eRRdeKa »Musik machen heißt doch, ein Gefühl wiederzugeben, das man gerade hat.«

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Splash!-Festival, New Music Award 2014, »Juice«-Cover – man könnte sagen, dass eRRdeKa im Deutschrap gerade auf den guten Plätzen sehr präsent ist. Das finden nicht alle richtig so. Aber wenn heute mit »Paradies« das neue Album des Augsburgers erscheint, sollte klar sein, dass eRRdeKa vielleicht nicht ganz zu Unrecht diese Aufmerksamkeit gebührt. Weil er weder ein All-black-everything-Prinz-Porno-Klon, noch ein weiterer gefühlsduseliger Image-Rapper ist, der seine Post-Abitur-Depression in melancholische Mittelstandsmusik verarbeitet. Ein Gespräch über das Ankommen in der deutschen Rap-Szene, die Omnipräsenz der Natur auf Tumblr-Blogs und in eRRdeKa-Songs, Fauxumerism und den Reiz von Arthouse-Filmen.

  • Wie hast du dein, ich sage mal, Ankommen in der Szene eigentlich wahrgenommen? Begegnen einem die Leute mit offenen Armen oder werden da eher Ellenbogen ausgefahren? Ist das alles echt oder fake?

  • Ach, eine Mischung aus allem. Man merkt schon, wie sich insbesondere hier in Berlin halt Grüppchen bilden und ihr Ding machen. Man fühlt sich da natürlich ein bisschen als Außenseiter. Aber das ist für mich nicht schlimm und ich will mich da nicht so reinbitchen. Ich könnte jetzt ja auch zu jedem hingehen, mich vorstellen, Kontakte knüpfen und auf die richtigen Connections hoffen. Aber ich habe mich dafür entschlossen, abzuwarten und mein Ding zu machen. Ich wohne weiter in Augsburg und nur phasenweise in Berlin. 

  • Ich frage das auch deshalb, weil ich den Gegenwind, der Newcomern wie dir entgegenweht, in diesem Jahr echt enorm fand. Wie gehst du damit um?

  • Ich kann die Leute auf der einen Seite verstehen. Da kommt ein Typ nach dem anderen und macht, ich sage jetzt mal, Emo-Rap. Aber ich trage dieses Gefühl gerade einfach in mir. Ich mache die Musik ja nicht, weil ich Inspiration von anderen deepen Rappern geholt habe. Die Musik ist ja, was ich denke und fühle. Ich muss sagen, dass ich echt jeden Kommentar im Netz lese. Ich will dann auch wissen, was die Leute denken. Das ärgert mich dann teilweise auch sehr, aber diese Wut dauert nicht lange an. Es muss halt irgendwie im Verhältnis zueinander stehen. Wenn’s für ein Video 2.000 Daumen hoch und 74 Daumen runter gibt, ist alles okay. Und ganz ehrlich: Wer schreibt eigentlich Kommentare unter YouTube-Videos? (grinst) 

  • »In der Natur ist alles real, das wurde genau so erschaffen.«Auf Twitter teilen
  • In einem der neuen Songs sagst du: »Deutschrap ist wack.« Was ist denn so wack an Deutschrap? 

  • Ich pauschalisiere da natürlich ein bisschen. Aber wenn ich die ganzen VBT-Rapper mit dem gleichen Weekend-Flow und das x-te Celo-&-Abdi-Double sehe, muss ich das auch sagen. Früher habe ich total viel Deutschrap gehört, heute nicht mehr – und deshalb lautet meine These einfach so. (lacht) Guck mal, ich bin Künstler. Folglich betrachte ich die Sachen der anderen auch aus einer künstlerischen Perspektive und weiß, wie lange jemand an einem Text gesessen oder einen Beat gebaut hat – oft ist das einfach 08/15-Scheiß. Ich würde das aber jetzt nicht nach außen tragen oder jemanden deswegen persönlich angehen. Aber es hat ja auch etwas Gutes: Dass mich die Musik von anderen stört, kommt im Umkehrschluss auch gut aufs Blatt und lässt wieder gute Songs entstehen.

  • Apropos gute Songs: Ich finde es erstaunlich, dass du deine ganze Diskografie noch frei verfügbar im Netz zum Download anbietest. Das machen andere ja eher nicht.

  • Ich finde, man sollte schon zu dem stehen, was man da gemacht hat. Für mich selber ist es auch schön zu sehen, wie ich mich weiterentwickelt habe. Und es ist wiederum auch geil für Leute, die jetzt gerade mit dem Rappen anfangen, zu sehen, wie sich ihre Vorbilder im Laufe der Zeit gemacht haben.

  • Der Track »Paradies« aus dem letzten Jahr hat mir sehr gut gefallen. Zum einen wegen dem Beat, der ja der RL-Grime-Remix von Shlomos »The Way You Do« ist, zum anderen aber auch, weil du die Sachen sehr einfach, aber total plastisch beschreibst. Wie gehst du da vor?

  • Ich bin einfach ein Typ, der viel nachdenkt und viel beobachtet.

  • Gehst du viel spazieren?

  • Ja, total. 

  • In der Stadt oder in der Natur?

  • Eher richtig weit draußen. Ich habe mir vor kurzem ein Rennrad gekauft und fahre damit immer aus der Stadt raus. Ich mag die Natur sehr und finde sie total entspannend.

  • Das mit der Natur finde ich sehr spannend. Die spielt meiner Meinung nach nämlich eine große Rolle auf dem Album. Wenn man »Paradies« hört, dann hat man direkt so eine schwarze Wasserwand vor sich. Das fand ich beachtlich, weil ich gleich an Tumblr-Blogs denken musste. Durch die klickt man sich ja durch und sieht dort zahllose Aufnahmen vom Meer, von Wäldern, Schluchten, Bergen und dergleichen.

  • Ich schaue mir gerne schöne Sachen an, heißt: Ich surfe auch viel auf Kunst-Blogs herum. Und diese Sachen nisten sich dann einfach im Unterbewusstsein ein und finden ihren Weg in die Texte.

  • Wie erklärst du dir diese Omnipräsenz der Natur in Tumblr-Blogs? Warum guckt man sich diese Bilder an? Meine These ist ja, dass die Leute vor ihren Rechnern hängen, gerne auch mal rausgehen und den ganzen schnelllebigen Kram hinter sich lassen würden, aber letzten Endes doch zu Hause bleiben und ihre Sehnsucht durch einen Reblog stillen.

  • Ich denke, dass es genau das ist. Im Internet oder am Smartphone hast du alles griffbereit und kommst immer irgendwie drum herum, dich auf dein Fahrrad zu setzen, rauszufahren und zu merken, wie schön es da eigentlich ist. Aber vielleicht ist das auch schon wieder zu uncool für viele …

  • Ich habe neulich mal einen Artikel über Fauxumerism gelesen. Das bedeutet, dass du dir Klamotten, Reiseziele und dergleichen nur noch digital anguckst und gar nicht mehr in der echten Welt konsumierst.

  • Das ist vielleicht gar nicht so verkehrt. Bei mir war es zum Beispiel so, dass ich immer dachte, mein Körper würde alles mitmachen. Und sei es nur das stundenlange Herumsitzen vor dem Rechner. Aber dann erlebt man eine frustige Situation und geht vielleicht mal raus und merkt erst, was einem die ganze Zeit gefehlt hat. 

  • Es ist ja nicht nur das Herumsitzen vor dem Rechner, sondern auch das Feiern. Das macht Spaß, aber man schädigt seinen Körper damit auch ganz ordentlich.

  • Klar. Und dann trittst du einen Schritt zurück, atmest mal durch. Und das geht eben besser in der Natur. Da kannst du an einen See gehen und hast diese unglaubliche Weite. Ich meine, in der Stadt guckst du überall sofort auf eine plakatierte Häuserwand. Und in der Natur ist alles real, das wurde genau so erschaffen.

  • »Paradies« ist ein Konzeptalbum, ja?

  • (lacht) Na, irgendwie schon. Aber auch kein klassisches. Es beginnt halt mit »Stroboskop«. Da sitze ich nach meinem Leben in der Anstalt und erzähle von all den Dingen, die ich erlebt habe und die eigentlich erst später auf dem Album passieren. Es gibt halt kein richtiges Intro und dafür eben diesen Rückblick.

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  • Ich frage auch deshalb, weil das Album auf mich an sich sehr filmisch wirkt und die Videos zu »Atme ein atme aus« und »Frau für eine Nacht« auch einen besonderen Eindruck machen, den man sonst so von Deutschrap-Videos gar nicht kennt. Einerseits ist die Optik total clean, gleichzeitig schwebt da aber auch immer noch etwas sehr Düsteres und Doppelbödiges mit.

  • (grinst) Das ist genau das Ding. David, mit dem ich die Videos schneide, hat immer Bock auf cleane Aufnahmen und macht den ersten Rohschnitt. Dann setzen wir uns zusammen noch mal hin, wobei dann meine Komponente dazukommt. Und ich stehe eher auf die kunstigen und abstrakten Sachen.

  • Zum Beispiel?

  • Naja, im Video zu »Atme ein atme aus« wollten wir so ein bisschen diesen »39,90«-Look und auch dieses fast schon schräge Klischee der glücklichen Familie aus der Schokoriegel-Fernsehwerbung haben, dann aber eben auch eine düstere Note mit reinbringen. Ich mag eben Arthouse-Filme von David Lynch oder Gaspar Noé sehr gerne. 

  • Hast du »Enter The Void« gesehen? 

  • Der ist schon anstrengend. Zweieinhalb Stunden habe ich ausgehalten. Auch die anderen Filme, »Irreversibel« oder »Menschenfeind«, sind super anstrengend und krass. Aber ich mag das. 

  • Was magst du von David Lynch?

  • »Mulholland Drive« und »Lost Highway« haben mir sehr gefallen. »Nymphomaniac« und »Antichrist« von Lars von Trier mag ich auch total. Ich finde es einfach gut, dass die Leute sich etwas trauen. Die Kamerafahrten führen minutenlang durch die Luft und stellen einen richtig auf die Probe. Manche Leute haben für so etwas gar keine Geduld – aber ich mag dieses Spiel mit dem Zuschauer. 

  • Lass uns kurz über dein Vokabular sprechen. »Tight« oder »wack« sind so Begrifflichkeiten, mit denen schon lange keiner mehr hantiert hat. Selbiges gilt für »Kraut« als Bezeichnung für Gras. Wo kommt das her?

  • Ich habe den Kram aus Westberlin wie Beatfabrik halt viel gehört. Aber auch Huss & Hodn. Und die sprechen auch viel von wack MCs. (grinst) Ansonsten reden wir halt einfach, wie wir reden – und das ist eben ein bisschen anders als in Berlin.

  • »Ich bin einfach ein Typ, der viel nachdenkt und viel beobachtet.« Auf Twitter teilen
  • Ich finde, dass deine Beats sich schon recht auskennerisch bei Witch House und Trap Wave bedienen oder zumindest davon inspiriert sind.

  • Ich bin kein Satanist oder so, aber diese Sachen haben eine totale Magie. Deshalb mag ich auch diese Witch-House-Musik sehr. 

  • Kaisaschnitt hat auch ein paar EPs, auf denen er über Beats von Salem und Purity Ring rappt.

  • Seine Sachen habe ich früher auch viel gehört. Der hat immer richtig geil gerappt und seine Stimme eingesetzt. Genau wie das »Omen«-Album von Kaisa und MC Basstard. Die Beats waren total episch.

  • Du hast eben gesagt, dass du das Album jetzt in einer bestimmten Phase deines Lebens gemacht hast. Als was wirst du das Album in zehn Jahren betrachten?

  • Einfach als ein Kapitel aus meinem Leben. Das ist eine Zeitspanne, von der ich erzähle. Eine Zeit lang habe ich nur mit meinen Kumpels abgehangen, war die ganze Zeit high und habe Mixtapes mit lockeren, nicen und chilligen Tracks gemacht. Und dann kam eben die Phase, in der es mir nicht so gut ging. Da kann ich entweder Texte schreiben, die total aggro sind oder Sachen, die total deep sind. Aber ich könnte mich nie in jemanden verwandeln, der nur gut gelaunte Musik macht. Musik machen heißt doch, ein Gefühl wiederzugeben, das man gerade hat. Und das muss echt sein.