Mit Doz9 habe ich gerade ein Album fertig gestellt und mich dafür ein paar Tage in einer kleinen Hütte im Nirgendwo in Brandenburg verkrochen. Audio88, Yassin und ich sind während der Entstehung von »Normaler Samt« nach Polen gefahren. Das war aber hart. Da gab es ganz geilen Haselnusswodka, der uns etwas von der Arbeit abgehalten hat. (Gelächter) »Die Welt dreht sich weiter« ist dort entstanden. Wenn ich mit Suff Daddy Beats mache, schließen wir uns dafür auch ein und leben in unserer eigenen kleinen Kapsel. Wir arbeiten meistens bei ihm, mit Keyboard, Computer und MPC. So entstand »Carpet Patrol« – ausschließlich aus alten, übrig gebliebenen Samples. Wir haben unsere Methoden entwickelt, so dass ein homogener Klang, ein abgeschlossenes Kapitel oder ein bestimmter Soundtrack zu der Zeit entsteht.