Live From Earth »Es geht ja um die Liebe!«

Wer sind eigentlich diese Live-From-Earth-Typen, die gerade Videos für LGoony und Yung Hurn drehen, Shows veranstalten, T-Shirts drucken und jetzt auch noch ein Label sind? Jan Wehn traf zwei der Gründer, Max und Elias, gemeinsam mit Yung Hurn, Lex Lugner und Rin zum Interview.

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The Deutschrap-kids are all right. Statt sich ordentlich Verlagsvorschüsse in die Taschen zu stecken und die schnelle Mark zu machen, zieht der Nachwuchs lieber sein eigenes Ding durch. Bestes Beispiel: Live From Earth – Videoproduktionsfirma, Bookingagentur, Digitalvertrieb und Modelabel. Vor allem aber ein loses Künstlerkollektiv, das schon LGoony, Yung Hurn, Crack Ignaz und MC Bomber unter die Arme griff und mit Rin gleich den nächsten vielversprechenden Rap-Nachwuchs am Start hat.

Beim Ortstermin in Berlin-Neukölln traf Jan Wehn neben den Gründern Max und Elias auch auf Yung Hurn, Lex Lugner und Rin, um mit der ganzen Bande über das Dasein als Künstler, Süßdeutsch, die Bilderflut im Internet und Zahnspangen zu sprechen.

  • Live From Earth gibt es jetzt seit 2014. Wie und warum habt ihr euch dazu entschieden, die Sache ins Leben zu rufen?

  • Max: Ich war schon immer sehr an Film und Musik interessiert. Ich habe dann ein Jahr in einer Nachrichtenagentur gearbeitet, bin in der Welt herumgereist, aber fand es irgendwie blöd, weil man einen Chef hatte und der dumme Hampelmann war, der jeden Scheiß machen musste. Elias hat zwar sein Tischler-Ding gemacht, aber wir hatten schon länger die Idee, ein Künstlerkollektiv zu gründen, das Künstler betreut. Natürlich sollte man an dieser Stelle nicht vergessen, dass wir eigentlich zu dritt sind. Unser dritter Mann, Lorenz, ist gerade in Athen und kann heute bei dem Interview leider nicht bei uns sein. An dieser Stelle auch Shoutouts und Danke an Nico, der auch zu Gründung beigetragen hat, aber leider zur Zeit nicht in Deutschland lebt. Live From Earth sollte ein Movement sein, das seine eigenen Sachen macht, aber auch Klamotten anbietet und fast schon eine Art Yakuza – Gang, Organisation, Institution – ist.

  • Rin: Ein Batallion!

  • Max: Ja, fast schon eine autonome Republik. Am allergeilsten wäre, wenn wir einen eigenen Bezirk hätte. (Gelächter)

  • Es gab also von Anfang an diesen ganzheitlichen Ansatz?

  • Max: Wir haben mit den Musikvideos begonnen und wollten schauen, was sonst noch so passieren kann. Ich habe schon immer viel Musik gehört – irgendwann waren das nur noch neue Sachen aus Amerika, weil mich das alte Zeug nicht mehr interessiert hat. Ich habe dann auch in Deutschland nach einem ähnlich aktuellen Sound gesucht, aber nichts gefunden. Irgendwann wurde dann Yung Lean bekannt, den ich sehr mochte – und kurz danach habe ich Young Krillin entdeckt. »Harakiri Pt. 3« war das erste Lied, was mich echt geflasht hat.

  • »Wir sind einfach Freunde, von denen jeder etwas gut kann und gerne macht – das Zusammengenommen ist eben eine gute Symbiose.« (Yung Hurn)Auf Twitter teilen
  • War es nur der Song oder auch das Video?

  • Max: Auch das Video. Wer hat das eigentlich gemacht?

  • Lex Lugner: Das war ich.

  • Max: Nice. Ja, das war echt nice. Im Video hat man ja auch Crack Ignaz gesehen und Young Krillin hat einen echt deepen Part. Ich kam da gar nicht drauf klar und wusste auch nicht, wo die Jungs herkamen, bis irgendjemand zu mir meinte, dass sie aus Österreich sind. Ich habe Young Krillin dann angeschrieben und ihn gefragt, ob er nicht mal Lust hätte, ein Video mit uns zu drehen. In der Zeit hatten wir schon zwei Videos für MC Bomber gemacht, der ein Atze von uns ist, die sehr gut ankamen. Young Krillin hatte Lust und nach einem halben Jahr sind Elias und ich im Frühling 2015 nach Salzburg geflogen.

  • Elias: Wir sind dann mit Crack Ignaz im Auto rumgefahren und er hat einen Song von Yung Hurn angemacht. Das war »Sippmaned«. Da waren wir echt so: »Oh mein Gott, wer ist das? Der hört sich so krass an!« Am selben Abend kam Yung Hurn dann auch beim Videodreh von »1 Berg Money« vorbei.

  • Max: Wir haben uns sofort sehr gut verstanden…

  • Yung Hurn: …was auch daran liegt, dass wir ja quasi eine Vorgeschichte haben. Ein guter Kumpel von uns, der Lukas – wirklich eine 1A-Person – kannte nämlich auch Max und Elias. Das hat sich gleich gut angefühlt.

  • Max: Wir haben die Videos dann abgedreht, sind ein paar Wochen später nach Wien geflogen, haben »Nein« gedreht, Lex Lugner kennengelernt und kurz danach sind die beiden bei uns eingestiegen.

  • Yung Hurn: Das Geile ist halt, dass Live From Earth wirklich kein klassisches Label ist. Wir sind einfach Freunde, von denen jeder etwas gut kann und gerne macht – das Zusammengenommen ist eben eine gute Symbiose. 

  • Ihr macht ja nicht nur das Label, sondern auch Shirts. Was hat es da mit dem arabischen Schriftzug unter dem Live From Earth Logo auf sich?

  • Max: Ursprünglich war mal angedacht, es mit japanischen Schriftzeichen zu machen, aber das war schon wieder out. Zwischenzeitlich haben wir auch überlegt, das mit den arabischen Schriftzeichen sein zu lassen, weil es ebenfalls schon wieder veraltet ist, haben uns dann aber doch dafür entschieden. Der Schriftzug ist auch keine direkte Übersetzung von »Live From Earth«, sondern heißt vielmehr »Meine Gang« beziehungsweise »meine Gruppe«. Es sieht natürlich sehr ästhetisch aus, passt aber auch zum internationalen Bezug unseres Namens – und hat mit den Flüchtlingen und den Konflikten der arabischen Welt auch eine ganz aktuelle Referenz. Als nächstes wird es aber auch eine kyrillische Version, danach eine thailändische und eventuell sogar eine mit Blindenschrift geben. Man kann halt schön damit spielen.

  • Als allererstes gab es doch dieses Döner-Shirt. Wie kam es überhaupt dazu?

  • Elias: Ich hatte mal ein Mädchen, die mir dieses T-Shirt gemacht hat. Wenn ich das anhatte, kamen ständig Leute zu mir und haben gefragt, wo ich das denn her habe. Wir haben dann eine kleine Auflage gedruckt, als Live From Earth gegründet wurde. Die Nachfrage war dann so groß, dass wir es zum Verkauf angeboten haben. Das Shirt ist eingeschlagen wie eine Bombe. Damals war es unser erstes Item im Shop, mittlerweile sind aber noch einige andere Sachen dazugekommen. Außerdem haben wir einen eigenen Designer, der uns die Schnitte für die Shirts anfertigt. Von einer Freundin, die die Modewelt studiert hat, werden in Zukunft Limited Edition-Pieces herauskommen.

  • Neben Musikvideos und Shirts gibt es aber ja auch noch den Blog auf eurer Seite.

  • Max: (lacht) Ich probiere neben dem ganzen anderen Kram da immer noch was zu machen. Wir wollen uns ja eben nicht nur über Textilien und Videos ausdrücken – aber das klappt zeitlich nicht immer so ganz. Unser DJ Acoid schreibt aber immer wieder Einträge, in denen er neue Mixtapes postet.

  • Elias: Diese Art von Musik ist hier halt immer noch sehr unterrepräsentiert. Max und ich haben früher ja auch aufgelegt und waren damals schon sehr stark hinter neuen Sachen her. Das was da ist, interessiert uns nicht. Es geht um das Neue.

  • Max: In Deutschland kommt in der Musik – bis auf Techno – alles immer sehr zeitverzögert an. Die Hanuschplatzflow-Jungs waren die ersten, die modernen HipHop mit der deutschen Sprache gemacht haben.

  • Rin: Ich ja auch…

  • Max: Ja, du hast dich aber in dein Zimmer verschlossen und wolltest mit niemandem etwas zu tun haben! (Gelächter)

  • »Ich will mit der Musik eh kein Millionär werden, sondern einfach eine gute Zeit haben.« (Rin)Auf Twitter teilen
  • Gutes Stichwort. Von dir gibt es bis jetzt ja nur das »Ljubav/Beichtstuhl«-Video und ich weiß, dass Casper sich mal bei dir gemeldet hat. Wie kam das alles bei dir überhaupt?

  • Rin: Ich habe eine Zeit lang mit einem meiner besten Freunde, Caz, Musik gemacht. Seine Videos wurden damals von Capo, dem Bruder von Haftbefehl, entdeckt. Capo kam dann direkt mit einem Angebot um die Ecke, weil er gerade sein eigenes Label Hitmonks gegründet hatte. Caz hat aber abgelehnt. Wir haben darüber aber Bausa kennengelernt, der mich dann unter seine Fittiche genommen hat. Er hat sich damals in Nürtingen ein Studio mit einem Audio Engineer geteilt und ich habe dort ein paar Tracks – unter anderem auch »Ljubav/Beichtstuhl« – aufgenommen. Bausa hatte dann aber relativ schnell extrem viel zu tun und ich war wieder auf mich allein gestellt. Und weil ich das Gefühl hatte, ich würde niemanden erreichen, habe ich dann Falk Schacht und Staiger auch mit besoffenem Kopf mal Songs von mir geschickt. Staiger hat am nächsten Morgen direkt zurückgeschrieben, dass er keine Zeit hat, weil er seine Kinder in den Kindergarten bringen muss. (Gelächter) Falk hat mir eine ellenlange Email zurückgeschrieben und meinte, er findet die Sachen krass, aber hat mich auch direkt vorgewarnt, dass er mehr gescheiterte als erfolgreiche Künstler kennen würde. Kurz darauf habe ich mein letztes Geld genommen und mit einem Homie das Video zu »Ljubav/Beichtstuhl« gedreht. Falk hat es dann geteilt und daraufhin haben sich Casper und The Breed aus Chemnitz gemeldet. Casper hat meine Sachen gefeiert und mir Hilfe angeboten, falls ich jemanden brauche. The Breed hat mich dann zu sich eingeladen, damit wir an einer EP arbeiten. Die EP ist allerdings nie erschienen, weil es musikalisch einfach nicht mehr gepasst hat. Ich habe dann auch mal mit Megaloh, Ghanaian Stallion und KAAS zu tun gehabt. Da ist aber nie etwas draus geworden. Dann haben sich ungefähr zeitgleich Max und Yung Hurn bei mir gemeldet. Yung Hurn hat mich dann gefragt, ob ich nicht Bock hätte, mal was mit ihm zu machen. Hatte ich natürlich. Dann kamen die ersten ernsthaften Gespräche mit Max und seitdem bin ich Teil von Live From Earth. Die Jungs fahren den gleichen Film wie ich und ich fühle mich sehr gut aufgehoben. Ich will mit der Musik eh kein Millionär werden, sondern einfach eine gute Zeit haben. 

  • Woran arbeitest du dann gerade?

  • Rin: Ich mache jetzt eine EP mit dem Namen »Genesis«. Yung Hurn und ich werden auch eine EP mit dem Namen »Love« machen, die Mitte März erscheinen soll. Danach nehme ich dann vielleicht etwas Größeres in Angriff.

  • Die Releases von Live From Earth sind ja allesamt umsonst…

  • Yung Hurn: Es geht ja um die Liebe! Und dafür braucht es auch gar nicht viel – nur einen, der sich mit der Technik auskennt. Deshalb ein Shoutout an ihn hier! (zeigt auf Lex Lugner)

  • Max, Elias, Rin, Yung Hurn: Shoutout!

  • Yung Hurn: Lex Lugner hat mir wirklich sehr geholfen. Das technische Know-how habe ich nämlich einfach nicht. Ohne Leute wie Lex Lugner oder Aloof: Slangin, bei denen ich aufnehme, hätte die Musik nicht so eine Qualität.

  • Wie hast du dir das ganze Wissen denn draufgeschafft, Lex?

  • Lex Lugner: Das Produzieren habe ich mir spielerisch angeeignet, mehr so try-and-error-mäßig. Was das Aufnehmen angeht, lese ich einfach viel oder schaue mir Videos an. 

  • »Ich finde den handwerklichen Aspekt sehr unwichtig – was zählt, ist der Inhalt.« (Lex Lugner)Auf Twitter teilen
  • Ist es denn eigentlich wichtig, dass die Musik professionell klingt?

  • Lex Lugner: Nein, überhaupt nicht. Ich finde den handwerklichen Aspekt sehr unwichtig – was zählt, ist der Inhalt.

  • Rin: Wenn es handwerklich wird, wird es auch schnell professionell und zu einem Beruf – und dann ist da ein ganz anderer Druck auf der ganzen Sache, weil man mit einem Beruf ja auch Geld verdienen muss.

  • Daher rührt ja auch meine Frage mit den Umsonst-Releases. Wovon lebt ihr denn, wenn nicht von CD-Verkäufen oder Label-Vorschüssen? Wie kann man frei Kunst schaffen, wenn man die Existenzsicherung im Hinterkopf hat?

  • Yung Hurn: Das ist nicht einfach. Ich kann zwar nur aus Österreich berichten, aber da gibt es eben die AMS-Arbeitsämter, da bekommt man 440,- Euro im Monat, von denen man Miete bezahlen muss. Das reicht natürlich hinten und vorne nicht. Wenn es dann mal knapp wird, muss man auf Freunde zurückgreifen, die einem aushelfen. Manchmal muss man dann auch Sachen machen, zu denen man öffentlich nichts sagen kann oder will. (Gelächter) Das ist aber gar nicht so cool. Irgendwie schafft man es aber dann doch immer, über die Runden zu kommen. Von meinen Eltern bekomme ich fast gar nichts. Was ich ihnen aber auch nicht übel nehmen kann – die sind halt keine reichen Geschäftsleute. Aber zum Glück hilft einem immer wer aus. Wenn man bei Freunden ist, kann man da auch mal mitessen. Wir haben jetzt gerade zum Beispiel Johnny 5 dabei, der immer für uns kocht. Im Endeffekt geht’s mal dem einen und dann wieder dem anderen besser.

  • Rin: Aber uns allen geht es zusammen gut.

  • Yung Hurn: Genau. Wenn ich aus Berlin wieder nach Wien komme, habe ich natürlich auch wieder ein bisschen mehr Geld. Dann kann ich auch wieder etwas spendieren.

  • Das ist ja eine ganz bewusste Entscheidung: Die Kunst zu machen, die man wirklich machen möchte, heißt, sich an anderer Stelle einzuschränken und nicht am Anfang jedes Monats seine 2.500,- Euro auf dem Konto zu haben.

  • Yung Hurn: Aber dafür bin ich eben frei. Ich habe ja auch schon gearbeitet, weil ich früh mit der Schule fertig war. Ich habe eine Zeit lang auch sehr gut Geld verdient. Aber seit gut zwei Jahren habe ich keinen festen Job mehr. Insbesondere das mit der Miete ist halt schwierig. Gerade habe ich das große Glück, dass ich keine Miete zahlen muss. 

  • Wann hast du dich denn ganz konkret entschieden und gesagt: »Ich mache jetzt Rap und will mich damit ausdrücken.«?

  • Yung Hurn: Dieser Moment ist noch gar nicht gekommen, finde ich. Vielleicht sieht das für andere Leute so aus, aber für mich… (lacht) Ich mache halt momentan das, was ich will. Das sind ganz unterschiedliche Dinge. Ich versuche, so viel wie möglich – und das auch mit so viel Liebe wie möglich – zu machen.

  • Rin: Was die Geldsache angeht, ist es ja auch so, dass jeder für sich selber entscheiden kann, welche Ansprüche er an sein Leben hat. Wenn man frei sein möchte, dann kann man eben nicht unbedingt auch ein Auto fahren.

  • Yung Hurn: Ich stehe nicht gerne um sieben Uhr in der früh auf und arbeite dann bis 16 Uhr für jemand anderen.

  • Lasst uns mal noch ein bisschen über eure Einflüsse reden. Yung Hurn, du hast mal Georg Danzer als Inspiration genannt.

  • Yung Hurn: Ja, Rest In Peace, Georg Danzer. Der war ein sehr guter Musiker aus Österreich, den mein Vater sehr oft gehört hat. Aber abgesehen davon gibt es echt noch tausend Einflüsse. Georg Danzer genau so wie Reinhard Fendrich oder eben Falco. Da gibt es ganz viele, die mir gut gefallen.

  • »Aber grammatikalisch bisch scho im hochdeutschen Bereich, oder?« (Rin)Auf Twitter teilen
  • Aber was ist dann genau der Einfluss? Die Wortwahl?

  • Yung Hurn: Vielleicht dieser Schmäh? Georg Danzer spricht ja wirklich den Wiener Dialekt – es gibt ja den alten und den neuen. (spricht im alten Wiener Dialekt) »Der Oide is ja eh leiwand.« Und ich hab ja eher diesen hochdeutschen Dialekt. Wobei das wiederum für einen Berliner kein Hochdeutsch ist, sondern eher süßes Deutsch ist.

  • Max: Süßdeutsch. (Gelächter)

  • Rin: (schwäbelnd) Aber grammatikalisch bisch scho im hochdeutschen Bereich, oder?

  • Yung Hurn: Ja, eigentlich schon. Du müsstest mal die Salzburger reden hören… so wie der Crack Ignaz rappt.

  • Am Ende des Tages ist das ja immer noch die deutsche Sprache, aber eben ein Regiolekt – genau wie in den USA, wo jemand aus dem Süden anders spricht und rappt als an der West- oder Ostküste. Apropos regionale Unterschiede: Wenn man sich Musik von euch oder anderen neuen Rappern anhört, hat man immer wieder das Gefühl, dass da ganz neue Impulse gesetzt werden, die sich einerseits aus dem aktuell angesagten Sound speisen, aber auch immer wieder Querverweise auf alten Südstaatenrap haben.

  • Yung Hurn: (überlegt) Ich weiß nicht, ob das zusammenhängt oder genau diese Symbiose ist. Wenn es Verweise auf Rap gibt, dann würde ich bei einem Song wie »FDP« sagen, dass es vielleicht an Black Kray erinnert. Aber das passiert auch nicht bewusst. Ich schreibe einfach einen Text, nehme ihn auf und denke mir dann: »Wenn ich gerade die ganze Zeit die letzten beiden Black-Kray-Alben gehört habe, ist es ja klar, dass meine Musik da nach klingt.«

  • »Viele Leute greifen immer auf das gleiche Arsenal an Klischees zurück.« (Max)Auf Twitter teilen
  • Gibt es bei euch, Max und Elias, auch Einflüsse in Sachen Bildsprache?

  • Max: Ja, klar. Gaspar Noé oder Jean-Luc Godard, die Sachen von Hot Sugar. Aber es geht ja auch um das, was nicht gemacht wird. Ein Video darf nicht zu offensichtlich sein. Wenn jemand im Song sagt, dass er eine Pizza kauft, muss man ihn ja nicht dabei filmen. Ansonsten greifen viele Leute auch immer auf das gleiche Arsenal an Klischees zurück: Frauen, Hunde, eine Gang. Und die absolute Krönung ist dann eine Drohne.

  • Yung Hurn: Ich finde, es muss halt ästhetisch aussehen.

  • Max: Ich möchte einfach schöne Bilder erschaffen.

  • Elias: Das meiste entsteht eigentlich erst im Prozess des Filmens – die bisherigen Videos haben wir alle ohne Konzept gedreht. Klar gab es ein paar Locations und Kulissen, aber dort haben wir dann einfach das gedreht, was gerade passiert.

  • Yung Hurn: Ich glaube, man merkt auch, dass nichts durchgeplant ist, jeder einen gewissen Einfluss auf den Dreh des Videos hat und am Ende passt es alles.

  • Soweit ich weiß, hast du, Yung Hurn, auch mal die beiden Architekten Adolf Loos und Otto Wagner als Inspiration genannt.

  • Yung Hurn: Ich liebe die österreichische Architektur. Die hat mich schon immer fasziniert. Die Gebäude in ganz Wien haben einen großen Einfluss auf mich gehabt. Ich geh auch gerne allein durch Wien, höre Musik und lasse das Stadtbild auf mich wirken – das hat eine ungemein beruhigende Wirkung auf den Körper. Aber ich glaube, der Lugner ist auch sehr architektonisch beeinflusst. (Gelächter)

  • Lex Lugner: Ja, ich mag den Loos und den Wagner auch sehr gerne. (Gelächter)

  • Max: Linien und Klänge – das gehört doch auch einfach zusammen, oder?

  • Yung Hurn: Ich wollte früher eigentlich immer Architekt werden. Als ich mit dem Malen begonnen habe, habe ich – mit sieben oder acht Jahren – immer nur Häuser und Grundrisse von Häusern gemalt. Erst war es nur die Wohnung, in der ich gewohnt habe, danach wurden es dann Häuser, in die ich ganz viele Zimmer hineingezeichnet habe. Dann habe ich mir immer vorgestellt, wie cool es wäre, in so einem Haus oder gar Schloss zu wohnen.

  • »Am Ende ist das ja so eine Tumblr-Scheiße.« (Yung Hurn)Auf Twitter teilen
  • Im Video zu »Nein« spielt neben der Architektur auch eine Ming-Vase eine große Rolle. Wie seid ihr darauf gekommen?

  • Yung Hurn: Ich hatte eine Zeit lang ungefähr sechs von diesen Vasen zu Hause. Ich habe die teilweise auf dem Flohmarkt gekauft, teilweise standen die im Sommer aber auch draußen vor den China-Restaurants. Wir haben dann begonnen, die einfach zu stehlen und zu mir zu bringen. Ich hatte auch mal eine riesengroße, bei der die Griffe Chamäleons sind. Am Ende ist das ja so eine Tumblr-Scheiße: Ein weißer Hintergrund, davor eine Vase, aus der so eine Pflanze kommt – das fasziniert mich sehr.

  • Apropos Tumblr-Scheiße: Wie wichtig ist das Internet mit all seinen Memes, Emojis, Schriftarten und schnelllebigen Trends?

  • Yung Hurn: Sehr, sehr wichtig.

  • Warum?

  • Max: Ja, das ist doch klar: Wir sind die Internet-Generation.

  • Ja, das verstehe ich schon. Aber erklär das doch bitte mal genauer.

  • Max: Ich bin damit aufgewachsen. Der erste technische Gegenstand bei uns war ein Computer. Mit dem konnte man ins Internet, sich auf MySpace ein Profil erstellen, Musik mit anderen teilen, Sachen herunterladen, online spielen oder chatten und sich bei 4Chan oder Spaceghetto rumtreiben – das war einfach eine riesige Spielwiese, auf der man anonym machen konnte, was man wollte und einen Zugang zu unendlichem Wissen und Inspiration bekommen hat.

  • Elias: Shoutout an Spaceghetto!

  • Was ist denn Spaceghetto?

  • Max: Das war ein super simples Image-Portal, wo jeder Images, Videos und Texte posten konnte. Dort haben die Leute echt krasse Sachen hochgeladen. Das war eine ungeschönte, unzensierte Widerspiegelung der Realität.

  • …also ein bisschen wie rotten.com.

  • Max: Ne, rotten.com will ja nur schocken. Aber Spaceghetto war wirklich Kunst. Da haben Leute teilweise sogenannte Day Stories gepostet, wo sie schon vor acht Jahren mehrmals am Tag Fotos von sich und ihrem Tagesablauf gemacht haben. Quasi wie Snapchat heute. Dann gab es aber auch viel Kunst oder Geschichtliches. Leute haben beispielsweise 500 Fotos vom ersten Weltkrieg gepostet oder Videos von Kunstperformances, Pornografie oder Musik. Das hat uns alle sehr stark geprägt – weil wir da eben schon mit 14 Jahren davorsaßen. Leider ist Spaceghetto seit zwei oder drei Jahren offline, weil die Macher sich nicht mehr um die Server kümmern konnten. Heute existiert lediglich ein Abklatsch vom Original, aber die User und die Vielfalt von damals sind gone. RIP Spaceghetto!

  • Wenn wir schon beim Internet sind. Yung Hurn, du hast in einem Interview gesagt, dass du die sozialen Netzwerke alle auf ganz unterschiedliche Art und Weise als Ausdrucksform nutzt. Hier im Interview redest du ja auch ganz anders, als du es zum Beispiel auf Twitter tust. Dort postest du dann manchmal auch Fotos, die du bei Instagram aber nicht hochlädst. Bei Instagram löschst du wiederum ab und an auch Bilder.

  • Yung Hurn: Ja, die sind Limited Edition.

  • Heißt, die Leute müssen sich die Bilder dann runterladen oder einen Screenshot davon machen und sie sammeln wie früher Fußballsticker? Dann schicken sie die Bilder weiter, jemand macht wieder einen Screenshot und dann fransen die an den Rändern so aus wie bei den Memes, die Kay One immer auf Facebook teilt. Die Bilder altern also – auch, wenn das Altern und verschlechtern von Bildern im Internet-Zeitalter und der Digitalisierung eigentlich gar nicht mehr möglich sein sollte.

  • Yung Hurn: Ja, voll. Es steckt schon ein bisschen mehr dahinter – auch, wenn das Anfangs gar nicht so gedacht war. Auf Twitter poste ich echt, was ich will. Wobei ich da mittlerweile echt aufpassen muss, weil ich nicht mehr nur 1.000 Follower habe. Aber wenn man hacke oder auf Drogen ist, dann kann man da schon mal was schreiben. (grinst) Facebook ist mittlerweile eigentlich schon das seriöseste Medium. Eigentlich ist mir eh immer noch egal, was ich so schreibe. Aber wenn man eine gewisse Reichweite hat, muss man da aufpassen, weil man sonst auch andere Leute mit reinzieht. Instagram ist dann eher für die Bilder da. Ich versuche schon auch, coole Bilder hochzuladen, die einen künstlerischen Anspruch haben. Manche lösche ich dann wieder, wenn sie zu viele oder zu wenige Likes haben. 800 sind ganz okay.

  • Wann ist ein Bild denn künstlerisch wertvoll? Spontan muss ich an ein Bild denken, auf dem du ein Mädchen von hinten fotografiert hast, die ein altes Nokia-Handy in ihrem Höschen stecken hat.

  • Yung Hurn: Ja, stimmt. Voll! Das hat einfach etwas total Ästhetisches…

  • …vielleicht ist das auch eine Form von Zusammenführung aus damals und heute: Das Handy hat man als Kind gehabt, den Sex hat man jetzt, wenn man erwachsen ist.

  • Yung Hurn: Ja, das ist auch ein bisschen abstrakt. Aber du sagst das schon ganz richtig. Ich liebe solche Sachen einfach.

  • Letzte Frage: Warum würdest du gerne eine Zahnspange haben?

  • Yung Hurn: Weil ichs geil finde. Soll ich dir ein Bild zeigen? (holt sein Smartphone raus) Ich hoffe, ich finde das. Das ist von so einem Mädchen aus Wien, die vor kurzem eine Zahnspange bekommen hat. Sie hängt sich da vorne immer so ein Jesus-Kreuz hinein. Ich find’s einfach cool. Das hat was – ich weiß nicht mal was, aber es gefällt mir. Vielleicht liegt’s nur daran, dass es nicht jeder hat. Das ist wieder irgend so ein Tick und man will das haben, um anders zu sein.