Credibil »Es ist schwerer, eine weiße Fahne hochzuhalten als eine dreckige.«

Credibil hat sich Zeit gelassen. Statt nach Schulterklopfern von Kool Savas und Azad einen Schnellschuss abzufeuern, erscheint sein Debütalbum »Renæssance« mit einem gesunden Abstand zu dem Hype, den er vor drei Jahren auslöste. Ein Interview über Konzeptalben im deutschen Rap und: die Liebe.

Credibil

Gut drei Jahre ist es her, dass Credibil auf der Bildfläche erschien – auf einer ziemlich dunklen, wohlgemerkt. Das Gesicht hinter Schatten verborgen, performte da ein gerade mal 17-jähriger Junge so wortgewaltige und geistreiche Acapella-Strophen über das Leben und Menschsein, das einem die Kinnlade herunterkippen konnte. Mit der »Ehrlich gesagt«-EP wurde langsam klar, dass dieses good kid aus m.A.I.n. City vielleicht derjenige sein könnte, der Straßenrap mit Themenvielfalt vereinen könnte. Zumal es kurz darauf für »Das Deutsche Demotape«, auf dem Credibil hiesige HipHop-Klassiker neu interpretierte, Schulterklopfer von Kool Savas, Azad und Konsorten gab.

Nach der »Molokopf«-EP erscheint jetzt »Renæssance« und Credibil löst darauf sein Versprechen ein. Er hat ein Album gemacht, das den Hörer fordert und ohne Klischees oder Pathos-triefende Graupausen aus dem Frankfurter Bahnhofsviertel auskommt. Dafür ein Album voller aufrichtiger Episoden und pointierten Momentaufnahmen aus dem bisherigen Leben von Credibil. Ein Interview über den Superhelden Credibil, seinen Partner Mikis, Konzeptalben im deutschen Rap und: die Liebe.

  • Unser erstes Interview hatten wir im Mai 2013 für die »Juice«. Da hast du gerade an »Das deutsche Demotape« gearbeitet. Was war das damals für eine Zeit?

  • Ich habe mich damals ständig gefragt: Klappt es oder klappt es nicht? Es hat sich damals angefühlt, als ob ich in einem riesigen Flur stehe und nicht weiß, durch welche Tür ich gehen soll. Und irgendwann ist eine aufgegangen, hinter der stand Kool Savas und hat gefragt, ob ich nicht in seine Bookingagentur kommen will. Und dann ging es los.

  • Du hattest ja das große Glück, dass du nicht alleine in die Szene gekommen bist, sondern mit Mikis Fontagnier von der Famefabrik von Anbeginn jemanden an deiner Seite hattest.

  • Mikis habe ich vor gut sieben Jahren kennengelernt. Zu der Zeit ging nicht viel mit Rap. Deutschrap hatte da gerade einen Tiefpunkt, an dem finanziell nichts ging und die Rapper sich über illegale Tauschbörsen beschwert haben. Das war auch die Zeit, in der die Leute angefangen haben, sich Kameras von Canon zu kaufen, die gutes Bildmaterial geliefert haben. Plötzlich gab es dann auch »16Bars«, die Videointerviews gebracht haben. Ich war immer großer Rap-Fan und wollte auch einen Beruf lernen, der meine Leidenschaft für die Musik mit dem Geldverdienen verbindet. Da lag das mit den Videos sehr nahe – weil man keine Beats oder sonst etwas machen musste, sondern drauf loslegen konnte. Ich habe Mikis dann einfach angeschrieben, ihn über seinen Beruf ausgefragt und gesagt, dass ich das auch lernen möchte. Er hat mir dann alles erklärt und gesagt, ich solle mein Fachabi mit Schwerpunkt auf Mediengestaltung machen und mich wieder melden. 

    Als ich fertig war, habe ich mich wieder bei ihm gemeldet und er wusste nicht mehr, wer ich war. Wir hatten ja ein paar Jahre keinen Kontakt gehabt. (lacht) Ich habe ihm dann erklärt, dass er derjenige war, der mir damals die richtigen Ratschläge gegeben hat. Ich habe ihm dann nebenbei auch erzählt, dass ich rappe und den Song »Fremde« von mir gegeben – den hat er sich natürlich nicht angehört. Auch nicht, als ich ihn zwei oder drei Mal therapiert habe. Irgendwann hat er sich ihn dann doch angehört, sich sofort bei mir gemeldet und meinte: »Das ist der Shit! Hast du noch mehr?« Ich habe ihm die Acapellas geschickt und bin direkt danach zu ihm nach Mannheim gefahren. Er meinte dann, dass er zwar kein krasses Video für mich drehen könne, aber wir ja mal Fotos machen könnten. Mikis’ Kamera hatte zum Glück auch eine Videofunktion und er hat mich gebeten, doch mal meine Sechzehner zu rappen und dabei die Kamera draufgehalten. Wir haben dann kurz darauf die »Ehrlich gesagt«-EP herausgebracht und Mikis meinte zu mir: »Ich werde dich unterstützen, so gut es geht. Du kämpfst da gerade für etwas, das Sinn macht.«  

  • »Der lachende Kanacke, der Gute unter den Bösewichten.«Auf Twitter teilen
  • Mikis war also dein erster Kontakt zur Szene. Hat er dich ein bisschen vorbereitet?

  • Nicht nur ein bisschen. (grinst) Mikis ist der große Bruder von Credibil und mittlerweile auch der große Bruder von Erol. Er hat großen Anteil daran, wer ich heute bin und wer Credibil heute ist. Er ist derjenige, der mir dieses Doppelpunkt-Klammer-zu-Dingen, den grinsenden Kanacken, nähergebracht hat. Am Anfang war Credibil – das hört man auch an den Acapellas und den ersten Tracks – noch viel düsterer und ist angeeckt. Ich hatte damals ja schon die Idee, dass Credibil ein Superheld sein soll, deshalb habe ich mir auch das Logo ausgedacht. Aber der damalige Credibil war noch um einiges zorniger. 

    Mikis hat immer gesagt: »Ich bin schon etwas länger in dieser Szene und ich sage dir: Halt dich an mich! Ob du es tust oder nicht, ist deine Entscheidung. Aber egal ob wir es zusammen durchziehen oder nicht: Verlier‘ dein Lächeln nicht!« Das war ungefähr zu der Zeit, als wir das Video »Der beste Tag meines Lebens« gedreht haben. Der Clip ist eigentlich recht klassisch und man sieht mich im Video mit meinen Jungs um die Häuser ziehen – aber wir lächeln und sind gut drauf. Erste Aufmerksamkeit habe ich bekommen, weil Savas mein Acapella geteilt hat – aber dieses Video war der Schlüssel, der mir einige Türen geöffnet hat. 

  • Bis dahin kannte man halt eher das Straßenrap-Videoklischee von grimmig dreinblickenden Jungs mit Autos und Hunden.

  • Ja. Ich meine, ich komme daher. Mein Stiefvater hat am Frankfurter Bahnhof gearbeitet. Ich habe mich oft dort aufgehalten und weiß, worüber die ganzen Jungs rappen. Das bedeutet aber nicht, dass ich komplett darauf hängengeblieben bin oder ständig Streit suche. Ich habe mich für das genaue Gegenteil entschieden und ich glaube, dass dieses Credibil-Ding – der lachende Kanacke, der Gute unter den Bösewichten – eine große Sache werden kann: Schwarze Haare und trotzdem kein Außenseiter sein, der sich abschotten muss, sondern lernt, das Leben zu lieben. (überlegt) 

    Da wo ich herkomme, tut man sich manche Filme selber an. Solange wir uns durch Angst dieser Klischees bedienen, wird sich nichts ändern. Ich kann ja nur für mich sprechen. Aber wenn ich in eine Situation komme, in der ich nicht weiter weiß, mache ich Dinge, bei denen ich die Reaktionen der anderen schon voraussehen kann. Fühle ich mich unwohl oder habe Angst, kann ich mich dieser Klischees bedienen. Wenn ich zum Beispiel am Bahnhof bin und jemand ungemütlich wird, kann ich auch schnell ungemütlich werden. Aber eigentlich mache ich das ja nur, weil ich Angst vor der Konfrontation habe. Aber ich weiß mittlerweile: Wenn ich das Credibil-Dingen in mir trage und einfach lächle, werde ich vorankommen – in allem, was ich tue. Azad hat mal gerappt: »Negativität zieht mich runter wie Gravitation / also versuch’ ich immer positiv zu bleiben und behalte die Navigation« Genau das ist das Ding.

  • Gab es denn einen Punkt, an dem du gelernt hast, so zu denken und dich nicht dieser Klischees zu bedienen?

  • Als ich das Video zu »Der beste Tag meines Lebens« hochgeladen habe. Da habe ich gemerkt, dass die Leute mir viel eher zuhören, wenn ich nicht den wütenden Kanacken gebe. Das war nicht nur bei den Hörern so, sondern auch als ich den ganzen Gangsterrappern zum ersten Mal begegnet bin. Leute wie die Azzlacks und Haftbefehl wussten, wer ich bin und aus welchem Milieu ich komme. Aber sie waren mehr als stolz auf mich, dass ich keine Ausdrücke benutze oder schimpfe. Einmal war ich mit Veysel in der Türkei und er hat mich seinem älteren Cousin vorgestellt, der sofort gefragt hat: »Rappt der auch?«. Und Veysel entgegnet ihm: »Ja, aber nicht so wie du denkst.« Ich fand es krass, dass die Leute, die ja genau das machen, so stolz darauf waren, dass ich es nicht tue. Aber versteh das nicht falsch: Ich bin ein riesiger Haftbefehl-Fan und kann alle seine Texte auswendig rappen. Das ist für mich gute Unterhaltung. Ich glaube, ich brauche das als Ausgleich für Credibil – es muss den Bösewicht geben, damit es den Superhelden geben kann. Das ist, wie wenn man nach dem Arbeiten die Füße hochlegt. Credibil ist natürlich keine klassische Arbeit in dem Sinne – aber es ist schwerer, eine weiße Fahne hochzuhalten als eine dreckige.

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  • Warum war deine Fahne denn immer so weiß? Wenn du in Frankfurt groß geworden bist, hätte deine Jugend ja auch ganz anders verlaufen können.

  • (überlegt) Es ist Liebe, Bruder! Ich sage es dir. Die Liebe hat mich von dem allen ferngehalten. Die Liebe von mir zu meiner Mutter, die Liebe von meinem Stiefvater zu meiner Mutter. Mein Stiefvater kennt Haftbefehl und seinen großen Bruder übrigens von früher. Meine Mutter ist mal nach Hause gekommen und hat mir erzählt, dass sie in der Stadt waren und Haftbefehl getroffen hätten. Ich meinte direkt: »Warum hast du ihm nicht von mir erzählt! Er hätte doch etwas von mir teilen können!« So typisch dumme Kanackenmoves halt. (lacht) Aber mein Stiefvater meinte: »Ich versuche dich den ganzen Tag von dort fernzuhalten. Warum sollte ich dir erzählen, dass ich ihn kenne?« Wer weiß, wie sich meine Karriere damals entwickelt hätte. Aber so hat mich die Positivität meiner Eltern in eine andere Richtung gelenkt. Das klingt immer so komisch. Aber das ist der Glaube an das Richtige. 

  • So gesehen ist das ja schon wieder das Azad-Zitat. Kendrick Lamar hat neulich in einem Interview mit Konbini doch auch gesagt: »It’s gonna keep going on, war gonna keep going on, frustration gonna keep going on, anger gonna keep going on ‘til we finally go back down to the simplest word: love.«

  • Ja, aber das ist schwer zu verstehen. Liebe kann auch manchmal verfälscht sein. Nimm doch die Liebe zum Geld – das ist nicht die Zufriedenheit, die einen am Ende glücklich macht. Da wo ich herkomme, ist der kürzere Weg auch der lukrativere. Ich habe mir mit meiner Musik den längsten und schwersten Weg ausgesucht. 

  • Das hört man »Renæssance« ja auch an. Es ist ein richtiges Konzeptalbum.

  • Ja, der erste Akt befasst sich mit meiner Familie und handelt von der Vergangenheit, der zweite Akt handelt von Frankfurt und der Gegenwart und der letzte Akt dreht sich um die Hassliebe zur Musik und der Zukunft.

  • Songs zu schreiben, die im Rahmen eines Konzepts, aber auch für sich funktionieren, dauert ein bisschen länger und verlangt einem etwas ab, oder?

  • Digger, ich hab nur einen Schuss. Warum soll ich irgendein Album machen, wenn ich das eine machen kann? Ich habe mich doch ohnehin schon für den schweren Weg entschieden. Warum kann ich nicht der eine Rapper mit dem Konzeptalbum sein? Es gibt so wenige Konzeptalben. Morlockk Dilemma hat zusammen mit Dexter »Weihnachten im Elfenbeinturm« gemacht, wo ein Charakter von einem Hochhaus stürzt und beim Fall in Richtung Boden in die Wohnungen der Leute hineinblickt. Das war ein Monsterkonzept. Genau wie Kendrick Lamar! Aber wer hat das noch? Ich meine keinen roten Faden, bei dem 16 Songs zusammengetragen wurde, die in etwa die selbe Bedeutung haben… 

    ich komme mir gerade vor wie Ercandize. (lacht)

  • »Wie kann man denn ein Album machen und Bonus-Songs dazupacken? Was sagt das denn über die Songs aus?«Auf Twitter teilen
  • Alle tänzeln immer um das Konzeptalbum rum. Es ist beinahe ein Feindbild und tunlichst zu vermeiden, oder?

  • Gibt es überhaupt ein anderes Album als ein Konzeptalbum? Was für 16 Tracks? Dann ist es doch ein Mixtape! Viele Alben klingen, als würden die Leute einen Film drehen, aber der Film zeigt immer nur die eine selbe Einstellung. Warum ist das so? Wie kann man denn ein Album machen und Bonus-Songs dazupacken? Was sagt das denn über die Songs aus? Dass sie scheiße sind, aber du noch mehr Geld willst und sie deshalb mit in die Deluxe Box packst? Was soll der Scheiß? Was bedeutet das denn für den Hörer? Es ist doch scheiße, wenn man das Gefühl bekommt, dass einfach noch ein x-beliebiger Song mit auf dem Album landen könnte. Packt sie doch direkt mit drauf! Kendrick Lamar hatte auch drei Bonus-Songs zu »good kid, m.A.A.d city«, aber das war auch ein Konzeptalbum, bei dem die drei Songs nicht ins Konzept gepasst haben. Hast du die »Minus«-EP von Ahzumjot gehört?

  • Ja, klar.

  • Diese EP hat einen roten Faden, denn alle Songs haben dieses eine bestimmte Gefühl und erzählen davon, dass er ein gescheiterter Künstler ist, der sich mit Universal nach seinem ersten Album nicht mehr einig geworden ist. Dieser Mensch bringt diese EP raus und sie hat mehr roten Faden als die Alben da draußen. Warum? Weil er musikalisch von einem Song in den anderen gehen kann, aber auch textlich immer wieder Verknüpfungen bringt. Natürlich hat er nicht so eine in Akte unterteilte Geschichte wie ich, aber er hat einen Style, der alles zusammenhält. Das haben andere Alben nicht.

  • Schon klar. Aber du sagst das, weil du dein ganzes Herz in die Texte legst. Ein klassischer Battlerapper sagt dann: »Wofür soll ich ein Konzeptalbum machen? Ich kann doch einfach 15 Songs machen auf denen ich sage, dass ich der Geilste bin.«

  • Ja, unfassbar. (lacht) Nein, nein, warte. Jeder Künstler hat Vor- und Nachteile. Ich für meinen Teil werde mit meinem Album nicht gut verkaufen oder charten. Mit den Rap-Skills, die ich habe, werde ich vermutlich doppelt so lange brauchen wie andere Rapper, um 100.000 Einheiten zu verkaufen und die Festhalle Frankfurt, wo 13.000 Leute reinpassen, auszuverkaufen. Das wäre mein Ziel. Wenn ich das schaffe, bin ich ein erfolgreicher Künstler. Alles, was davor passiert, ist nur der Weg. Sagen wir, ich brauche dafür statt fünf vielleicht zehn Jahre. Das ist voll okay. Aber ich habe einen entscheidenden Vorteil: Ich weiß, dass ich ein gutes Album gemacht habe und wenn ich in einen Raum komme, werden sich die Leute nicht das Maul über mich zerreißen. Deswegen bin ich so motiviert in dem, was ich tue und so herzensrein. Ich habe keine Angst vor dem, was ich dort tue. Ich bin sehr realistisch und reflektiere mich selbst. Ich – und vielleicht ist das auch wieder nur ein Klischee, das ich bediene – rege mich nur darüber auf, das andere Rapper das nicht tun. 

  • Ich finde halt, dass man als Rapper nicht nur einfach rappen sollte, sondern sich auch der eigenen Verantwortung bewusst sein.

  • Das sollten nicht nur Rapper, sondern auch Journalisten. Es gibt mittlerweile HipHop-Seiten die »RapUpdate« sehr nahe kommen, weil sie merken, dass das funktioniert. Genau so passiert es mir, dass ich in einem Interview sitze und gefragt werde, welcher Rapper mich derzeit aufregt. Entweder man spielt dieses Spiel mit oder man macht es so wie ich und gibt einen dicken Scheiß da drauf. Mein Erfolg wird noch nicht in Zahlen gemessen. Möglicherweise rede ich es mir aber auch nur schön. Aber vielleicht ist dieser Glaube an sich selbst auch der einzige Weg, um am Leben zu bleiben. (überlegt) Aber dann gibt es wieder Leute wie Kendrick, Casper oder Marteria – die haben es auch mit Liebe gemacht und sind erfolgreich geworden. Das gibt mir Kraft. Denn wenn die es schaffen, kann ich das auch. Ich brauche nur ein bisschen länger.