SSIO »Ich will diesen Bumms unbedingt auf die HipHop-Welt übertragen!«

Wer entfernt regelmäßig fingernagelgroße Chipkarten aus Mobilfunkgeräten und hat ein Faible für Koitus mit Frauen deren Körperfülle den BMI von 40,0 deutlich übersteigt? Richtig, SSIO. Jan Wehn traf den Bonner zum Interview.

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Mit dem Mixtape »Spezial Material« lieferte Ssiawosch Sadat aus Bonn-Tannenbusch vor gut drei Jahren auf Spätneunziger-Beats einen selbstironischen Gegenentwurf zum klischeebehafteten Straßenrap-Standard – und sorgte ein gutes Jahr später mit seinem Debütalbum »BB.UM.SS.N« außerdem dafür, dass Xatars Label Alles oder Nix nach dessen Inhaftierung für den Überfall auf einen Goldtransporter wieder eine ernstzunehmende Instanz im hiesigen HipHop wurde.

Mit »0,9« legt SSIO jetzt einen mehr als würdigen Nachfolger seines BoomBapisch-ultraamnesisch-melodischanabolen StraßenScheiß vor. Ein Interview über ausgelutschte Straßenrap-Begrifflichkeiten, SSIOs Definition von Detailmusik, die Vor- und Nachteile digitaler Musikproduktion und Hinterteile in der Größe von PKW-Kofferräumen.

  • Du hast an anderer Stelle schon erklärt, dass das Cover zu »0,9« quasi die Szenerie darstellt, die man zu sehen bekommt, wenn man aus dem Cover deines letzten Albums »BB.UM.SS.N« herauszoomed. Funktionieren die Songs auf der neuen Platte andersherum so, dass man an anderer Stelle wieder in das Cover hineinzoomed?

  • Perfekt, sehr gut! (lacht) Natürlich kann ich nicht jede Facette meines Albums auf dem Cover abbilden und dementsprechend hat nicht jeder Songtitel einen Bezug zu dem Bild. Aber die beiden Kripos sind zum Beispiel das Thema von »Don & Fuß« mit Xatar und Samy. Abgesehen davon findet dieser Mechanismus, den du eben beschrieben hast, auf den verschiedensten Ebenen statt. Ich nehme diese ganzen ungeplanten Synergie-Effekte einfach mit – auch wenn nicht alle geplant waren. (grinst) Jetzt, wo du es sagst, finde ich das natürlich krass!

  • Ich finde, dass du auf »0,9« noch mehr mit gewissen Eigenschaften deiner Persönlichkeit kokettierst. Hast du dir vor dem Album noch mal genauer Gedanken gemacht, wofür SSIO steht?

  • Wäre ich eine konstruierte Figur, könnte ich dir darauf eine Antwort geben. Dadurch, dass SSIO sich aber zu 100 Prozent aus meinem echten Charakter speist, ist das schwer zu sagen. Ich spiele die Figur ja nicht, sondern bin sie.

  • »Ich brauche immer einen Ort, an den ich mich zurückziehen kann.«Auf Twitter teilen
  • Trotzdem ziehst du eine klare Linie zwischen SSIO dem Rapper und SSIO dem Privatmenschen. Warum?

  • Wahrscheinlich ist das ein unterbewusster Schutzreflex. Ich brauche immer einen Ort, an den ich mich zurückziehen kann. Dieser Ort nennt sich Privatsphäre – egal ob das mein Zuhause ist oder wenn ich mit meinen Jungs unterwegs bin. Ich würde nicht mal sagen, dass ich eine Linie ziehe. Das ist vielmehr ein Prinzip, das ich habe. 

  • Ist das Bedürfnis auch größer geworden, seitdem du ein Teil der Rapszene bist?

  • Gute Frage. Ich würde sagen: Das Bedürfnis ist nicht größer geworden – aber ich muss mehr darauf achten. Denn mit allem bescheidenen Erfolg gibt es auch immer mehr Leute, die ein Auge auf mein Privatleben haben.

  • Das liegt vielleicht auch daran, dass viele Leute ihr Privatleben heute als interessante Geschichte erzählen. Sei es auf Facebook oder bei Instagram…

  • Ja, ich glaube auch, dass viele Rapper das – wohlgemerkt unterbewusst – machen. Niemand geht da kalkuliert ran. Aber viele verspüren im Laufe ihrer Karriere den Drang, mehr Persönlichkeit in ihre Musik einfließen zu lassen. Das ist eigentlich ja auch der richtige Weg, weil du die Hörerschaft so noch viel näher zu dir heranholst. Ein Künstler ohne Persönlichkeit ist austauschbar! Das Problem ist aber, dass Persönlichkeit und Privates miteinander verwechselt werden – und das gibt der Musik dann eine gewisse Ernsthaftigkeit. Ich gebe meiner Musik zum Beispiel eine sehr persönliche Komponente, ohne zu viele Informationen über mein Privatleben preiszugeben. Trotzdem wird in meiner Musik schnell erkennbar, was für ein Typ ich bin. Das muss aber jeder Künstler für sich selber entscheiden. Es gibt da kein richtig oder falsch. Ich finde, meine Musik gibt – noch viel mehr als ein Gespräch das jemals könnte – von meiner Persönlichkeit preis, weil da eben noch dieser ganz spezielle Vibe ist. (überlegt und trinkt einen Schluck schwarzen Tee) Das worüber wir hier gerade sprechen, geht schon sehr tief in die Materie. Darüber denkt kein Mensch nach, wenn er sich fragt, wie er Persönlichkeit in seine Musik bringt. Das passiert meist doch eher unterbewusst.

  • Worum geht es denn auf »0,9«?

  • (lacht) Auf dem Album geht es darum, dass ich Lust habe, geile Mucke zu machen und sie der Öffentlichkeit zeigen möchte. Mehr nicht.

  • Und thematisch?

  • (lacht wieder) Thematisch geht es… Tja! (lacht noch mehr)

  • »Wenn man SSIO hört, hat man sich auf ein gewisses Spektrum einzustellen.«Auf Twitter teilen
  • Ganz plump ausgedrückt geht es um Drogen, Prostitution, Fastfood…

  • …und Falschparken.

  • Worauf ich hinaus will: Es sind im Prinzip die gleichen Themen wie auch schon auf »BB.UM.SS.N«…

  • …es sind auch die gleichen Themen, um die es auf »Spezial Material« ging und um die es wahrscheinlich auf meinen zukünftigen Alben gehen wird. Ich finde das gut so und ich bin der Meinung, dass sich das nicht ändern sollte. Wenn du eine Platte von den Fanta 4 hörst, wird niemand fragen, wo denn die Straßen- und Gangsteraspekte sind. Bei Leuten wie mir, die in den Ohren mancher eher einseitige Thematiken behandeln, wird immer wieder die Vielseitigkeit bemängelt. Das ist doch völliger Bullshit! Am Ende des Tages erwarte ich auch von einem Curse nicht, dass er Drogenhandel-, Huren- oder Pufftracks macht. Ich kann nicht alle Facetten des Lebens abdecken und möchte mich zum Beispiel mit den ernsten Thematiken gar nicht befassen. Wenn man SSIO hört, hat man sich auf ein gewisses Spektrum einzustellen. Das ist wie im Kino. Man weiß, in welchen Film man geht.

  • Die Weiterentwicklung findet aber auf anderen Ebenen statt.

  • Ja, auf musikalischer und raptechnischer nämlich. Ich sage immer, dass meine Musik Detailmusik ist. Alles, was man hört, geht sehr stark ins Detail und beschreibt Bilder. Es ist, wie du schon gesagt hast, als würde man immer tiefer in das Cover eintauchen

  • Man könnte jetzt sagen, dass du das auf dem letzten Album ja auch schon gemacht hast. Gibt es da überhaupt Unterschiede?

  • (überlegt) Ich würde sagen, dass es ein bisschen weniger Klischee gibt. »BB.UM.SS.N« ist jetz zwei Jahre her. Das ist nicht die Welt, aber ich habe im Laufe der Zeit ein viel stärkeres Feingefühl für Klischees entwickelt. Es gibt Details, die wurden schon von zig Straßenrappern in ihren Texten gekickt.

  • Zum Beispiel?

  • Wenn jemand sagt, dass er auf Augenmaß vertickt.

  • Oder jemand behauptet, er würde »auf Kombi« geben.

  • Genau. Das ist eine Floskel, bei der man 2007 vielleicht gedacht hätte: »Boah, das ist ein krasser Insider von der Straße – ich baue das jetzt in meinen Text ein!« Das ist heute sehr ausgelutscht.

  • Wobei »auf Kombi« eigentlich sogar falsch ist. Das bedeutet ja ursprünglich Kommissionsverkauf und müsste dementsprechend »auf Kommi« heißen.

  • Ja, stimmt. Ich weiß auch nicht woher das »b« kommt – sehr gute Frage. Heftig! (lacht) Jedenfalls: Wenn man Detailrap kickt, ist die Gefahr, ein Klischee zu bedienen geringer.

  • Wenn dein Rap ein Film wäre, dann einer in HD, ja?

  • Ja, ganz genau. (lacht)

  • Ist »0,9« eine HD-Komödie?

  • Nein, nein. So sehen die Leute das auch nicht. Eine Komödie wäre es, wenn ich den Hörern den Humor von vornherein unter die Nase reiben würde. (verstellt seine Stimme) »Hey Leute, aufgepasst: Wenn ich komme, wird gelacht!« Vielleicht habe ich mich öfter mal als lustig erwiesen und die Leute haben dementsprechende Erwartungen an mich. Aber im Grunde sind die Themen auf dem Album ja nicht lustig. Deswegen würde ich eher sagen: Die Songs sind ironisch und sarkastisch, aber es ist kein komödiantischer Rap, sondern purer Straßenrap mit den dreckigsten Inhalten, die überhaupt möglich sind.

  • »Das Album ist so anspruchsvoll, dass man es gar nicht als Komödie sehen kann.«Auf Twitter teilen
  • Aber ich würde behaupten, dass es viele Leute gibt, die darüber lachen.

  • Was heißt »darüber«? Ich würde eher sagen, dass sie deswegen lachen. Das ist ja auch cool! Es ist ja gar nicht erforderlich, dass die Songs aggressiv sein müssen, damit man sie ernst nimmt. In deinem Freundeskreis gibt es einen Schläger, es gibt den Typen, der keine Witze versteht, es gibt den Clown, den Ernsten und einen, der – so wie ich – alles in sich vereint. Das Album ist alles in allem so anspruchsvoll, dass man es gar nicht als Komödie sehen kann, denn es ist immer noch ein ernstzunehmendes Produkt. Nicht mehr und nicht weniger. Ich mache mich ja nicht zum Affen. Ich kann mich gar nicht zum Affen machen, weil mein Charakter das nicht zulässt. Ich erzähle keine Witze. Ich bringe das, was ich erzähle nur lustig rüber – oder lässig. Um die Erwartung gegenüber dem Inhalt der Musik zu rechtfertigen, müsste sie eigentlich ganz anders klingen. Ich müsste eigentlich ja dem Klischee entsprechen, viel aggressiver und auf harte Rimsnares rappen und die Leute wären deswegen erschüttert oder angeekelt. Aber ich mache es eben lässiger und Sorge dadurch für diesen Bruch zwischen Erwartung und Realität.

  • Wie schreibt man denn solche lässigen Texte? Machst du bei Songs wie »SIM-Karte« vorher ein Brainstorming?

  • Nein, so etwas mache ich eigentlich gar nicht. Das entsteht vielmehr aus der Lebenssituation heraus. Mir ist eben aufgefallen, dass ich das wirklich oft mache und meiner Liebe für die SIM-Karte doch mal Ausdruck verleihen könnte. 

  • Und wie gehst du dann genau vor?

  • (lacht) Cool, die Frage gefällt mir. (überlegt) Ich lasse auf jeden Fall erst mal ‘nen 30er im Puff, um den Druck, den ich jeden Tag verspüre, abzulassen und nicht solche aggressiven Texte wie die 0815-Straßenrapper zu schreiben. Erst mal kurz vögeln ist eine wichtige Grundvoraussetzung. Habe ich das erledigt, gehe ich nach Hause und bin ganz lässig und beruhigt. Danach drehe ich mir erst mal einen schönen, fetten Joint, ziehe zwei oder drei mal daran, höre mir den Beat an und… (schmunzelt) Ich habe eine ganz bestimmte Art und Weise, wie ich meine Texte schreibe. Ich sitze da nicht und überlege, wie ich anfangen könnte oder welche Themen ich gerne behandeln würde. Aber ich gehe jetzt nicht ins Detail, weil das mein Betriebsgeheimnis ist.

  • Ich würde ja vermuten, dass du erst mal Schlagwörter aufschreibst, die dir bei dem Wort »SIM-Karte« ins Gedächtnis kommen.

  • Ja, klar! Assoziationen stelle ich auf jeden Fall so her. Das Thema »SIM-Karte« ist so unkonventionell, aber gleichzeitig auch so offensichtlich, dass alleine der Anbieter schon ein interessanter Inhalt ist. Wie ich das genau in einen Text mit Reimstruktur verpacke, bleibt ein Geheimnis. (lacht laut)

  • An einer Stelle rappst du über »Viagra-Jelly«. Was ist das denn?

  • Das ist Flüssig-Viagra. Schmeckt zum Kotzen! (grinst) Ich habe da ganz bewusst diesen Begriff verwendet, weil Potenzmittelkonsumenten das mit Sicherheit bekannt ist.

  • »Über meine Musik hinaus findet ein interkultureller Austausch statt.«Auf Twitter teilen
  • Gibt es manchmal Leute in, die deine Texte oder einzelne Passagen nicht checken?

  • Klar. Viele Begriffe, die ich verwende, sind ja lange nicht so geläufig wie andere. »Viagra-Jelly« ist zum Beispiel nicht so populär wie Coca Cola. Aber ein kleiner Teil meiner Fans kennt diese Begrifflichkeit und kann es den anderen erklären. Das sieht man oft auch bei YouTube in den Kommentaren. Das ist ja das Geile: Ich muss nicht darauf achten, dass meine Zielgruppe mich versteht, weil die Zielgruppe sich über meine Inhalte unterhält. Über meine Musik hinaus findet da ein interkultureller Austausch statt. (lacht)

  • Ich würde gerne noch mit dir über deine Vorliebe für bestimmte Frauentypen sprechen. Es geht in deiner Musik ja sehr oft um ältere Frauen.

  • Hm, lass mich kurz überlegen. (lacht) Die sind knuspriger und deftiger. (grinst) Sagen wir mal so: Ältere Frauen sind kompromissloser. Für mich als Mann gilt es zwischen schönen Frauen und geilen Frauen, zu denen ich nur einen sexuellen Bezug habe, zu unterscheiden. Frauen zwischen 18 und 23 sehen aus wie kleine Kätzchen, haben straffe Haut, alles an ihnen riecht nach Rosen und BeBe-Creme und sie sind einfach perfekt. Das ist schön, wenn die draußen rumlaufen. Aber wenn du älter wirst, dann gehst du im Hinblick auf deine sexuellen Vorlieben zurück zur Natur. Deshalb finde ich ältere Frauen einfach anziehender. Die wirken nämlich oft sexy, ohne dass sie sich dabei Mühe geben. (lacht) Aber meine Toleranz ist dahingehend auch seeeehr breit. 

  • Eben. Du hast ja auch ein Faible für dickere Frauen.

  • Mir ist völlig egal, ob ich größere Brüste als die Frau habe. Ich weiß mit Brüsten eh nichts anzufangen. Die haben keinen sexuellen Reiz für mich. Hauptsache der Arsch ist schön dick, saftig und rund. Wobei, es gibt da eine Grundregel bei mir: Alles muss die richtigen Proportionen haben. Ich stehe natürlich nicht auf Frauen, die ihr Genital seit 14 Jahren nicht mehr gesehen haben. Aber solange der Arsch breiter ist als die Taille, kann er so groß wie mein Kofferraum sein. Da bin ich offen… wie mein Kofferraum! (grinst)

  • Lass uns mal über die Beats sprechen. »0,9« wurde ja komplett von REAF produziert. Warum?

  • Rein musikalisch ist REAF meiner Meinung nach aktuell der stärkste Produzent in Deutschland. Es gibt außer ihm niemanden, der so viel Kompetenz und Kreativität auf einem Niveau mit sich bringt. Deshalb war ganz klar, dass ich mich für den Besten entscheiden muss. Dazu kommt, dass REAF und ich uns schon lange kennen. Es macht einfach Spaß mit einem Kumpel eine Platte zu produzieren, mit dem ich auch privat viel chille. Das ist das Geilste, was es gibt!

  • Warum habt ihr das vorher noch nicht gemacht?

  • Wir wussten vorher noch nicht, wie wir uns alle entwickeln. »BB.UM.SS.N« war eine Zeit, in der REAF sich das erste Mal mit Beats auf einer Platte etabliert hat. Er hat ja gut die Hälfte der Tracks auf »BB.UM.SS.N« produziert. Vor dem Album hat er noch nicht viele Sachen gemacht. Wir haben dann immer weiter gechillt, uns gegenseitig Sachen gezeigt und irgendwann war klar, dass wir die nächste Platte zusammen machen werden. Das war eine große Sache. Denn für einen Produzenten ist es schwierig, eine Platte rund zu gestalten. Denn viele Produzenten gehen mit ihrer Soundästhetik nur in eine bestimme Richtung. Aber im besten Fall muss ein Produzent seine ganz eigene Soundästhetik auf verschiedene Aspekte des HipHop übertragen. Schafft er das, dann ist es heftig. Das hat REAF geschafft. Es gibt auf »0,9« einmal die rhythmischen und knallenden Bangerbeats, dann wiederum musikalischere Beats mit Bassmelodien und dergleichen. Und dann gibt es auch 808-affine Sachen wie den Song mit Haftbefehl. Ganz egal, in welche Richtung des HipHop er sich bewegt, tragen seine Kompositionen immer den Stempel von REAF.

  • »Ich habe mittlerweile eine Abneigung gegen Begriffe wie BoomBap.«Auf Twitter teilen
  • Gab es denn musikalische Vorbilder für das Album?

  • Nein. Ich würde sagen, dass man »BB.UM.SS.N« viel deutlicher anhört, woher die Einflüsse kommen. Ich habe ja mittlerweile eine Abneigung gegen Begriffe wie BoomBap. Ich weiß auch nicht, wo das herkommt, dass man klassische HipHop-Kompositionen hierzulande gleich BoomBap nennt. »0,9« lässt sich ohnehin nicht einordnen. Es ist weder West- noch Eastcoast, BoomBap, G-Funk oder klassischer Funk. Natürlich haben die Beats Bestandteile aus allen Bereichen, aber sind trotzdem eigen. In der Komposition, in der Soundauswahl und im Mixing steckt so viel Innovation, das man es gar nicht mit Produktionen aus den 90er Jahren vergleichen kann. 

  • Du betonst immer wieder, dass die Songs sehr laut sind.

  • Ja, damit meine ich, dass wir den besten Kompromiss zwischen Lautstärke und Dynamik gefunden haben. Ich bin der Auffassung, dass HipHop, wenn man die CD in die Anlage tut, richtig ballern muss. Ich mag das Argument nicht, dass man dafür die Anlage erst aufdrehen muss. Welcher Mensch dreht die Musik denn erst auf und sagt dann: »Ah, jetzt knallt sie!«? Nein, HipHop muss von vornherein laut klingen. Bei einer Musik wie Tango würde ich viel mehr auf Dynamik setzen, damit die einzelnen Elemente des Songs viel besser zur Geltung kommen. Aber doch nicht bei HipHop! Der muss dreckig und rough klingen. Das hat auch nichts mit »loudness war« oder so zu tun. Was loudness war?! Fickt eure Mütter! Das hat einfach mit Entwicklung zu tun. Früher war nicht alles besser. Nimm auch diese ewige Diskussion über analog und digital. Ich würde nicht sagen, dass analog besser als digital ist. Die digitale Musik bringt viele Vorteile mit sich. Vor allem im tiefen Frequenzbereich ist der digitale Sound viel schöner. Die Leute schwärmen immer von der Wärme analoger Instrumente. Ja, die Wärme ist schön, aber dafür ist der tiefe Frequenzbereich lange nicht so gut definiert wie im Digitalen. Das fällt mir oft bei House-Produktionen auf. Das Verhältnis zwischen Kick uns Bass ist da perfekt! Klar, du hast oft auch keine Vocals und dadurch mehr Spielraum – aber ich will diesen Bumms unbedingt auf die HipHop-Welt übertragen. Also muss man da einen Kompromiss finden.  

  • Stichwort Entwicklung: Wie hat sich Alles oder Nix eigentlich in den letzten Jahren entwickelt? Als du deinen Hype hattest, saß Xatar ja noch im Gefängnis. Mittlerweile ist er einige Zeit draußen. Wie hat sich das auf eure Labelarbeit ausgewirkt?

  • Die Kommunikation ist natürlich viel einfacher geworden – und die ist natürlich das A und O. Deshalb passieren Dinge jetzt auch viel schneller und besser als noch zu Anfang. Dazu kommt, dass wir uns bei Alles oder Nix immer mehr von externen Dienstleistern abschotten und unsere eigene Vision auch auf andere Ebenen übertragen. Sei es das eigene Soundmixing oder die eigenen Videos. In der Summe macht sich dieser rote Faden sicherlich bemerkbar – vielleicht nicht in einem Moment, aber auf lange Sicht definitiv.