Nanoo »Es ist halt die Frage, wann die Blase platzt.«

Bei den ganzen VBT-Rappern und H&M-HipHop-Shirts kann man in Sachen Nachwuchshoffnung im Deutschrap derzeit schon mal den Überblick verlieren. Genau deshalb sollte man sich den Namen Nanoo auch unbedingt merken. Denn der Aschaffenburger meint das mit dem Rappen verdammt ernst.

Nanoo

Zumal der Bub auch nicht erst seit drei Wochen Texte schreibt. Als begnadeter Freestyler machte Nanoo sich in den letzten Jahren in Unterfranken und Umgebung einen Namen und sorgte danach mit ein paar grundsoliden Tracks im Netz für Begeisterung. Nach ein paar in den Sand gesetzten Studiosessions bei Kollege Schnürschuh und Konsorten in Darmstadt steht jetzt die »Sonntag Abend«-EP zum Download bereit. Fünf plus zwei von Shuko, Kollege Schnürschuh, Richie Rocafella, Nico Rausch und Levon Supreme produzierte, zwischen zynischem Battle-Rap und rührseliger Introspektive oszillierende Songs. Wir haben uns mit dem Newcomer, den man dieser Tage auf Rockstahs »Pubertour« erleben kann, über die Alles-kann-Nichts-muss-Mentalität im Deutschrap und unnützes HipHop-Knowledge unterhalten.

  • Bei meiner Recherche bin ich auf den Song »Dear Life« gestoßen. War das dein erster Song überhaupt?

  • Wow! Könnte gut sein. Klar habe ich davor auch schon viel Quatsch gemacht. Aber das war wohl so das erste Mal, dass ich damit an die Öffentlichkeit gegangen bin. Und die Sachen kamen auch ganz gut an. Aber wirkliche Ambitionen, mehr daraus zu machen, gab es damals noch nicht. Ich habe ja auch mal kurz beim VBT mitgemacht, was aber mehr aus Spaß war, wie man vielleicht gemerkt hat. (lacht) Und vielleicht wäre auch gar nichts mehr gekommen, wenn mir Rockstah nicht gesagt hätte, dass er mich gerne mit auf Tour nehmen möchte. Die Vorraussetzung dafür war nämlich, dass ich ein Release habe. Und das habe ich mit der »Sonntag Abend«-EP gemacht.

  • Aber was war denn dann das »Nanoo seine Pornos«-Release, an dem du lange gearbeitet hast?

  • (lacht) Das war sogar fertig!

  • Achso, ich habe nämlich irgendwo gelesen, dass die »Sonntag Abend«-EP aus »Nanoo seine Pornos« entstanden ist.

  • So direkt wurde kein Song übernommen, nein. Es resultieren aber ein paar neue Songs von »Sonntag Abend« aus den Alten. Ich habe »Nanoo seine Pornos« bei Mädness und Kollege Schnürschuh in Darmstadt aufgenommen. Als es fertig war, habe ich das mit mir herumgeschleppt, aber konnte es einfach nicht releasen. Es hat mich auch total geknickt – aber ich war einfach nicht zufrieden damit. Textlich war das zum Teil eher unangenehm, nicht durchdacht und stringent oder gar liebevoll gemacht. Das war ein kleiner Tiefpunkt. 

  • Aber es war schon wichtig, dass du das Dingen komplett fertiggemacht hast, oder?

  • Klar. Alleine schon, was Studioarbeit angeht habe ich mich echt weiterentwickelt. Ich würde heute nicht mehr morgens ins Studio kommen und versuchen einen Text einzurappen, den ich gestern Abend geschrieben habe. Das endet selten cool. Zumindest bei mir. (lacht)

  • Warum denn eigentlich »Nanoo seine Pornos«?

  • Ach, das sollte einfach eine gewisse Intimität suggerieren und die Leute irgendwie auch vor den Kopf stoßen. Aber die Leute haben immer auch etwas Albernes erwartet. So wie bei »Retrospektive« eben auch.

  • Wobei aber ja schon beides in deiner Musik vorkommt. Auf der einen Seite ist da dieser sehr Rap-referentielle Battlekram, dann aber auch die fast schon zu ehrlichen Introspektiven.

  • Wenn man in dem einen Song sagt, dass einen die deepen Tracks stören und dann aber die erste Video-Veröffentlichung ein sehr deeper Track ist, stößt man die Leuten ja gut vor den Kopf. Für mich ergibt das schon Sinn. Es gibt halt beides. In mir und generell.

  • Ist ja bei mir nicht anders. Ich feier das Shindy-Album komplett, freue mich aber gleichzeitig auch auf »Der letzte Idiot« von Audio 88. Und da trifft dann diese Genussmenschenmusik auf Misanthropie in ihrer reinsten Form. Für mich funktioniert das beides.

  • Ich kann noch gar nicht sagen, ob das jetzt bei mir funktioniert hat. Aber es war schon gewollt. Ich habe ja den Falk-Schacht-Song mit Rockstah zuerst released, dann die albernen Schlagerstar-Autogrammkarten und dann bin ich mit dem Video zu »Retrospektive« in genau die andere Richtung geschossen. Und bis jetzt muss ich sagen, gab es dafür zum Glück nur Liebe.

  • Im Deutschrap ist ja gerade sehr viel möglich, vielleicht so viel wie noch nie. Und dementsprechend gibt es vielleicht auch wenig Hate in Bezug auf dein Video. Eine Zeit lang fand ich das ganz gut, dass sich alle so lieb haben, aber mittlerweile nervt es mich etwas. Dich doch insgeheim auch, oder?

  • Manchmal frage ich mich schon, warum gerade jeder Typ, der ansatzweise im Takt rappen kann, einen Deal bekommt. Andererseits bin ich ja auf der Seite derer, die sich eventuell irgendwann mal darüber freuen können. Vielleicht kann man davon auch irgendwann mal profitieren… Es ist halt die Frage, wann die Blase platzt. Schau doch nur mal, wie viele Rapper in den letzten vier Jahren auf die 1 gegangen sind. Ich würde sagen, dass da gerade eine ganz krasse Ungewissheit herrscht, die jeder auch mit sich herumträgt. Mal sehen, was in den nächsten zwei Jahren daraus wird.

  • »Manchmal frage ich mich schon, warum gerade jeder Typ, der ansatzweise im Takt rappen kann, einen Deal bekommt.«Auf Twitter teilen
  • Immerhin bist du einer der Wenigen, die auch mal das Maul aufmachen und Affronts eloquent verpacken. Stichwort »Wasserstoffblondes random girl«.

  • An der Stelle muss ich mal loswerden, dass Olson für mich eines der besten Alben des Jahres veröffentlicht hat. Das ging auch weniger gegen ihn, sondern eher gegen diese Front aus Rappern, die da gerade angerollt kommt. Die sehen alle geil aus, die sind in Interviews alle immer super drauf und rappen alle über die gleichen Probleme. Und das nehme ich manchen von denen nicht immer ab. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass Songs über diese Probleme gemacht werden, weil Songs über diese Probleme gerade cool sind. Es gibt bestimmt auch Leute, die das über meine Musik behaupten. Aber die haben dann meistens nur einen Song gehört – ich sehe das anders.

  • Ich auch. Dir kaufe ich das mit der schweren Kindheit im Gegensatz zu einem Sierra Kidd halt auch ab. Ich finde zum Beispiel, dass »MAMA« sehr tief blicken lässt. Das klingt schon real.

  • Auf jeden Fall!

  • Du warst schon Außenseiter…

  • Außenseiter, Mobbingopfer – das kannst du nennen wie du willst. Ich will das nicht ständig thematisieren. Auch, weil ich Angst habe, dass die Leute darin eine Masche sehen könnten. Der Song war mir einfach wichtig und der Text ist mir total leicht von der Hand gegangen. Lustige Geschichte dazu übrigens: Ich rappe in dem Song ja auch über eine Daniela mit Bauchnabelpiercing. Die war das personifizierte Böse. Ich hatte krass Angst vor ihr! Und vor kurzem laufe ich bei mir zur Haustür raus, höre original das Master von dem Song und in dem Moment läuft sie, die jetzt in einem Sonnenstudio arbeitet, mit ihrem Mann und dem Kind an mir vorbei und sagt »Hallo!«. (lacht) Das war schon ein krasser Moment.

  • Du hast es eben selber schon angesprochen: Ich finde es schwierig, wenn Leute mit Problemen hausieren gehen, die nicht ihre eigenen sind. Am Ende ist das nichts anderes, als wenn ein Gangster-Rap-Darsteller erzählt, er verkauft Drogen und sein Handy wird deswegen abgehört. Die Realness-Debatte, die es im Bezug auf deutschen Straßenrap oft gab, haben wir jetzt wieder mit hm, Emo-Rap.

  • (lacht) Ich hoffe, du siehst mich nicht als Emo-Rapper! Aber grundsätzlich stimmt das natürlich. Wenn man einen Künstler mag, kann man ja in den meisten Fällen sein Leben relativ grob nachvollziehen. Sie posten Urlaubsbilder auf Facebook, Partybilder auf Instagram und von außen wirkt das dann alles immer wie eine riesige Party. Dann hört man ihre Alben, und dann weinen sie ein wenig. Was okay ist. Jeder darf ein bisschen weinen. Aber wenn die Songaussagen komplett konträr zur Selbstdarstellung wirken, wittert man Kalkül. Und dann macht das Zuhören keinen Spaß mehr.

  • Eine Notiz, die ich mir zu dir und deiner Musik gemacht habe, war »Meister des unnützen HipHop-Knowledge«. Wenn man deine Musik hört oder deinen Twitter-Feed checkt, dann merkt man schon, dass du dir den ganzen Kram erbarmungslos gibst. Seien es jetzt die Titel deiner Songs oder dass du retweetest, wenn Audio 88 über den Hermes-Versand abkotzt.

  • Auf jeden Fall. Ich bin auch ein richtiger HipHop-Interview-Nerd. Ich kenne jedes einzelne! 2004 habe ich ‚nen eigenen Laptop bekommen und mich im rap.de-Forum angemeldet. Von da an habe ich mir alles reingezogen. Inzwischen findet auch vieles auf Twitter statt und da feier ich natürlich auch Audio88 und wie er teilweise über Rapper lästert. Wenn der meine Mucke hört, findet er die wahrscheinlich auch so richtig schön scheiße! 

  • …das glaube ich auch.

  • (lacht)

  • Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich manche Sachen von dir in ihrer, sagen wir, Melancholie und nüchternen Resignation schon ein bisschen an ihn erinnert haben. Schon alleine der Satz »Dummen Menschen wird so vieles hier geboten« eint euch ja irgendwie.

  • Ach, wenn er sich drüber lustig machen würde, dann würde ich das unter Umständen sogar witzig finden. Ich höre seine Musik ja auch nicht ständig, aber bin schon ein kleiner Fan. Ähnlich wie bei DCVDNS.

  • Interessant, dass du den auch ansprichst. Ich hatte wirklich genau die beiden als Referenzpunkte beim ersten Hören im Kopf.

  • Das kann ich nicht beurteilen. Ich hör‘ die beiden nicht regelmäßig, aber ich finde die auf jeden Fall witzig.

  • Speaking of: Lass uns mal noch über das Video reden. Die Dame, die im Clip zu sehen ist, ist deine Oma, ja?

  • Ja, ganz genau. Die hat schon hier und da fürs Fernsehen geschauspielert und war früher auch eine von den fünf Frauen in der Sendung »Kaffeeklatsch« von Ralph Morgenstern. Da wo sie herkommt, gibt es ein Theater, in dem sie auch regelmäßig auftritt. Von daher lag das eigentlich auf der Hand, mit ihr zu arbeiten. Und Oma ist auch einfach ein cooler Typ. Sie hat den Look des Videos noch mal auf ein ganz anderes Level gehoben.  

  • Die alte Dame im Video soll schon den deutschen HipHop symbolisieren, oder?

  • Die Richtung ist schon mal gut. (schmunzelt)