Action Ahrens »Ja, ich bin voll kaputt. Fick dich.«

Action Ahrens hat vor kurzem ihr Debütalbum »Koks und Karren« veröffentlicht. Vordergründiges Rumgepose und Gefronte sucht man darauf vergebens. Stattdessen enthüllt sich auf poppigen Beats das Bild einer genauso verletzlichen wie abgeklärten jungen Frau, die mit ihren inneren Dämonen per Du ist.

Action Ahrens

Zwanzig Minuten lässt mich Action Ahrens an einem Sonntagnachmittag vor den Berliner Neukölln Arcaden warten. Als sie dann schließlich auftaucht, erzählt sie mir atemlos von einer Fahrkartenkontrolle, die umgangen und einem verwirrten Junkie, der von einem U-Bahn-Gleis gerettet werden musste. »Berlin ist so krass!«, fügt die gebürtige Hallenserin hinzu, die seit längerem in Leipzig lebt. Und dennoch passen diese Hauptstadt-Stories eigentlich perfekt zum Sound von Action Ahrens. Irgendwie verballert, durchgefeiert, gleichzeitig aber maximal ehrlich und charmant. Doch statt im Berghain wird in ihren Videos eben an einer Tankstelle, irgendwo in der Provinz gechillt. Statt glitzernden Luxuskarossen werden rostige Schrottkarren gefahren. Die äußere Tristesse spiegelt sich auch in Ahrens Texten: innere Krisen, der Wunsch abzuhauen. Doch dann läutet schon wieder der nächste Turn-Up an der Tür. Es wird gefeiert, Chemisches konsumiert, in fremden Betten gelandet.

Inzwischen befinden wir uns auf dem obersten Parkdeck der Arcaden, wo sich der Klunkerkranich, Veranstaltungsort und Kneipe, befindet. Während wir an unseren Teetassen nippen, erzählt Action Ahrens mir von ihrer Crew 131premium, ihren Produzenten Rattenjunge, Schramm Experience und rdypsilon, ihrem Rapperkollegen Fogel. Alle sind nicht nur Musikerkollegen, sondern auch enge Freunde. Und wahrscheinlich braucht es genau dieses Maß an Intimität, um zusammen solch emotionale Musik machen zu können. Überhaupt wirkt der ganze 131premium-Kosmos musikalisch wie textlich so eigen, als sei er unter einer Käseglocke, völlig abgeschirmt vom Rap-Zeitgeist entstanden. Bei Fogel fühle ich mich etwa an die Spoken-Word-Performances von Gil Scott-Heron erinnert. Und Action Ahrens wandelt stilistisch ohnehin auf völlig eigenen Pfaden. Wahnsinnig kreativ wirkt das in einem Moment, in der Masse an EPs und Features aber manchmal auch etwas belanglos, wild zusammengewürfelt. Umso besser, dass Ahrens jüngst ein Album releast hat, das stilistisch wie textlich über einen klaren roten Faden verfügt. Überhaupt hat man sie so wie auf »Koks und Karren« noch nie gehört.

  • Im Vergleich zu deinen EPs klingt das Album schon sehr anders – tanzbarer, poppiger, es gibt auch Gesangspassagen. Würdest du selbst von einem Entwicklungssprung sprechen?

  • Doch, das kann man so sagen. Es ist auf jeden Fall ein Sprung gewesen. Oder zumindest wirkt es wie ein Sprung, wenn man das jetzt hört. Es ist ja viel Zeit bei der Entstehung des Albums vergangen, in der auch nix anderes rausgekommen ist. Vom ersten Text bis zum fertigen Release waren das zehn Monate. Das Album ist auch viel aufwendiger produziert. Es war vorher so: Meine Freunde schicken mir Beats und was mich anfixt, das pick ich halt. Dann wird aufgenommen und dann ist das fertig. Beim Album jetzt haben wir, nachdem die Vocals aufgenommen wurden, noch einiges am Arrangement der Beats geändert, damit es dramaturgisch zu der Story, die in den Vocals erzählt wird, passt. Das ist im Vergleich zu den EPs wahrscheinlich die größte Veränderung. Außerdem habe ich alles mit Bonnie&Quak, die auch 90% der beats vom Album gebaut haben, in Berlin aufgenommen. Die meisten Texte sind im Fernbus dahin entstanden. Vielleicht merkt man das an der Stimmung und den Themen. Es geht ja viel ums Autofahren, ums Abhauen.  

  • Du nennst auf dem Album mehrmals Rihanna. Was hat dich sonst beeinflusst?

  • Viel Popmusik definitiv. Aber ich höre sonst auch sehr viel deutschsprachige Musik, viel deutschsprachigen Rap. Als meine Muttersprache ist das einfach am eingängigsten für mich. Es trifft mich viel tiefer, als wenn ich mir was auf Englisch anhöre. Das rauscht schnell mal vorbei. Sonst habe ich früher viel Elektropunk gehört – Egotronic und diese ganzen Audiolith-Sachen. Dann hat sich das immer mehr in Richtung HipHop entwickelt, weil viele meiner Freunde das gehört haben. Und diese Coolness im Rap hat mich einfach fasziniert, auch wenn das viele erstmal mit Männlichkeit assoziieren. Aber ich dachte sofort: »So cool will ich auch sein.« Aber bei mir bleibt es halt nie nur bei dieser Coolness. Sondern da schwingen auch immer viele Emotionen mit, die überhaupt nicht cool sind: Verzweiflung, Verunsicherung. Aber selbst das versuche ich auf kraftvolle Weise auszudrücken. 

  • Genau das ist mir auch aufgefallen. Dass du im Prinzip auf fast jedem Track einen Seelenstriptease hinlegst, es aber nie weinerlich oder selbstmitleidig wird. 

  • Wenn du selbst zugibst, wie du dich fühlst und was du denkst, macht dich das gleichzeitig verletzlich, aber auch unglaublich stark. Wenn zu mir jetzt jemand meint: »Ey, du bist voll kaputt.«, dann antworte ich halt: »Ja, ich bin voll kaputt. Fick dich.« Ich sage das in meinen Texten ja schon selbst von mir und deshalb können die mir damit gar nichts mehr. 

  • Alphamob meinte mal zu mir, dass du dir in deiner Musik männlich besetzte Themen aneignest und quasi umdrehst. So tauchen immer wieder Autos auf, das Rumhängen am Corner. Auch das Aufreißen von Lovern und die damit verbundenen Dramen spielen eine große Rolle.

  • Um mich mal selbst zu zitieren: »Es geht nicht um Rap. Es geht nur um Jungs in Sportklamotten.« Aber im Ernst: Klar, das hat er vollkommen richtig erkannt. Aber da steckt jetzt kein großes Konzept dahinter. Wenn ich schreibe, gehe ich am Anfang meistens schon von mir aus. Das ist eine Art Tagebuch. Checken aber die wenigsten. Jetzt beim Album habe ich die Sachen auch mehr in Stories verpackt, die zu einem gewissen Anteil künstlich sind. Weil ich ein Album übers Autofahren machen wollte, das einen dementsprechenden Drive hat und musikalisch sehr vielfältig ist, unterschiedliche Genre-Einflüsse hat. Wie wenn du im Auto eine Mix-CD durchskippst. Aber das Autofahren ist natürlich nicht das Thema an sich, sondern nur ein Bild, um gewisse emotionale Situationen auszudrücken.  

  • Du findest sehr ungewöhnliche Bilder für die verhandelten Themen. Teilweise geht das für mich schon in Richtung Lyrik. Liest du zur Inspiration Gedichte oder ähnliches?

  • Ich habe als Kind viel gelesen, aber inzwischen konsumiere ich mehr Medien, bei denen das schneller Dopamin kickt. Meine Hauptinspirationsquelle sind einfach Songtexte. Manchmal entwickelt man sogar so eine Art Deutschrap-Tourette. Also, dass einzelne Sätze, Lines einfach so aus mir rausplatzen. Die Formulierung »die Sitze aus Leder« habe ich zum Beispiel von Capital Bra. Auf »Was ich fühle« gibt es die Line: »Wir fahren die Karre zum Jahrmarkt und danach gegen die Wand.« Das kommt von Hiob und Morlockk Dilemma. Das liebe ich einfach, solche krassen Ohrwurm-Lines rauszuballern. Das bricht beim Schreiben einfach so über einen herein, das sitzt eben ganz tief. Haiyti feiere ich auch überkrass. Sie erzeugt mit sehr einfachen Aussagen oder auch Aufzählungen ein Gefühl, das überdeep ist. Mich catcht das sehr. Ich brauche da schon ein paar Wörter und Synonyme mehr, um sowas auszudrücken, aber ich mache eben auch was ganz anderes. Man kann es nicht miteinander vergleichen. 

  • »Ich feiere bei Haiyti, dass es auf der einen Seite so glamourös ist und auf der anderen so kaputt.«Auf Twitter teilen
  • Als ich deinen Albumtitel »Koks und Karren« zum ersten Mal gehört habe, musste ich aber schon sofort an Haiyti denken. Auch wenn es textlich und musikalisch in unterschiedliche Richtungen geht, empfinde ich eure Attitüde als sehr ähnlich. 

  • Ich feiere bei ihr, dass es auf der einen Seite so glamourös ist und auf der anderen so kaputt. Bei mir ist dann eher alles kaputt. Das ist es ja, was bei »Koks und Karren« vielleicht auch im Titel mitschwingt. Du denkst so: »Ja, Koks und Karren, das sind so diese Rap-Statussymbole.« Aber dann sieht man auf dem Cover nur Provinztristesse und gar kein Auto, sondern ein Pferd. Im Nachhinein wurde ich übrigens gefragt, ob ich da bewusst das Cover von Missy Elliots »Respect M.E.« zitiert habe. Da sitzt sie auch auf einem Pferd vor wolkenverhangenem Himmel. Sogar der Bildausschnitt ist ziemlich ähnlich, ihr Blick in die Kamera. War aber reiner Zufall. Ich kannte das Cover vorher nicht, aber find ich gut.

  • Als ich dein Album neulich beim Kochen gehört habe, ist eine Freundin meines Sohnes reingeplatzt und meinte: »Ist das der neue Track von Loredana?« Erst fand ich den Vergleich völlig absurd, dann ist mir aber aufgefallen, dass ihr beide eine ähnlich ungewöhnliche Art zu betonen habt. Kannst du das nachvollziehen?

  • Nicht die schlechteste Referenz. Ich wurde auch schon oft von Leuten, die nichts mit Rap zu tun haben, darauf hingewiesen, dass ich Sachen in Songs falsch ausspreche. Aber das macht man natürlich, damit es in den Flow passt. Ich weiß noch, wie ich mich als junges Mädchen über Hafti lustig gemacht habe, weil er seine Sachen reimt, indem er am Ende alles auf »ah« enden lässt und ich mir so dachte: »Das reimt sich doch alles gar nicht, bloß weil er so komisch redet, kriegt er das hin.« Jetzt mache ich das genauso. Danke Hafti!