Ben Westhoff »Gangsta-Rap hat wirklich was geleistet.«

Mit »Original Gangstas« hat Ben Westhoff ein Buch über die großen Westcoast-Rap-Protagonisten geschrieben. Philipp Killmann hat den Autor interviewt.

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Ben Westhoff kann nicht nur Journalismus. Er kann auch schreiben. Beides stellt der 39-Jährige abermals mit seinem neuen Buch unter Beweis: »Original Gangstas: The Untold Story of Dr. Dre, Eazy-E, Ice Cube, Tupac Shakur, And the Birth of West Coast Rap« (Hier ein exklusiver Auszug). Es erschien an Tupac Shakurs Todestag, dem 13. September. 
Sein höchst lesenswertes Buch »Dirty South« aus dem Jahr 2011 war eine lose Aneinanderreihung von reportageartigen Geschichten über 2 Live Crew über UGK bis zu Gucci Mane, die erklärten, wie HipHop aus dem schmutzigen Süden tickt. »Original Gangstas« ist dagegen eine stringente Story mit Dr. Dre als Dreh- und Angelpunkt – von der World Class Wreckin‘ Cru über N.W.A und Ruthless Records bis zu Death Row Records und den Morden an The Notorious B.I.G. und Tupac. Fünf Jahre lang hat Westhoff für das Buch recherchiert. Im Ergebnis liefert er auf 432 Seiten (plus Fotos) viele neue Hintergrundinformationen und Erkenntnisse, die aus den mystifizierten Gangsta-Rap-Helden wieder greifbare Menschen machen – mit allen Ecken und Kanten. 


Im Interview mit ALL GOOD gibt der Amerikaner mit deutschen Vorfahren Einblicke in sein aktuelles Buch, erläutert, weshalb ihn seine jugendliche Verehrung von N.W.A und Co. peinlich berührt, und was HipHop und die ganze Welt Gangsta-Rap zu verdanken haben.

  • Was war deine Intention für dein neues Buch »Original Gangstas«?


  • Als Journalist fand ich diese Ära und ihre Musik sehr interessant. Seit der High School bin ich ein Riesen-Fan von Künstlern wie Dr. Dre, Snoop Dogg oder Tupac. Es war eine sehr explosive Ära: Es gab die Crack-Epidemie, die Polizeigewalt, die Bloods, die Crips, die Misshandlung von Rodney King. All das hatte Einfluss auf die Musik. Und die Musik beeinflusste die Zeit. Während der L.A. Riots spielten die Leute »Fuck Tha Police«. Ich war fasziniert davon, wie die Zeit die Musik beeinflusste und umgekehrt.

  • Wie begann dann die eigentliche Arbeit an dem Buch?

  • Ich lebte gerade in Los Angeles und arbeitete als Musikredakteur bei »LA Weekly«. Dadurch hatte ich Zugang zu vielen sehr bekannten Rappern. Durch meine Arbeit hatte ich Gelegenheit, Leute wie Ice Cube, Dr. Dre und Snoop Dogg zu interviewen. Das war eine große Hilfe für die Arbeit an dem Buch.

  • Heißt das, einige Textpassagen aus dem Buch sind bereits in Zeitungen und Zeitschriften erschienen?

  • Ja, in »LA Weekly« und im »Guardian«. Aber das sind keine ganzen Geschichten aus dem Buch. Ich habe für das Buch nur auf einige Interviews zurückgegriffen, die zuvor bereits veröffentlicht wurden.

  • Was hast du dir bei Titel und Untertitel (»The Untold Stories Of Dr. Dre, Eazy-E, Ice Cube, Tupac Shakur, And The Birth Of West Coast Rap«) deines Buches gedacht?


  • Der Titel ist natürlich eine Anspielung auf Ice-Ts Song und Album »O.G. Original Gangster«. Der Untertitel deutet auf den engen Fokus des Buches hin. Denn es geht nicht um Gangsta-Rap im Allgemeinen, sondern nur um Gangsta-Rap aus L.A. Es handelt hauptsächlich von den im Untertitel genannten Personen, insbesondere um Eazy-E, Dr. Dre, Ice Cube, Tupac und um Snoop, auch wenn Letzterer nicht im Untertitel genannt wird. Der Fokus ist sehr stark auf sie gerichtet und auf alles, was um sie herum passiert ist.


  • »Mein Buch beinhaltet sehr viel, worüber bislang noch nie berichtet worden ist.« Auf Twitter teilen
  • Und wieso »untold stories«? Was hast du in den bisherigen Berichten über Eazy-E und die anderen vermisst?

  • Mein Buch beinhaltet einfach sehr viel, worüber bislang noch nie berichtet worden ist. Dinge aus der Kindheit von Ice Cube und Dr. Dre, über ihre ersten Musikgruppen, über N.W.A, Ruthless Records und Death Row Records, über Tupac und seine Freundschaft mit Biggie…Es handelt von vielen Dingen, über die noch nie berichtet wurde, aber von denen ich durch Interviews mit vielen verschiedenen Leuten erfuhr. 

  • In der Danksagung am Ende deines Buches dankst du unter anderem Sergio Hernandez, den Gründer der Eazy-E-Tributseite eazy-ecpt.com und Macher der DVD-Serie »Ruthless Memories«, für die er zahlreiche Freunde, Familienangehörige und Wegbegleiter von Eazy-E interviewt hat. Wie hilfreich waren diese DVDs für die Arbeit an deinem Buch?


  • Während meiner Arbeit an dem Buch habe ich nur den ersten Teil von »Ruthlesss Memories« gesehen, aber er war sehr hilfreich. Ich habe aus Sergios Interviews von vielen großartigen Geschichten erfahren, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte.

  • Was war für dich die größte Überraschung bei deiner Recherche?

  • Die Dinge, die sich rund um Eazy-E kurz vor seinem Tod abspielten, waren sehr aufschlussreich für mich. Vor allem, als die Nation of Islam involviert wurde, die für Eazy-E ein vermeintliches Heilmittel für AIDS organisierte. Das fand ich wahnsinnig spannend, was da alles hinter den Kulissen abging.

  • Wie bist du an diese Information gekommen?


  • Der Rapper Steffon von Ruthless Records erzählte mir in einem Interview, dass die Nation of Islam für Eazy-E ein Heilmittel für AIDS organisiert haben soll. Ich sagte: »Was?! Ein Heilmittel für AIDS?« (lacht) Da begann ich, die Geschichte zurückzuverfolgen. Ich habe dann mit jemandem aus dem Sicherheitsapparat der Nation of Islam gesprochen. Er (Shaheed Mohammed; Anm. d. Verf.) hatte die Lieferung des »Heilmittels« von Washington, D.C., nach Los Angeles organisiert. 


  • »Diese Geschichte wurde bislang noch nicht erzählt.«Auf Twitter teilen
  • In deinem Buch erfuhr ich auch erstmals von Eazy-Es Cousin Horace…

  • Ja, diese Geschichte wurde bislang auch noch nicht erzählt. Jeder weiß zwar, dass Eazy-E vor seiner Zeit mit N.W.A ein Drogendealer war, aber kaum einer weiß darüber etwas Näheres. Zum Beispiel, dass Eazy-E die ganzen Drogen und das Geld fand, nachdem sein Cousin Horace ermordet wurde. Das fand ich auch sehr spannend und aufschlussreich.


  • Du schreibst dem Tod von Dr. Dres jüngerem Bruder Tyree eine sehr große Bedeutung für Dre zu.


  • Ja, ich glaube, der Tod hatte eine große Auswirkung auf Dr. Dre. Denn bis dahin war Dr. Dre nie der Gangsta-Typ – noch nicht mal bei N.W.A. Er war gegen Drogen und rappte in »Express Yourself«: »I don’t use weed or cess«. Er sagte auch nie, er sei ein Gangsta. Das fing erst unmittelbar nach dem Tod von Tyree an. Auf dem nächsten N.W.A-Album war sein Wesen sehr viel härter. Später, 2001, rappte er in dem Song »The Message«: »The one who put the ›G‹ in it, who do you think put me in it«. Ich komme gerade nicht auf die Lyrics im Ganzen, aber im Grunde sagt er damit, dass sein Bruder Tyree ihn mehr in diese Richtung brachte.

  • Gibt es ein Kapitel, das dir selbst besonders gut gefällt?

  • Ich mag das Kapitel »Moving Like The Military« sehr. Es handelt von Ice Cube und davon, wie er in die Nation of Islam involviert wurde, wie die Nation of Islam Sicherheitskräfte zur Verfügung stellte, die ihn und den Lench Mob auf Tour begleiteten, wie er und die anderen bei den Schwestern bewirtet wurden und so weiter. Das fand ich sehr interessant, weil es zeigt, wie die Nation of Islam seine Musik beeinflusste. Gleichzeitig übte Ice Cube mit der Message der Nation of Islam immensen Einfluss auf die Kultur aus.

  • Hörst du die Musik von N.W.A und den anderen jetzt mit anderen Ohren als vor deiner Recherche?

  • Auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, die Musik ist dadurch sehr viel reicher für mich geworden. Jetzt verstehe ich all die kleinen Anspielungen. Zum Beispiel habe ich mir neulich erst wieder »California Love« angehört und dabei festgestellt, dass Dr. Dre nahezu an allen Orten, die er in dem Song ausruft, auch mal gelebt hat: Er ruft natürlich Compton aus, aber auch Watts, wo er auch mal gewohnt hat, genauso South Central und Long Beach. Ich glaube, viele Leute wissen gar nicht, dass er da überall mal gewohnt hat. Solche Dinge machen die Songs noch interessanter.

  • Du schreibst, dass HipHop nach N.W.A nicht mehr derselbe war. Worin würdest du sagen, bestand ihre große Errungenschaft?

  • Der Song »Fuck Tha Police« war so etwas wie ein Wegbereiter für die Black-Lives-Matter-Bewegung. Die Idee, dass Menschen, die von der Polizei verfolgt werden, dies nicht hinnehmen müssen. Das war eine kraftvolle Botschaft, die auch Einfluss auf Tupac hatte. Schließlich war Tupac ein sehr aktivistischer Rapper, der sich viel zur Polizei geäußert hat. Davon abgesehen hat es den Anschein, als gebe es kaum einen Rapper, der den Song »Fuck Tha Police« nicht zu schätzen weiß. Darüber hinaus wird das Lied nach wie vor auf Protestveranstaltungen gespielt – in Amerika und der ganzen Welt.

  • »Es ist keinesfalls politisch korrekt, wenn weiße Kids Gang-Zeichen von Leuten imitieren, von denen sie überhaupt nichts wissen.«Auf Twitter teilen
  • In deinem neuen Buch reflektierst du auch deine eigene Rezeption von Gangsta-Rap als Jugendlicher. Du beschreibst diese Phase als »höchst peinlich«, da du und deine Freunde als weiße Mittelklasse-Kids das Leben von unterprivilegierten jungen Schwarzen nachgeahmt habt. Könntest du das noch ein wenig ausführen? Schließlich imitieren doch vermutlich die meisten Jugendlichen irgendwelche Pop-Idole…

  • Es ist zumindest keinesfalls politisch korrekt, wenn weiße Kids Gang-Zeichen von Leuten imitieren, von denen sie überhaupt nichts wissen. Peinlich ist das, weil wir dumm waren. Wir waren einfach sehr naiv. Wir wussten rein gar nichts über Orte wie Compton. Wir kannten nur die Musikvideos und machten uns nicht die Mühe zu verstehen, wie es an diesen Orten in Wirklichkeit zugeht. Wenn wir das aber getan hätten, dann hätten wir auch keine Gang-Zeichen und sowas imitiert. Wir waren Kinder und empfanden eine aufrichtige Zuneigung zu diesen Künstlern. Wir haben sie geliebt. Und ich glaube, das ist eine gute Sache. Ich bin nur sehr peinlich berührt, wenn ich auf diese Zeit zurückblicke.

  • Gleichzeitig, so liest es sich in deinem Buch, wollte Dr. Dre offenbar genau diesen Effekt erzielen.

  • Ja. Und Eazy-E wollte das auch. Auch er wollte seine Musik an weiße Kids verkaufen. Außerdem war er selber jung. Sie alle waren noch sehr jung. Niemand konnte voraussagen, was passieren würde, wenn ein Haufen weißer Kids die Musik und die Dinge aus den Musikvideos imitiert. Am Ende glaube ich aber – und das habe ich auch im Epilog geschrieben –, dass Gangsta-Rap dafür gesorgt hat, dass Schwarzes Leben in Amerika zu einem festen Bestandteil des kulturellen Diskurses wurde. Ohne Gangsta-Rap und HipHop hätten meine Freunde und ich längst nicht so viel über das afroamerikanische Amerika gewusst. Insofern denke ich, dass Gangsta-Rap wirklich etwas geleistet hat.

  • Der Musikjournalist Nik Cohn schreibt in der ersten Auflage seines Buchs »Triksta«, dass er und seine Freunde in den Sechzigerjahren zwar den »schwarzen Style« naiverweise imitierten, allerdings um damit Tribut zu zollen. Dagegen, so Cohn weiter, wirkten die weißen Kids aus den Neunziger- beziehungsweise Nullerjahren auf ihn so, als würden sie sich »schamlos an der schwarzen Realität bedienen und ein Videospiel daraus machen«. 


  • Ich kann nicht sagen, ob das stimmt oder nicht. Aber wie ich in meinem Buch schreibe, war es einerseits ein Tribut und andererseits ein bloßes Nachahmen. Zeitweise mag das auch angesagt und schick gewesen sein. Vielleicht meinte er das. Aber wie gesagt, es fällt einem schwer, unser Verhalten von damals zu verteidigen. Diesen Eindruck möchte ich jedenfalls nicht erwecken.


  • »Tupacs Einfluss reicht bis in die Black-Lives-Matter-Bewegung.«Auf Twitter teilen
  • An anderer Stelle schreibt Cohn in Bezug auf Tupac, dass die Leute von der Straße Tupac als Ganzes liebten – mit all seinen guten und all seinen schlechten Seiten. Die Weißen aus den Vororten liebten ihn hingegen nur für sein »Blutvergießen«. Ich habe das Gefühl, dass Tupac, zumindest in Deutschland, vor allem für sein Gangsta-Image bekannt ist und kaum für seine politische Haltung und Aktivitäten, die du in deinem Buch dankenswerterweise aufzeigst.


  • Ja, das ist eine Schande. Dabei war er nur das letzte Jahr seines Lebens bei Death Row unter Vertrag. Aber seine Death Row-»Mentalität« und die Musik, die er bei Death Row machte, überschatten seine ersten drei Alben, die teilweise eine sehr conscious und sehr aktivistische Pro-Black-Botschaft beinhalteten. Darin besteht am Ende sein größtes Erbe. Womit wir wieder bei Black Lives Matter wären. Tupacs Einfluss reicht bis in die Black-Lives-Matter-Bewegung. Wie ich am Ende des Buches schreibe, war Tupac auch politisch aktiv, etwa im Zusammenhang mit dem Friedensvertrag der Gangs in Watts oder auch in Brooklyn. Er trat in Gefängnissen für die Insassen auf. Letzten Endes ging es ihm darum. Es ging ihm darum, eine Pro-Black-Message zu verbreiten und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Diese Seite gerät leider allzu oft in Vergessenheit.


  • Wenn du sagst, Tupac hat Einfluss auf die Black-Lives-Matter-Bewegung, heißt das, seine Musik wird auf den gegenwärtigen Demonstrationen gespielt? N.W.As Song »Fuck Tha Police« soll dort ja auch schon gespielt worden sein…

  • Ja, Tupacs Musik wird auf Protestveranstaltungen gespielt. Tupac hat in Songs wie »Trapped« sehr deutlich über Polizeigewalt und seinen Umgang damit gesprochen. Er beschreibt die Polizei als sehr repressiv in den Communities, in denen er aufwuchs. Es sind viele genau dieser Botschaften, über die wir seit der Ermordung von Michael Brown vor zwei Jahren sprechen.


  • Die letzte Frage, die du den meisten deiner Interviewpartner für dein Buch gestellt hast, war, was sie während der L.A. Riots im Jahr 1992 gemacht haben. Wie hast du die Unruhen damals wahrgenommen?

  • Ich kam gerade erst in die High School. Ich weiß noch, wie erschüttert viele Leute nach dem Rodney-King-Urteil waren. Dann kam das Ice Cube-Album »The Predator« raus, das wir uns viel angehört haben. Das Album handelt viel von den Riots und ihren Ursachen. Aber auch auf seinem Album »Death Certificate« waren schon Songs wie »Black Korea« – es hängt alles sehr eng miteinander zusammen. Dadurch wurde uns die politische Situation und die zunehmende Anspannung bewusst, die schließlich in den Riots explodierte. Von all dem handelte die Musik, die wir hörten. Auf diese Weise bekamen wir einen Zugang, der uns damals noch gar nicht klar war.


  • Die Musik war also eine richtige Informationsquelle für euch?

  • Ja, definitiv. Das war schließlich noch, bevor jeder Internet hatte. Alles, was wir über Los Angeles wussten, erfuhren wir durch HipHop und Filme wie »Boyz N The Hood« und »Menace II Society«.

  • Da kommt mir prompt Chuck Ds berühmtes Zitat in den Sinn: »Rap ist das CNN des Schwarzen Amerikas«.

  • Korrekt. Es gibt einen Grund, weshalb dieses Zitat überdauert. Der Spruch zeigt, dass in dieser Aussage viel Wahrheit steckt. HipHop hat diese Themen für jedermann zugänglich gemacht. Und das ist ein wesentlicher Teil, der HipHop so großartig macht.