Twit One »Ich bin ein Freund von Experimenten.«

Der Kölner Twit One spricht über sein neues Album »The Sit-In«, das tiefenentspannter ist als der große ganze Rest.

Twit One

Wir wollen über Entschleunigung sprechen. Seit vor sechs Jahren die erste »Hi-Hat Club«-LP bei MPM erschien, hat sich Twit One weiter freigeschwommen als die meisten seiner Genossen aus dem Kölner Beat-Klüngel. »The Sit-In«, die neue Soloplatte des Beatdiggers und Produzenten, ist eine so tiefenentspannte Angelegenheit, dass man beinahe versucht wäre, den Begriff »Ambient« dafür zu gebrauchen. Nicht im Sinne langweiliger Kaffeehausberieselung, sondern im Sinne bewusstseinserweiternder, Beat-loser Platten wie der »Cluster & Eno« von 1977. Dabei gibt es auf »The Sit-In« durchaus Beats zu hören, aber eben auch brasilianische Gitarren und Spoken-Word-Poesie auf Swahili. Ein Gespräch mit Twit One in einem Neuköllner Plattenladen.

  • Deine sehr kurze offizielle Biografie liefert als Hauptinformation, dass du neben deiner Tätigkeit als Beatproduzent auch Bass spielst.

  • Als Teenager habe ich Bass in Punk- und Ska-Bands gespielt. Irgendwann hab ich angefangen, Platten zu sammeln, und habe gesehen, wie andere Leute Musik mit Platten machen. Um 2000 herum habe ich mir eine MPC besorgt und mit dem Beatmachen begonnen, stark beeinflusst von den Platten, die ich damals gesammelt habe: Soul, Jazz und mit den Jahren immer mehr andere Genres. HipHop habe ich auch schon seit den frühen Neunzigern gehört, konnte mir aber lange nicht erklären, wie die ihre Sounds machen. Bis ich beobachtet habe, wie Leute auf irgendwelchen 386er PCs ihre Beats gebaut haben. Da hab ich erst gepeilt, wie Loops funktionieren und sowas. Dann habe ich mir erklären lassen, wie das geht, und selbst damit angefangen.

  • Hat dein Bass-Spiel auch deine HipHop-Produktion beeinflusst?

  • Ich weiß nicht. Ich habe beim Produzieren eine ziemliche Bassline-Schwäche. Ich tue mich einfach oft schwer mit dem Bass. Aber dass ich in Bands gespielt hab, war sicher nicht schädlich für mein musikalisches Verständnis.

  • Man kennt dich primär von Projekten mit befreundeten Rappern (Retrogott, Sylabil Spill), SängerInnen (Fleur Earth, Miles Bonny) und anderen Beatmakern (Lazy Jones, Hulk Hodn). Soloplatten gibt es von dir nur wenige.

  • Das passiert einfach so. Man spornt sich gegenseitig an. Hulk Hodn hat ja noch nie ein Soloalbum gemacht, sondern immer nur Sachen mit Retrogott, Hubert Daviz oder mir. Die Welt wartet auf ein Soloalbum von ihm, aber Hodn braucht jemanden, der ihm eine Deadline gibt. Bei mir ist es ähnlich. Ich weiß allerdings, dass man sich auch mal selbst eine Deadline setzen muss.

  • Du hast über dein eigenes Label AUDDA (Augenringe unter dem dritten Auge) auch zwei Beat-Sampler (»Puzzles« und »Beat Power«) veröffentlicht.

  • Ja, mit Hilfe von MPM. Augenringe ist kein Label im herkömmlichen Sinne. Es steht über allen Labels. Da spielen Deadlines, Geld und solche Dinge keine Rolle. Ich habe den Namen eingeführt und gesichert, ohne ihn eintragen zu lassen – denn Augenringe steht natürlich auch über solchen Dingen – einfach um Sachen rausbringen zu können. Ob man da mit jemandem kollaboriert, dessen Geld oder Vertriebswege man nutzt, das spielt keine Rolle. Bald kommen vielleicht ein paar Tapes über Augenringe heraus.

  • Letztes Jahr hast du bei MPM recht geräuschlos eine EP mit Count Bass D und Retrogott veröffentlicht. Wie kam es dazu?

  • Im Sommer 2013 war Count Bass D zu Besuch bei uns in Köln. Wir haben ihn gebucht, weil wir schon lange Fans sind und eine Party machen wollten. Er war sofort down mit der Idee. Dann war er für zwei Wochen in Köln. Wir haben viel abgehangen, über Musik gesprochen, Musik gehört… wir hatten Beats da, er hatte Beats dabei. Er hat gerappt, Kurt kam vorbei und hat auch was eingerappt. Am Ende seines Urlaubs war eine Platte fertig. Die kam ein Jahr später bei MPM raus. Letztes Jahr war er dann schon wieder hier und wir haben neues Material aufgenommen. Das kommt vielleicht nächstes Jahr raus. (grinst)

  • Du hast viele Jahre in der legendären Kellerbar »Stecken« aufgelegt, die letztes Jahr geschlossen wurde, aber für die Kölner Szene extrem wichtig war.

  • Superwichtig. Das war der erste Laden, in dem ich aufgelegt habe. Lazy Jones und ich haben uns 2000 mit einem Tape dort beworben, dann durften wir mal freitags spielen, später habe ich immer dienstags oder mittwochs aufgelegt. Gegen Ende wurde es etwas weniger, aber ich habe bis zum letzten Abend im »Stecken« aufgelegt – was übrigens genau heute vor einem Jahr war. 

  • Auch wenn der HipHop-Underground längst deutschlandweit vernetzt ist, nimmt die Kölner Szene immer noch eine Sonderstellung ein.

  • Köln ist halt überschaubar, man läuft sich ständig über den Weg. Viele machen Musik. Manchmal sitze ich in einer Bar, schaue mich um und denke: Der Typ da macht Beats, der auch, der rappt, der ist ein DJ, der verkauft Gras, da noch ein DJ, da noch ein Beatmaker… Natürlich lernt man sich über die Jahre auch kennen und macht Tracks zusammen. So ist zum Beispiel auch meine aktuelle Maxi »Disco Rigido« auf Ava entstanden. Der Lorenzo und ich fingen an zusammen abzuhängen, dann haben wir einmal die Woche Musik zusammen gemacht. Innerhalb eines Jahres entstanden so 20 Tracks, von denen wir ein paar ausgewählt haben, die jetzt rausgekommen sind.

  • Auf einer frühen Version von »The Sit-In« gab es auch einen House-Track. Generell scheint es in der Kölner Beat-Szene derzeit einen Hang zum geraden Rhythmus zu geben. Kannst du das bestätigen?

  • Wenn man jahrelang HipHop-Beats programmiert, die nach einem bestimmten Pattern funktionieren, dann probiert man natürlich auch mal rum. Das ergibt sich einfach. Aber ja, ich kann das bestätigen. Immer mehr versuchen sich daran. Ich hab ja schon ein paar solcher Tracks rausgebracht und die anderen sehen auch, dass man dadurch ganz andere Bookings bekommt. Da spielt man dann auch mal auf Parties, wo die Leute nicht so hüftsteif wie auf HipHop-Events sind. Das macht richtig Spaß. Die feiern die Musik und keiner macht auf cool. Das ist befreiend. Wobei es natürlich auch in dieser Szene viele Spinner gibt, die sich für wichtig halten. Ich fühle mich eigentlich in keiner Szene richtig wohl, eher in Kreisen von guten Leuten. Das ist wie beim Fußball: Ich mag Fußball, fühle mich aber keinem Verein zugehörig. Ich mag den FC, aber auch Schalke und Dortmund. Meiner Meinung nach kann man Schalke- und Dortmund-Fan sein.

  • Aber wenn ich heute »Deep House« zu einem 20-Jährigen sage, dann denkt er an Robin Schulz, doch ich meine Kerri Chandler.

  • Für mich ist es eh schwierig, Musik in so Schubladen zu packen. Das morpht ja auch mit der Zeit. Wenn du jetzt einen 20-Jährigen fragst, was für ihn Old-School-Rap ist, dann wirst du auch eine komische Antwort bekommen: Cypress Hill oder so.

  • Wurdest du denn auch schon mit komplett falschen Vorstellungen gebucht?

  • Ja. Ich hatte ja eigentlich bewusst das Moniker Tito Wun für Produktionen oberhalb von 100 BPM gewählt, um keine Verwirrung zu stiften. Trotzdem steht auf den Flyern dann meistens Tito Wun aka Twit One. Und keiner weiß, ob ich jetzt ein Beat-Set, Soul oder Disco spiele. Ich halte mir das aber auch ganz gerne offen. Der Hauptbestandteil wird ohnehin immer Soul sein. Jede Musik, die ich spiele, hat einen Soul-Faktor.

  • Viele Tracks auf »The Sit-In« folgen keiner HipHop-Logik, sondern grenzen schon fast an Ambient.

  • Das war nicht so geplant, sondern hat sich ergeben. Aber es ist nicht schlecht, wenn es den Hörerwartungen nicht entspricht. Olski von MPM hat ja den Leitbegriff »Yogaplatte« ausgerufen. Ich fand das ein bisschen irritierend, auch wenn ich mir durchaus wünschen würde, dass man dazu Yoga macht. (denkt nach) Gestern war ich zufällig auf einer LAN-Party. Ich probiere zwar gerne neue Spiele aus, werde aber auch immer zu »Tetris« zurückkehren. Genau so werde ich immer wieder einen normalen HipHop-Beat mit einem Piano-Loop machen, weil mir das immer noch Spaß macht.

  • Für mich sticht der Song »Malandragem« ganz besonders heraus. Was bedeutet dieses portugiesische Wort?

  • Ich habe es zum ersten Mal in einem Text über Tim Maia (brasilianischer Musiker, Anm. d. Red.) gelesen. Darin hieß es, dass er in New York den Lifestyle des Malandragem lebte. Das ist der Lifestyle eines Straßenplayers. Wie sagt man auf Deutsch dazu? »Tunichtgut«? Ja, das passt. (grinst) Übrigens habe ich dieses hypnotische Intro in einem Warmup-Set für eine Betty-Ford-Boys-Show einfach 45 Minuten lang geloopt. Viele haben das gar nicht gemerkt. Trotzdem hat es für ein bisschen Irritation gesorgt. 

  • Machst du sowas gerne und bewusst, das Publikum ein bisschen herauszufordern?

  • Ja. Ich improvisiere viel. Einmal habe ich einen Gag von Andy Kaufman adaptiert. Ich habe aus »Moby Dick« vorgelesen, dann gefragt, ob ich weiterlesen soll oder ob sie lieber was von Platte hören wollen. Und dann habe ich von Platte abgespielt, wie ich aus »Moby Dick« vorlese. Ist auch nicht gerade bärenstark eingeschlagen. Ich habe mich dann auch entschuldigt, aber ich wollte es mal ausprobieren. Ich bin ein Freund von Experimenten.

  • Als »Sit-In« bezeichnet man heute eine gemütliche Privatfeier. Früher war es eine Bezeichnung für die Sitzblockaden von Studenten und Bürgerrechtlern.

  • Ich hatte immer das Bild einer Sitzrunde in einer Kommune vor Augen. Einen Großteil der Tracks haben wir morgens aufgenommen. Das war immer diese gemütliche Donnerstagmorgen-Stimmung, also eine Art Sit-In-Situation. Am Ende ist der Name hängengeblieben, weil sich das natürlich anfühlte. Ich bin ja in meinen Möglichkeiten, mich inhaltlich zu positionieren, als Beatmacher limitiert. Trotzdem gibt es einen Track wie »The Muted Sound of Falling Things«, der sich gegen Polizeibrutalität richtet. Es gab auch einen Track mit Planet Asia in der Auswahl, aber der passte von den Lyrics her nicht zum Rest. Das sollte schon alles eine Grundeinstellung transportieren: »Love, Peace, Unity and Having Fun«. Es ist keine Musik, die irgendjemanden abfucken soll.

  • Auf dem Backcover sieht man sogar ein stilisiertes Peace-Zeichen.

  • Ja, ein Pitbull hätte nicht gepasst. (lacht)

  • Mit dem aktuellen deutschen Rap hat die Platte jedenfalls wenig zu tun.

  • Obwohl sie dort wahrscheinlich im Plattenladen einsortiert wird. Oder wo würdest du sie einsortieren?

  • In dem Plattenladen, den ich früher gerne besucht habe, wäre sie wohl im »Headz/Downtempo«-Fach gelandet.

  • Vielleicht. Hätte ich nichts dagegen.

  • Generell habt ihr Kölner euch recht weit weg vom Rest der Szene positioniert, selbst diejenigen aus eurem Kreis, die eher klassische Rapmusik machen.

  • Ich muss mich jetzt nicht bewusst von der Szene abgrenzen. Ich habe einige Platten produziert, auf denen gerappt wurde. Und ich schätze viele Leute aus der Szene. Aktuell schicken Eloquent und ich uns Beats und Tracks hin und her. Mal schauen, was daraus entsteht. Ich bin offen für verschiedene Dinge.

  • Und wie ist es für euch, wenn ihr doch mal auf Szenetreffen wie dem Splash! seid?

  • Da komme ich regelmäßig aus dem Staunen nicht mehr raus. Es gibt echt noch Typen, die in einem Dynamite-Deluxe-T-Shirt rumlaufen? (lacht) Da sieht man wirklich viele… (denkt nach) na ja, so hängengebliebene HipHop-Heads. Kann man das so sagen? Aber ich fühle mich auch immer wohl, weil man viele Leute trifft, die man über die Jahre kennengelernt, ob es jetzt die Berliner oder Crews aus Stuttgart sind. Das ist also immer familiär und befremdlich zugleich.