Dorian Concept »Wie kann man grundabstrakte, elektronische Musik machen, die trotzdem nach HipHop klingt?«

Vom Kinderzimmer in die altehrwürdige Royal Albert Hall – die Bezeichnung des ›Bedroom-Producers‹ wird dem 30-jährigen Wiener Dorian Concept, der eigentlich Oliver Johnson heißt, längst nicht mehr gerecht. Carlos Steurer traf ihn für ALL GOOD zum Gespräch.

Dorian_Concept

Das großartige zweite Album des MicroKorg-Wunderkinds, »Joined Ends«, das letztes Jahr über Ninja Tune erschien und auf Platz 7 unseres The Rap Up 2014 landete, gedenkt der Wiener Kaffeehaus-Romantik und verknüpft Electronica, Downbeat, Ambient und Instrumental-HipHop zu einem neuen großen Ganzen. Als klassischer Klavierspieler, der mit Rapmusik aufwuchs, hat es sich Dorian Concept als Komponist zwischen den Welten bequem gemacht – ohne dabei den neuesten Soundcloud-Frickeleien der Generation »Future Beats« hinterher zu hecheln. Wir sprachen mit dem umtriebigen BBC-Liebling, FlyLo-Buddy und Sounddesigner über geschlechtslose Vocal-Spuren, die globale Wiener Beat-Szene, seine anstehende Remix-EP und mögliche Urheber des HipHop-Beats.

  • Seit der Veröffentlichung von »Joined End« warst du kontinuerlich unterwegs. Darf man das jetzt schon Welttour nennen?

  • Streng genommen muss man dafür wohl auf allen Kontinenten gewesen sein – dafür hat es nicht ganz gereicht. Es war schon beeindruckend, nach Japan zu kommen, wo ich mit Cid Rim, The Clonious und einem regionalen Streicher-Quartett im Rahmen der Red Bull Music Academy gespielt habe. Mir war es wichtig, da ein lokales Element einzubringen. Ich bin ja bereits 2012 beim SonarSound Tokyo mit dem Cinematic Orchestra und echten Streichern aufgetreten und war beeindruckt von der Genauigkeit und Dynamik der japanischen Musiker, weswegen ich unbedingt wieder mit Locals zusammenarbeiten wollte. Den Begriff ›Welttournee‹ würde ich aber ungern verwenden und lieber Rock-Bands für deren Stadion-Tourneen überlassen. 

  • Die Live-Instrumentierung spielt auf deinem zweiten Album eine größere Rolle als noch zu »When Planets Explode«-Zeiten. Stimmt es, dass du komplett auf den Einsatz von Samples verzichtet hast?

  • Ja, es gab nur eine Ausnahme: Ein rückwärtslaufendes Klavier-Thema, das ich einem B-Movie/Science-Fiction-Film aus den 70ern entnommen habe. Ein Sample, das Ninja Tunes allerdings nicht klären wollte. Ansonsten ist wirklich alles so konstruiert, dass es gesamplet klingt, aber eingespielt wurde. Ich habe versucht, ästhetisch etwas nachzubauen, was man sich auch super schnell von irgendeiner alten Platte hätte holen können. 

  • »Mein Ziel ist es, mit elektronischen Mitteln akustische Sounds nachzubauen.«  Auf Twitter teilen
  • War das der Plan: Die Platte organisch klingen zu lassen und aus digitalen Quellen etwas Analoges zu erschaffen?

  • Total. Und es wirkt oft akustischer als es eigentlich ist. Die Herausforderung, Synthesizer, also digitale Klangerzeuger, nach einem akustischen Instrument klingen zu lassen, finde ich allgemein spannend. Trashige Yamaha-Keboards, kotzige Trompeten-Sounds oder elektronisch nachgebaute, akustische Instrumente – das kommt ja alles aus der Synthie-Welt. Dieser Sounddesign-Gedanke interessiert mich einfach sehr. Mein Ziel ist es, mit elektronischen Mitteln akustische Sounds nachzubauen.  

  • Das heißt, die Vocal-Parts sind auch alle selbst eingesungen? Kann man sagen, dass du dich selbst gesamplet hast?

  • Ich habe bei fast allen Stücken mit Stimmen gearbeitet. Teils sind diese hörbar, teils wurden sie so abstrahiert und unkenntlich gemacht, dass man sie kaum noch als Stimmen wahrnimmt. Mich interessiert diese Mehrstimmigkeit, besonders die von Kinderchören. Das ist jedenfalls alles von mir eingesungen und anschließend mit elektronischen Hilfsmitteln verarbeitet worden. Ich gehe mit der Stimme wie mit einem Synthesizer um. Teilweise klingt das ja wirklich nach einem anderen Lebewesen oder zumindest einem anderen Geschlecht. (lacht) Es kamen aber auch Gastmusiker zum Einsatz. Richard Eigner – ein Wiener, der auch schon mit Flying Lotus und Dimlite gearbeitet hat – hat mir Drums eingespielt, die ich dann nochmal gechoppt habe. 

  • Dein Label-Kumpel Wandl, der auch zum Affine-Records-Camp gehört, geht ja ähnlich sparsam mit seinem Gesang um und benutzt ihn eher wie ein zusätzliches Instrument. Wie arbeitest du live mit den Vocal-Spuren? 

  • Da ich mich doch eher als Keyboarder sehe, versuche ich mit den Jungs (Cid Rim und The Clonious) die harmonischen, melodischen Momente live nachzubauen. Bei Lukas (Wandl) macht dieses Bescheidene, Zurückhaltende ja seine Stage-Performance aus. Er mischt seine Vocals demokratisch hinein, anstatt sie zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Das finde ich viel spannender, als wenn der Gesang zu stark an das Ego des Sängers geknüpft ist.

  • Dein Debütalbum entstand skizzenhaft und ist eher als lose Zusammenstellung von Tracks zu verstehen. »Joined Ends« funktioniert hingegen als Gesamtwerk mit Spannungsbogen.   

  • Das lag damals nicht unbedingt am Druck seitens des Labels, aber es gab schon dieses Momentum, was wir nutzen wollten und also einfach die Tracks von 2007 – 2009 kompilierten. Diesmal gab es das Konzept, das Album-Format auch zu nutzen und sich über Dinge wie Ästhetik, Flow und ein Skript Gedanken zu machen. Inspirierend war für mich das Album »Folk Songs For Trains, Tress and Honey«, ein Projekt von Prefuse 73 unter dem Alter Ego Savath & Savalas, das Anfang 2000 über Hefty Records, ein amerikanisches Elektronik-Label erschien. Ich habe die 15 Jahre alte Pitchfork-Review ausgegraben und dort wurde das Album als fade Sonntagsmusik kritisiert. Für mich ist das ein sehr wichtiges Album, dass mir als Orientierung diente. Es ist von vorne bis hinten rund, geht nur eine halbe Stunde lang und die Nummern unterscheiden sich trotzdem total voneinander. Mir ging es darum, ein Album zu machen, das in seiner Gesamtheit funktioniert. Prefuse ist für mich noch immer einer der Väter der enorm fortgeschrittenen Instrumental-Szene. Ich bin ein richtiger Fanboy von ihm.  

  • Du galtst jahrelang als Prototyp des ›Bedroom-Producers‹. Stört dich der Begriff – oder glaubst du, dich mittlerweile davon emanzipiert zu haben?

  • Mittlerweile trifft das nicht mehr zu, weil ich nur noch sehr selten in meinem Studio penne und das Studio tatsächlich räumlich von meinem Schlafzimmer getrennt ist. (lacht) Früher war der Begriff schon passend. Als ich als getriebener Student täglich an Tracks geschraubt habe. Das gehörte einfach zu meinem Lebensrhytmus – die ganze Zeit von Maschinen, Computern und der Software umgeben zu sein. 2010 bin ich dann in ein Loch gefallen. Da Arbeit und Privatleben zu sehr verschmolzen sind, war es mir wichtig, ein separates Studio zu haben, das jetzt auch nur 15 Gehminuten von zu Hause entfernt ist. Ich würde diese Erfahrung trotzdem nicht missen wollen und halte die Bezeichnung auch nicht für abwertend. Nur rein räumlich trifft das einfach nicht mehr zu. 

  • Jetzt erscheint zum Album noch eine Remix-EP. Tim Heckers Remix zu »The Sky Opposite« ist sehr experimentell geraten und arbeitet mit vielen Störgeräuschen. Das Original ist eher schnökellos. War das die Aufgabenstelllung, die Tracks zu dekonstruieren?   

  • Ich habe mich sehr gefreut, dass er sich bereit erklärt hat, weil er sich mit seinen Drone- und Ambient-Projekten schon stark auf das Albumformat konzentriert. Er ist ein sehr spezialisierter elektronischer Frickler. Das fand ich sehr schön, dass ein Remix invertierend wirken kann und das Gegenteil des Originals zu Tage bringt. 

  • Du hast dir neue Hardware zugelegt, z.B. den Moog Prodigy. Inwiefern hat sich das auf den Produktionsprozess des Albums ausgewirkt? 

  • Der Prodigy ist für den markanten Bass-Sound verantwortlich, den man z.B. auf »Draft Culture« hören kann. Das ist auch die clubbigste Nummer des Albums. In den letzten Jahren hat in Wien ein neuer Laden eröffnet: der Wavemeister. Dort arbeiten gute Freunde von mir, die alte Analog-Synthesizer herrichten und verkaufen. Ich bin schon ein Oldschool-Typ und brauch‘ das Haptische, etwas zum Anfassen, auf dem ich spielen kann. Ich wollte mir keinen Analog-Synth aufgrund von Youtube-Tutorials oder Empfehlungen aus Foren zulegen. Das ist natürlich ein teurer Spaß, aber auch eine gute Investition, weil die Geräte ja über Zeit an Wert gewinnen.  

  • »Dass man in einen Club geht und sich nur Beats anhört, wird ja nicht mehr als komisch erachtet.«Auf Twitter teilen
  • Wie beobachtest du die Entwicklung der Wiener Beat-Szene? Abgesehen von eurem Camp bekommen auch Produzenten wie Brenk & Fid Mella oder NVIE Motho internationale Aufmerksamkeit.

  • Da ist sehr viel passiert und es fühlt sich hier auch merklich anders an, obwohl es wahrscheinlich eine weltweite Bewegung ist. Dass man in einen Club geht und sich nur Beats anhört, wird ja nicht mehr als komisch erachtet. Vor sechs, sieben Jahren hat man sich schon noch gewundert, wo denn die Vocals bleiben. Allein die Vorstellung, nur mit einem Laptop auf der Bühne zu stehen, wäre früher absurd gewesen. Die Produzenten haben sich mittlerweile emanzipiert und ein Instrumental kann eigenständig funktionieren. Ich denke, das Wiener Publikum hat ein neues Bewusstsein entwickelt. Das Spannende daran ist, dass es eine starke Szene aus jungen Nachwuchstalenten wie Wandl oder Salute gibt – und die, die schon seit Jahren dabei sind. Uns verbindet der sampleorientierte Zugang, bei dem der Loop-Gedanke im Fokus steht. »Joined Ends« ist auch als Metapher gedacht – zwei geschlossene Enden, die einen Loop ergeben. Ich suche nach der Mitte, wo Minimal Music anfängt und HipHop aufhört. Bonobo hat mir mal gesagt, dass sie mit dem Cinematic Orchestra versuchten, Jazz wie House zu behandeln. Da die Musik aus asymetrischen Taktarten bestand und in einem fünfminütigen Loop durchlief. Diese mantraartigen Wiederholungen haben mich immer an HipHop interessiert. 

  • Du bist damals durch DJ Spinnas »Heavy Beats Vol. 2« mit instrumentalem HipHop in Berührung gekommen, richtig?

  • Genau. Die Platte erschien über Rawkus. Ein Label, das überhaupt sehr wichtig für meine Rap-Sozialisation war. »Soundbombing 2«, wo ja auch einer der ersten Eminem-Tracks enthalten war, war dann eines der ersten Alben, bei dem mich die Produzenten, besonders Hi-Tek und die Beat Junkies, und die MCs in gleicher Weise geflasht haben. »Conclusion«, der letzte Track auf »Heavy Beats« war ein besonderer Eye Opener für mich als Jugendlicher. 

  • Hast du die Klassiker von DJ Shadow dann nachgeholt?

  • Lustigerweise habe ich mir erst im letzten Jahr »Endtroducing« geholt. Das mag für viele absurd wirken. Genau so, wie ich nie Nirvana gehört habe und gleich zu Tupac gesprungen bin. Mir tut das auch ein bisschen leid. Wenn ich jetzt Shadow höre, kriege ich das Potential natürlich mit und jetzt muss ich da so eine sentimentale Lücke füllen und mich reinversetzen, wie es gewesen wäre, wenn ich das mit 17 gehört hätte. Aber rein aus technischer Sicht ist das natürlich immer noch super spannend. Da hab‘ ich noch viel Aufholarbeit vor mir. Ich bin eher mit DJ Krush aufgewachsen. 

  • Waren für dich die beatlastigeren Instrumental-Geschichten also wichtiger? 

  • Ja, ich bin dann recht schnell in die frickligere Beatrichtung gegangen und habe die frühen Ninja-Tune-Sachen gefeiert oder alles was über Warp Records erschien: Squarepusher, Prefuse oder Edits. Was viele nicht wissen, ist, dass auch Machinedrum sehr früh über Merck Records aus Florida Glitch-Hop-Projekte veröffentlicht hat. Mit Anfang 20 hat mich dann mehr die nerdige Produktionsseite gepackt: Wie kann man grundabstrakte, elektronische Musik machen, die trotzdem nach HipHop klingt? Zurück gefunden habe ich dann auch durch »Donuts«, als man wieder anfing, Slum Village zu hören. 

  • Da ging dann ja auch schon die Ära von Flying Lotus los.  

  • Das fiel alles zusammen mit dem Tod von Jay Dee, wobei mich Flying Lotus immer mehr an Madlib als an Dilla erinnert. Von der spirituellen Seite hat er da schon ein Loch gefüllt. »1983« war auf jeden Fall ein Album, das mir half, außerhalb des Rasters zu denken. FlyLo hat diesen holistischen, gesamtumfassenden Zugang und fängt mit seinen Alben immer den Geist der Zeit ein. 

  • Ihr habt schon mehrfach zusammengearbeitet. Wie kam der Kontakt zustande?

  • Den ersten Kontakt hatten wir 2008, nachdem er eine Nummer von mir in seinem Essential-Mix spielte. 2009 spielte ich dann auf seiner Brainfeeder-Party auf dem Sonar-Festival und als ich auf der Low-End-Theory-Party in L.A. auftrat, hab ich das erste Mal bei ihm übernachtet. Immer wenn ich in Kalifornien war, haben wir an irgendwas gearbeitet. So bin ich dann also auf »Cosmogramma« und später auf »Until The Quiet Comes« gelandet. Wir haben uns letztens in Japan wieder gesehen, aber schon länger nicht mehr miteinander musiziert. Ich denke eh, dass ich mit dem neuen Album einen Schritt raus aus dieser Beat-Szene mache.   

  • »Ich habe Wien immer recht eigen erlebt, als leicht autistischer Jugendlicher, der eigentlich nur zocken, Rap hören und Musik machen wollte.«Auf Twitter teilen
  • Du hast an Filmmusik für den Avantgarde-Kurzfilmer Peter Tscherkassky gearbeitet. Ist das ein zweites Standbein, das du dir aufbauen möchtest? 

  • Ah, ne, das war von einer Cinematic-Orchestra-Platte, auf der ich mitgewirkt habe. Das war ein einmaliger Auftritt, bei dem wir zu Kurz- und Stummfilmen spielten. Die Nummern wurden dann mit dem Titel des Films veröffentlicht. Tscherkassky meinte auch, das passt, aber es hätte halt nichts mit seinem Film zu tun. Ich würde mich wahnsinnig gerne mal einsperren und etwas Visuelles vertonen. Vielleicht auch weniger Filmmusik, sondern eher Sounddesign. Das finde ich spannender. Man muss aber wahrscheinlich mit den richtigen Regisseuren verlinkt sein. Bei Filmen finde ich es interessanter, bestehende Songs zu nehmen, wie bei »Lost in Translation«, wo plötzlich ein eineinhalbminütiger Squarepusher-Track läuft, den man bereits kennt. 

  • Würdest du sagen, dass deine Musik Wiener Elemente in sich trägt?

  • Schwierig, aber ich denke schon. Das Wien, in dem ich aufwuchs, ist ein anderes als das Wien von heute. Und das Wien, was man aus den Filmen von Ulrich Seidl kennt, ist nicht unbedingt meine Stadt. Ich hing hauptsächlich vor dem Rechner ab und habe die Stadt eher nebenbei mitbekommen. Es ging eher darum, »Tony Hawk« zu zocken oder Michael-Mann-Filme zu schauen. Ich habe Wien immer recht eigen erlebt, als leicht autistischer Jugendlicher, der eigentlich nur zocken, Rap hören und Musik machen wollte. Ein klassischer Wiener Künstler wie Ulrich Seidl, dessen Werk immer auch mit der Stadt verknüpft ist, bin ich aber nicht. 

  • Jow Zawinul, der österreichische Jazz-Weltstar behauptet, mit dem Drum-Break auf »125th Street Congress« von Wheater Report den HipHop-Beat erfunden zu haben. Er war ein Protegé von Miles Davis, ein detailbesessener Tüftler – und überhaupt erinnert mich seine Karriere an deine Biografie. 

  • Das ist sehr interessant. Ich habe mal Bernard Purdie bei einer RBMA-Session in Indien kennengelernt – ein wahnsinniger Funk-Drummer. Er hat auch damit geprahlt, einer der Innovatoren des HipHop-Beats zu sein. Es gibt einige Jazzer, die mit einem großen Ego gesegnet sind und diese Pionierleistung für sich beanspruchen. Auch Elvin Jones hat 1963 schon Rhythmen gespielt, die dem klassischen Rap-Beat sehr nahe kommen. Als Gilles Peterson damals mitbekam, dass ich auch live Keyboards spiele, nannte er mich »The new Joe Zawinul from Austria«. Zawinul war ja aktiv an der Entwicklung von Jazz und Fusion beteiligt. Natürlich verstehe ich den Bezug, aber er ist zu einer deutlich härteren Zeit ein Innovator und Genie gewesen. Mich freut es, wenn ich diesen Spirit weitertragen kann und die Wahrnehmung da ist, dass ich eine ähnliche Lücke fülle.