Ali As »Ironie ist immer der leichteste Weg.«

Wenn es bei einem deutschen Rapper irgendwie nie so richtig losgehen wollte, dann war das wohl Ali As. Charisma, Humor, Reime, Beats hatte der Münchener ja schon immer – und all das meist auch schon früher als die anderen.

ali-as-2015-copyright-embassy_of_music

Aber so richtig wusste man trotzdem nie, woran man bei ihm ist. Bis im letzten Frühjahr die »EMWIMO«-EP erschien. Deren gleichermaßen tiefsinniges wie hochmütiges Konzept denkt Ali auf seinem neuen Album »Amnesia« jetzt weiter. Gewohnt wortgewandt aber gleichzeitig auch nachdenklich-nachdrücklicher denn je. Ein Interview über frühen Dipset-Fanatismus, ironischen Rap und Torch-Zitate.

  • Ich muss dir ganz zu Beginn schon offenbaren, dass ich ja deine gesamte bisherige Karriere verfolgt habe – zumindest von dem Moment an, wo deine Musik es aus dem Münchener inner circle ins MZEE-Forum geschafft hat. Stichwort: Flavaclub.

  • Oh ja, peinlich, peinlich. (lacht) Den Flavaclub gibt es ja schon ganz lange nicht mehr. Ich glaube, 2004 war da die letzte Veranstaltung. Und unsere größte Errungenschaft war, dass wir um die Jahrtausendwende herum Kool Savas gebucht haben. Das war das erste Mal, dass er in München und Umgebung aufgetreten ist. Der war dann damals mit Jack Orsen, DJ Zett, Staiger und so weiter da.

  • Warst du da einer der Booker?

  • Naja. Ich war mehr so der Fahrer. (lacht) Nein, mehr oder weniger. Ich war cool mit den Leuten und habe ein paar Veranstaltungen organisiert, war aber eher im Hintergrund. Und dort bin ich dann tatsächlich auch das erste Mal auf die Bühne gegangen und habe gefreestylet. Genau wie übrigens auch Fiva, was man ja nicht unbedingt denken würde. Und Raptile und Rekless haben sich da auch kennen gelernt.

  • In der Zeit ist dann auch das »We Really Remix«-Mixtape entstanden?

  • Genau. Wir haben zu der Zeit halt extrem viel Dipset gehört und deren Track geremixt. Jedes zweite Instrumental, auf das wir gerappt haben, war von den Diplomats oder Jay Z. Wir hatten halt noch nicht die Möglichkeit, gute Produktionen an den Start zu kriegen. Irgendwann hatten wir dann auch mehr mit Tai Jason zu tun, der für uns produziert hat und ich habe Pretty Mo kennen gelernt, mit dem ich ja immer noch cool bin. Außerdem waren noch Grosses K und Semi B dabei. Und dann hat sich irgendwann Der Neue Süden daraus entwickelt. Das war aber auch nicht superernst gemeint.

  • »Niemand wusste so richtig, wofür ich stehe.«Auf Twitter teilen
  • Aber es hatte schon Parallelen zu den USA. Da gab es im Dipset-Umfeld ja auch zig Crews mit komischen Namen und wenig Nutzen. Und ich finde, ihr wart eigentlich die Ersten, die das damals auf Deutsch gemacht haben. Nicht nur, weil ihr aufgrund von mangelnden Beats die Originalinstrumentals verwendet habt, sondern auch, weil ihr euch in Sachen Rhyme-Patterns an den Vorbildern orientiert und auch Begrifflichkeiten eingedeutscht habt.

  • Oder Getränke! Wenn die sich Sizzurp gegönnt haben, mussten wir uns den über irgendwelche Online-Shops besorgen. Und der von den Dipset-Jungs hat richtig ekelhaft geschmeckt. Das war vermutlich so etwas wie Alizé, nur eben in der Billigvariante. Wir haben uns auch Armadale-Wodka kommen lassen und dachten, wir wären total geil, obwohl wir eigentlich nur die Opfer waren, die sich jeden Scheiß von den Leuten in den USA bestellt haben. (lacht) Aber es hat Spaß gemacht. Man konnte sich mit ein paar Sachen dieses Lifestyles identifizieren und wir haben das dann umgemünzt.

  • Etwas, das Eko und Sentence ungefähr zur gleichen Zeit auch getan haben, obwohl ihr euch nicht mal kanntet.

  • Das stimmt. Wir haben uns auch vorher schon wenig an deutschen Sachen orientiert. Vor Dipset gab es zwischen 1998 und 2000 schon diesen No-Limit-Hype. Am Anfang hatten wir da auch etwas Berührungsängste wegen diesen Zweiundreißigstel-Hi-Hats und den Billo-Covern. (grinst) Aber irgendwann dachten wir uns: »München liegt auch im Süden von Deutschland und die Südstaaten sind sehr konservativ, den Leuten geht es gut, aber keiner läuft mit einem Grinsen durch die Gegend. Lass uns doch das deutsche Pendant dazu liefern.« Und so ging das los.

  • Ich habe neulich auch erfahren, dass Tai Jason da durchaus eine treibende Kraft gewesen ist.

  • Das stimmt. Tai war richtig krass. Der hatte wirklich alle Cash-Money- und No-Limit-CDs und ist schon sehr früh auf diesen Sound abgegangen. Lange, bevor andere das verstanden haben. Das beste Beispiel dafür ist wohl der Titeltrack von der »Aggro Ansage Nr. 5«, die man heute noch mal genau so herausbringen könnte. Er war echt der Erste mit diesem Sound. Und dadurch, dass man zusammen rumhing, hat man dann irgendwann auch gemeinsam Musik gemacht. Aber dafür konnte man sich damals keinen Lorbeerkranz aufsetzen, sondern wurde richtig krass gehasst. Die Leute haben halt gedacht, wir wären irgendwelche Spasten, die auf Ami machen. Aber ich habe schon vor ein paar Jahren gesagt: Es ist doch scheißegal, ob du anfängst Dipset zu biten – oder Wu-Tang. Sobald man sich bei etwas anderem als dieser Boombap-Ästhetik bedient, heißt es gleich, man sei wack. Wu-Tang haben auch von Bitches ficken, Knarren und Kohle gerappt. Da hat auch niemand die Fahne für Breakdance und Graffiti hochgehalten.

  • Aber irgendwann wurde es dann doch salonfähig.

  • Ja, voll. Ich glaube, die Aggro-Ära hat dafür gesorgt, dass dieser synthielastige Sound sich etabliert hat. So, dass sich jeder x-beliebige Streetrapper gedacht hat: »Killa, gönne ich mir mal so einen richtig geilen Synthiebeat raus.«

  • Und heute haben Leute mit talentfreien oder aber auch stark überzeichneten Ami-Adaptionen deutlich mehr Erfolg.

  • Der Bezug der Kids zur Amimusik war damals halt noch ein anderer. Jetzt hast du viele Jugendliche, die mit zwölf oder noch früher mit Rap in Berührung kommen und sich direkt den deutschen Stuff geben. Die wissen also gar nicht mehr unbedingt, wer in den Staaten aktuell angesagt ist oder woher diese ganzen Referenzen kommen.

  • Muss man das denn wissen?

  • Müssen tut man ja eh nichts. Aber es ist cool, wenn man das weiß. Das ist genau so, wie wenn du dir die US-Version von »Funny Games« anguckst. Die ist okay, aber die alte Version ist halt zehnmal nicer. Die verpasst du dann eben. Und das ist ein bisschen stupide. Man könnte auch sagen: lellekhaft. (grinst)

  • Eko hat mir erzählt, dass ihm diese ganze Rap-Knowledge aus Übersee sehr beim Schreiben seiner Reime geholfen hat. Weil er Bezüge zu aufstrebenden MCs oder geflügelten Worten herstellen konnte.

  • Das habe ich bei ihm auch immer gefeiert. Ich finde es eben spannend, wenn du etwas Deutsches auf etwas Englisches reimst. MoTrip hingegen hasst so etwas total. Aber ich mag es, Eigennamen auf Eigennamen zu reimen. Prinz Harry auf Jim Carrey, zum Beispiel. Du hast gleich ein viel breiteres Spektrum. Eines, das du beliebig erweitern kannst, wenn du zum Beispiel Referenzen aus Filmen hinzuziehst. Oder in dem du viel erlebst. Das finde ich geiler als Rapper mit beschränktem Wortschatz. Und da zähle ich mich schon dazu. In jedem Part ist irgendwie ein Schmankerl dabei.

  • »Die Jugendlichen heute wissen gar nicht mehr unbedingt, wer in den Staaten aktuell angesagt ist oder woher diese ganzen Referenzen kommen.«Auf Twitter teilen
  • Kann es davon auch zu viel geben? Oder gar den Hörer überfordern?

  • Schwierige Frage. Wenn du immer up to date bist und dir aus anderen Bereichen was ziehen kannst, eigentlich nicht. Marteria kreiert zum Beispiel verrückte Bilder wie »Der alte Hund ist mein Zeuge«, wo jeder etwas eigenes hineininterpretieren kann, während Kollegah dir klipp und klar und bis ins kleinste Detail sagt, dass es sich bei diesem Schmuckstück hier um ein bronzenes Ahornblatt auf einer Königskette handelt. Das sind beides geile Bilder. Und so lange du so etwas hast, ist alles cool. Und bei »Amnesia« ist es so, dass ich zwar nicht bewusst, aber doch versucht habe, diese beiden Dinge zu kombinieren. Sowohl poetisch als auch irgendwie prollig.

  • Und wie ist das mit Reimen? Können die einen Hörer auch überfordern?

  • Bei der »EMWIMO«-EP war das sicherlich so, ja. Für »Amnesia« habe ich das etwas runtergeschraubt – auch der Aussage zuliebe. Ich würde gar nicht sagen, dass ich noch so reimfixiert wie früher bin. Ich schreibe auch weniger auf Reim, sondern eher nach Themen. Es gibt da zum Beispiel den Song »Ingrid« und den habe ich einfach runtergeschrieben. Genau wie »Jagd/Flucht« und »Ich treffe dich dort« von der EP.

  • Das finde ich spannend. Weil ausgerechnet die drei Songs für mich einen ganz eigenen Vibe haben. Diese Ingrid in dem Song gibt es ja wirklich.

  • Ja, die heißt Ingrid Steeger. Sie ist ein ehemaliger Sexfilmstar und hat unter anderem in »Schulmädchenreport« mitgespielt. Ihre Titten kennst du also bestimmt. (grinst) Mr. Billionaire kennt vielleicht auch ihre Scheide. (lacht) Diese Ingrid hat tatsächlich bei mir in der Straße gewohnt und dann habe ich gesehen, dass sie aus ihrer Wohnung rausmusste. Zu der Zeit hat sie dann noch ein Buch veröffentlicht, weil sie vermutlich Geld brauchte. Ich fand es einfach krass, wie man mal so am Start sein konnte und dann wieder dermaßen abgestürzt ist. Abgesehen davon hat der Song auch noch eine ganz besondere Bedeutung fürs Album.

  • Nämlich?

  • Zum einen ist Amnesia ja eine Haze-Sorte. Und es bedeutet aber auch Gedächtnisschwund. Und bei dem Song geht es eben darum, dass Ingrid von allen vergessen wird. 

  • »Die coolsten Leute, die ironische Sachen machen, sind in meinen Augen K.I.Z. – alle anderen sind krasse Lelleks, die sonst nichts anderes haben.«Auf Twitter teilen
  • Am Schluss des Songs hört man so einen kurzen Telefonmitschnitt.

  • Das ist einfach Weeknd-esques OVO-Gemurmel. (lacht) Wir wollten einfach, dass die Platte vibet. Dass sie einen guten Klang hat, wenn man sie von vorne bis hinten durchhört. Deshalb gibt es an manchen Stellen solche Schmankerl.

  • Genau wie dieses Lachen, euren Trademark-Sound.

  • Genau. Das war auch ein bisschen das Ziel: etwas aus einem Guss, ohne dass es zu nervig klingt. Und dieser Effekt eint eben die Songs auf eine gewisse Weise.

  • Reime, Drops, Humor und Selbstreflexion – das ist ja eine Form von Detailverliebtheit, die man im deutschen Rap selten findet.

  • Ich glaube, es gibt immer mehr Leute, die das machen. Aber es ist noch nicht sonderlich weit verbreitet. Wenn man jetzt mal »Amnesia« nimmt, gibt es wohl wenige, die das auf dem Level praktizieren. 

  • Wenn man sich mit sich selbst auseinandersetzt, dann auf eine sehr ironische Art und Weise.

  • Da triffst du bei mir sowieso einen wunden Punkt. Diese ganzen Ironie-Rapper finde ich richtig lächerlich. Ironie als Stilmittel ist gut und die darf man auch gerne mal einfließen lassen. Aber wenn dein ganzes musikalisches Schaffen darauf basiert, dass du etwas Ironisches von dir gibst, weil du selber nichts über dein erbärmliches Leben zu berichten hast, finde ich das wack. Ironie ist immer der leichteste Weg. Du machst dich nicht gerade für eine Position, die du vertrittst, sondern kannst immer den Deckmantel der Ironie verwenden. Die coolsten Leute, die ironische Sachen machen, sind in meinen Augen K.I.Z. – alle anderen sind krasse Lelleks, die sonst nichts anderes haben. 

  • Auf »Gästeliste +0« ist Muso gefeatured. In meinen Augen einer der most underrated MCs in Deutschland.

  • Ich feier Muso schon lange. Und er mich auch, wie ich dann durch ein Interview erfahren habe. Musos Songs haben teilweise schon fast etwas von einem David-Lynch-Film. Du bekommst ein paar Brocken hingeworfen und musst selber gucken, wie du es zu einem großen Ganzen formst. 

  • Etwas, dass ich im deutschen Rap heute ja sehr vermisse.

  • Heutzutage hast du als Rapper irgendwie den Zwang, ein neues Album herauszubringen und gleichzeitig viele, die denken, dass sie mal eben ‚ne schnelle Mark damit machen könne. Da merkt man dann auch, dass sie nicht viel Liebe für das Ganze übrig haben und so einen Quatsch machen. Da findet man dann zwei oder drei Songs geil und das war’s. Ich will mich auch nicht hinstellen und sagen, dass ich von Anfang an schon eine so klare Vorstellungen von allem hatte wie jetzt auf »Amnesia«. Bei »Bombe« haben wir auch noch diesen oder jenen Beat gepickt, weil er gerade da war. Aber spätestens seit der EP ist es ein rundes Ding geworden.

  • Warum ist es bei dir eigentlich noch nie so richtig durch die Decke gegangen?

  • Woah. Das ist so, als wenn du Edgar Wasser fragen würdest, warum es bei ihm mit den Frauen nicht klappt. (grinst) Oder mit dem vernünftig Anziehen. Wobei, der Vergleich hinkt. Dagegen könnte man ja etwas tun. Ich habe eben immer in alle Richtungen etwas gemacht. Im Sinne von: Du hast fünf Finger und jeden mal in eine Richtung ausgestreckt, aber nie eine Faust geballt und mal richtig auf den Tisch gehauen. Es wusste auch niemand so richtig, wofür ich stehe. Und es ist dieses Poet-Prolet-Prophet-Dingen. Diese drei Schlagwörter machen das, finde ich, sehr verständlich. In einem Song bin ich am Spitten oder Ballen und reflektiere das auf anderen Songs aber auch wieder, ohne den Zeigefinger auszupacken.

  • »Poet, Prolet, Prophet« – das hat auch schon mal jemand anders gerappt. Und zwar Torch.

  • Ist nicht wahr! 

  • Doch. Auf »Wer ich bin«. Da rappt er »Bin der Poet, Prolet, Prophet, Magnet, Majestät, Interpret, der auf der Bühne steht.«

  • Okay, nach »Prophet« hört es dann schon wieder auf mit der Reimfertigkeit. (lacht) Aber das sollte ich mal schön wegsamplen. Ich wollte eh so einen Song machen.