Marteria & Max Herre »Es war alles nicht so leicht, aber wir haben das geschafft.«

Max Herre war eines der ersten Signings und Marteria ist aktuell der größte Künstler bei Four Music. Zum 20-jährigen Jubiläum des Labels trafen sich die beiden zum ausführlichen Interview mit Jan Wehn.

Marteria & Max Herre

Bild: Jens Oellermann

Der eine, Max Herre, hat deutschen Rap Ende der Neunzigerjahre mit seiner Band Freundeskreis in der hiesigen Musiklandschaft implementiert. Später hat sich das Four Music-Signing der ersten Stunde auch als Solokünstler immer wieder weiterentwickelt. Der andere, Marteria, hat es ihm gut zehn Jahre später mit dem selben Label im Rücken gleichgetan. Marten Laciny fungierte dabei immer auch als Bindeglied zwischen alter und neuer Generation. Mit seinem Alter Ego Marsimoto bewahrte er sich stets eine gehörige Portion Outness. Nachdem sich die Wege der beiden musikalisch – und auch sportlich – immer wieder kreuzten, treffen Max Herre und Marteria Anfang Juni im Studio der Krauts das erste Mal für ein gemeinsames Interview aufeinander. Es ist einer der ersten warmen Sommerabende und das Gespräch findet auf dem Balkon des ehemaligen Salzlagers unweit des Mauerparks statt. Während dumpfes Grollen in der Ferne ein heftiges Sommergewitter ankündigt und erste Blitze den lilablauen Himmel über dem Prenzlauer Berg in Berlin durchzucken, reisen Max Herre und Marteria in einem ausführlichen Gespräch in der Zeit zurück.

Das Interview ist Teil der Label-Chronik »20 Jahre Four Music«, die zum 20-jährigen Label-Jubiläum von Four Music in Zusammenarbeit mit ALL GOOD-Gründer Jan Wehn entstanden und bei Merchstore erhältlich ist.

  • Marteria»Quadratur des Kreises« hatte für mich als Jugendlicher einen unglaublich hohen Stellenwert und hat einen großen Teil dazu beigetragen, wie ich zum HipHop gekommen bin. Die Beginner und Freundeskreis waren für mich Superstars und wenn die bei uns in der Nähe gespielt haben, sind wir auch mal zwei Stunden nach Hamburg gefahren. Kennengelernt haben wir uns aber erst viel später. Das muss auf irgendeinem Festival gewesen sein, bei dem wir dann Backstage gequatscht haben und ich dir »Lasst mich nicht alleine« vorgerappt habe.

  • Max HerreDen ganzen Song wohlgemerkt! Für mich war dieses Aufeinandertreffen mit Marten auch ein krasser Flash. »Lasst mich nicht alleine« ist nicht unbedingt ein Song, der sonderlich oft zitiert wird. Das ist ja eher ein Skit. Aber es gab ja noch mehr Sachen, die uns irgendwie verbunden haben. »Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte«…

  •           »Freundeskreis war Musik, die man auch mit seiner Mutter hören konnte.« (Marteria)Auf Twitter teilen
  • Marteria…hat meine Mutter als Lehrerin nämlich mit ihren Schülern im Geschichtsunterricht besprochen. Meine Mutter hat meinen HipHop-Weg ja von Anfang an verfolgt, ist dementsprechend auch offen für solche Dinge. Freundeskreis war Musik, die man auch mit seiner Mutter hören konnte.

  • MaxUnd dann kam noch dazu, dass deine Schwester Anna heißt. (grinst)

  • MarteriaGenau – und »A-N-N-A« ist ihr Lied, das sie ein Leben lang begleitet.

  • MaxIch überlegte gerade, wann ich das erste Mal etwas von dir gehört habe. Soweit ich weiß, war dein erstes Tape draußen und du hast dich mit Götz getroffen – weil man sich als junger Rapper eben mit Götz trifft, wenn man einen Verlagsdeal will. (lacht)

  • Marteria: Für mich war dieses auf die Rückseite vieler Platten gedruckte Götz »GG« Gottschalk ein totales Mysterium. Ich dachte immer, der sei so ein krasser Mafiosi, der das alles finanziert.

  • MaxGötz Gottschalk war mit seiner Crew Exponential Enjoyment, die er damals mit Adé Bantu hatte, neben Casper und Dendemann auch der einzige deutsche Rapper auf dem Cover der »Spex«! Wahre Geschichte.

  • Marteria: Geil!

  • Max: Dadurch, dass du bei Nesola deinen Verlagsdeal unterschrieben hast, waren wir ja sozusagen auch direkt miteinander verbunden, was mich total gefreut hat, weil ich deine Sachen sehr mochte.

  • MarteriaDas war so gesehen ja mein erster Vertrag, der mich aus der Arbeitslosigkeit geholt hat. Ich hatte, als ich noch sehr jung war, schon mal einen bei Punchline Records, was aber dann nichts geworden ist, weil SPV sich aufgelöst hat. Aber nach Jahren, in denen ich echt gehustled und zum Beispiel im »Matrix«-Club gehosted habe, war dieser Verlagsdeal ein echter Lichtblick.

  • MaxDas erste Album war ja schon da und für viele war klar, dass du das nächste große Ding werden würdest. Götz wusste das und Jan Delay wusste das auch.

  • MarteriaWobei man sagen muss, das dieses Lob eher an der »Halloziehnation«-Platte von Marsimoto lag. Das war ja schon die zweite Veröffentlichung. Das erste Album, »Base Ventura«, finde ich im Rückblick nicht so geil. Da waren zwei gute, aber auch acht richtig schlechte Songs drauf. Ich finde es aber mega wichtig, dass man eine erste Platte macht, die nicht perfekt ist und der man anhört, dass du sie mit deinen Freunden gemacht hast, ohne schon ein Teil der Szene zu sein. Ich bin ja nach Berlin gekommen und kannte niemanden. Der erste, der mich damals supportet hat, war Orgi.

  • MaxWas ich gut fand, dass du Leuten aus meiner Generation Liebe gegeben hast. Das war ja nicht immer bei allen der Fall. Viele Leute, die nachkamen, mussten ja erst mal ihre Vorgänger vom Sockel holen, um sich gut zu fühlen. Das ist im Rap ein normaler Prozess. Du warst aber eigentlich der erste, der das alles ausgesöhnt hat: Die Leute aus den Neunzigern mit denen der Nullerjahre, aber eben auch die eigene Generation. Du hast gesagt: »Das ist alles ein Ding!« Das war cool. Ich hatte mich zwischendurch ja auch vom Rap verabschiedet, weil es mir zu monokulturell war. Aber durch Leute wie dich habe ich wieder richtig Lust bekommen. Einfach weil da ein paar Typen waren, die Lust auf Lyrics und Sounds hatten und dabei auch mit bestimmten Mustern gebrochen haben. Über Eskimos, Indianer und kaputte Skier zu rappen, war einfach geil für uns! (Gelächter)

  • MarteriaWas dich sehr angesprochen hat, war der Song »Louis« vom »Zum Glück in die Zukunft«-Album. Als du mir Props dafür gegeben hast, habe ich ein richtiges HipHop-Feuer in deinen Augen gesehen.

  • MaxEs gab ja auch mal ein Demo von »Sekundenschlaf«, das du eigentlich mit mir machen wolltest. Die Anfrage kam genau in der Phase, in der ich komplett auf Tauchstation war und dachte, ich wäre jetzt nur noch ein Singer-Songwriter, der sich nie wieder vorne auf die Bühnenkante stellt und Ansagen macht. Ich war überhaupt gar nicht im Rap-Modus und habe es nicht hinbekommen, etwas Gescheites zu schreiben. Ich denke manchmal im Nachhinein: Auf so einer legendären Platte wäre ich natürlich gerne dabei gewesen – aber Peter Fox hat das Ding kaputtgemacht. Das hätte niemand sonst so geliefert.

  • MarteriaIch habe damals einfach geschaut, mit welchen Leuten, die mich inspiriert haben, man Brücken bauen könnte. Es ging da gar nicht groß um Namedropping. Aber es hilft natürlich Leute zu haben, die schon mal etwas im Rap erreicht haben.

  • MaxAber gleichzeitig warst du eben auch immer mit ganz anderen Leuten am Start. Staiger hat neulich in einer Laudatio auf dich nochmal erzählt, dass du deiner Frau den Heiratsantrag auf dem Bushido-Konzert auf der Bühne gemacht hast. Ein Marteria-Fan, der jetzt eher von links kommt, fragt sich vielleicht: »Was soll das?!« Aber du hast eben genau diese Breite geschaffen und den Leuten das Gefühl gegeben, dass alles eins ist und man einen Haftbefehl genau so wie einen Jan Delay feiern kann.

  • »Viele Künstler unterschätzen oder verschludern ihre Macht.« (Marteria)Auf Twitter teilen
  • Marteria: Jetzt gerade herrscht, wie ich finde, eine sehr große Belanglosigkeit in der Pop-Welt. Ich wohne mittlerweile in einer Gegend, in der ich nicht den ganzen Tag die coolen Sender empfange, und kann dementsprechend differenziert an die Sache rangehen. Mainstream-Musik ist gerade wirklich extrem schlimm. Gerade knallt es überall – man sollte also keine belanglose Musik machen! Viele Künstler unterschätzen oder verschludern ihre Macht. Man könnte so viel machen und so viele Themen ansprechen. Ich finde, man hat da als Musiker schon so etwas wie eine Verpflichtung, was das Ansprechen von Missständen angeht. Natürlich macht man als Künstler, was man will. Aber das ist ein bisschen so, als ob da ein Mann im Mond sitzt und für alle dasselbe Lied schreibt. Da finde ich es total schön, aus dem HipHop zu kommen, aber auch im Pop stattzufinden und die Chance zu haben, den Leuten etwas mitzugeben. Vor ein paar Jahren war das vielleicht noch egaler. Aber heute scheint mir, als wenn viele Songs gar nicht zu der Zeit passen, in der wir leben. Was das angeht, bist du, Max, ja wirklich vorangeprescht. Sei es, weil ihr politisch wart oder auch Sachen angesprochen und zum Thema gemacht habt, die man als Hörer noch nicht wusste. »Nazis raus!« kann jeder schreien, aber es ist noch viel besser, jemanden wirklich zum Umdenken zu bewegen. Musik hat eine unfassbare Macht, Dinge zu verändern.

  • Max: Der Unterschied war damals vielleicht, dass wir unser Ding nicht auf deutsche Rap-Musik aufgebaut haben. Es gab nur Advanced Chemistry mit »Fremd im eigenen Land« und dann fing es langsam mit den Stieber Twins oder den Massiven Tönen an. Es wurde alles neu formuliert und man hat sich dementsprechend seinen Platz gesucht. Alle haben auf Englisch angefangen, dann hat man gemerkt, dass es auch auf Deutsch geht und sich gefragt, wer man ist und welche Geschichte man erzählen möchte. Da herrschte eine unglaubliche Pionierstimmung. Ich war politisch aufgewachsen, Advanced Chemistry war eine große Sache für mich. Ich habe in Bands gespielt und wir haben versucht, Soul und Reggae zu machen – oft mehr schlecht als recht. (grinst) Dann kam das Rap-Dingen über meinen kleinen Bruder und für mich war klar, dass alles, was ich in mir trage, dort hinein muss. Wenn ich »Lover’s Rock« gehört habe, wurde »A-N- N-A« daraus, wenn gerade Wu-Tang das Ding war, ist ein Song wie »Tabula Rasa« entstanden. Der Soul von Curtis Mayfield oder Marvin Gaye, mit dem ich aufgewachsen bin, war sehr politisch und das ist dann Teil der Musik geworden. Aber es gab damals dieses Missverständnis, dass man eine politische Band ist, weil man auch politische Songs macht. Das war für Freundeskreis in der Perzeption plötzlich sehr vordergründig. Das hat mich gestört, weil es uns eigentlich, um alles ging: Spaß haben,…

  • Marteria: …eigentlich ging es ja nur um Frauen! (lacht)

  • »Es ging um Frauen und Army-Parka-Tragen.« (Max Herre)Auf Twitter teilen
  • MaxJa, es ging um Frauen und Army-Parka-Tragen! (lacht) Es war ja eine ganz andere Zeit: Majorlabels haben nicht verstanden, was wir machen. Wir haben Interviews im Radio gegeben und während du über »Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte« erzählt hast, lief im Hintergrund ein Techno-Bett. (lacht) Diese Revolution, die mit HipHop ja auch eine musikalische und eine Haltung im Pop-Kontext war, wurde medial oft als rein politisch gelesen – und dann wollten die Tageszeitungen plötzlich druckreife Statements von uns zur tagespolitischen Lage. Das konnten wir nicht liefern. Aber das waren wir ja auch nicht! Wir hatten natürlich ein Bewusstsein für solche Sachen, weil wir in unseren Familien über so etwas gesprochen haben und ich mich auch in verschiedenen Dingen engagiert hatte – genau wie du es mit deiner Mutter gemacht hast. Man hat also irgendwie einen Kompass, aber kennt sich nicht mit jedem Scheiß aus. Bei »Esperanto« wurde das extrem unheimlich. Klar haben wir da mit ikonischen Dingen gespielt und wollten Songs schreiben, die eine gewisse Größe haben, aber dem mussten wir uns dann auch außerhalb der Musik stellen. Wenn deine Sachen von einem »Feuilleton«-Journalisten plötzlich auseinandergebaut wurden, konntest du nur sagen: »Ich weiß gar nicht genau, was ich mir da bei ›Sternstunde‹ gedacht habe – das hat sich einfach geil angefühlt. Gravediggaz und so. Mystik, Alter!« (lacht) Deswegen habe ich dann auch gesagt, ich mache gar keine Print-Interviews mehr, weil ich das Gefühl hatte, mich da nur zu verhaspeln. Das was ich sagen will, ist auf dieser Platte.

  • MarteriaIch habe das für mich damals gar nicht so aufgeteilt. Ich fand es immer gut, wenn Statements auf einer Platte waren – egal ob bei Main Concept, den Beginnern oder eben Freundeskreis. Das hat für mich einfach Intelligenz, Weltoffenheit und das Schauen über den Tellerrand bedeutet. Aber genauso gab es eben auch Feier-Songs oder Liebeslieder. Curse hat auch Tracks übers Saufen gemacht und danach wieder ganz tief in sich hineingehört. So eine Vielfalt sollte man als Künstler einfach haben. Man darf doch wohl mit besoffenem Kopf einen Song aufnehmen und bescheuert sein, wenn man das gerade fühlt.

  • Max: Das hast du auf deiner letzten Platte doch auch gemacht. Da stellst du mit »Die Nacht ist mit mir« einen Abgesang auf den Chardonnay gegen »Welt der Wunder« oder »Bengalische Tiger«.

  • MarteriaDie Abwechslung macht es. Bands, die damals komplett nur politisch waren, haben ja irgendwie auch genervt. Wir haben damals ja sehr viel Musik gehört und uns das Beste von den verschiedenen Veröffentlichungen zusammengesucht – und das Beste war eben immer die Deepness und die Outness. »Lass mich nicht allein« hat mich einfach berührt. Alle Gruppen aufzuzählen, die immer als Menschen zweiter Klasse degradiert werden, und dann am Schluss aber zu sagen, dass man selber einer von ihnen ist – das schafft ja ein Bewusstsein dafür, nicht homophob oder rassistisch zu sein. Dieser Beschützergedanke war und ist ein ungemein wichtiger Teil von HipHop. Das prägt natürlich. Damals gab es noch viel weniger Bands und Output als heute und der Anteil an belanglosem Schrott war viel kleiner.

  • Max: Klar haben Der Wolf und Olli P. schon gerappt…

  • MarteriaDer Wolf hat aber mal mit Big Daddy Kane gerappt – dafür hat er wieder Respekt bekommen. (lacht)

  • MaxGenau. (lacht) Es war aber schon klar, was Rap und was Sprechgesang ist. Uns war klar, dass Songs das Zeug hatten, groß zu werden. Aber deswegen war es uns umso wichtiger uns zu positionieren. Die Leute sollten schon checken, aus welcher Motivation und Philosophie diese Sachen entstanden sind. Natürlich haben nach »A-N-N-A« alle geschrien, dass »Telefonterror« die nächste Single sein muss. Aber wir wollten »Wenn der Vorhang fällt« rausbringen. 

  • MarteriaDer Song hatte eine große Macht und uns richtig weggehauen. Es gab nichts vergleichbares, was zu der Zeit so weit war.

  • »Stuttgart war immer mehr auf dem deepen Eastcoast-Film und von Nas oder Mobb Deep inspiriert.« (Max Herre)Auf Twitter teilen
  • MaxWenn man jetzt mal die verschiedenen Städte vergleicht, dann war es ja schon so, dass die Hamburger eher aus einem Native-Tongue-Dings kamen. Leute wie Das Bo hatten Biz Markie und Slick Rick oder De La Soul als Vorbild. Wir haben das auch gefeiert, aber Stuttgart war mehr auf dem deepen Eastcoast-Film und von Nas oder Mobb Deep inspiriert. So wie wir uns tendenziell immer etwas zu ernst nehmen, haben wir auch die Musik etwas ernster genommen. Wir wollten gar keinen Witz einbauen, damit wir uns durch die Hintertür verabschieden konnten. Es sollte geil und deep sein – all in. Don Philippe war super wichtig, weil er nur diese Dinger geliefert hat. Der hat mich ständig überholt, was Deepness angeht. Ich konnte überhaupt nur auf die Spitze des Eisbergs schreiben, weil das andere Zeug von ihm so weit unten war. Ich hatte gar keine Lyrics, die das tragen konnten. Für uns war es erstaunlich, dass das so viele Leute interessiert hat. Es ging 1996 mit dem White Label auf der Popkomm los. Da war auf der einen Seite »Enfants Terribles« und auf der anderen »Straight From The Heart« mit Afrob, Emil von Die Krähen, Hausmarke und den Massiven Tönen. Das war die Popkomm, bei der Dendemann sein »Sport«-Demotape am Start hatte und alles vorbei war. Danach ging es auf Tour mit den Fantas und 1997 haben wir unser erstes eigenes Konzert als Freundeskreis in einer anderen Stadt gespielt. Das war in der Arena hier in Berlin – die war packed. Das lief bis 2000 durch und wir haben es nicht in Frage gestellt. Es war einfach normal. Erst waren 1996, ’97 Afrob und Sékou dazugekommen, dann Cassandra, später Déborah, Gentleman und Joy – das war wie eine nie endende Klassenfahrt. Nach »Esperanto« und »Mit Dir« mit Joy haben wir bei Rock am Ring und Rock im Park auf der Hauptbühne gespielt und Santana stand am Bühnenrand und meinte nach der Show: »You are the new Fugees!« Der hat nix verstanden und einschätzen können, dass das nur ein lokales Ding ist. Das war echt verrückt, aber natürlich auch eine totale Blase. Und dann hatte ich einfach Lust, etwas anderes zu machen. Auch, weil man immer mehr eine öffentliche Person geworden ist. Es gab ja noch das Musikfernsehen und als dort »Mit Dir« lief…

  • Marteria…waren schon alle Frauen in Deutschland verliebt in dich.

  • MaxNaja, das weiß ich jetzt nicht.

  • MarteriaNa, komm! (Gelächter)

  • MaxDas Ding war natürlich super präsent. Wir hatten ja auch beide diese Mähnen, die man auf fünfeinhalb Meter gespotted hat. Ich erinnere mich noch, wie wir über den Ku’Damm gelaufen sind und Schulklassen uns verfolgt haben. Ich habe zu der Zeit in Stuttgart im Erdgeschoss gewohnt und wenn Joy und ich abends in Unterhose vor der Glotze saßen, sind irgendwelche Fans über den Zaun gestiegen, haben durchs Fenster reinfotografiert und Joy ist direkt schimpfend hinter denen hergerannt.

  • Marteria: Das liegt, wirklich daran, dass es damals noch nicht so viel gab und nicht alles gleich klang. Die Szene wurde ja gerade erst größer. Wenn ein Song mal in die Pop-Welt reingeballert ist, war da natürlich viel mehr Aufmerksamkeit da. Das war damals sicherlich noch um einiges anstrengender als heute. Bei mir ist das ein bisschen anders. Ich finde das Wort »Star« auch immer etwas unpassend. Ich bin hier in diesem Land bei einer gewissen Zielgruppe bekannt, ja, aber abseits davon finde ich doch gar nicht statt. Brad Pitt ist ein Star!

  • Max: Ja, das war kurzzeitig mal anders – dann war’s aber auch wieder gut. Ich habe einige Jahre erst mal nur produziert, aber es wurde mir in der Hochphase schon unheimlich. Ich habe es jetzt noch mal erlebt, als ich bei »The Voice of Germany« in der Jury saß.

  • MarteriaDa gucken ja alle zu.

  • MaxGenau – aber je weiter du aufs Land gehst, um der Aufmerksamkeit zu entfliehen, umso öfter wirst du erkannt, weil die Leute da noch viel mehr Fernsehen gucken. Plötzlich stehst du im Spreewald, willst Brötchen kaufen und die Bäckersfrau feiert’s halt komplett. (Gelächter)

  • MarteriaBei mir ist das eigentlich nur richtig krass, wenn ich in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs bin. Aber da mag ich es auch, weil ich überall diese Freude darüber spüre, dass einer von uns es geschafft hat.

  • MaxIch glaube, ich habe selbst nur ein einziges Autogramm. Das ist von Hansi Müller und das habe ich mich nicht getraut selbst zu holen, sondern hab meinen Kumpel hingeschickt. (Gelächter)

  • Marteria: Nur Fußballer! Zum Beispiel Jonathan Akpoborie, den wir dann für fünf Millionen an Stuttgart transferiert haben.

  • MaxFür die Kinder hole ich schon manchmal welche.

  • MarteriaIch habe noch eines von Sergej Barbarez – zum Geburtstag mit Widmung. Aber da habe ich auch nicht selber gefragt. Es gab mal einen C-Spieler in Rostock, der Andreas Babendererde hieß. Der hat bei mir im Neubaugebiet gewohnt. Wir haben das rausbekommen, weil es auf dem Klingelschild stand. Wir haben geklingelt und er war wirklich mit seiner Frau da. Er fand das mega geil, weil er nur so ein Auswechselspieler war, der mal zwei Bundesliegespiele für Hansa gemacht hat. Da gab’s dann alles: Trikots, Wimpel, Schal – und eine Extrarunde Kakao. (Gelächter)

  • Max: Ich wollte noch erzählen, wie das damals mit Four Music überhaupt zustande kam. Wir waren 1995 ja schon bei Groove Attack gesignt, weil Philipp ein Projekt mit dem Namen Nosé hatte. Er hat Heribert »Mue« Meuser und Jojo Altevogt dann gesagt, dass er ein neues Projekt mit DJ Friction und mir hätte. Er hat es ihnen vorgespielt und sie fanden es cool. Richard Wernicke war damals deren A&R und wollte es unbedingt machen. Da gab es auch schon die erste Version von »A-N-N-A«, die wir Anfang ’96 mit ihnen gemeinsam über Intercord veröffentlicht haben. Die hatte noch ein Sample von The Crusaders und es gab damals auch schon ein erstes Video, in dem alle Stuttgarter Homies zu sehen waren – sogar MC René ist im Video. (grinst) Wir haben uns mit der Intercord-Situation aber nicht so wohl gefühlt und dann kam Michi Beck auf mich zu und hat mir von der Idee erzählt, dass sie gerne ein Label machen würden. Fitz Braum habe ich dann das erste Mal in Stuttgart getroffen. Es gab diese Bär Music Factory, wo die Fantas aber auch dieser ganze Eurotrash-Kram wie E-Rotic gemacht wurde. Unten drin war ein legendärer Club namens Musicland, wo Frico auch seine ersten HipHop-Abende gemacht hat. Oben in der Mansarde hatten die zwei winzige Zimmer und dort saß dann eben auch Fitz – damals nur mit Ana Morales und Markus Meyn. Die ersten Sachen, die dann rauskamen, waren wir und, ich glaube, die Sens-Unik-Platte, die sie lizensiert hatten. Fitz war einfach ein charismatischer Typ und wenn er gemerkt hat, dass man eine Idee und Feuer hatte, dann hat er einem den Weg freigeräumt. Man hat schon gemerkt, dass er ein Don ist und Ansagen machen kann, aber einem eben auch unter die Arme greift. Das hat er für uns gemacht, aber später auch für Afrob, Gentleman oder Joy – ich konnte bei den Leuten, mit denen ich damals Musik gemacht hatte, einfach die Hand für Fitz und Four ins Feuer legen.

  • »Man muss sich auch mal anschauen, was aus diesen Acts heute eigentlich geworden ist.« (Marteria)Auf Twitter teilen
  • Marteria: Vor allem muss man sich auch mal anschauen, was aus diesen Acts heute eigentlich geworden ist. Zumal die meisten auch fußballerisch sehr talentiert sind. (grinst)

  • Max: Naja, aber auf deinem Level spielt niemand. Eine Halbzeit halten wir alle höchstens durch. (Gelächter) Als du letztes Jahr dieses Spiel gemacht hast, haben wir gesagt, dass wir uns einen Tag vorher treffen, um ein paar Bälle zu treten. Ich kam auf den Platz gerannt, hatte die Schuhe noch nicht an und da hieß es schon »Okay, wir spielen jetzt zweimal 45 Minuten auf dem Großfeld 11 gegen 11.« Am Vortag des eigentlichen Stadionspiels wohlgemerkt! (Gelächter) Wir haben dann insgesamt nur 45 Minuten gespielt und ich habe meine Pflicht voll erfüllt.

  • MarteriaKomplett, du hast sogar eine Bude gemacht.

  • MaxJa, aber am nächsten Tag konnte ich nicht mehr laufen. Außerdem waren die Gegenspieler ja noch mal ganz andere. Marko Rehmer ist schon ein anderes Kaliber.

  • MarteriaFür mich war das aber auch aufregend. Im Ostsee-Stadion vor 28.000 Leuten gegen ein paar Bundesligaspieler-Bären anzutreten, war das eine, aber dann auch noch dieser Druck ein Tor zu schießen – ich musste ja echt eins machen.

  • Max: Ja, komm, aber in der 10. Minute hast du gleich einen Seitfallzieher gemacht und in die Südtribüne gegrüßt! Jedenfalls, was ich eigentlich erzählen wollte: Ich wohnte damals in einem Zimmer in der Wohnung von »Dub« Dirk Schumaier. Tilmann, also Gentleman, war damals schon mit dem Silly Walks Movement unterwegs und hatte erste Soundsystem-Shows. Dirk hat ihn ein paar Mal nach Stuttgart gebucht und so wie ich mich erinnere, haben die dann eine Nacht bei uns in der Wohnung übernachtet. Sékou hatte schon so ein Instrumental für »Tabula Rasa« mit unserem damaligen Drummer Tommy W. gemacht und wollte da mit Tyron drauf rappen. Es war noch gar nicht klar, was das genau wird. Ich habe dann auch angefangen zu schreiben und habe zu Tilmann gesagt: »Du gehst mit ins Studio.« Sein Zug ging um 16 Uhr, wir sind um 12 ins Studio und er hat noch schnell das Ding rausgehauen. Der Song kam dann raus und war sehr erfolgreich, was für uns eigentlich die größte Überraschung von allen war. Das war mehr oder weniger ein Battlerap-Ding und wurde trotzdem von allen gefeiert. Wir sind dann nach Ghana und haben das Video dort gedreht. Tilmann hatte damals immer dieses Visor auf und die Leute dort haben ihn immer nur »Visor Boy« genannt – das war besonders witzig, weil das für uns wie »weißer Boy« klang. Ich war dann ein paar Jahre später noch mal mit Afrob dort und er hatte eine fette Spinne im Zimmer. Weil er sich so erschrocken hat, war er dann immer Spider. Wenn wir dann über den Campus gelaufen sind, hörte man ständig »Ey, Spider!« (Gelächter)

  • MarteriaWie war dein Name?

  • MaxMister Marx! Im Englischen gibt es ja eigentlich nur »Määäx«, deshalb haben sie immer noch das »r« eingefügt.

  • MarteriaGentleman hieß doch damals auch noch Mr. Gentleman. Total genial, oder? Ich weiß noch genau, wie das Video damals rauskam. Das war wie so ein Schritt für deutschen Rap raus in die Welt. Bis dahin hatte man ja noch gar nicht außerhalb von Deutschland Videos gedreht.

  • MaxDas stimmt echt. Wenn ich mir jetzt deine Weltreise zum letzten Album angucke, ist das tatsächlich dieselbe Mechanik.

  • »Reisen macht das Leben einfach viel schöner.« (Marteria)Auf Twitter teilen
  • MarteriaReisen macht das Leben einfach viel schöner. Man bekommt einen ganz anderen Blick auf die Dinge – das finde ich gerade als Künstler unfassbar wichtig und schön. Diese ganz andersartigen Dinge formen und prägen einen ja ungemein.

  • MaxDie Orte, an die ich reise oder wir damals auch gereist sind, hatten immer einen Bezug. Sékous Mutter lebt eben Ghana und hat dort eine Schule mit einem Campus, wo wir hinkonnten. »Mit Dir« haben wir in Griechenland gedreht, weil mein Vater eine Zeit lang in Athen gelebt hat und das für mich einfach immer ein krasser Sehnsuchtsort war. Ich liebe es immer noch, dort zu sein und mag Rembetiko-Musik einfach sehr gerne. Das ist so Musik aus den Zwanziger- und Dreißiger-Jahren, die während des Türkisch-Griechischen-Kriegs entstanden ist. Damals lebten viele Griechen in der Türkei entlang der Mittelmeerküste. Die mussten dann alle raus, sind in Piräus gestrandet und dann ist dieser Sound entstanden, der super arabesque war, aber griechische Lyrics hatte, die sich nur darum drehten, wie scheiße alles war und dass man am besten erst mal einen kifft. Richtig Bluesig. Die Fugees haben das ja damals auch gemacht und ihre Videos zum Beispiel in der Karibik gedreht.

  • MarteriaIch finde das auch total wichtig, die Wurzeln der Leute aus deinem Umfeld zu ergründen und zu suchen. Das erlebe ich mit meiner Frau auch gerade. Bei mir war das ja ein bisschen anders. Ich hatte einfach krasse Neugier. Vielleicht kommt die aber auch daher, dass mein Vater Seefahrer war. Das war im Osten einfach der Job schlechthin. Man hat echt versucht Ingenieurswesen zu studieren, damit man dann auf den Schi en arbeiten und die Welt sehen konnte.

  • MaxDas ist natürlich eine krasse Analogie zu ihm.

  • MarteriaKlar. Auf dem Meer zu sein, verbindet die Welt. Deswegen verstehe ich auch nicht, wie Leute in Rostock Nazis sein können. Wenn man so nah am Meer wohnt, dann sieht man immer etwas Neues von der Welt. Was da los war, als die Amis damals von den Schi en gestiegen und durch die Stadt gelaufen sind! Fidel Castro war auch mal dort und meine Mutter hat ihn im Hotel Neptun bedient. Das erste, was Fidel Castro gesagt hat, war: »So viele wunderschön blonde Frauen hier!« Dafür hat er natürlich mega Ärger von seiner Frau bekommen, die auch mit war. (Gelächter) Meine Eltern haben ihre Hochzeitsreise auch auf dem Schi gemacht. Vielmehr ist sie bei meinem Vater auf dem Dampfer mitgefahren. Da waren sie auch in Athen. Aber es ist natürlich klar, dass das familiäre Leben auf der Strecke bleibt, wenn man so einen Job hat. Aber ich habe das immer verstanden. Die Chance, in den Siebzigerjahren durch Chicago gelaufen zu sein oder alle afrikanischen Küstenländer mit dem Schi abzufahren, bekommt man doch nie wieder!

  • MaxBei mir ist das Fernweh vielleicht nicht ganz so familiär geprägt, obwohl mein Vater auch viel im Ausland arbeitete. Aber bei uns lief einfach Sound von überall. Es gab die Zeit in den Siebzigern, in der die chilenische Musik super wichtig war und auch immer wieder Leute von überall her bei uns waren. Wir waren immer sehr weltoffen. Man darf ja auch nicht vergessen, dass HipHop eine Digging-Culture ist – und so wie du Samples diggst, diggst du eben auch die echten Quellen und Herkunftsländer dieser Sounds. Darüber kommen ja auch Begegnungen und Befruchtungen zustande.

  • MarteriaIch bin ja nie so ein Digger-Typ gewesen, sondern durch die Reisen ganz anders inspiriert. Aus dem simplen Grund, dass ich nicht produziere. Aber es beeinflusst mich total. In Afrika hat Rhythmus eine ganz andere Wirkung auf dich. Und plötzlich hörst du alte Sachen ganz anders. Ich bin ja viel von englischer Musik beeinflusst. Erst Garage, dann Drum’n’Bass und Jungle – das hat ja auch alles afrikanische Roots. Man versteht dann erst, woher die Einflüsse vieler Leute, die man selbst gefeiert hat, eigentlich kommen. Genau so, wie man bei Björk den Einfluss von Island verspürt hat. Das ist was ganz anderes, mit dem Auto durch Island zu fahren und dann noch mal die »Homogenic« oder die »Debut« anzumachen – da kriegst du Heulkrämpfe und kommst gar nicht klar. Wenn du mit der Musik in den Ohren vor einem Gletscher stehst, begreifst du das alles erst und kannst das auch wieder auf Massive Attack, Goldie oder Portishead übertragen.

  • MaxWie Sound dich mit einem Ort verbindet, ist wirklich krass. Ich habe ja vorhin schon gesagt, dass wir in Stuttgart eher von der Eastcoast beeinflusst waren. Wir hatten 1994 kurz nach Gründung der Kolchose einen Austausch nach San Francisco, kurz davor war »Doggystyle« von Snoop Dogg erschienen. Als wir dort im Auto saßen, sind wir natürlich auch alle eine Etage tiefer gerutscht, haben den Ellenbogen aus dem Fenster gehalten und der dicke, langsame, funky Sound hat plötzlich total Sinn gemacht.

  • MarteriaWas ich aus der Westcoast-Ecke wieder geiler fand, waren die Oxnard-Sachen wie Madlib oder dann auch Peanut Butter Wolf und Stones Throw. Aber bei Quasimoto hörst du bei vielen Sachen auch den Vibe raus. Das war total frickelig-vertrackte Musik, aber auch der kann das Sunshine-Feeling nicht immer wegdrücken. (lacht) Das war ja ein Vibe, den man vielleicht auch auf der ersten Marsi-Platte schon gehört hat.

  • MaxIch weiß noch, wie GG und ich dann mit Alex Richter von Four Artists gesprochen habe, weil wir dich so gefeiert haben und du gerade mit Jan Delay auf Tour warst.

  • MarteriaAls die Anfrage kam, war ich gerade bei meiner Mutter. Es war alles richtig scheiße, dann hat Jan mir bei MySpace geschrieben und mich gefragt, ob ich Bock hätte. Da haben meine Mutter und ich krass abgefeiert. Die erste Frage war: Wie mache ich das mit der gepitchten Stimme? Da hat Jan mir noch so ein ganz einfaches Effektpedal empfohlen. Ich stand dann auf der Bühne, habe als Marteria gerappt, mir danach die grüne Leucht-Sonnenbrille für 6 Euro aufgesetzt und auf das Pedal getreten, das natürlich ganz oft auch gar nicht funktioniert hat. Das Teil und ich haben sich irgendwann aneinander gewöhnt. Ich weiß noch, wie wir mal auf irgendwelchen Jams waren, das Teil noch auf der Bühne stand, der nächste Rapper mit einem krassen Street-Song loslegen wollte, aber seine Stimme noch gepitcht war und alle sich gefragt haben: »Was ist jetzt denn los?!« (Gelächter) Nach der Tour gab es vermehrt Treffen mit Labels – aber da wusste man oft nicht, was daraus wird. Volker Mietke, der damals bei Universal war, war der erste, bei dem ich ein gutes Gefühl hatte. Wir hatten uns super verstanden und auf einmal bekam ich nur mit, dass er nicht mehr bei Universal war. Da dachte ich mir: »Fuck, das ist genau das gleiche wie bei Punchline damals – jetzt stehst du wieder ohne etwas da.« Aber dann ist er ja zu Four gegangen und wir haben das Ding gemacht. Wer weiß, wo ich heute wäre, wenn er damals nicht zu Four gegangen wäre.

  • »Es war richtig cool für uns zu sehen, dass dieses Label wieder mit neuem Leben gefüllt wird.« (Max Herre)Auf Twitter teilen
  • MaxWer weiß, wo Four Music sonst auch heute wäre. Ich erinnere mich noch an die Zehn-Jahres-Feier von Four Music. Nesola ist ja nur entstanden, weil Four Music zwischenzeitlich so ein Vakuum hatte. Die Fantas waren gerade raus, es ging zu Sony und es war für uns alle nicht mehr das gleiche. Auf der Feier habe ich mit Fitz gesprochen und meinte zu ihm: »Warum heißt das noch Four Music, wenn die Fantas nicht mehr da sind? Lass uns doch was Neues machen!« Nesola wurde gegründet, weil das, was Four Music die zehn Jahre davor war, irgendwie in der Schwebe stand. Als du dann gesignt hast und Casper später dazu kam, Volker und Michi Stockum mit am Start waren, hat das Ganze wieder Fahrt aufgenommen. Es war richtig cool für uns zu sehen, dass dieses Label wieder mit neuem Leben gefüllt wird und diese Geschichte sich mit coolen, progressiven Acts, die geilen Sound machen, weiterträgt.

  • Marteria: Das war alles nicht immer so einfach. Die Soundfindungsphase für »Zum Glück in die Zukunft« hat unfassbar lange gedauert. Ich saß da mit den Krauts echt lange im Studio und es gab fünf verschiedene Richtungen, in die Marteria hätte gehen können. Das war natürlich total wichtig. Aber »Zum Glück in die Zukunft« klingt aus heutiger Sicht noch sehr monoton, was die Stimme angeht. So ein Sound, aber auch das dazugehörige Selbstvertrauen kommen ja erst mit der Zeit. Die Eier, um Dinge selbstverständlich zu tun, müssen einem erst mal wachsen. Monk und ich haben ewig an der Platte gesessen, sind dann zu meinem damaligen PM gegangen und der meinte: »Mehr als 10.000 macht ihr damit nicht.« Da dachte ich mir auch: »Halt die Fresse!«

  • MaxDas hat Michi Beck bei »Esperanto« auch gesagt. Damals hat man auch erst das fertige Master vorgespielt. Das war ja auch das Gute an Fitz: Wenn du ihm gesagt hast, dass es geil wird, dann hat er dir vertraut. Michi meinte dann: »Wenn ihr die Hälfte der ›Quadratur des Kreises‹-Einheiten verkauft, ist es cool.« Er fand das alles erstmal viel zu anspruchsvoll.

  • MarteriaDa war ich super abgeturned. Aber die Platte hat dann für sich gesprochen und das, obwohl »Verstrahlt« kein Radiohit war. Wenn der jetzt auf einem Album von mir wär, würde der vermutlich öfter gespielt.

  • Max: Ich habe mich vor ein paar Jahren , als »LilaWolken« rauskam, mal mit jemandem vom Radio unterhalten. Der meinte, dass deine Stimme fürs Radio zu tief sei. Total verrückt!

  • MarteriaJa, voll. Auch wenn der Song echt poppig war, war man einfach noch nicht wieder bereit für solche Musik.

  • MaxMos Def rappt doch auf »Questions« mit Common: »Why do I need I.D. to get I.D.? / If I had I.D., I wouldn‘t need I.D.« Genau so ist es doch mit dir. Du brauchst einen Hit, um einen Hit zu haben. Bei der ersten Platte war die Welt anscheinend noch nicht reif für einen Marteria-Hit.

  • MarteriaEs war alles nicht so leicht, aber wir haben das geschafft. Auch weil Volker und Michi Stockum voll am Start waren. Auch, weil die Krauts und unser Management sich da richtig reingehangen haben – es hat funktioniert.

  • MaxAuf ganzer Linie. Und das hat mich so gefreut, nachdem ich dieses Vermächtnis so habe bröckeln sehen. Aber an dem Ding festzuhalten, war ein totales Glück – dem Genre neues Leben einzuhauchen und dann eben auch Artists zu haben, die diese deutsche HipHop-Geschichte weiterschreiben und Musik in Deutschland voranbringen. Es macht jetzt nach 20 Jahren echt Sinn, weil es die zweite Golden Era für dieses Label war.