2Seiten »Ich kenne beide Extreme extrem gut.«

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: wie viele andere Menschen leidet der Dorstener Rapper 2Seiten unter einer bipolaren Störung. Seinen aktuellen Song »Robin Williams« widmet er dem manisch-depressiven US-Schauspieler, der sich vor genau einem Jahr das Leben nahm. Lisa Wörner traf 2Seiten zu einem offenen Gespräch.

2Seiten

Aktiv mit dabei ist der türkischstämmige Rapper und Poetry Slammer 2Seiten seit 1998 – mit Ende 30 gehört der 58Muzik-Schützling mit den verkopften Lines quasi schon zum alten Eisen. Über 17 Jahre ist er fester Bestandteil der HipHop-Szene des Ruhrgebiets um Creutzfeld & Jakob, RAG, ABS, Too Strong und Ohne Gleichen. Seit seinem 22. Lebensjahr kämpft der Manisch-Depressive gegen die Extreme in seinem Inneren, was auch für seine musikalische Entwicklung eine erhebliche Rolle spielte. Wir sprachen mit 2Seiten über seine Anfänge und seine Erkrankung, über Selbstkontrolle, Schrödingers Katze und die Mitte.

  • Du bist schon verdammt lange dabei und hast mit vielen alten Ruhrpott-Größen gearbeitet. Unter anderem mit RAG, die dich 2001 mit auf ihre Tour genommen haben. Wie war das damals für dich?

  • Ich habe Mr. Wiz, den DJ von RAG, auf einer großen HipHop-Jam in Essen kennengelernt. Da waren damals alle am Start: Too Strong, Creutzfeld & Jakob, RAG und viele mehr. Der war mega lieb und nett. Durch ihn habe ich in der folgenden Zeit viele deutsche Sachen kennengelernt. RAG waren für mich krass, das Nonplusultra! So muss man rappen – von der Ästhetik, den Wortspielereien, der Metaphorik her. Stieber Twins auch. Die habe ich auch end gefeiert, weil die so krass gut waren. ’96 bis ’99 war für mich und meinen Schreibstil die eigene Findungsphase. Ich war echt kurz davor aufzuhören, weil ich mir dachte: »Besser als die kann man doch gar nicht rappen.« Da musste ich erst den Frieden mit mir finden und mich darauf konzentrieren, mein eigenes Ding zu machen. Damals haben alle Wie-Vergleiche benutzt, aber ich habe die komplett weggelassen. Das sollte mein Merkmal werden. 

    Was auch witzig war und auf den Schreibstil eingewirkt hat: Ich dachte damals, dass viermal die Snare ein Takt ist, aber das stimmt ja nicht. Zweimal die Snare ist einer. Aber so habe ich angefangen, die Sätze viel länger zu schreiben. Mir hat das auch keiner beigebracht mit diesen Punchlines. (lacht) Ich habe einfach nach eigenem Gefühl geschrieben – in sehr langen Sätzen und nicht immer auf der Zwei und auf der Vier, sondern zum Beispiel auf der Zwei, auf der Drei ausgelaufen, auf der Drei oder Vier wieder angefangen und auf der Eins ausgelaufen. Das war vielleicht rein rhythmisch und lyrisch verkehrt, aber hat die Leute bei mir aufhorchen lassen. »Was macht der denn da?« 2001 war dann auch in etwa die Zeit, in der ich meine Mitte gefunden habe. Dann kam die erste 12“ von Funky Chris: »Kopf oder Zahl«. Auf der B-Seite, »Im Licht der L.E.D.‘s«, war Doze von Too Strong – und auf der A-Seite waren Doze, Ohne Gleichen und Creutzfeld & Jakob mit mir zusammen. Das war mein allererstes Release.

  • »Alles und jeder braucht seine zwei Seiten, um ein Ganzes zu sein.«Auf Twitter teilen
  • Damals warst du ja noch als Backdraft unterwegs.

  • Ja, da gab es ja diesen Film. Der Name sollte dieses Bild vermitteln: Ich bin die Tür, unter der es so ein wenig qualmt – wenn man sich aber näher darauf einlässt und die aufmacht, macht es Boom. (lacht) Ich dachte: »Backdraft, geile Metaphorik dahinter. Nehm ich.« Den Namen habe ich aber nur einmal verwendet. Leider wurde der von anderen noch weitergetragen, obwohl ich gesagt habe, ich möchte nur noch 2Seiten heißen.

  • Warum dann 2Seiten?

  • Das kam dann mit DJ Salicious, der gleichzeitig der DJ von ABS war. Wir hingen zusammen ab und haben Mucke gemacht. Ich wollte damals einen Song über bipolare Gegensätze schreiben, wofür der Arbeitstitel »2Seiten« war. Wir wurden damals immer wieder nach einem Namen gefragt, da wir schon ein paar Sachen produziert hatten und auch schon für Live-Auftritte gebucht wurden. Zu der Zeit habe ich zufällig ein Buch gelesen, in dem stand: »Alles und jeder braucht seine zwei Seiten, um ein Ganzes zu sein.« Das hat gepasst.

  • Deine erste eigene Maxi »Command & Conquer / Durchblick« kam dann bei Home Recordings raus, dem Sublabel von Put Da Needle To Da Records.

  • Genau. So habe ich auch Absztrakkt und Eule kennengelernt, da wir auf demselben Label waren. Als das mit dem Label dann in die Brüche ging, standen wir erst einmal vor dem Nichts. Ich hatte privat zudem viele unschöne Dinge erlebt und immer wieder Nervenzusammenbrüche. Das hat so 2002 begonnen, bedingt durch Stress und einige Vorfälle, und lief dann in Richtung Depression, was von den Ärzten lange nicht erkannt wurde. Während dieser ganzen Phase kamen aber immer wieder Feature-Anfragen, die ich auch alle abgearbeitet habe. »Momentaufnahmen 3«, »Battle of the Words 2«, »Ex-Orbitantikum«, »Wellenlänge« mit Chefetage. Größeres war dann schon mit Roey Marquis und Monroe. Aber durch diese Erkrankung habe ich die Sachen nicht mehr so zielstrebig verfolgt. Ich kam einfach nicht klar. Dann gab es diesen schlimmen Moment, in dem mein Vater vor unseren Augen im Garten gestorben ist. Danach wurde diese ganze Geschichte noch viel schlimmer. Daraus hat sich dann diese bipolare Störung entwickelt, die mir als chronisch diagnostiziert wurde. Aber das wurde erst viel, viel später erkannt. Das war so eine Bilderbuch-schlechte Entwicklung, weil keiner der Ärzte da irgendwas gecheckt hat. »Sie haben Magenschmerzen und Nervenzusammenbrüche? Machen sie ruhig! Kein Stress.« Aber es wurde halt alles nicht besser.

  • Nimmst du dagegen jetzt Medikamente?

  • Nein, gar nicht. Das wurde 2008 oder 2009 erkannt und dann musste ich mich darauf fokussieren. Ich hab dann schon ein paar Therapien versucht, aber die waren voll für den Arsch. Ich war echt mega enttäuscht, weil sich keiner von den Ärzten wirklich darum gekümmert hat. Als ich endlich wusste, was ich habe, habe ich selber versucht, damit klarzukommen und zu arbeiten. Ich hab sehr viel gelesen, mir sehr viel Selbstdisziplin auferlegt, meditiert. Dann hatte ich eine Therapeutin, die eigentlich gar nicht für mich zuständig war, mir aber ihre Mittagspause geopfert hat. Das lief dann so unterstützend ein halbes Jahr und das hat mich alles zusammen wieder ins Leben zurückgeholt. Ich war schon wirklich out of space in dem Zeitrahmen von 2002 bis 2008, 2009. Da war ich echt weg. Deshalb ist in dieser Zeit auch musikalisch wenig passiert.

  • Bipolare Störung heißt manisch-depressiv?

  • Genau. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Das ist das. Durch diese Therapeutin und einen glücklichen Zufall, der mir einen Halbtagsjob mit einem ziemlich coolen Chef eingebracht hat, habe ich wieder Stabilität bekommen. Gleichzeitig habe ich selber hart an mir gearbeitet, dass das besser wird. 2009, 2010 habe ich dann auch mit Poetry Slam angefangen. MistahNice wollte dann mein Album über sein Label Eartouch rausbringen. So kam es dann 2011 zu meinem ersten Albumrelease »Perspek-Tiefen«. In der schwierigen Phase war ich immer wieder in Bochum bei Fabrock, habe aufgenommen und produziert, aber nie was gemacht mit den ganzen Sachen. Ich hatte keinen Draht zu Medien oder anderen Label-Leuten und konnte mich schlecht verkaufen. Nachdem der Labelvertrag bei Eartouch auslief, da die damals sehr busy mit Lakmann und »2 Gramm gegen den Stress« waren, hat Eule mir angeboten, bei ihnen zu releasen. So kam ich zu 58Muzik.

  • »Bevor es zu sehr eskaliert, versuche ich, die Mitte zu finden und es so neutral und sachlich wie möglich zu formulieren.«Auf Twitter teilen
  • Ich würde gerne kurz mit dir über dein Auftreten sprechen. Heute sehe ich dich das erste Mal ohne Fliege.

  • Es war einfach zu warm! Sonst hätte ich’s gemacht.

  • Ist das HipHop-Verkleidung, Provokation oder gar – um dieses abgedroschene Wort nochmal zu benutzen – Ironie? Oder trägst du das auch privat?

  • Es ist weder Verkleidung, noch Ironie, noch Provokation. Ich ziehe mich privat auch so an. Ich war schon früher immer der Typ, der einfarbig Schwarz oder Blau getragen hat. Und immer: no logos. Ich will nicht irgendeinen Scheiß auf mir draufhaben.

  • Auf deinem T-Shirt heute hast du ein Logo. Ach, das ist deins?

  • (lacht) Ja, das finde ich schön! Eule hat mich damit überrascht, dass er diese T-Shirts hat machen lassen. Das Logo gibt es schon seit 2007, aber ich habe damit nie etwas gemacht. Ansonsten habe ich immer versucht, mich möglichst einfach zu kleiden, denn die Leute sollten sich auf mich als Mensch konzentrieren.

  • Mit deinem jetzigen Outfit ist das aber ja nun komplett andersrum.

  • Ja, das stimmt. Ich bin jemand, der generell sehr gerne Filme und Serien kuckt. Früher habe ich diese ganzen Schwarzweißfilme sehr gerne gesehen. Die Männer darin waren immer sehr adrett gekleidet. Das fand ich immer cool, habe mich aber nie getraut, das umzusetzen. Bei einem Poetry Slam habe ich das dann als Gag mal gemacht. Die Typen dort haben einen Rapper erwartet, kannten mich aber nicht. Da hab ich mich fein angezogen – wegen den ganzen türkischen Hochzeiten und Festen habe ich da Einiges im Schrank. Ich fand die irritierte Reaktion der Leute sehr witzig. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich das tragen kann, auch wenn ich mich zuvor unwohl gefühlt habe. Das ist auch eine Übung für mich: »Ey Bülent, es gibt noch Bereiche, in denen du dich unwohl fühlst, ab heute ziehst du dich nur noch so an.« Aus Komfortzonen ausbrechen, Dinge aufdröseln – das muss ich ja aufgrund meiner Erkrankung die ganze Zeit machen. Diese bipolare Störung spielt wirklich auch für meine Musik eine große Rolle. Man versteht vielleicht auch vieles besser, wenn man das weiß. Jemand sagte mal: »Du bist so emotionslos und sachlich.«

  • Ja, in deiner Musik empfinde ich das auch ein wenig so.

  • Ja, aber genau aus dem Grund. Ich muss das halt sein. Alles sonst ist ein Zuviel von dem Einen und ein Zuviel von dem Anderen. Bevor es zu sehr eskaliert, versuche ich, die Mitte zu finden und es so neutral und sachlich wie möglich zu formulieren. Von meiner Mitte aus habe ich das dann auf den Punkt gebracht. Der Hörer darf dann entscheiden, worum es geht. Natürlich ist es blöd, weil die Leute denken, man hätte keinen State of Mind. »Wohin will der jetzt? Das ist mir zu schwammig.« – Kann ich nachvollziehen.

  • »Ein Gefühl jage ich so oft durch den Kopf, bis die richtigen Worte kleben bleiben.« Auf Twitter teilen
  • Dazu ist mir auf »Regenwetter« eine Line aufgefallen, in der du fragst: »Ob es das wert ist, sich selbst so zu kontrollieren?« Diese Selbstkontrolle, die aufgrund deiner Erkrankung für dich so wichtig ist, setzt du quasi auch in deiner Musik fort?

  • Mittlerweile nicht mehr ganz so stark. In den letzten Releases lasse ich da viel weniger Kopf und viel mehr Gefühl mit rein. Ich habe auch schon mehrere Sachen fürs kommende Album mit Johannes »Yo« Scheppert, fertig gemacht. Da ist viel mehr Emotion drin. Aber das musste sich entwickeln. Diese durch und durch verkopften und verwinkelten Sachen sind fast alle in dieser schlimmen Phase meiner Krankheit entstanden. Ich habe zum Beispiel teilweise so geschrieben, dass du dir den ganzen Satz ankucken kannst und der für sich Gültigkeit hat, von der Hälfte des Satzes bis zum Ende mit rüber in den nächsten Satz aber auch Sinn macht.

  • Krass konstruierte Dinger also.

  • Ja, aber die sind auch aus einem Gefühl heraus entstanden. Das ist ja das Witzige: Die verkopften Sachen sind auch aus dem Bauch heraus entstanden.

  • Wie schreibst du denn?

  • Meistens aus einem Guss.

  • Auch bei diesen konstruierten Dingern? Schiebst du dann im Nachhinein noch mal Textteile rum?

  • Nein, das mache ich gar nicht. Beim Schreiben ist das immer so ein Prozess aus Denken und Nichtdenken. Da läuft es. Und am Ende denke ich: »Wow, krass.«

  • Du gehst also beim Schreiben nicht mit der Absicht ran, dass der Satz auch von der Hälfte bis zum nächsten rüber lesbar sein soll?

  • Nein. Das entsteht einfach. Ich bin jemand, der sehr viel nachdenkt und auch sehr viel liest. Ich mache mir viele Gedanken zu zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn ich mir etwa überlege: »Wie funktionieren zwischenmenschliche Beziehungen?«, dann fallen mir Dinge auf, warum sich zwei Menschen streiten. Dann gibt es einen Aha-Moment, in dem sich etwas, was ich mir gedacht habe, bestätigt, weil ich es öfter beobachten konnte. Daraus entwickelt sich ein Gefühl. Dieses Gefühl jage ich so oft durch den Kopf, bis die richtigen Worte kleben bleiben. Das ist dann der Text, der am Ende rauskommt.

  • Das ist aber ja von außen sehr schwer nachvollziehbar. Ich empfinde deine Musik als eher unpersönlich, weil es eben schwer ist, diese verkopften Lines auf ein Gefühl zurückzuverfolgen.

  • Ja, ich weiß. Früher konnte ich das nicht nachvollziehen. Diese Kritik hab ich schon von Pahel von RAG immer bekommen. Er meinte auch, das sei viel zu krass verkopft. Ich hab das nicht verstanden: »Nein, aber das ist doch voller Gefühl!« (lacht) Aber das sehen die Leute nicht. Aufgefallen ist mir das bei einem Poetry Slam. Ich bin davon ausgegangen, dass man von einem Poetry-Slam-Publikum erwarten dürfe, dass die zuhören. Aber selbst für die war es einfach overload, too much. Dann habe ich erst begriffen, warum das so ist und an mir gearbeitet. Mein Ziel war: Sich verändern, ohne sich zu verändern – schreibtechnisch. Die »Bipolar Express«-EP zum Beispiel, hast du die gehört? Da ist das schon anders.

  • »Die Leute sehen das Ganze und das Ganze ist dann zu viel.«Auf Twitter teilen
  • Finde ich immer noch sehr verkopft. Auch die beiden letzten Mixtapes. Das ist schon alles sehr kontrolliert. Ich als Hörer habe nicht unbedingt das Gefühl, dass sich da jemand alles von der Seele schreibt.

  • Echt? Krass! Das kommt vielleicht nicht so rüber, aber es ist genau das. Es gibt keine Konzepte, keine Gedanken zur Konstruktion, es ist alles aus der Seele und aus einem Gefühl heraus. Es ist sehr viel Persönliches in meinen Texten – gerade auch beim ersten Album. Auch wenn andere das nicht so raushören: Es steckt auch sehr viel Meinung in meinen Texten. Dadurch, dass es aber so überladen ist, bekommen die Leute das nicht so selektiert. Die sehen das Ganze und das Ganze ist dann zu viel. Ich habe schon oft zu Leuten gesagt: »Hör dir das öfter an. Wenn du das oft genug gehört hast, dann spürst du auch, was da passiert.« Leider Gottes ist das nun mal so bei mir. Erstens hängt das an meiner persönlichen Entwicklung, durch verschiedene Erlebnisse und meine Erkrankung bedingt, gleichzeitig bin ich jemand, der sich mit Gott und der Welt auseinandersetzt. Ich interessiere mich sehr viel für Religion, Mythologie und Geschichte. Ich durchleuchte immer wieder alles. Wenn ich sehe, wie viel Radikales es gibt – Rechte oder Linke – überlege ich mir immer: »Wie macht man das so, dass man in keine Richtung geschubst wird?« Neutral in der Mitte bleiben, ist meine Antwort darauf. Und warum soll ich anderen in meiner Musik etwas diktieren? Klar können sich die Leute dann weniger identifizieren, weil sie nicht sagen können: »Hey, ich vertrete auch diese Meinung, cool.« Aber ich sage die Dinge so, wie ich sie sehe und denke. Ich bin so.

  • Du bist einfach ein Mensch, der keine extremen Meinungen vertritt?

  • Obwohl ich Extreme durchlebe, ja! Das ist ja der Witz an der ganzen Geschichte.

  • Hat dir denn der Rap beziehungsweise das Schreiben geholfen, bestimmte Dinge für dich besser zu sortieren?

  • Am Anfang nicht, nein. Stell dir mich auf einem Boot vor, ohne Segel auf dem offenen Meer, und die Wellen fluten. Ich werde hin und her getrieben und kann nichts machen, weil ich kein Segel habe und nicht steuern kann. In dieser Phase habe ich einfach geschrieben. Es wäre aber zu viel, zu sagen, das habe krassen Einfluss auf mich gehabt.

  • Hast du deine Erkrankung denn inzwischen unter Kontrolle?

  • Mal mehr, mal weniger.

  • Bist du generell ein eher kontrollierter Typ?

  • Nö. Ich bin sehr albern. Frag Yo! Ich bin eigentlich ein sehr ausgelassener Mensch. Seitdem ich klein bin, mag ich es, Leute zum Lachen zu bringen. Ich mach mich gern zum Affen und wenn dann jemand lacht, bin ich zufrieden. Ich bin furchtbar albern, auch wenn meine Texte ernst sind.

  • Mit Yo arbeitest du ja momentan an einem neuen Album. Er war auch für die Produktionen auf deinem letzten Mixtape »58 Gründe mehr« verantwortlich.

  • Ja, ihn kenne ich über Bud MH, einen Mülheimer Rapper, mit dem ich unbedingt einen Track für »58 Gründe« machen wollte. Yo ist noch relativ jung, 25 oder so, hat Musikproduktion studiert und spielt seit seinem fünften Lebensjahr Klavier.

  • Das sind ja sehr organische Produktionen. Sind die Instrumente live eingespielt?

  • Nein, außer Schlagzeug, das hat er auf den E-Drums eingespielt. Aber alles, was du hörst, ist von ihm komponiert und nachgezockt. Es gibt überhaupt keine Samples.

  • Vocalsamples aber doch?

  • Ja stimmt, hier und dort mal. Ansonsten hat er quasi seine eigenen Samples generiert. Er hat zum Beispiel einen Klavierpart gespielt und das auf der Maschine nachgezockt, so dass es dann wieder gesamplet klingt. »Pluto« etwa hat er komplett komponiert. Er wusste ganz genau, wo ich hin will. Diese ganzen Synthies und Plug-Ins, diese Orchestergeigen, Cellos und Pianos. Er spielt Horn und ein bisschen Trompete, Schlagzeug und Klavier.

  • »Die Wahrheit ist: die Katze ist tot und die Katze lebt.« Auf Twitter teilen
  • Mir ist aufgefallen, dass du auf Facebook sehr ausdauernd tiefgründige Zitate postest. Einstein, Demokrit, Kafka…

  • Es gibt halt so viel Müll! Die Leute beschweren sich dauernd darüber, aber posten selber immer wieder Müll. Dann mach ich das genau umgekehrt und poste irgendwas Sinnvolles – und das jeden Tag. Wenn ich mich irgendwann wiederhole, dann auch mit Absicht. Das hab ich bei »Scheiße Schön« gesagt: »Es gibt einen Unterschied, etwas zu wissen und sich darüber bewusst zu sein.« Viele sagen: »Weiß ich ja!« Ja, weißt du – aber es ist nicht in deinem Bewusstsein! Ich hab das an mir selbst schon erfahren: Dinge greifen erst dann, wenn man sie sich bewusst macht. Deshalb werde ich diese Zitate auch noch mal wiederholen und wieder posten, denn die Leute liken das, finden das toll, aber es kommt noch nicht da an, wo es hin soll. Wenn man das öfter macht und die penetriert: Steter Tropfen höhlt den Stein. Das ist die Intention.

  • Möchtest du mit deiner Musik auch Botschaften überbringen?

  • Ja, »Scheiße Schön« ist zum Beispiel eine solche Botschaft. Da geht es um das Thema Extreme. Man kann in das eine Extrem geraten und in das andere – und ich kenne beide Extreme extrem gut! – bam. (lacht) Ich beobachte Rechtsradikale oder auch Linksradikale, die so links sind, dass es auch schon wieder ein Extrem ist. Deswegen mag ich den Buddhismus. Buddha erklärt eigentlich, wie der Mensch und das menschliche Bewusstsein funktioniert. Er hat in seiner Askese gecheckt: Du kannst hungern und asketisch sein, wie du willst, aber das ist ein Extrem. Du kannst übertrieben reich und wohlbehütet leben, aber das ist auch ein Extrem. Die Mitte ist das Richtige. Da kommt ja dann die Stelle, wo er seine Erleuchtung kriegt, als ein Sitar-Lehrer mit seinem Schüler auf einem Schiffchen vorbeifährt und sagt: »Wenn du die Seite zu straff spannst, triffst du nicht den Ton, ist die Seite zu schlaff, kannst du nicht auf ihr spielen.« Da schnallt er: Ah, die Mitte!

  • Und nach dieser Maxime lebst du?

  • Ja, und das ist auch die Botschaft von »Scheiße Schön«. Schon in der ersten Strophe (2Seiten fängt an zu rappen): »Es ist egal, wie du die ganze Welt betrachtest, am Ende ist es ähnlich wie bei Schrödingers Katze: du landest in der Schachtel.«

  • Schrödingers Katze?

  • Das ist so ein Physikding. Schrödinger war so ein Physiker, der ein theoretisches Experiment gemacht hat: Du hast einen Karton, in dem eine Giftampulle ist. Man weiß nicht, wann diese Giftampulle auslöst und ob sie überhaupt auslöst. In diese Schachtel kommt die Katze. Die Katze ist also mit der Giftampulle in der Schachtel. Und die Wahrheit ist: Die Katze ist tot und die Katze lebt. Beides hat Gültigkeit. Du weißt es eben nicht, weil sie in der Schachtel ist. Und darum geht es: Leute, die alles so extrem betrachten. »Es ist egal, wie du die ganze Welt betrachtest, am Ende ist es ähnlich, wie bei Schrödingers Katze: Du landest in der Schachtel. Im Endeffekt wirst auch du irgendwann sterben.« Noch lebst du, aber irgendwann wirst du sterben. »Was denn? Ich bin nicht pessimistisch, ich finde das Leben schön, nur nicht alles witzig.« Weil: Humor ist etwas sehr Persönliches und jeder findet unterschiedliche Dinge gut. »Ich zähle das Ende meiner Tage nur in Augenblicken.« Letztendlich lebt man ja von Moment zu Moment, das ganze Leben ist eine Aneinanderreihung von Augenblicken. Deshalb heißt das auch »er-zählen«. Was zählt man denn? Die einzelnen Augenblicke. Wie auf einem Filmstreifen. »Zähl‘ das Ende meiner Tage nur in Augenblicken und tausch‘ die Mitte kurz gegen eine andere Perspektive.« Das heißt: Ich kuck mir auch andere Sachen an. »Ich bin da sehr gediegen, muss kurz erst die Fährte lesen, die mein Ego legt, bevor das Alte mich noch quält.« Das heißt: Bevor ich irgendeinem eigenen Irrtum wegen meinem Ego unterliege, prüfe ich das noch mal. »Ich bin so konstruktiv, ich weiß, wie ich mich demontieren muss.« Selbstkritik. »Alles geht vorbei, ist nur ‚ne Floskel, wie das Karma seine Fotze. Wenn dem so ist, dann musst du dafür zahlen, dass du randarfst.« Life is a bitch. Ey, Karma hat keine Wertung! Karma ist das Karma. Das ist einfach ein physikalisches Gesetz. Wenn ich das Ding hinschmeiße (zeigt auf sein Glas), würde es kaputtgehen. Das ist weder positiv, noch negativ – das ist einfach nur das, was es ist.

  • »Die Leute gehen in den Aldi der Meinungen und holen sich da aus der Bio-Abteilung die Weltverbesserer-Ansicht.« Auf Twitter teilen
  • Versuchst du, dich gerade selbst zu erklären?

  • Ja. Viele denken, da steckt nichts dahinter, aber da steckt schon sehr viel dahinter. Manchmal denk ich mir echt: »Ey, so schlecht ist das nicht!« (lacht) Da ist sehr viel Gefühl drin. Da steckt sehr viel Statement drin, da steckt sehr viel Standpunkt drin. Man muss sich wirklich damit auseinandersetzen. Warum soll ich den Leuten das vorkauen? Das möchte ich nicht unterstützen. Sollen sie selber für sich was entdecken. Ich habe mich auf diese Art selbst entdeckt. Ich hätte damals Abitur machen können – ich will jetzt an dieser Stelle gar nicht den Schulkritiker raushängen lassen – aber mir war das zu blöd und nicht kreativ genug. Wenn, dann will ich das selber entdecken. Ich will mir selbst irgendwelche Geschichtsbücher ausleihen, die mich interessieren. Ich möchte das für mich durchdenken und erfassen und vielleicht komm ich ja auch von alleine auf Dinge. Man muss sich doch mal die Mühe machen! Aber ich beobachte: Leute geben sich einfach keine Mühe. Die gehen in den Aldi der Meinungen und holen sich da aus der Bio-Abteilung die Weltverbesserer-Ansicht. Warum? Gib dir Mühe!

    »Jeder ist seines Glückes Schmied«, um dieses Sprichwort auch mal aufzugreifen. Das sagt es schon am Besten. Schmied ist eine ultra-hardcore Arbeit! Glücksschmied erfordert dementsprechend sehr viel Arbeit. Aber viele möchten das einfach geschenkt haben. Ey, du wirst aber nicht einfach glücklich! Du musst dafür hart arbeiten! Kuck dir so einen Mittelalter-Schmied mal an. Genauso ist es in der Liebe oder in der Ehe. Viele posten »Generation Lost« oder »Jeder ist Single« – die Leute sind zu sehr Ego und geben sich keine Mühe mehr. Die kucken nicht auf die kleinen Dinge. Ich habe wiederum das Problem, dass ich oft das Große übersehe, weil ich zu sehr auf das Kleine schaue. (lacht) Das ist dann mein Manko… die Mitte – da haben wir sie wieder.

    Mein Bruder hat mir mal ein Gleichnis erzählt: Ein Sufi-Meister sagt zu seinem Schüler: »Hier hast du einen Löffel mit Öl darauf.« Er muss den Löffel zwischen seine Zähne klemmen und auf das Öl achten. Der Meister sagt: »Lauf durch den Garten.« Und das ist ein wunderschöner Garten. Der Schüler kuckt die ganze Zeit auf den Löffel, damit das Öl nicht kippt und er keinen Ärger vom Meister bekommt. Er läuft ein paar Stunden quer durch den Garten, kommt wieder und der Meister fragt: »Wie viel hast du vom Garten gesehen?« Darauf der Schüler: »Gar nichts, ich habe die ganze Zeit darauf geachtet, dass das Öl nicht kippt!« Da meint der Meister: »Lauf‘ noch mal und kuck dir den Garten an.« Der Schüler läuft durch den Garten, kuckt sich alles an, entdeckt alles Mögliche, kommt wieder und der Meister fragt: »Ey, wo ist denn das ganze Öl vom Löffel?« Schüler: »Ich hab mir den Garten angekuckt!« Meint der Meister: »Siehst du, das ist das Geheimnis. Das Öl auf dem Löffel direkt vor deiner Schnauze – darauf musst du achten. Und gleichzeitig auf das große Ganze um dich herum.« Du findest dieses Mitte-Ding wirklich überall. In jeder bekloppten Naturreligion, in der Mythologie – überall. Und das ist – wenn du mich nach einer Botschaft fragst – was ich die ganze Zeit versuche zu vermitteln: Gebt euch Mühe. Sucht die Mitte.