Veysel »Ich will mich später nicht für etwas schämen, das ich heute gesagt hab.«

Veysel Cover ausschnitt

Seine Azzlackz-Crew ist nach wie vor das deutsche Straßenrap-Schlachtschiff schlechthin, sein Debütalbum »Audiovisuell« steht in den Startlöchern, in Kürze geht es mit den Kollegen Olexesh, Hanybal und Celo & Abdi auf große Tour – bei Veysel läuft, wie man heutzutage so schön sagt. Dass er selbst das ganz offensichtlich auch so wahrnimmt, verrät das breite Grinsen, mit dem er seinen Interviewpartner empfängt.

Aber es gab bekanntermaßen auch ganz andere Zeiten in seinem Leben: Eine tragische Auseinandersetzung mit ungewollt tödlichem Ausgang bescherte dem sympathischen Essener nicht nur einen ewigen Schatten auf der Biografie, sondern auch einen Gefängnisaufenthalt mit anschließender Bewährung – Füße stillhalten ist also angesagt. Wobei man das dem guten Veysel nun wirklich nicht erklären muss: Dieser Typ mit der rauhen Stimme und der Zahnlücke macht nicht aus dem Grund Musik, seine Street Credibility zu untermauern. Ganz im Gegenteil: Veysel hat die Chance genutzt, die ihm HipHop in Gestalt von Baba Haft bot, und seinem Leben einen entscheidenden Schubs auf den rechten Weg verpasst. Darauf gilt es nun aufzubauen.

  • Wie lang hast du an deinem Album gearbeitet?

  • Zwei Monate. Ich hab davor schon ein, zwei Songs geschrieben gehabt, aber eigentlich hab ich das in zwei Monaten über die Bühne gebracht. Ich hatte ca. fünf Studiotermine, und wenn man die ganze Zeit zusammenzählt, hab ich das Album in 24 Stunden aufgenommen.

  • Auf dem Album sprichst du schon an, dass du von der Rap-Welt relativ gut aufgenommen wurdest. Wie hast du die Zeit nach dem Mixtape erlebt?

  • Ich hab natürlich gemerkt, dass mein Bekanntheitsgrad noch größer geworden ist und mich noch mehr Leute auf der Straße ansprechen. Aber ich bin kein großer Fan dieser Fame-Geschichte. Mich freut es viel mehr, wenn mir Leute sagen, dass ich mich musikalisch gesteigert habe. Erst hab ich mich schon gewundert, wie krass das Mixtape ankam. Und dann hatte ich natürlich Hunger darauf, das Album zu schreiben. Andererseits hab ich mich schon auch gefragt, ob ich das schaffe.

  • Hattest du etwa Schiss, dass du es nicht hinbekommst?

  • Natürlich! Ey, ich bin doch noch total neu in dieser Szene. Und als jemand, der diese Szene nicht kennt, macht man sich natürlich schon solche Gedanken.

  • Und wie hast du das dann gelöst?

  • Naja, dann kam eben eine Phase, in der der Knoten geplatzt ist und ich sehr kreativ war – und dann hab ich das in einem Rutsch gemacht. Zunächst hab ich mal zwei Parts geschrieben. Das hab ich mir dann mit ein bisschen Abstand noch mal angeschaut und gemerkt: Das kannst du aber besser. Und dann hab ich noch mal neu angefangen.

  • Wenn du dein Album mit dem Mixtape vergleichst, was gefällt dir jetzt besser?

  • Beim Mixtape hätte ich vielleicht die Skits weglassen können. (lacht) Und ich hätte mir einfach mehr Zeit nehmen sollen. Das war ja wirklich auf Halligalli gemacht. Dass ich mir für das Album mehr Zeit genommen habe, das hört man deutlich.

  • Du hast auch ein paar neue Sachen ausprobiert, die man von dir vorher so nicht kannte: Ein Song ist zum Beispiel komplett mit Auto-Tune auf den Vocals, außerdem sind die Hooks viel melodiöser.

  • Ich hab mich eben inspirieren lassen, vor allem von französischer und amerikanischer Musik. Und dann hab ich es eben auf zwei, drei Tracks mal versucht. Aber der Rest ist so deep, wie man es von mir kennt. Aber warum nicht mal was ausprobieren? Man sollte doch mutig sein. Und ich hab es auch so gemacht, dass man sich nicht fremdschämen muss – finde ich jedenfalls. (lacht)

  • »Ich hab 25 Jahre draußen rumgehangen, warum sollte ich jetzt weiterhin so leben?«Auf Twitter teilen
  • Wie hat sich dein Leben verändert nach dem Mixtape?

  • Ich hab jedenfalls immer noch Bewährung. (lacht) Mein Leben ist ruhiger geworden. Ich bin jetzt zwar kein anderer Mensch, aber ich bau keine Scheiße mehr. Ich hab die Sachen, die mir nicht gut tun, weggelassen. Als ich aus dem Knast gekommen bin, bin ich ja sofort saufen gegangen. Aber mittlerweile trinke ich gar nicht mehr. Seit einem Jahr und fünf Monaten hab ich nichts mehr getrunken.

  • Warum?

  • Es muss einfach nicht sein. Ich will nicht morgens aufstehen und total fertig sein – ich will fit sein! Ich bin jetzt einfach ein bisschen disziplinierter, ich hänge nicht mehr sinnlos in Parks rum. Ich hab 25 Jahre draußen rumgehangen, warum sollte ich jetzt weiterhin so leben? Ich bin lieber zu Hause und versuche, kreativ zu sein und neue Ideen zu entwickeln. Natürlich rede ich jetzt aber nicht über meine 30-Meter-Yacht. Ich bin immer noch ich. Ich rappe immer noch davon, dass ich im Ghetto geboren bin, aber eben auf eine andere Art und Weise.

  • Aber ist die 30-Meter-Yacht denn ein Ziel?

  • Nein, überhaupt nicht. Ich will einfach ein ruhiges Leben führen und irgendwann eine kleine Familie gründen. Natürlich will ich auch meine Brötchen verdienen. Aber vor allem will ich eine gute Message transportieren. Ich will mich später nicht für etwas schämen, das ich heute gesagt hab. Ich brauche auch keine MC-Hammer-Villa mit 30 Schlafzimmern. Ein kleines Haus mit fünf Zimmern und einer Garage – wenn das für mich drin wäre, das wäre schon baba.

  • Kannst du jetzt eigentlich schon von Rap leben?

  • Ich muss zum Glück nichts anderes machen, aber es ist auch nicht so, dass wirklich jeden Monat alles glatt läuft. (lacht) Ein Tipp an alle Rapper da draußen, die schon Geld verdienen: Immer die Kassenbons und alle Rechnungen aufbewahren! Den Rest klärt dann später der Steuerberater.

  • Wenn du sagst, du willst eine gute Message transportieren, was bedeutet das für dich?

  • Oft merke ich einfach, dass sich die jungen Kids nach Sachen sehnen, die wir gemacht haben – und da will ich gegensteuern. Zum Beispiel gibt’s Jungs, die können super Fußball spielen und könnten damit auch etwas erreichen, aber sehnen sich dann nach dieser Gangster-Kacke, die wir gemacht haben. Den Song »Was der Kleine sagt« hab ich so geschrieben, als würde ich mit einem Jungen aus meinem Viertel Altendorf sprechen: Komm mal klar auf dein Leben. Du hast mehr drauf, als zu verchecken und Leute blöd anzumachen.

  • Warum hat es bei dir eigentlich so lang gedauert, bis du aus diesem Leben rausgefunden hast? Hattest du keine guten Vorbilder?

  • Ich hatte nicht solche Vorbilder, wie ich jetzt eines bin. Ich hab halt gern 2Pac gehört, aber ich wusste ja überhaupt nicht, was bei dem abgeht – ich hab ja kaum Englisch verstanden. Ansonsten war meine Mutter mein Vorbild. Klar hab ich nicht alles perfekt gemacht; ich bin halt ein wilder Junge gewesen und dann noch der einzige Sohn der Familie. Aber die richtigen Werte hab ich von meiner Mutter schon mitbekommen. Das merkt man, egal, was ich für eine Scheiße gebaut hab.

  • »Natürlich hat jeder seine Religion und ist stolz darauf, aber: Wir sind in erster Linie Menschen.«Auf Twitter teilen
  • Wann sollte man es denn checken, dass man Verantwortung für sein Leben übernehmen muss?

  • Man sollte es am besten ganz früh checken. Aber realistisch ist eben erst mit 18, 19 – da muss man es eben auf die Kette bekommen. Bei mir war das da noch nicht der Fall. Und leider auch viel später nicht.

  • Wegen den Konflikten im Nahen Osten beschäftigen sich viele Kids gerade sehr mit Politik und Religion. Und oft hat man den Eindruck, dass sie das alles gar nicht richtig verstehen.

  • Ich hab neulich auch mal etwas in der Richtung gepostet und dann gemerkt, dass in den Kommentaren voll der Krieg ausbrach. Da dachte ich mir: Ich kann doch auch für Freiheit beten, ohne das jemandem mitzuteilen. Ich hab ja was zu dem Thema gesagt, und das wissen die Leute jetzt auch. Aber man sollte vielleicht lieber beten und spenden, anstatt was dazu auf Facebook zu posten. Da beleidigen sich plötzlich Leute, die sich überhaupt nicht kennen, da bricht richtig Hass aus. Und das muss nicht sein. Es ist doch egal, welche Religion du hast, sei einfach ein gerader Mensch, fertig, aus. Natürlich hat jeder seine Religion und ist stolz darauf, aber: Wir sind in erster Linie Menschen. Und jede Religion sagt: Sei gut zu Menschen. Diejenigen, die im Namen der Religion Scheiße bauen, benutzen die Religion für etwas, das nichts mit ihr zu tun hat. Und im Endeffekt wird jeder Mensch am Ende seines Lebens Rechenschaft ablegen müssen. Keiner kann einfach machen, was er will, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

  • In dem Post, auf den du dich beziehst, hast du u.a. Freiheit für Palästina und die Kurden in Shingal gefordert. Wie sehr beschäftigt dich die Situation der Kurden im Irak?

  • Das beschäftigt mich sehr. Ich weiß nur nicht, was ich jetzt darüber sagen soll, ohne dass sich die Leute dann wieder darüber streiten. Ich kann beten und spenden, aber mehr Macht habe ich in dieser Angelegenheit ja nicht. Mein Post hat ja offenbar nicht dazu geführt, dass ihr jetzt anders über dieses Thema denkt. Offenbar habt ihr alle untereinander irgendwelche nationalen Probleme – aber diese Welt gehört jedem von uns! Wir sind Menschen, Gott hat die Welt für uns erschaffen und wir leben darin.

  • »Mich regt es auf, wenn dieser Nationalismus in die Musik reingebracht wird. Das Thema hat doch schon die ganze Politik gefickt.«Auf Twitter teilen
  • Von außen betrachtet, ist es schwierig, diesen Hass zu verstehen. Azad hat zum Beispiel etwas gepostet …

  • Er hat das einzig Richtige gepostet: Er hat dazu aufgerufen, zu spenden.

  • Und trotzdem standen in den Kommentaren wahnsinnig hasserfüllte Dinge: etwa, dass Jesiden Teufelsanbeter seien und man nicht für sie spenden sollte. Was läuft denn da bitte falsch?

  • Was weiß denn ich? Das sind doch auch Menschen! Es ist doch egal, was die glauben. Die lachen, weinen, atmen, essen, trinken – genau wie alle anderen Menschen. Was ist der verdammte Unterschied? Ihr blutet doch auch, wenn ihr euch schneidet! Also was soll ich den Leuten da draußen bitte noch erklären? Die wollen das einfach nicht verstehen. Mein Glaube sagt mir: Respektiere die Menschen. Und wenn jemand das anders auslegt, dann hat er gesündigt. Und das ist bei allen anderen Religionen auch so. Gott sagt nicht: Geh Leute umbringen! In der Religion geht es um Liebe, nicht um Krieg. Aber die Menschen haben daraus Krieg gemacht. Das ist das Problem.

  • Seit diesem Post hast du nichts mehr zu diesem Thema gesagt.

  • Ja, und dann haben mich Leute gefragt, ob ich denn nicht für die Kurden sei. Dicker, natürlich bin ich für die Kurden! Meine Eltern sprechen zu Hause Kurdisch, wir kommen aus einem Teil der Türkei, in dem nur Kurdisch gesprochen wird – mehr Kurde geht ja gar nicht! Aber ich bin einfach kein Rapper, der seine Nationalität für irgendwelche Businessmoves ausnutzt.

  • Sollte das im Zusammenhang mit Musik überhaupt eine Rolle spielen, deiner Meinung nach?

  • Mich regt es auf, wenn dieser Nationalismus in die Musik reingebracht wird. Das Thema hat doch schon die ganze Politik gefickt. Seht ihr das denn nicht? Und jetzt bringt ihr diese Politik auch noch in die Musik! Wir von der Straße sind doch alle eins! Egal, ob das jetzt ein Rapper, ein Breaker oder ein Drogendealer ist – wir alle kommen von der Straße. Und anstatt etwas gegen die Schlipsträger in Politik und Wirtschaft zu unternehmen, gehen wir uns lieber gegenseitig auf den Sack. Klar, Beef gehört zu Rap dazu, aber die ziehen uns ja ins Lächerliche. Wenn du battlen willst, dann geh zu den Backpackern auf ein Battle und mach das da – aber bitte bring keine schlechte Luft in unseren Raum. Die Leute haben gerade wohl einfach Bock, sich zu streiten, vielleicht ist das Promo, ich weiß es nicht. Ich selbst hab gegen niemanden was, so einfach ist das. Es gibt da ein Sprichwort: Die Schlange, die mich nicht beißt, soll tausend Jahre leben.

  • Sprecht ihr bei den Azzlackz eigentlich viel über Politik?

  • Beim Splash! hab ich nach dem Auftritt beim Interview mit Visa »Free Palästina« gesagt, weil es auf der Bühne keiner von uns gesagt hat. Nicht, dass das meine Aufgabe bei den Azzlackz wäre, aber ich finde, das muss man einfach sagen: Freiheit für alle unterdrückten Völker! Und natürlich unterhalten wir uns über solche Themen, wir sind da auch alle der gleichen Meinung. Keiner sollte unterdrückt werden. Jeder sollte so leben können, wie er möchte. Ob du gut lebst oder nicht, ist deine Sache. Solange du niemand anderem schadest, ist alles okay.