Ebow »Ich kann jetzt überall mitreden und das gibt Sicherheit.«

Ende letzten Jahres veröffentlichte Ebow ihr zweites Album »Komplexität«. Tobias Wilhelm sprach mir ihr über tanzbare Sozialkritik, die Notwendigkeit alternativer weiblicher Strukturen in der Musikindustrie und ihr nächstes Projekt.

Ebow

Auf den Rat ihrer Mutter, lieber keinen politischen Rap und sich so nicht allzu viele Feinde zu machen, hat Ebru Düzgün Gott sei dank nur teilweise gehört. Denn neben gefühlvollen, souligen Tracks, die gescheiterte Beziehungen oder die häufige Ungleichzeitigkeit von Liebe thematisieren, übt sie in ihrer Musik vor allem massive Sozialkritik, schießt lyrisch scharf auf das rappende Patriarchat und ruft zur weiblichen Selbstermächtigung auf. Dass dies alles nie abgedroschen oder moralisierend daherkommt, liegt an Ebows Talent für gute, ungewohnte Metaphern, einem Ohr für besondere Beats und einer ignorant-selbstsicheren Vortragsweise, die auch vor Selbstironie nicht zurückschreckt. Gründe genug also, um sich mit der gebürtigen Münchnerin zwischen zwei Hitzegewittern am Kottbusser Tor zu treffen.

  • »Komplexität« ist dein zweites Album, das sich musikalisch aber auch textlich deutlich von deinem ersten Langspieler abhebt. Was unterscheidet die beiden Werke deiner Meinung nach voneinander?

  • Bei den alten Sachen wollte ich, dass sie freigeistiger, vielleicht schon dadaistisch sind. Bei den neuen Sachen war es mir wichtig, dass ich die Message anders rüberbringe. Mir geht’s ja eben auch um politische Themen. Themen die komplexer sind. Davor habe ich versucht, das mit Ironie rüberzubringen. Jetzt war es mir wichtig, das direkter zu machen. Es war auch mehr eine konzeptionelle Herangehensweise, weil ich bestimmte Sachen unbedingt auf dem Album aufarbeiten oder erklären wollte. Ich habe bei »Komplexität« auch damit angefangen, nicht mehr in dem klassischen Rapper-Produzenten-Ding zu denken, an den Produktionen mehr mitgearbeitet. Die Beats auf dem neuen Album, besonders die von walter p99 arke$tra, sind schwerer einzuordnen, klingen nicht europäisch. Das war mir wichtig.  

  • »Im Endeffekt mache ich Musik – das muss im Vordergrund stehen.«Auf Twitter teilen
  • Auf Tracks wie »Asyl« oder »Punani Power« übst du massive Sozialkritik, die Beats haben aber sehr viel Power, sind eingängig, sogar tanzbar. Warum näherst du dich deepen Themen auf diese Art und Weise?

  • Da ist auf jeden Fall M.I.A.s Schule. Bei den politischen Sachen hat sie mir gezeigt, dass man sie auf ihre Essenz runterbrechen muss. Sie hat das wiederum von Baile Funk, was thematisch etwas anderes macht, wo die Sachen aber auch so reduziert runtergebrochen werden. Ich brauch jetzt halt keinen Essay über irgendeinen Konflikt auf einen Beat draufpacken. Im Endeffekt mache ich Musik – das muss im Vordergrund stehen, auch wenn die Tracks eine Message haben. 

  • Es gibt auf »Komplexität« türkische Featureparts, du benutzt viele türkische Wörter und Sätze. Das hat mich an deutsch-türkischen Rap der frühen Nullerjahre, wie zum Beispiel »Dünya Dönüyor« von Eko und Azra, erinnert. Ist das ein Einfluss für dich?

  • »Dünya Dönüyor« war krass, auch die Sachen von Savas. Aber das hat mich jetzt nicht so beeinflusst. Da haben andere Leute wie eine Missy Elliot oder Remy Ma mehr dazu beigetragen wie ich zum Beispiel Texte schreibe. Überhaupt hab ich meinen Zugang zu HipHop ganz stark durch amerikanischen Rap und R’n’B gefunden, weil mein Umfeld früher – meine Onkels, Tanten, Cousins und Cousinen – das ganz viel gehört haben. Deutschen Rap habe ich dann erst sehr viel später entdeckt, höre das auch heute kaum. 

  • »Ich finde es super nice, dass die so ein krasses Empowerment starten.«Auf Twitter teilen
  • Auf »Baba Bak« rappst du »Jungs kommen mit Armani Ketten/ Ihr könnt nur Punanis lecken/ Oder über Punanis rappen«. Warum wird von Rappern so inflationär aus ihrem vermeintlichen Sexleben berichtet und warum tun deutsche Rapperinnen das kaum?

  • Der Grund, warum Männer es tun, ist, weil es halt so ein Machtding ist. Es ist halt degradierend für eine Frau, über sie zu sagen, ich ficke dich so und so, ich mach mit dir das und das. Es ist was Negatives. Der Grund, warum Frauen das nicht machen, ist eigentlich auch was negatives. Weil es damit zu tun hat, dass eine Frau sobald sie so rappt, massivem Hass von allen Seiten ausgesetzt ist. Wenn man sich anschaut, wie die Dancehall-Szene so abläuft, ist das nochmal ganz was anderes. Da rappen Frauen auch: »Wenn dein Schwanz nicht schön ist, dann verpiss dich«. Das ist da voll in Ordnung und ich finde es super nice, dass die damit so ein krasses Empowerment starten. Und in Deutschrap hoffe ich, dass es halt so noch kommt. 

  • Apropos Empowerment: Du plädierst oft dafür, dass sich Frauen in der Musikindustrie eigene Strukturen aufbauen. Was meinst du damit genau?

  • Ich hab es damals das erste Mal zum Aufnehmen in ein Studio geschafft, weil nach einem Rap-Battle ein Typ zu mir kam und meinte: »Ey, du bist voll gut, willst du nicht mal mit ins Studio?«. Ich weiß aber, dass die meisten Freundinnen von mir, die damals Musik gemacht haben, es nur geschafft haben aufzunehmen, weil irgendwelche Typen sie hot fanden. Ich mein, damals waren wir 16, 17. Aber ich hab heute noch Freundinnen, die immer noch dieses Problem haben – dieses Klischee von einem ekelhaften Produzenten, der dich mit ins Studio nimmt und dir sagt »Hey, ich produzier dir deine Sachen«. Bis er dann checkt, dass du nichts von ihm willst. Deshalb ist es super wichtig, dass junge Mädels die rappen wollen, ihr Geld zusammenlegen, sich ein bisschen Equipment holen, dass man da nicht abhängig ist, gerade in so einem kreativen Prozess. Es geht auch darum, selbst produzieren zu lernen. Da gibt es Software, die nicht mal was kostet. Dann geht es natürlich noch weiter: Dass man sich, wenn man auftritt, immer weibliche Supportacts dazuholt, dann geht es um Bookerinnen… also das komplette Netzwerk. Man muss insgesamt einfach achtsam sein und sich immer sagen: »Ey, ich muss unabhängig arbeiten können, darf nicht abhängig sein von irgendwelchen Leuten.« Nicht nur auf Männer bezogen. 

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  • Bezieht sich diese Unabhängigkeit auch auf die Business-Aspekte der Musikbranche?

  • Ich vergleiche das gerne mit der Architektur. Da gibt es die neun Phasen eines Bauprojektes und du musst, um in die Architekturkammer zu kommen, alle neun Phasen einmal abgeschlossen haben. Das geht vom Entwurf bis dahin, dass du das fertige Gebäude später betreust. Für mich ist es in der Musikindustrie genauso wichtig, alle Phasen zu kennen. Ich hab dieses Mal meinen Vertrag selbst ausgehandelt, organisiert, wie die Aufnahmen ablaufen, die Videos produziert werden, hab mein Booking lange selbst gemacht, alles selbst gemacht. Ich kann jetzt überall mitreden und das gibt Sicherheit, wenn man dann mal mit größeren Strukturen zusammenarbeiten sollte. Man merkt dann, wenn einem Scheiße erzählt wird. 

  • Du wohnst in Wien. Mir kommt es so vor, dass Künstlerinnen dort besser organisiert sind…

  • Auf jeden Fall! Irgendwie ist man dort politischer, hat auch eher ein Bewusstsein für solche Sachen. Es gibt dort zum Beispiel die FEMME DMC-Events, bei denen nur Rapperinnen auftreten, nur Breakdancerinnen kommen, die vier Elemente des HipHop komplett von Frauen abgedeckt werden. Dann gibt es da noch die Hysteria-Gang, deren Mitglieder sich gegenseitig krass pushen. Die tragen ihre Power auch direkt auf die Straße. »Wir können es uns nicht mehr leisten abstrakt zu sein«, hat eine Freundin von mir mal gesagt. Das haben die dort verstanden. 

  • Du wirst oft, wie auch jetzt, auf deine feministischen Tracks oder Lines angesprochen, deine anderen Sachen scheinen in der Außenwahrnehmung etwas unterzugehen. Nervt dich das?

  • Ich glaube, in Interviews ist es generell so, dass ich eher zu den sozialkritischen oder politischen Sachen befragt werde, weil es natürlich mehr Unterhaltungsstoff bietet, als jetzt darüber zu reden, worum es in »Vogel und Meer« geht. Aber wenn es jetzt wirklich darum geht, welche Songs die Leute hören, würde ich behaupten, dass sie eher »Vogel und Meer« hören als die politischen Tracks.