Bilderbuch Von Kanye West gelernte Prinzipien

Die Wiener Band Bilderbuch macht Electro-Pop mit starkem Prince-Einschlag auf Weltniveau. Jüngst waren sie mit Casper auf Tour und auch sonst können sie das Eine oder Andere über Kanye, HipHop und die Pop-Lastigkeit im deutschen Rap erzählen.

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Die alternative Musikjournaille feierte »Feinste Seide«, die letzte EP der Band Bilderbuch, ausnahmslos und zeichnete den Song »Maschin« mehrfach als besten deutschsprachigen Song des Jahres 2013 aus. In der Hochphase britischer The-Bands gegründet, sind Bilderbuch im zehnten Jahr ihres Bestehens weit mehr als eine klassische Indie-Band. Im Alter von 17 Jahren vertonten sie noch brachial-kreative Kindergeschichten, heute machen die vier unabhängigen Wiener zeitgemäßen Electro-Pop mit starkem Prince-Einschlag auf Weltniveau.

Ihre Videos, wahrgewordene Ästhetik-Manifeste, werden auf internationalen Film-Festivals ausgezeichnet und dienten auch Casper, einem frühen Entdecker der Band, als Inspiration. Gerade erst eröffneten sie für ihn auf der »Hinterland«-Tour, schon befinden sich Bilderbuch wieder auf kleiner, aber ausverkaufter Club-Konzertreise. Ihre Verbindung zur HipHop-Kultur geht über die gemeinsame Faszination für Auto-Tune und Kanye West hinaus. Nach dem Soundcheck in der Kantine des Berghains sprach ALL GOOD-Autor Carlos Steurer mit Maurice und Drummer Phillip über das Erbe Kanyes und den »Cordoba-Effekt« im österreichischen Kulturbetrieb.

  • Kanye West war ganz offensichtlich ein wichtiger musikalischer Einfluss für Bilderbuch. Wie hoch schätzt ihr seinen Beitrag zur heutigen Popkultur ein?

  • Maurice: Kanye war und ist extrem wichtig. Weil er ein Popstar ist, über den man redet. Nicht, weil er ein Gewand an hat wie Lady Gaga, sondern weil er aneckt. Von solchen Künstlern gibt es momentan nicht viele. Bei »My Beautiful Dark Twisted Fantasy« griff er erstmals auf diese Gitarren zurück, die wir auch gerade benutzten. Die Zitate dieser Platte, die eigentlich aus der Rock-Ecke stammen, haben uns gezeigt: Es gibt da wieder eine Wand, die es einzurennen gilt. 

  • Die Auto-Tune-Outro auf »Plansch« ist ja auch eine recht deutliche Referenz an das Album.

  • Maurice: Genau. Das sind Prinzipien, die wir von Kanye West gelernt haben: Sich wieder mehr Freiheiten nehmen, Sachen trauen und sich selbst genießen. Es ist dieser Hedonismus, den Kanye ausstrahlt, weil er es einfach hinscheißt. Das »808s & Heartbreak«-Album war schon cool. Aber richtige Nachforschungen habe ich erst nach »My Beautiful Dark Twisted Fantasy« angestellt und die letzten zwei Jahre habe ich dann eigentlich überwiegend HipHop gehört.   

  • Verfolgt ihr die Entwicklungen der Rap-Szene in Atlanta, wo gerade viel mit Auto-Tune und Drogen herumexperimentiert wird?

  • Maurice: Dieses völlige weirde Zeug? Wir haben letztens auch eine Skizze aufgenommen, bei der ich einfach nur ins Mikrofon säusele. Danach hab ich Auto-Tune draufgepackt und irgendeinen Ton gespielt, um das zu begradigen. Am Schluss ist dann im Loop ein Riff daraus entstanden. Dieses Chaosprinzip ist das Schöne an Auto-Tune.

    Phillip: Solche Spielereien kommen durch Home-Producing zu Stande, das wir seit kurzem praktizieren. Wir nehmen im Studio Signale auf und verarbeiten sie zu Hause. Die Effekte, die man dann zur Verfügung hat, nutzt man möglichst kreativ und planlos. 

  • Ist es euch wichtig, dass man die Tracks auch genau so live umsetzen kann?

  • Maurice: Nein, die sollen leben. Es liegt in unserer Natur, dass es immer schon dieses organisch Gelebte gab. »Plansch« ist ja extrem organisch. Es zerbricht und fährt wieder weg mit dir. Obwohl sie total straight nach dem Takt gespielt ist, hat die Nummer etwas sehr Psychedelisches.

  • Ich musste bei »Plansch« sofort an Frank Ocean denken. Immer mehr Indie-Bands berufen sich auf den R&B der 90er Jahre. Phoenix traten sogar gemeinsam mit R. Kelly auf. Seid ihr auch mit solcher Musik aufgewachsen?

  • Maurice: Klar. Wir sind ja alle Anfang der 90er geboren und meine Mutter hat fast nichts anders als R&B gehört. Das war schon immer in mir. Ich hatte all die R.-Kelly-Singles. (singt die Melodie von »Fiesta«) Wir haben als Band die klassische Entwicklung durchgemacht – hart begonnen und jetzt den R&B für uns entdeckt. Heutzutage ist sowieso alles collagenartig. Man bedient sich überall, bringt etwas Neues ein und bricht mit Vergangenem. Genau diese Brüche interessieren uns. In ihnen liegen die Antworten, wie man Musik heute wieder lebendig machen kann.

    Phillip: In letzter Zeit haben wir tatsächlich alle sehr viel Frank Ocean gehört.

    Maurice: Er war ja der erste, der contemporary R&B cool gemacht hat. Es hat so viel billigen R&B und HipHop gegeben. Kanye West, Frank Ocean und natürlich Jay Z haben da wieder Klasse reingebracht. Ich merke jetzt beim Schoolboy-Q-Album schon wieder, dass es mich ein bisschen anfängt zu nerven. Wir sind schon wieder in diesem Rad drinnen. Natürlich gibt es gibt immer Phasen, die sich zyklisch bewegen. Subkulturen überdauern sich. Aber es gibt halt Künstler, die nicht in einem Genre untergehen und outstanding sind. Die Frage ist ja, ob ein Big Sean oder Kid Cudi und das ganze G.O.O.D.-Music-Camp einmal so bedeutend sein werden wie Kanye West.  

  • Man hört ja viele 80er-Referenzen in eurer Musik – Prince und Falco, auf der anderen Seite aber auch den Einfluss von The Strokes oder The Killers.

  • Maurice: Wir sind auf dem Land groß geworden und als es 2005 dann diese The-Bands gab, hat man das einfach gelebt und den ganzen Lifestyle mitgemacht. Da war HipHop eine Weile echt tot. Ich hab da vielleicht höchstens noch Eminem gehört. 

  • Habt ihr den auch deutschsprachigen Rap gehört?

  • Maurice: Damit konnte ich mich nie wirklich anfreunden. Ich kenne mich aber auch nicht gut aus. Hulk Hodn & Retrogott fand ich zum Beispiel super. Wenn etwas extrem klassisch ist, taugt mir das. 

  • »Aber diese Pop-Lastigkeit im deutschen Rap, verstehe ich einfach nicht. Das hat keine Eier.«Auf Twitter teilen
  • Wie habt ihr dann damals die Hochzeit von Aggro Berlin miterlebt?

  • Maurice: Das war automatisch da. Man kam ja nicht drumherum. Egal wo man hinging, überall lief der »Arschficksong«. Ich war da gerade in der Phase, wo ich begann Bücher zu lesen, mir eine eigene Meinung zu bilden und zu reflektieren. Dieser Tabubruch hat mich leider auf dem falschen Fuß erwischt. Ich dachte: »die armen Frauen«. Und dass man das nicht machen kann. Jetzt im Nachhinein halte ich das für große Musik. Sido ist – trotz seinen Pop-Nummern – für mich absolut berechtigterweise so erfolgreich.

  • Habt ihr jemals darüber nachgedacht, auf Englisch zu singen?

  • Maurice: Na, ich glaub die Spielerei liegt eher im Detail. »Maschin« ist zum Beispiel ein Wort, das in jeder Sprache funktioniert. Es ist aber nicht das Ziel, etwas zu hypyerthematisieren. Ich glaube auch, dass wir mit deutschsprachiger Musik größere Chancen in den USA hätten, als wenn wir es auf Englisch versuchen würden. 

  • Da gab es ja mal einen Österreicher…

  • Maurice: Falco und Opus, die »Live Is Life« geschrieben haben, obwohl das ja auch auf Englisch war. Ich bin kein Muttersprachler, von daher würde das schon gar nicht funktionieren. Ich müsste auf »leo.org« gehen und mir Worte raussuchen. So wie es jetzt mache, mich hin zu setzen, einfach ein Mikro zu nehmen und loszusingen – das ist meine Methode. Wenn daraus ein Flow entsteht, ist das das Schönste was dir passieren kann. Dann kannst du glücklich sein. Für den Rest musst du kämpfen wie ein Löwe.

  • »Als Casper-Voract kommt man sich fast vor wie ein Teenie-Popstar.«Auf Twitter teilen
  • Nehmt ihr den überhaupt einen Hype um euch war? Von außen wirkt das alles sehr natürlich gewachsen.

  • Maurice: Das ist herrlich. Stell dir vor, es wäre extremer – das würde uns das Genick brechen. Ich bin froh, dass wir einen konstanten, qualitativen Weg über die Musik gehen. Die Qualität der Musik steht im Vordergrund und sollte ein gewisses Level halten. Wenn wir das schaffen, werden wir unseren Weg gehen. Wir brauchen keine Angst haben, dass das künstlich ist. Unser Publikum ist im Schnitt Mitte 20 oder noch älter. Als Casper-Voract war das schon ein ganz anderes Gefühl. Da kommt man sich ja fast vor wie ein Teenie-Popstar. (lacht)

  • Heute ist es ja so, dass jeder der anfängt, Musik zu machen, seine ersten Tracks direkt ins Internet stellt. War es für euch ein Vorteil, dass ihr als Band wachsen konntet und nicht gleich die ersten unfertigen Demos im Netz landeten?

  • Maurice: Das ist es, was ich immer sage: Diese Langlebigkeit geht dadurch verloren. Bilderbuch gibt es bald zehn Jahre. Darauf sind wir stolz. Wenn dein zweites Album nicht besser verkauft als dein erstes, bist du ja sofort weg und ein neuer Act übernimmt den Spot. So wird die Bürde jedes Mal weitergegeben. Es ist unser Anspruch, sagen zu können: Wir sind eine Bank. 

  • Euch lagen bestimmt lukrative Major-Angebote vor. Für die EP »Feinste Seide« habt ihr aber euer eigenes Label gegründet. Wie seid ihr bei Maschin Records aufgestellt?

  • Maurice: Das hat natürlich System-Gründe: Alles selbst unter Kontrolle zu haben und unabhängig zu sein, war einfach die logische Entscheidung. Wir machen das alles mit unserem Manager selbst, zu fünft. Und so viel steckt da jetzt nicht dahinter. Das Internet erleichtert uns die Arbeit natürlich ungemein.  

  • Wie wichtig ist es euch, auch die visuelle Ebene kreativ mit umzusetzen?

  • Phillip: Das geht schon alles Hand in Hand. Das Bild, das man zur Musik erschafft, ist mittlerweile ein essentieller Bestandteil. Das wirkt unterstützend und man assoziiert mit einem visuellen Aspekt richtigere Dinge, oder halt nicht. (lacht)

    Maurice: Wir haben die Songtitel immer so gewählt, dass ein Gefühl oder eine Farbe vorgegeben wird. Wir würden unseren Songs auch nie komische Titel geben wie: »In der Luft liegt ein Verderben« oder so etwas. Es bleibt plakativ, die Bildsprache nimmt der Song immer vorweg. Unser nächstes Lied wird »Softdrink« heißen. Stell’ dir das mal bildlich vor. An was denkst du?

  • An die Coca-Cola-Werbung.

  • Maurice: Eben. Es geht ja nur um ein Gefühl. Du fängst an mit einer Idee: einem Schlagzeug-Beat. Und denkst dir dann, der klingt ein bisschen wie ein Softdrink. Dann suchst du Bilder zum Thema im Internet, Assoziationen aus denen ein großes Sammelsurium entsteht. Am Schluss kanalisiert du das in einer Idee und hoffst, dass es irgendwie aufgeht. 

  • Kanye sagt ja auch, dass er sich Beats als Farben vorstellt.

  • Maurice: Das habe ich noch nicht gehört, ist aber lustig, weil wir das für »Maschin« genau so angewendet haben. Es fokussiert dich viel mehr. Wenn du keine Farbe hast, arbeitest du ins Nichts. 

  • Wie schafft man es aber, dass jedes Bandmitglied die gleiche Farbe sieht?

  • Maurice: Ganz einfach: Ansagen machen. (Gelächter) Prinzipiell reden wir eh meistens alle vom selben Gefühl. Unsere Musik entsteht ja immer zu viert im Proberaum. Dieses Band-Prinzip unterscheidet uns wohl grundsätzlich vom HipHop, so sehr wir auch mit Zitaten arbeiten und eigentlich modernen Crossover machen.

    Phillip: Es gibt nicht-ausgesprochene Verteilungen. Wir sind vier Musiker auf der Bühne, aber gleichzeitig vier Produzenten, die am Sound arbeiten. Da wir immer relativ verlässliche Meinungen haben und kreativ sind, ersparen wir uns so viele Umwege.

    Maurice: Wobei diese demokratischen Prozesse natürlich auch langwierig sein können und mit viel Bürokratie verbunden sind. (Gelächter)

  • »Wir sind alle sehr einzelkämpferisch, erleben das aber als durchaus positiv.«Auf Twitter teilen
  • Wie seid ihr in Wien vernetzt? Gerard hat sein Album »Blausicht« von Patrick Pulsinger, einem einflussreichen Engineer der frühen Wiener-Beatszene, mischen lassen. Findet da gerade ein Austausch zwischen den Generationen statt?

  • Maurice: Patrick Pulsinger kuratiert ja auch diverse Veranstaltungen und zu Gerard besteht schon Kontakt. Ich empfinde die Situation in Wien aber eher als angespannt. Die Stadt ist ein Mikrokosmos, der in sich funktioniert, aber zu klein ist. Das heißt: Jeder hungert und hat ein bisschen Airplay. FM4 ist zum Glück recht groß, denn Ö3 spielt dich aus Prinzip nicht. Aber ausreichend unterstützt wird keiner. Eine wirkliche Szene gibt es nicht. Zwar kennt jeder jeden, aber es gibt keinen kreativen Geist, der alle eint, wie das zum Beispiel bei der Hamburger Schule der Fall war. Wir sind alle sehr einzelkämpferisch, erleben das aber als durchaus positiv. 

  • Ihr habt das mal den »Cordoba«-Effekt in der Musik genannt.

  • Maurice: Das bezog sich auf die Doku-Reihe »Weltberühmt in Österreich«, die vor drei Jahren ausgestrahlt wurde. Der Name an sich ist ja schon verräterisch und einfach traurig. Dafür wurden viele neue Bands eingeladen – unter anderem Ja, Panik und Bilderbuch. Wir haben uns auch erst geehrt gefühlt. Dann hat sich aber herausgestellt, dass sich die ersten zehn Folgen nur mit Wolfgang Ambros, Reinhard Fendrich, Falco und den üblichen Helden beschäftigten. Die letzte Folge hieß dann »Die Wachablösung«. Da wurden dann in einer Stunde die rund 20 Newcomer-Bands abgehandelt. Da kam das alles zum Ausdruck: diese hängengebliebene Austro-Pop-Glorifizierung, das kaputte Denken von Ö3. Die Österreicher haben Minderwertigkeitskomplexe und können sich nur sehr schwer von Dingen lösen, die mal funktioniert haben.