Silla »Ich war schon immer auf diesem Muskelfilm.«

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Silla hat die Deadline eingehalten und ein neues Album draußen. Der Titel: »Audio Anabolika«. Und natürlich geht es auf der letzten Veröffentlichtung des Rappers aus Berlin-Tempelhof für Flers Label Maskulin – nicht nur, aber auch – um Fitness. Jan Wehn hat sich mit Silla über dessen frühe Leidenschaft für Muskelmänner wie Arnold Schwarzenegger und Razor Ramon und erste Geh-, Drück- und Ziehversuche im Sportstudio unterhalten.

  • Ich habe mir deinen Instagram-Account angesehen und bin dabei auf ein altes Bild von dir gestoßen, auf dem man dich zusammen mit Razor Ramon in L.A. sieht. Gab es bei dir schon immer diese Faszination für Muskeln und starke Männer?

  • Klar. Bret Hitman Hart, Shawn Michaels oder Razor Ramon waren meine Helden, als ich acht Jahre alt gewesen bin. Ich war total fasziniert vom Wrestling und von Superhelden. Einfach von großen und starken Typen. Denn mein Vater hat mir das nicht so vermittelt. Ich war immer der kleine dicke Typ, der von der ersten Klasse an gemobbt wurde.

  • Warum denn?

  • Ach, ich hab mich schon im Sportunterricht blöd angestellt und nicht mal eine Rolle vorwärts hinbekommen. Den genauen Wortlaut der Hänseleien weiß ich gar nicht mehr. Aber Kinder können ja sehr gemein sein. (grinst) Dementsprechend habe ich immer zu Leuten wie Sylvester Stallone oder Arnold Schwarzenegger aufgeschaut. Das fiel ja auch alles in die Zeit Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger. Ich habe mir dann auch heimlich immer die Filme angesehen, die ja erst ab 16 oder 18 waren und habe umgeschaltet, wenn jemand die Treppe hochgekommen ist. Ich war schon immer auf diesem Muskelfilm.

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  • Bis du selbst mit Sport angefangen hast, hat es dann aber doch noch gedauert, oder?

  • Naja, angefangen habe ich mit 15. Da gab es einen Typen in meiner Klasse, der sitzengeblieben war. Der hat selber Mangas gezeichnet und viel Sport gemacht. In meinen Augen war das voll der coole Typ. Irgendwie fand der mich auch in Ordnung und ich bin dann nach der Schule oft mit zu ihm gegangen. Der war für sein Alter auf jeden Fall schon sehr muskulös und lief zuhause im Unterhemd und mit Silberkette rum. Und dann bin ich mal mit ihm zusammen zu »Funny Moves« in Marienfelde ins Fitnessstudio gegangen. Übelst lustig, wenn ich daran zurückdenke. (lacht) Aber ich hatte dann nach kurzer Zeit keine Motivation mehr. Das war für mich eher eine Qual. Ich hatte kein Ziel vor Augen und wollte einfach nur cool sein.

  • Warst du zu der Zeit denn noch übergewichtig?

  • Nee, da nicht mehr. Ich war eher so skinny fat. Ich habe ja von 13 bis 25 täglich geraucht und war, wie die meisten Kiffer, eher dünn. Also schlaksig, mit dünnen Ärmchen, aber auch mit Plauze. (lacht) Und dann habe ich mich wieder abgemeldet. 2000, als ich meine erste Freundin hatte, ging es dann richtig los mit den Komplexen.

  • Und die hast du dann im Alkohol ertränkt.

  • Genau. Ich war einfach krass unsicher und hatte Angst, mich vor einer Frau auszuziehen. Auch in der Oberschule wurde ich ja immer noch gemobbt und ausgestoßen. Und der Fakt, dass ich nie akzeptiert wurde, hat sich dann weiter durch mein Leben gezogen und mich verunsichert. Dazu kam, dass ich durch das Kiffen total zerstört aussah, starke Akne und auch noch das schielende Auge hatte. Ich konnte mich selbst im Spiegel nicht mehr anschauen.

  • Woher kam das mit dem Auge eigentlich?

  • Das kommt von meinem Vater. Der hat auch so eine Augenschwäche in Form einer Hornhautverkrümmung und einem hängenden Lied. Das hatte ich von Geburt an, weshalb ich mit drei Jahren auch das erste Mal operiert wurde. Je älter ich wurde, desto schlimmer wurde das. Zwischen 16 und 23 hatte ich echt mit mir zu kämpfen. Mit 23, um 2007 rum, hab ich mich wieder bei McFit angemeldet, war dort allerdings nur joggen und hab mich nicht so wirklich an die Gewichte rangetraut. Dass ich dann irgendwann richtig losgelegt habe im Fitnessstudio, kam durch Fler. Der war damals mit Julian Zietlow am Start und meinte zu mir: »Ey, wie siehst du denn überhaupt aus?« So, wie es seine Art ist. Dann hat er mich mit zum Fitness geschleppt und meinte: »Wir machen jetzt ein Album und müssen nach was aussehen. Da kannst du nicht mit 120 Kilo auf dem Cover rumstehen.«

  • So sehr man Fler oft belächelt, hat er damit schon Recht gehabt.

  • Klar, das habe ich jetzt auch gemerkt. Neben der Musik ist mein Aussehen mein Kapital. Natürlich macht meine Musik mich aus, aber wenn ich aussehen würde wie ein Idiot, wäre das auch egal. Ich bin dann jedenfalls immer mit Fler und Julian ins Studio. Aber ich wog zu der Zeit echt knapp 120 Kilo und war total unkoordiniert. (schmunzelt)

  • »Ich war immer der kleine dicke Typ, der von der ersten Klasse an gemobbt wurde.«Auf Twitter teilen
  • Am Anfang war es doch bestimmt so wie schon beim ersten Mal im Fitnessstudio. Haben die beiden dich dann mitgezogen?

  • Die haben mich schon mitgezogen. Ich wollte zu der Zeit eigentlich nur saufen, kiffen, chillen und mich verkriechen. Fler hatte zu dem Zeitpunkt noch keinen Führerschein, meinte aber zu mir: »Wir bekommen jetzt von Aggro Berlin einen Audi gestellt und fahren damit jeden Tag rum. Willst du mich fahren?« Ich hatte zu der Zeit kein eigenes Auto und fand die Idee ganz geil. Aber dann war ich acht Monate lang jeden Tag mit Fler unterwegs. Und irgendwann konnte ich das nicht mehr. Ich war ja total fremdbestimmt. Er hat dann immer angerufen und meinte: »Ich bin gerade da und da, hol mich mal ab.« Auch wenn es 400 Kilometer entfernt war – zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Er hatte mir das quasi ermöglicht, dieses Album zu machen und aus dem Grund hatte ich das Gefühl, in seiner Schuld zu stehen und musste immer springen. Das ging so lange, bis ich irgendwann gar keine Lust mehr hatte, etwas mit denen zu tun zu haben. (lacht) Und ich war jedes Mal froh, wenn ich den langen Stau in der Stadt hinter mir hatte. Genauso ging es mir auch mit dem Training. Das sollte möglichst schnell vorbei sein. Manchmal habe ich dann auch einfach ‚ne Stunde vorm Studio gewartet. (lacht) Und dann habe ich Philipp Berger kennen gelernt. Der hat mich total motiviert und meinte, ich hätte krasses Potenzial und müsste mehr aus mir machen. Und da ich die Konstellation mit Fler und Julian mehr als Belastung denn als chilliges Miteinander empfand, bin ich mit ihm losgegangen. Dann war ich 2008 jeden Tag bei McFit und war, als ich erste Erfolge gesehen habe, auch richtig interessiert. Nach dem Training gab’s dann jeden Tag Hähnchen und Reis bei City Chicken in Neukölln – und nach zwei Monaten sah ich echt aus wie ein richtiger Zuchtbulle. Von Definition hatte ich da noch gar keine Ahnung. (lacht)

  • Aber es war ein erster Erfolg, auf den man aufbauen konnte.

  • Ja, danach kamen Booster und Supplements dazu. Dann habe ich mir auch meine erste Tonne Eiweiß gekauft. (lacht)

  • In den Spiegel gucken ist das Eine, aber wie war das Feedback von außen denn?

  • Fler war ja immer sehr kritisch und hat mich fertig gemacht. Er meinte immer, dass ich außer dem Körperlichen nichts drauf hätte. Das hat er mir in einem krassen Streitgespräch mal an den Kopf geworfen und das ist irgendwie hängengeblieben. Und daran habe ich festgehalten. Weil es wenigstens etwas war, wo jemand mal zu mir gesagt hat: Das machst du gut.

  • Hast du von zu Hause denn nie mal Lob bekommen? Dein Elternhaus war doch sehr gut!

  • Klar, wir hatten ein Haus und so – aber mein Vater sagt bis heute nicht zu mir, dass ich etwas gut mache. Als ich 2012 mal richtig Geld gemacht habe und mit einem neuen Audi A5 und einem Louis-Vuitton-Gürtel nach Hause kam, war er trotzdem so: »Braucht man so einen teuren Wagen denn in der Stadt? Den kannst du doch gar nicht ausfahren! Deine Gürtel kannst du auch für 15 Euro bei C&A kaufen. Und das mit den Muskeln und den Tattoos reicht doch auch irgendwann mal. Das ist doch gar nicht mehr schön!« Da kam nie ein »Du siehst aber gut aus« oder »Schön, dass es dir gut geht«. Ich mache ihm aber keinen Vorwurf. Ich liebe meinen Vater über alles. Und wenn ich seine Hilfe gebraucht habe, war er immer für mich da. Der ist eben, wie er ist. Und er hat es zu Hause auch nicht anders gelernt.

  • Aber irgendwann kam doch sicher der Punkt, an dem du gemerkt hast, dass dein Training deine Wirkung auf andere Leute verändert hat.

  • Klar, ich habe das erste Mal auf der Straße Blicke bekommen. Durch das Dasein als Rapper ging dann natürlich auch was – und das hat mein Selbstvertrauen ungemein gestärkt. Ende 2008 kam dann »Südberlin Maskulin 1« raus und es ging langsam bergauf, aber ich habe mich immer noch nicht total gut gefühlt. Dann kam das Angebot von Aggro Berlin, ob ich nicht mein Album bei denen herausbringen will. Das war heftig für mich, weil ich 2003 noch zu Hause in meinem Kinderzimmer saß und gesehen hatte, wie die Jets im Video über Schöneberg geflogen sind. (grinst) Aber zu der Freude gesellten sich dann auch Zweifel und ich wusste nicht, ob ich diesen Ansprüchen überhaupt gerecht werden kann. Ich habe die Chance nicht ergriffen, sondern sofort ans Scheitern gedacht. Ungefähr zur gleichen Zeit hatte ich auch ein Angebot von Neffi Temur bei Universal, der wegen der »Aggro Ansage 8« Interesse an mir hatte. Er fand den ersten Track des Albums, das ich dann später als »Silla Instinkt« herausgebracht habe, total gut, aber hat das Album danach abgeschmettert. Es war nicht greifbar und ohne Zusammenhang. Ich wollte das zu dem Zeitpunkt nicht verstehen und dachte, dass das alles schon richtig so ist. Dabei hatte ich einfach kein Profil und war nicht greifbar als Künstler. Das war kurz vor der Wiederbelebung. Das war der zweite Einschnitt in meinem Leben.

  • »Sport ist für mich eben eine Lebenseinstellung. Es geht nicht ohne.«Auf Twitter teilen
  • Weil du dir danach gesagt hast: »Jetzt reicht’s!«?

  • Genau. Ich habe mich nur noch auf den Sport fokussiert und hatte dann die zweite OP an meinem Auge. Die erste hatte ich ja mit drei. Aber ich habe immer noch sehr darunter gelitten. Also habe ich mich darum gekümmert. Dann bin ich zum Hautarzt und habe mir ein Mittel gegen meine Akne verschreiben lassen. Außerdem habe ich mir einen Job als Pizzaauslieferer besorgt und mit dem meine eigene Wohnung bezahlt – weil ich eben auch nicht bis 30 bei meinen Eltern wohnen wollte.

  • Und Pizza auszufahren hat da ausgereicht, ja?

  • Du musst halt gut sein. Und gut sein bedeutet, schnell auszufahren. Das war immer schwarz und ich bin jeden Abend mit 84 Euro nach Hause gekommen. Wenn du das sechs Tage die Woche machst, hast du fast 2000 Euro auf der Hand. Der Job hat mir total Spaß gemacht und ich habe mich das erste Mal richtig wohlgefühlt, was sich wiederum in der Musik niedergeschlagen hat. Fler hatte zu der Zeit den Plan, ein Sublabel mit dem Namen Maskulin Digital aufzumachen und die Releases nur noch digital zu vertreiben. Er war damit recht visionär, aber ich habe lieber wieder bei Orgi angeheuert. Am Ende des Tages habe ich das aber auch nur gemacht, weil ich easy meine Mucke rausbringen konnte, ohne das jemand gesagt hat: »Hm, das gefällt uns so aber nicht.« Aber mit dem Charterfolg habe ich dann gemerkt, dass ich wirklich alles schaffen kann, wenn ich an mich selber glaube – auch wenn das natürlich kitschig klingt.

  • Warum klingt das denn eigentlich so kitschig? Den Leuten ist das immer total unangenehm und jeder, der die erste Hälfte des Satzes sagt, fügt diesen Halbsatz hinterher.

  • (lacht) Das weiß ich gar nicht. Aber stimmt schon, ja.

  • Du magst generell ja solche Sprüche und folgst, hast du mal gesagt, auch vielen schlauen Instagram-Spruchseiten.

  • Ja, weil vieles auch der Wahrheit entspricht. Ordnung ist das halbe Leben. Erfolg ist planbar. Und wenn du ein Ziel hast, dann kannst du das auch erreichen. Wenn du weißt, welche Schritte von Nöten sind, gibt es keine Ausreden.

  • Unter irgendeinem Video von dir stand neulich ein Kommentar, der darauf abzielte, ob es nicht gefährlich sei, wenn man nur den Sport hat.

  • Ich glaube nicht. Klar mache ich viel Sport, aber ich nutze ihn auch für andere Dinge. Mein Antrieb ist ja nicht nur der Sport an sich, sondern auch der Fakt, dass ich damit in Zukunft Geld verdienen möchte. Als Künstler musst du dich positionieren – das ist eigentlich das, was Neffi mir 2008 schon sagen wollte. Und der Sport ist für mich eben eine Lebenseinstellung. Es geht nicht ohne.